ITCHY

Foto© by Ilkay Karakurt

Mehr als nur Musik

Nach vier Jahren, einer Pandemie und dem zwanzigsten Bandgeburtstag haben ITCHY wieder ein Album veröffentlicht. Auf Englisch. Was zumindest eine kleine Überraschung ist, denn die Platte zuvor war die erste deutschsprachige der Bandgeschichte. Daniel „Panzer“ Friedl erklärt, warum das so ist, welche Sprachen zukünftig noch ausgelotet werden könnten und wie Überleben im Turbokapitalismus geht.

Daniel, zwischen eurem bislang letzten und dem neuen Album lagen vier Jahre. So lange haben sich ITCHY noch nie Zeit gelassen. Lass mich raten: Es war die Pandemie.

Ganz genau. Die hat ja leider alle schlimm getroffen. Nur war bei uns vom Zeitplan her besonders unglücklich: Wir hatten unser letztes Album, „Ja als ob“, das erste, auf dem wir nur deutsche Texte haben, herausgebracht und kurze Zeit danach war Lockdown. Wir hatten unsere Tour vorbereitet. Waren quasi bei der Generalprobe, wollten los und plötzlich war klar: Jetzt geht erst mal nichts mehr. Erst wollten wir die Tour noch ganz optimistisch nur um ein paar Monate verschieben. So nach dem Motto: Dann wird es ja wohl wieder gehen. Aber das war ja nun ein Trugschluss. Es hat gefühlt Ewigkeiten gedauert. Und dann war es zumindest bei mir so, dass ich während der Pause gar keine Lust verspürte, gleich wieder neue Songs zu schreiben. Ich war leer. Und die Situation war ja nun auch bedrückend, vor allem als Musiker. Insofern hat es dieses Mal tatsächlich ein bisschen länger gedauert, bis wir uns sagten: Jetzt haben wir wieder Bock! Jetzt schreiben wir wieder neue Sachen! Und irgendwann war auch wieder Input da. Das Leben ging ja wieder los.

„Dive“ ist wieder ein komplett englischsprachiges Album. War „Ja als ob“ also nur eine einmalige Ausnahme von der Regel?
Bevor wir das deutschsprachige Album rausgebracht haben, war es einfach so, dass wir uns gefragt haben: Wie wäre es eigentlich, wenn wir mal auf Deutsch singen? Und dann haben wir das einfach ausprobiert. Was sehr spannend ist, wenn man zuvor sieben Platten nur auf Englisch gemacht hat – und herausfordernd. „Ja als ob“ ist uns, meiner Meinung nach, auch gut gelungen. Entsprechend haben wir danach die Frage „Deutsch oder Englisch?“ erst mal offengehalten. Es gab Demos und neue Ideen, einige eben auch in deutscher Sprache. Aber irgendwann mussten wir uns hinsetzen und entscheiden, was wir als Nächstes machen. Und auch wenn es kurze Zeit im Raum stand, zumindest ein gemischtes Album aufzunehmen, haben wir diese Idee dann doch relativ schnell wieder verworfen, weil wir gemerkt haben, dass der Großteil der Ideen, die wir hatten, doch auf Englisch war. Also haben wir jetzt wieder ein englischsprachiges Album am Start. Es hat sich einfach richtig angefühlt.

Die neue Platte heißt „Dive“. Tauchen, eintauchen. Wie ist das gemeint? Eintauchen in die Menge, in den Moshpit, ins Leben einerseits – und in den Mist, der da draußen immer noch und immer wieder vor sich geht, andererseits?
Du hast es perfekt zusammengefasst. Der Titel ist sehr vieldeutig. Es gibt ja auch den Titelsong, in dem geht es in erster Linie tatsächlich um das Eintauchen in eine Konzertnacht. Darum, den ganzen Scheiß, der einem im eigenen Leben, im Alltag drumherum so passiert, einmal zu vergessen. Weil man sich eben für eineinhalb Stunden vor einer Bühne in einem wilden Moshpit wiederfindet und alles rausschreien kann. Aber natürlich geht es auch um mehr. Mir ist erst im Nachhinein wirklich aufgefallen, dass doch mehrere Songs auf der Platte sind, die einen gar nicht so schönen, keinen positiven Inhalt haben. Wir beschäftigen uns schon mit ganz schön viel von dem Mist, der in der Welt passiert. Ja, darin taucht man eben auch ein. Und Musik ist eine schöne Art, diesen Mist zu verarbeiten – sowohl beim Schreiben als auch beim Hören oder beim Erleben eines Konzerts auf oder vor der Bühne.

Du sagst, dieser Ernst in den Songs ist dir erst hinterher aufgefallen. Also spielen dabei eher Zufall und unbewusstes Vorgehen eine Rolle als die oft beschworene Pflicht als Künstler, derlei ernste Themen in die Öffentlichkeit zu bringen?
Ich frage mich tatsächlich häufig, ob man das als Band muss. Ob wir das als ITCHY müssen ...

