JARA - Hilfe für jugendliche Obdachlose in Berlin

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Punk-affine Hilfsorganisationen - Teil 6

Weiter geht’s mit unserer Serie über Vereine und Organisationen mit Bezug zur Punk- und Hardcore-Szene, die sich sozial engagieren. Vor ein paar Monaten hat uns eine Mail der Band SPLITTING IMAGE erreicht, die uns auf ein besonderes Projekt in Berlin aufmerksam machte, das sich um jugendliche Obdachlose kümmert. Im Jugendaktionsraum Alexanderplatz, kurz JARA, können sie sich unter anderem als Stagehands oder Mischer bei Konzerten ausprobieren. Eine großartige Initiative, finden wir, deshalb stellen wir sie hier im Ox vor. Sozialarbeiterin Jasmin Stahl beantwortete unsere Fragen.

Bitte erzähl uns, wie, wo, wann und warum es zur Gründung eurer Organisation kam.

Im November 2017 wurde erstmals der JARA-Container auf dem Alexanderplatz aufgestellt. JARA, das heißt: Jugendaktionsraum am Alexanderplatz. Nach vielen bürokratischen Hürden entstand ein Wohnzimmer im Containerformat für junge Menschen, die sich auf dem Alex aufhalten. Der Alexanderplatz hat den Stempel KBO, das steht für „kriminalitätsbelasteter Ort“. Der Container dient als Schutzraum, Wohlfühloase und Wohnzimmer, da der Ort Dreh- und Angelpunkt für viele junge Menschen aus ganz Berlin und darüber hinaus ist. Zunächst befand sich der Container direkt neben dem Volleyballfeld beim Fernsehturm. Jahre später zog der Container in den Hinterhof vom Haus der Statistik/HdS. Aktuell befinden wir uns im Sozialen Containerdorf des HdS auf der Otto-Braun Straße/Ecke Mollstraße beim leerstehenden DDR-Hotel.

Wer waren damals die Ideengeber:innen und „Köpfe“, wer ist es heute?
Ein ehemaliger Sozialarbeiter des Alexanderplatzes engagierte sich für die Entstehung des Treffpunktes JARA. Heute arbeitet ein Team aus sechs Sozialarbeitern im Container.

Was ist die Geschichte zu eurem Namen, wer ist der Träger und wer finanziert euch?
Das Projekt startete als Präventionsprojekt für Geflüchtete auf dem Alex. Der Name entstand durch den ehemaligen Sozialarbeiter. Da es ein sehr langer Name ist, kürzen wir ihn ab: JARA. Unser Träger ist der Moabiter Ratschlag e.V. in Berlin. Wir werden durch die Senatsverwaltung für Jugend, Bildung und Familie finanziert. Wir sind eines von mehreren Projekten des Moabiter Ratschlags. Durch Demokratie in der Mitte konnte das „Hier kommt Alex“-Event bereits zweimal stattfinden.

Welche Ziele habt ihr euch gesetzt?
Ziel ist in erster Linie Bindungsaufbau zu jungen Menschen in schwierigen Lebenslagen. Oft dauert das über ein Jahr, manchmal geht es schneller, da wir ein lockeres Team sind, das drogenakzeptierend arbeitet. Das heißt, wir schicken unsere Besucher nicht weg wenn sie unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehen. Manchmal läuft der Vertrauensaufbau zwischen uns und den Kids schneller als gedacht, Schicksalsschläge werden uns schnell anvertraut, Bindungen bauen sich rasch auf. Während unserer Öffnungszeiten können sich unsere Besucher bei uns im Container zurückziehen, das heißt weg von der Straße und ab auf die Couch: Musik aufdrehen, Playstation spielen oder ihr Herz ausschütten. Wir ermöglichen eine entspannte Atomsphäre für unsere Besucher, haben immer einen Spruch auf Lager, verbreiten gute Stimmung und bieten professionelle Beratung, Vermittlung und eine gute Zeit bei uns. Humor steht bei uns an erster Stelle. Nicht nur für unsere Besucher, sondern auch für uns Sozialarbeiter ist der Container eine Art Wohnzimmer, in dem wir uns wohl fühlen. Die Sympathie unter uns Kollegen spiegelt sich in der Stimmung unserer Besucher wider. Wir stellen eine Stimme für unsere Kids dar, machen uns in der Öffentlichkeit für sie stark und tragen ihre Bedürfnisse an die Politik.

