IAN GLASPER

Foto

Bassist, Journalist, Autor, Punk

Spätestens mit der Veröffentlichung seines ersten Buchs „Burning Britain – The History of UK Punk 1980-1984“, einem wegweisenden Abriss der britischen Punk-Szene dieser Zeit, sollte der Name Ian Glasper jedem geläufig sein, der sich ein wenig mit der Geschichte des Punk auseinandersetzt. Bis heute folgten fünf weitere ebenso wichtige Bücher aus seiner Feder. Ian Glasper ist aber nicht nur akribischer Punk-Historiker, er spielt auch seit fast vierzig Jahren in Bands, darunter DECADENCE WITHIN, FLUX OF PINK INDIANS, STAMPIN’ GROUND und WARWOUND, und war als Journalist für Terrorizer oder Record Collector tätig. Wir führen mit der Unterstützung von Alan O’Gallon, englischer Altpunk aus der Gegend um Bristol und THE.AFTERMATH-Sänger, der Ian Glasper seit Jahrzehnten kennt, ein fast zweistündiges Interview via Zoom.

Ian, aktuell spielst du bei ZERO AGAIN. Wann ging es mit der Band los und wer ist alles dabei?

Wir haben uns Anfang 2020 gegründet und ich spiele wieder Bass, denn das ist das einzige Instrument, das ich beherrsche. Dean, der vorher bei EPHEMERAL FOETUS und REGRET gespielt hat, singt. Unser Gitarrist Payney war vorher bei BRING TO RUIN, THIS SYSTEM KILLS und unzähligen anderen Bands. Glenn, unser Drummer, war auch bei GRAND COLLAPSE, FOUR LETTER WORD und hat bei CONFLICT ausgeholfen. Wir kennen uns alle schon ewig, haben aber nie zusammen gespielt und es ist cool, gemeinsam eine neue Dynamik zu entwickeln. Als ich noch bei WARWOUND war, komponierte ich irgendwann etwas abgefahrenere Basslinien, die nicht zu WARWOUND passten. Da hatte ich ein Projekt wie ZERO AGAIN im Hinterkopf. Ohne Egos, ohne Erwartungen. Eigentlich wollten wir die Namen der Bandmitglieder geheim halten, um die Musik für sich alleine sprechen zu lassen, aber im Internetzeitalter funktioniert das nicht, haha. Als WARWOUND sich dann auflösten und auch noch der Lockdown kam, habe ich ständig geübt und neue Riffs und düstere Lyrics geschrieben. Ich habe dann die anderen Jungs kontaktiert und alle hatten Lust, etwas Neues auszuprobieren. Payney an der Gitarre war ein Glücksgriff. Als ich diese Basslinien schrieb, hatte ich auch die Gitarren im Kopf, aber er interpretiert das völlig anders und brachte ein völlig anderes Feeling ein. Das Gleiche gilt für Glenn an den Drums. Er spielt nie das, was ich mir eigentlich vorgestellt hatte, aber das Endergebnis ist immer super.

WARWOUND haben sich aufgelöst?
Ja, Anfang 2020. Wir haben unser drittes Album aufgenommen und es „WWIII“, wie „World War 3“ oder „WARWOUND 3“ genannt, was wir clever fanden, haha. Als wir das Album aufnahmen, waren wir auf einem kreativen Höhepunkt, aber es gab doch gewisse Spannungen innerhalb der Band. Einige hatten persönliche und gesundheitliche Probleme. Damian ist dann ausgestiegen und nach Irland umgezogen. Wir anderen wollten WARWOUND ohne ihn als Gründungsmitglied nicht weiterführen, das hätte sich nicht richtig angefühlt. Es ist schon schade, denn wir waren ziemlich gut und das letzte Konzert, das wir spielten, war, ebenso wie unsere letzte Platte, auch unser bestes. Andererseits ist es besser so abzutreten, als mit einem kläglichen Wimmern.