Und zu welcher Antwort kommst du?
Dass ich mir einfach nicht vorstellen kann, ein Album rauszubringen, auf dem nur Liebeslieder sind. Natürlich, machen könnte man das schon. Es wäre legitim. Aber wir als ITCHY schreiben einfach Songs und Texte über Sachen, die uns extrem beschäftigen. Das können, klar, auch persönliche Geschichten sein, die gerade in unseren Leben passieren. Da gibt es auch zahlreiche Beispiele auf „Dive“. Aber wir sind nun mal auch alle drei politisch denkende Menschen und interessieren uns für gesellschaftliche Entwicklungen. Und es ist somit klar, dass solche Texte auch den Weg auf unsere Alben finden und die entsprechenden Songs wütender, sarkastischer oder verzweifelter werden. Ich finde das wichtig. Ich finde auch, dass es beim Punk dazugehört. Mich hat diese Attitüde schon als Jugendlicher, als ich Punk für mich entdeckte, derart begeistert, dass ich merkte: Okay, es geht hier irgendwie um mehr. Das hier ist mehr als nur Musik. Das hat eine Haltung.

Kannst du einen Moment benennen, als du das bemerkt hast?
Ja, tatsächlich. Ich habe 1994, mit zwölf, das erste Punk-Konzert von einer lokalen Band bei uns im Ort, in Eislingen an der Fils, gesehen. Das war das erste Mal, dass ich so was erlebt habe. Mir war vorher nicht klar, dass es so was gibt. Und es war herrlich! Die waren so unprofessionell, haben immer wieder mitten im Song abgebrochen, weil sich jemand verspielt hatte. Und das fand ich so großartig! Damit war dann meine erste Begeisterung für Punk gesät. Und dann war ich 1996, also mit 14, zum ersten Mal bei einem Konzert von DIE TOTEN HOSEN mit TERRORGRUPPE als Support. Und von dem Tag an war mein Herz endgültig verloren, haha.

Auf dem neuen Album befindet sich auch der Song „Burn the whole thing down“. Darin singt ihr im 22. Jahr als Band gegen den Kapitalismus und seine Auswüchse an. Hand aufs Herz: Wie oft musstet ihr euch in diesen 22 Jahren gegen genau diese Auswüchse, gegen unmoralische Angebote, gegen Vereinnahmungsversuche und mehr, zur Wehr setzen?
Weißt du, wir haben immer mittwochs um zehn Uhr am Morgen eine Besprechung – wir drei Musiker und unsere Managerin, bei der alles diskutiert wird, was gerade auf dem Tisch liegt, was gemacht werden soll, was ansteht. Und es ist tatsächlich so, dass man, wenn man als Band wie wir längere Zeit dabei ist und dann auch so ein bisschen erfolgreicher wird, hin und wieder Anfragen bekommt, die finanziell lukrativ erscheinen. Und einerseits denkt man sich bei einigen davon schon: Nee, das finden wir eigentlich nicht cool. Aber andererseits leben wir ja von der Musik und haben das Privileg, das alles hauptberuflich machen zu dürfen. Natürlich muss man manchmal auch schauen, wie man ein paar Euros verdient. Und entsprechend hart diskutieren wir auch mitunter. Trotzdem gibt es eigentlich nie eine Entscheidung, die wir nur für die Kohle treffen würden. Ich bin, nachdem wir ja mal für eine kurze Zeit auch einen großen Plattenvertrag hatten, einfach unglaublich dankbar, dass wir mittlerweile unsere eigene kleine Plattenfirma haben, alles selbst machen und alle Fäden selbst in der Hand haben – auch die ganze Verantwortung selbstverständlich. Was bedeutet, wenn wir Mist bauen, dann können wir niemand anderen beschuldigen. Wir haben dadurch viel Erfahrung gesammelt, vielleicht auch ein, zwei Sachen gemacht, die nicht ganz so cool waren in der Vergangenheit. Aber ich glaube, heute stehen wir ganz gut da. Wir sind Menschen, die ihren Scheiß selbst regeln, und das fühlt sich sehr gut an.

Sind neue Songs in eurem Fall auch Thema in den Mittwochsrunden oder ist das Studio- und Proberaumsache?
Das passiert eher im Proberaum. Wir schreiben auch nicht die ganze Zeit an Songs. Wir sagen uns eher: Okay, heute ist Tag X, jetzt fangen wir mal an, für das nächste Album zu schreiben. Und dann werden Demos gemacht, Ideen festgehalten, teilweise auch ganz unprofessionell, nur ins Handy rein gebrabbelt, irgendwas eben. Ich habe schon in den unmöglichsten Momenten Sachen in mein Handy reingesungen oder Textzeilen reingesprochen. Einmal habe ich sogar im Fußballstadion auf der Toilette eine Songidee festgehalten – das war die zu „Burn the whole thing down“. Und es kommt tatsächlich auch häufig vor, dass ich nachts wach werde und eine Melodie im Kopf habe. Da denke ich mir leider immer noch zu oft: Die ist so gut, die kennst du am nächsten Morgen auch noch – und dann wache ich auf und weiß, dass ich die Idee hatte. Aber sie ist natürlich weg, haha. Da kann das Handy also schon mal helfen.