Welche wichtigen Aktionen und Erfolge gab es in der jüngeren Vergangenheit?
JARA ist enger Kooperationspartner des Platzmanagements Alexanderplatz für junge Menschen. Das Projekt „Hier kommt Alex“ entstand in dieser Kooperation und ermöglicht jungen Menschen, bei einem Musik-Event als Honorarkraft mitzuarbeiten. Das Platzmanagement stellt Besucher des JARA-Containers in verschiedenen Bereichen ein, wie Tontechnik, Küche, Ordner, Auf- und Abbau. Das Event wird durch ehrenamtliche Helfer, Transporteure und weitere helfende Hände unterstützt. Drei Bands treten auf, Redebeiträge durch die Jugendlichen werden auf der Bühne vorgetragen, um auf ihre Lebenssituation und die schwierige Lage für sie in der Gesellschaft aufmerksam zu machen. Das Event ist kostenlos und wird durch Fördermittel finanziert, die jährlich neu beantragt und bewilligt werden müssen. Bereits zweimal konnte das Musik-Event stattfinden und ist sehr beliebt bei der Zielgruppe junger Menschen in schwierigen Lebenslagen. Weitere Projekte wie Ausflüge, Zocken gegen Rassismus, Graffiti-Aktionen, Kunstprojekte, FLINTA*-Treffen oder Essenausgaben werden – solange es die Finanzen zulassen – regelmäßig umgesetzt. Täglich gibt es bei uns warmes Essen, das gemeinsam mit der Zielgruppe zubereitet wird. Große Erfolge sind etwa, Leuten Wohnungen zu vermitteln oder sie zur Aufnahme einer Ausbildung zu bewegen. Für uns ist aber schon ein Erfolg, wenn sich unsere Besucher regelmäßig blicken lassen und erzählen, was bei ihnen los ist.

Mit welchen Risiken ist euer Engagement verbunden?
Das größte Risiko ist vor allem die jährliche Finanzierung. Wir bemühen uns, Gelder heranzuziehen, um unser Projekt am Leben zu halten. Jedes Jahr steht JARA auf wackeligen Beinen.

Wie viele ehrenamtliche und hauptberufliche Mitarbeitende habt ihr?
Wir sind sechs Sozialarbeiter: Oli, Auri, Kathrin, Gordy, Daniel und ich, die auch privat miteinander zu tun haben. Ehrenamtliche werden aus privaten Kreisen mit ins Boot geholt, um Support bei Events zu haben.

Was könnt ihr leisten, was eine staatliche oder konfessionelle Organisation nicht kann?
Wir arbeiten anonym, um die Privatsphäre unserer Kids zu schützen. Drogenakzeptierend und niedrigschwellig ist unser Motto, das heißt jeder kann zu uns kommen. Wir passen unsere Ausflüge und Angebote an die Wünsche unserer Kids an. Wir sind frei von jeglichen Aufnahmekriterien. Grundsätzlich können Leute zwischen 13 und 27 Jahren zu uns kommen. Besucher, die dem Alter nicht entsprechen, schicken wir aber nicht weg, jeder ist willkommen – jeder kann unsere Leistungen in Anspruch nehmen.

Welche konkrete Arbeit leistet eure Organisation? Und mit wem arbeitet ihr dabei zusammen?
Unser Träger leistet in erster Linie Arbeit in sozialpädagogischen Projekten. Es gibt Schulsozialarbeit, Arbeit mit Kindern, Stadtteilarbeit, etc. Alle Projekte findet ihr hier: moabiter-ratschlag.de. Wir sechs Sozialarbeiter arbeiten selbstständig im Projekt. Unseren Arbeitsalltag gestalten wir sehr eigenständig, wir kümmern uns mit Herzblut um das Projekt JARA. Zusammenarbeit findet statt mit: Gangway e.V., Freestyle e.V., Straßenkinder e.V., KuB, Oase e.V., Berliner Tafel, The Hub e.V., Off Road Kids e.V., Sozialraumkoordination BA, Jugendamt Mitte, Initiative Haus der Statistik, Haus der Materialisierung. Unser Projekt JARA ist freizeitorientiert, leistet offene Jugendarbeit und Streetwork. Unsere Angebote beinhalten unter anderem: Kunst, Spiel, Kicker, Tischtennis, Fußball, Kino, Graffiti-Aktionen, Ausflüge zum Bowlen, Bouldern, Turnieren. An einem normalen Tag während unserer Öffnungszeiten kommen unsere Besucher vorbei und fühlen sich wohl: Musik wird aufgedreht, Playstation gezockt, Konflikte beseitigt, Gespräche geführt. Manchmal geht es bei uns wild zu, es kann sehr laut werden und vor allem eng auf unseren paar Quadratmetern im Container. Wir geben unser Bestmöglichstes, um Menschen mit ihren Schicksalsschlägen eine gute Zeit zu bieten. Cliquen haben sich über Jahre innerhalb unserer Zielgruppe gebildet, weshalb wir ein wichtiger Treffpunkt für die Leute sind.

Was ist eure Verbindung zu SPLITTING IMAGE?
Wir haben eine feste Kooperation mit der Band SPLITTING IMAGE, die uns seit dem ersten „Hier kommt Alex“-Event mit Spenden unterstützt. Gerne könnt ihr auf Bandcamp über den SPLITTING IMAGE-Song „Homeless“ spenden. Mit den Geldern ermöglichen wir es zum Beispiel, Schlafsäcke zu kaufen, Essensangebote zu schaffen und Ausflüge durchzuführen, die wir uns sonst nicht leisten können.

Wie kann man euch unterstützen? Nur mit einer Spende oder auch mit aktiver Mitarbeit?
Ihr könnt uns Gelder auf unser Spendenkonto zukommen lassen: Moabiter Ratschlag e.V. Spendenkonto 3057803, BLZ 100 205 00, Bank für Sozialwirtschaft, Stichwort: Platzmanagement. Gerne nehmen wir auch Kleiderspenden, Hygieneartikel und Lebensmittel an und darüber hinaus alles, was im Winter warmhält. Kommt gerne zu unseren Öffnungszeiten dazu oder meldet euch bei mir: 0176-56981983.