Du warst auch bei STAMPIN’ GROUND, oder?
Ja, viele Leute halten das für die beste Band, in der ich je gespielt habe. Wir haben metallischen Hardcore gespielt, ständig Europa betourt und sind ein paar Mal in den USA gewesen. Unsere letzten Alben wurden von der Metal-Presse wohlwollend aufgenommen und wir konnten daraufhin für einige wirklich große Bands eröffnen. SEPULTURA, SLAYER, HATEBREED und so. Das war für jemanden wie mich, der aus dem DIY-Bereich kommt, schon seltsam, haha. Es war cool, Konzerte zu spielen, die völlig ausverkauft waren, und wir haben so unglaublich viel Merch verkauft, das möchte ich nicht missen. Mein letztes Konzert mit STAMPIN’ GROUND war auf der Hauptbühne in Castle Donington vor 50.000 Leuten. Das war so ein bizarrer und surrealer Moment, wenn man bedenkt, dass unser erster Gig vor nur drei Leuten stattfand. Und dann waren IRON MAIDEN noch Headliner. Was sollte da noch kommen? Mein Cousin Antony Mowbray, der Gitarre bei STAMPIN’ GROUND gespielt hat, und ich waren die Punks in der Band, die anderen waren eher Metalheads und so kam es zu dem Crossover-Sound.

Wie alt warst du, als du begonnen hast, in Bands zu spielen?
Mit 15 begann ich, Bass zu spielen, und meinen ersten Auftritt hatte ich mit 16 mit AMMONIA 77. Das war 1983. Wir haben ein Dutzend Gigs gespielt. Das war die typische Situation. Ich kannte einen Gitarristen und einen Drummer, die einen Bassisten suchten. Also habe ich mir einen Bass geliehen und einfach angefangen. Anfang 1984 gründeten wir DECADENCE WITHIN und hatten unseren ersten Gig Ende ’84, Anfang ’85 und wir blieben etwa zehn Jahre zusammen. Wir lernten alles von der Pike auf, saßen ständig im Van, lernten Leute auf der ganzen Welt kennen und veröffentlichten jede Menge Platten DIY. Damals kam es oft zu Gewaltausbrüchen bei Konzerten und wir hatten so viele Gigs, bei denen wir nur sehr kurz oder gar nicht auf die Bühne konnten, haha. Das ist eine Sache der Achtziger, die ich nicht so sehr vermisse.

Kann man nach dem Ende einer Band mit den Leuten befreundet bleiben?
Nun ja, das hängt davon ab, warum man sich aufgelöst hat. Wenn man einfach am Ende des Weges angekommen ist, stellt das kein Problem dar. Hat jemand Geld unterschlagen, willst du nichts mehr mit ihm zu tun haben. Ich bin eigentlich noch mit jedem befreundet, der mit mir in einer Band gespielt hat. Es gibt ein oder zwei Typen, die wir gebeten haben, die Band zu verlassen. Da war es eine Zeitlang schwierig, aber man wird auch älter, lässt Dinge hinter sich und ich habe mit niemandem ein Problem. Einige von ihnen lesen das hier vielleicht und denken sich: „Was für ein Arsch!“ Haha!

Wie bist du zum Punk gekommen?
Daran kann ich mich sehr lebhaft erinnern. Ich habe ja meinen Cousin Antony Mowbray erwähnt, der neben STAMPIN’ GROUND auch bei DECADENCE WITHIN und einigen anderen Bands war. Sein Spitzname war Mobs. Er war vor mir Punk und wir hatten Kontakt, weil wir eben Cousins sind. Er spielte mir Punk-Platten vor, die okay waren, dann tauchte Punk in den Zeitungen und im Fernsehen auf. Zunächst ging ich in eine andere Richtung und war früh großer Fan von ADAM AND THE ANTS und KILLING JOKE. Irgendwann spielte er mir diese Single von DISCHARGE vor, „Decontrol“, so etwas hatte ich noch nie zuvor gehört. Alles, was ich bisher mochte, schien jetzt irgendwie lahm zu sein und das machte mich wirklich zum begeisterten Punk. Ich ging dann weiter zurück zu THE DAMNED, THE STRANGLERS und anderen frühen Sachen, aber dieser Punk der zweiten Welle, dieser krachige Kram wie DISCHARGE, VARUKERS, ENGLISH DOGS oder GBH hatte es mir angetan. Auch EXPLOITED, die bei „Top of the Pops“ „Dead cities“ spielten. Das passierte alles in so einem kleinen Zeitfenster und begeisterte mich total.

Wie alt warst du da?
Das muss 1981 gewesen sein. Da war ich 13 oder 14. Ein gutes Alter, um sich für eine Sache zu begeistern.

Und da kam auch der Wunsch auf, eine eigene Band zu gründen?
Ja, ich fand den DIY-Gedanken toll, machte mein eigenes Fanzine und wollte eine Band haben. Es gab da eine lokale Punk-Szene mit Bands wie DEMOB in Gloucester und SCREAMING DEAD und die SAMPLES in Worcester, das wollten wir auch und Ledbury bekannt machen.

In einem älteren Interview sagtest du, dass Anarchopunk immer deine große Liebe gewesen sei. Liegt das an der Musik selber oder an der Haltung dahinter?
Die Musik spielt schon eine große Rolle. Egal, wie gut die Texte auch sein mögen, wenn die Musik scheiße ist, dann mag ich es nicht. Ich wäre nie Teil von FLUX OF PINK INDIANS geworden, wenn ich zuerst „The Fucking Cunts Treat Us Like Pricks“ gehört hätte. Eine unhörbare Platte. „Tube disasters“ ist aber ein derart guter Song. Bands wie SUBHUMANS, ICONS OF FILTH oder OMEGA TRIBE habe ich geliebt. CRASS waren schon sehr krachig und Songs wie „Big A little A“ waren Ohrwürmer. Die Texte gingen Hand in Hand mit der Musik, ermutigten dich, selber zu denken, Vegetarier zu werden, Dinge zu hinterfragen. Ich kann sagen, dass Anarchopunk meine Persönlichkeit geformt hat, wobei „Sex & violence“ von THE EXPLOITED darauf keinen Einfluss hatte, haha. So sehr ich THE EXPLOITED mag, Anarchopunk hat mich zu dem gemacht, der ich bin.

Entdeckst du noch neue Bands, die du magst, oder bleibst du bei den alten Sachen?
Ich mag es immer noch, neue Bands zu entdecken. Im Alter wird man halt abgestumpfter und zynischer, hat alles irgendwie schon einmal gehört, aber im Augenblick kann ich nicht aufhören, das Album von SLIMY MEMBER zu hören, die von RUDIMENTARY PENI beeinflusst sind. Dann habe ich neulich ein Demo von BLIND EYE gehört, das mich wirklich von den Socken gehauen hat. In meinem letzten Buch gab es so viele gute neue Bands wie die MIGRAINES, die eine tolle EP haben.

Du lebst ja seit langem straight edge. Wie kam es dazu?
Ich habe es nicht gemacht, um Teil der Straight-Edge-Bewegung zu werden, ich trinke und rauche nur nicht, habe mir aber auch nie ein X auf die Hand gepinselt. Um ehrlich zu sein, ich war ein schlechter Trinker. Meine damalige Freundin hat mich immer unter den Tisch gesoffen und ich habe es nicht gut vertragen, wurde aggressiv und das wollte ich nicht. Also habe ich einfach damit aufgehört, und geraucht habe ich eigentlich nie. Klar, ich habe mit Kumpels etwas Gras geraucht, aber Zigaretten haben mich immer krank gemacht. Seit Anfang zwanzig habe ich nicht mehr getrunken.

Es war also kein bewusstes politisches Statement?
Nein, ich habe einfach für mich entschieden, dass ich damit besser klarkomme. Ich konnte mit dem Zeug nicht umgehen.

Wenn wir das alle so gehalten hätten, wäre uns einiges an Ärger erspart geblieben.
Oh ja. Im Laufe der Jahre hatte ich so einige Situationen, in denen ich der einzige Nüchterne in der Runde war. Meine Freunde haben gar nicht gemerkt, dass die Lage brenzlig wurde, dass Gewalt drohte. Wie oft habe ich jemanden nach einem Gig aus einer Pommesbude gezogen, weil die nicht gemerkt haben, dass die anderen in der Schlange gerade dabei waren sie anzugreifen. Wie gesagt, das war kein politisches Statement, obwohl ich ein oder zwei Texte darüber geschrieben habe, die rückblickend ein wenig selbstgerecht waren und die ich schon bereue. Die anderen von ZERO AGAIN sind ganz schöne Saufbolde, haha. Ich kann schon damit umgehen, wenn andere trinken oder Drogen nehmen. Nimm WARWOUND. Stevie und ich haben weder getrunken noch geraucht und dann gab es Damian und vor allem ... Rat.

Vor deinem ersten Buch hast du schon einige Erfahrungen mit dem Schreiben gesammelt. Mit deinem ersten Fanzine zum Beispiel.
Ja, das hieß „Little Things Please Little Minds“. Das war ein typisches fotokopiertes Fanzine. Ich habe an mich selbst adressierte und frankierte Briefumschläge mit ein paar dämlichen Fragen an alle meine Lieblingsbands geschickt. Ich habe neulich erst welche in der Hand gehabt und konnte kaum glauben, wie beschissen meine Fragen waren. Ich habe zum Beispiel SACRILEGE gefragt, ob sie je daran gedacht hätten, sich umzubringen, haha. Oder ob sie Drogen nehmen würden. Es war eins dieser naiven, aber gut gemeinten Fanzines. Ich habe fünf oder sechs Ausgaben gemacht und es dann auf Eis gelegt, weil ich mit meinen Bands ausgelastet war. In den Neunzigern fing ich an, für das Terrorizer Magazine zu schreiben, ein großes Metal-Magazin, und hatte dort die „Hardcore Holocaust“-Kolumne.

Hattest du da freie Hand?
In der Kolumne schon. Dort habe ich jede Menge Demos, Fanzines und, klar, auch die Bands von Freunden untergebracht. Als ich dann richtig für das Magazin arbeitete, habe ich eigentlich alle Bands interviewt, die damals bei Epitaph, Victory, Lost & Found, Burning Heart oder Roadrunner rausgekommen sind. Etwa zeitgleich fing ich auch an, für den Record Collector zu schreiben und habe da die ganzen Punk-Retrospektiven, die Captain Oi! damals veröffentlichten, besprochen. Ich bekam auch immer wieder Bücher über THE CLASH und die SEX PISTOLS, dann über THE CLASH und die SEX PISTOLS und zur Abwechslung über THE CLASH und die SEX PISTOLS zum Besprechen geschickt. Da kam mir die Idee, selber ein Buch zu schreiben, denn warum gab es nichts über etwa DISCHARGE?

Wenn man bei YouTube Dokumentationen über Punk sucht, findet man auch nur denselben wiedergekäuten Kram über die immer gleichen Bands mit den immer gleichen Filmausschnitten und mit den immer gleichen Zitaten.
Und immer die gleichen Sprecher, ja genau. Jedenfalls wollte ich dieses Buch schreiben und in meinem Regal stehen sehen. „Burning Britain“. Und das Anarchopunk-Buch „The Day The Country Died“. Eigentlich sollte es ein einzelnes Buch werden, doch mir war schnell klar, dass dies den Rahmen sprengen würde. Darüber wollte ich schreiben. Das war Punk für mich. All diese Bands auf Samplern wie „No Future“ und „Riot City“. All der Kram auf Crass oder Spider Leg. Aber das hat auch etwas damit zu tun, wann ich zum Punk kam. 1980, in der zweiten oder dritten Welle. Wenn du 1976 zum Punk kamst, wirst du sicher denken, dass all die Bands in meinen Büchern furchtbaren Krach machen, haha.

Wie lang hat es von der ersten Idee bis zum fertigen Buch gedauert?
Etwa zwei bis drei Stunden am Tag für etwa zwei Jahre. Am ersten Tag macht man eine Liste von Bands, die im Buch sein sollen. Dann versucht man, diese zu kontaktieren und zu interviewen. Dann tippt man alles ab, überprüft die Fakten und sucht Fotos aus. Man macht Layout, Design und Promotion. Ich habe das immer gerne alleine gemacht, um das Konzept, das mir vorschwebte, nicht von Dritten kaputtmachen zu lassen.

Du gibst also nichts aus der Hand?
Da bin ich mein schlimmster Feind, ich bin ein kleiner Kontrollfreak, haha.

Gab es je Beschwerden von Bands, die sich übergangen fühlten, weil du sie nicht erwähnt hast? Oder wollten Bands am Ende doch nicht im Buch sein?
Letzteres kommt eher nicht vor, denn ich lasse die Bands am Ende immer noch einmal Korrektur lesen, denn das letzte, was ich will, ist, den Namen von jemand falsch schreiben oder so. Beim ersten Buch war es aber tatsächlich so, dass ein paar Bands nicht erwähnt werden wollten, warum auch immer. Einige konnte ich aber doch überzeugen. Bei anderen Bands konnte ich keinen Kontakt herstellen. Ich habe verzweifelt versucht, Wattie von THE EXPLOITED zu interviewen, weil er solch eine Schlüsselfigur ist. Oder Chaos von CHAOS UK. Da kam kein Interview zustande. Schließlich habe ich andere Bandmitglieder interviewt. Ich weiß gerade nicht mehr, wen von THE EXPLOITED ich befragte, vermutlich John oder Karl, der später bei ihnen spielte. Man tut das, weil man jemanden aus der Band im Buch haben möchte. Hinterher kommt garantiert ein anderer und meckert, warum man nicht diesen oder jenen aus der Band genommen hat. Man kommt leider nicht an jeden heran. Zusätzlich muss man sich auch eine Deadline setzen, sonst wird das Buch nie fertig. Die Welt ist voller Bücher, die nicht beendet wurden. Einen Verlag zu haben, der dein Buch veröffentlichen will und dir eine Deadline setzt, kann ziemlich motivierend sein!

Machst du immer Face-to-Face-Interviews?
Bei den ersten Büchern war der Anteil schon sehr hoch. Als ich „Burning Britain“ um 2002 herum geschrieben habe, war ich mit dem Internet noch gar nicht so vertraut. Es gab kein Google, kein MySpace oder Facebook. Heute ist es so einfach, Leute online aufzuspüren. Damals habe ich tatsächlich Wählerverzeichnisse gewälzt oder an Adressen auf alten Singles geschrieben, wo dann meistens noch die Eltern von jemandem aus einer Band wohnten. Die haben mir dann Telefonnummern gegeben. Es war viel mehr Detektivarbeit als heute. Ich kann beim besten Willen nicht nach Schottland fahren oder die Fähre nach Irland nehmen, nur um zum Beispiel THE DEFECTS zu interviewen. Klar, ich bin nach Brighton gefahren und habe mit PETER AND THE TEST TUBE BABIES im Pub gesessen, habe viele Leute privat besucht. Das hat schon richtig Spaß gemacht, vor allem ins Dial House zu fahren, um CRASS zu interviewen oder CONFLICT in Pacos Haus. Der Rest lief schon über Mail oder Telefon. Beim letzten Buch lief das meiste übers Internet, was auch an Corona lag, denn man musste ja seine Kontakte und das Reisen beschränken.

Wie bringst du das Schreiben von zwei bis drei Stunden täglich über zwei Jahre pro Buch in deinem Alltag unter?
Ich habe immer schon Vollzeit gearbeitet und war immer in Bands, unser erstes Kind wurde 2000 geboren, das zweite 2005. Ich habe also schon ein ziemlich volles Privatleben. Während der ersten Bücher habe ich tatsächlich an Schlaflosigkeit gelitten und habe die Nächte durchgeschrieben oder bin um vier Uhr morgens aus dem Bett und habe drei Stunden gearbeitet, bevor die anderen aufgestanden sind. Heute könnte ich das nicht mehr, haha. Ich habe oft die Nacht zum Tag gemacht und mich, wenn andere um 23 Uhr ins Bett gingen, an den PC gesetzt und getippt.

Hattest du von vornherein den Plan, sechs Bücher zu schreiben?
Nein, ich wollte nur das erste schreiben, was schon so verdammt ehrgeizig war. Nachdem ich das vollendet hatte und mir klar war, dass ich das hinbekomme, wollte ich eine Trilogie daraus machen, die dann eine Quadrologie wurde. Das vierte Buch der Trilogie, haha. Es vergingen zwei Jahre und ich machte dieses UK-Thrash-Metal-Buch „Contract in Blood“ über einen Musikstil, den ich immer mochte. Das war schon eine Underdogstory, denn diese Szene lief immer unterhalb des Radars. Danach war ich wirklich fertig damit und wollte kein weiteres machen, denn man muss sich der Sache so sehr verschreiben und stößt doch immer auf Widerstände.

Ich muss gestehen, dass ich erst mit „Contract in Blood“ über deinen Namen gestolpert bin, als ich die CD-Box zum Besprechen bekam. Die fand ich ziemlich klasse, denn in den Achtzigern haben wir viel ENGLISH DOGS oder CONCRETE SOX gehört, aber eben die metallischeren Sachen. Ich habe Alan davon erzählt und er meinte nur, dass er dich schon ewig kennen würde. Hast du die Compilation auch selber zusammengestellt?
Als ich mit den Bands in Kontakt war, habe ich schon nach unveröffentlichten, raren oder Live-Aufnahmen gefragt, habe das aber schließlich Cherry Red Records überlassen, denn die kannten sich aus mit dem ganzen Lizenzkram, Publishing-Rechten und Tantiemen. Sie haben mir dann diese Riesenliste mit Songs geschickt, die ich in eine Reihenfolge bringen sollte. Ich habe dann drei schnelle gehabt, gefolgt von fünf super produzierten, danach zehn mies produzierte, um eine gewisse Dynamik auf der Compilation zu haben. Aber wir reden hier über fünf CDs voll mit Underground-Thrash-Metal, da kann man lange diskutieren. Ich habe das nicht alleine gemacht. Cherry Red haben im Hintergrund lange und hart daran gearbeitet. Crossover und Thrash Metal fand ich immer gut und viele Leute erzählten mir, dass sie über Thrash zum Punk kamen. Bei mir war es umgekehrt. Ich war immer Punk, dann kam American Hardcore. CORROSION OF CONFORMITY, D.R.I., danach HIRAX und SLAYER. Das erste Mal, dass mich Metal-Einfluss bei einer Punkband begeisterte, war bei „Eliminator“ von AGNOSTIC FRONT. Diese Doublebass und diese tighten Gitarren kannte ich nicht, aber es gefiel mir. Obwohl, nein, die „To The End Of The Earth“-Maxi von den ENGLISH DOGS kam ein Jahr vorher raus und ich weiß noch, als ich Gizz’ Gitarrensoli hörte und dachte: Nee, das ist Heavy Metal, das sollte es in einem Punksong nicht geben. Aber die Stücke waren so toll, so schnell, so energiegeladen. Und wie du sagtest, CONCRETE SOX mit „Your Turn Next“, „Beyond The Realms Of Madness“ von SACRILEGE und all diese Platten. In der zweiten Hälfte der Achtziger verschwamm das im Vereinigten Königreich. Es gab AMEBIX oder ANTISECT. Das war Crust, Anarcho, Punk und Metal zu einem neuen Stil vermischt – es war egal.

1984 und 1985 war ich großer METALLICA-Fan und auf der Coverrückseite ihres zweiten Albums trägt einer ein DISCHARGE-Shirt. Ein Kumpel nahm mir dann deren „Hear Nothing, See Nothing, Say Nothing“-Album auf Kassette auf und das hat mich beim ersten Anhören umgehauen. Dieser schneidende Gitarrensound. Da war mir klar, wo sich METALLICA bedient hatten.
Es ist einfach so ein fantastisches Album, so sehr ich „Decontrol“ mag und auch „Why?“ mit dem ekelhaften Bass-Sound. Und dann kam dieses Album. Es war einfach unerbittlich. Nur Gitarren. Unerbittliche Gitarren. Und das in Kombination mit den Bildern und den Texten. Das war ein richtiger Schock.

Es ist so ikonisch in allen Aspekten.
Es ragt aus allen anderen Alben heraus. Es ist eins meiner zehn liebsten Alben überhaupt. In Großbritannien hatten wir auch ONSLAUGHT, die einen DISCHARGE-Stil gespielt haben und sich dann aus ganzem Herzen dem Metal hingaben, inklusive der Lyrics. Sie machten dann „Power From Hell“, aber weißt du, die Szene war so inzestuös auf unserer kleinen Insel. Die Leute haben heute in dieser und morgen in jener Band gespielt. An einem Tag waren sie noch bei CEREBRAL FIX, dann in SACRILEGE und wenig später bei ENGLISH DOGS.

Würdest du sagen, dass im Punk heute schärfer zwischen den unterschiedlichen Stilen unterschieden wird als in der Achtzigern?
Puh, schwierige Frage. Es gibt all diese vielen Subgenres, in denen die Bands einen reinen Sound spielen, aber alle in ihren Schubladen steckenbleiben. Ska-Punk, Streetpunk und was weiß ich.

Du verdrehst dabei die Augen.
Es ist schon alles Punk, haha. Mit ZERO AGAIN ist es uns ziemlich egal, was andere Leute denken, wie wir zu klingen hätten. Wir haben keine Regeln. Wenn das, was dabei rauskommt, uns gefällt, dann machen wir das. Aber Ska-Punk werden wir nicht machen, haha.

Deine ersten Bücher haben jeweils einen Zeitraum von fünf Jahren abgedeckt. 1980 bis 1984, dann 1985 bis 1989, danach waren es zehn Jahre, das letzte ganze zwanzig Jahre. Gibt es immer weniger Bands?
Hm, jetzt wo du es sagst, fällt mir das auch auf. Da habe ich nie drüber nachgedacht. Das Thrash-Metal-Buch umfasst sogar vierzig Jahre. Von 1980 bis heute. Vier Jahrzehnte. Jemand hat zum letzten Punk-Buch geschrieben, dass es sich anfühlt, als ob die Szene nicht mehr so ertragreich sei. Ich wusste nicht, wo ich einen Schnitt hätte machen sollen. Die Nuller Jahre, oder wie man die nennt? Ich wollte zeigen, dass Punk nie weg war, es ihn immer gab und wir noch eine quicklebendige DIY-Szene in Großbritannien haben.

Auffällig ist, dass in „The Scene That Would Not Die“ keine wirklich junge Band vorkommt. Alle sind mindestens Ende zwanzig, meist älter. Ist die Szene, ist Punk nicht mehr jung?
Mindestens eine der Bands war tatsächlich noch im Teenageralter, BRATAKUS aus Schottland. Einige Bands haben auch jüngere Mitglieder. Ich habe versucht, Bands zu berücksichtigen, die die Szene durchgerüttelt haben, wie THE MENSTRUAL CRAMPS. Aber um ehrlich zu sein, wenn du ein Buch schreibst, dann tust du das aus deiner persönlichen Perspektive, das passiert einfach. Es ist schon so, dass es da eine Art natürliche Anziehungskraft zu Bands gibt, die ich kenne oder mag oder mit denen ich in Kontakt bin. Ich habe schon versucht, mein Netz so weit wie möglich auszuwerfen. Es wäre schon interessant, ein Buch über Teenage-Punkbands zu machen, aber wenn das dann erscheint, sind sie es nicht mehr. Ich wollte zeigen, dass es für Punk keinen Endpunkt gibt. Über einen Anfangspunkt kann man trefflich streiten. THE WHO oder MC5 und seitdem entwickelt er sich. Eine Evolution von revolutionärer und Anti-Establishment-Musik oder wie auch immer du das nennen magst. Für mich gibt es keinen Endpunkt, solange immer wieder Jugendliche Punk für sich entdecken. Klar, die denken bestimmt, dass DISCHARGE Dinosaurier sind. So wie ich THE STRANGLERS gesehen habe, als ich Punk wurde – das war für mich kein Punk. DISCHARGE waren Punk. Es gibt immer eine neue Generation, die der alten einen Arschtritt verpasst. Schau dir das Rebellion Festival an. Die meisten Besucher sind in ihren Vierzigern oder Fünfzigern, aber seit etwa zehn Jahren gibt es die Introducing Stage und einige Leute gehen nur zum Festival, um die neuen Bands auszuchecken, und nicht, um die alten Säcke zu sehen.

Hier in Deutschland sieht man keine Subkulturen mehr auf den Straßen. Ist es in England auch so?
Man sieht keine Gruppen von Leuten mehr mit Iros oder Ghettoblastern, die vor den Plattenläden in den Einkaufszentren herumlungern, klar. Wenn ich abends meine Runden drehe, sehe ich schon Gruppen von Jugendlichen, habe aber keine Ahnung, was sie für Musik hören. Ich möchte nicht einer von diesen Erwachsenen sein, der sagt, dass er sich nie solch eine Drecksmusik anhören würde. Irgend so ein Drum’n’Bass-Kram, keine Instrumente und keine Melodie. Sollen sie doch hören, was sie wollen. Sie finden das, was ich mag, scheiße. Und für mich hört sich ihre Musik einfach nur nach Krach an, und das sage ich, der doch seit Ewigkeiten DISORDER hört, haha. Die Gesellschaft hat sich eben verändert. Das Aufkommen von Handys und Computerspielen – ich hätte nie den ganzen Abend drinnen vor dem Computer verbracht. Wir haben Mülltonnen angezündet und all diesen anderen Kram gemacht. Jugendliche Verfehlungen halt. Es ändert sich alles. Der Umgang mit Musik. Kaum jemand schaut sich doch noch Plattencover an, interessiert sich ernsthaft für Texte. Jeder hat sein eigenes Fenster zur Welt, seinen eigenen Bezugsrahmen. Mit dem neuen Buch habe ich versucht, dieses Fenster so weit wie möglich zu öffnen.

Du hast mal gesagt, dass du gerne über Dinge schreibst, wenn sich der Staub gelegt hat. Wie ist das zu verstehen?
Nun, man hat einen anderen Blickwinkel, wenn etwas Zeit vergangen ist. Einige Bands im letzten Buch gibt es erst seit 2018 oder 2019, also hat sich bei ihnen der Staub noch nicht gelegt. Aus heutiger Sicht kann man ganz entspannt über die UK-Punk-Szene von 1982 schreiben. Man kennt all die guten Bands, aber auch all die schlechten. Man kann einfach das Ganze sehen. Klar, Gary Bushell hat 1982 im Sounds Magazine über die UK-Szene 1982 geschrieben, aber das war rückblickend schon sehr parteiisch und voreingenommen.

Wenn deine Bücher neu aufgelegt werden, aktualisierst du sie vorher?
Als PM Press anfragten, ob sie „Burning Britain“ in den USA veröffentlichen dürften, dachte ich mir, dass ich die Bands, zu denen ich beim Schreiben keinen Kontakt bekommen konnte, noch unterbringen könne, so wie INFA RIOT oder THE BLOOD. Zudem konnte ich einige Fehler aus der Erstauflage korrigieren. So hatte ich Gizz von THE DESTRUCTORS interviewt, aber er hat mir eben nur seine Sicht der Dinge erzählt. Allen Adams, der leider kürzlich verstorben ist, fand, dass dies nicht ausgewogen war und ich interviewte ihn zusätzlich. Das Gleiche mit Wakey von ENGLISH DOGS. Er war unglücklich darüber, wie die ENGLISH DOGS dargestellt wurden, also habe ich ein Extrakapitel mit ihm gemacht. Ich glaube, dass Beki von CHAOS UK nicht erfreut darüber war, was jemand aus der Band über sie gesagt hatte. Ich sagte ihr, dass wir eine Neuauflage machen würden und ob sie ihre Sicht der Dinge erzählen wolle, was sie dann auch tat. Es gab mir einfach die Möglichkeit, alles etwas ausgewogener darzustellen. Als das Anarcho-Buch neu erscheinen sollte, wollte ich noch unbedingt Vi von den POISON GIRLS interviewen, aber sie hatte kein Interesse. Ich weiß nicht, wie alt sie da war, aber vermutlich in ihren Sechzigern oder Siebzigern und sie hatte keine Lust, über etwas zu sprechen, das vierzig Jahre her war. Also haben wir ein paar ziemlich schöne und intime, damals aktuelle Porträtfotos von einigen aus dem Buch in den Anhang gepackt, die John Bolloten, ein Freund von mir aus Bradford, geschossen hatte. Wir wollten zeigen, wie die jungen Punks von damals heute aussehen. Stig von ICONS OF FILTH wollte ich auch interviewen und wir hatten uns schon verabredet, aber er starb kurz vorher. Ich hatte ihn früher schon für das Terrorizer Magazine interviewt und konnte so zumindest seine Ideen einfließen lassen.