JOHN

Foto© by Paul Grace

Industrie und Alterung

Während mich das dritte Album des mir zuvor unbekannten Londoner Duos JOHN nicht wirklich elektrisieren konnte, lässt mich „Trauma mosaic“, die erste Single von „A Life Diagrammatic“, direkt aufhorchen. Eine passende Gelegenheit, JOHN zu Album Nummer vier auszuquetschen. Von den beiden Johns Johnny Healy (gt) und John Henry Newton (voc, dr) beantwortete letzterer meine Fragen.

Auf dem Cover eures neuen Albums ist das verbeulte Innere eines alten Haushaltsboilers zu sehen. Ist die Idee zufällig entstanden, dass das Motiv das Gegenteil von dem ausdrückt, was die Band ausmacht, oder hat das mit musikalischen Veränderungen zu tun?

Wir haben immer nach Bildern gesucht, die auf subtile Weise mit der Musik und den Texten, die wir schreiben, in Verbindung stehen – um die „Szenen“ zu steuern, die die Musik im Kopf der Hörer hervorrufen kann. Es ist ein beinahe halbbewusster Prozess, bei dem man einfach durch den Alltag jagt – auf der Suche nach Objekten und Bildern, die zur Vision passen. Diesen besonderen Kessel habe ich auf der Straße gefunden, während ich spazieren ging, und die Art, wie das Licht auf das Messing traf, war ein ziemlich einzigartiger Moment. Das passte gut zu den Themen Industrie und Alterung, die sich durch die gesamte Tracklist ziehen. Es ist auch ein Motiv, das verschiedene Interpretationen zulässt, und ich denke, das ist bei jeder Art von Kunst sehr wichtig.

Tom Hill, der selbst Gitarre spielt, hat „A Life Diagrammatic“ aufgenommen und euch dorthin gebracht, wo ihr mit eurer Musik immer hinwolltet. Kanntet ihr ihn schon länger?
Wir haben bereits einige fantastische Live-Sessions bei Tom absolviert und er ist ein wunderbarer Tontechniker/Produzent mit einem guten Ohr für Details. Wir wussten, dass er die Tracks kraftvoll und souverän einfangen wird, da er sein schönes Studio The Bookhouse in Süd-London perfekt im Griff hat. Im Anschluss konnten wir seine wirklich hochwertige Arbeit zu dem ebenso detailverliebten Seth Manchester in die USA schicken, der die Tracks wunderbar kreativ und dennoch subtil abmischte. Es war ein Traum, mit Seth zusammenzuarbeiten, denn ich liebe seine Arbeit einfach. Im Nachhinein betrachtet eine sehr gute Entscheidung. Wir können nicht genug Gutes über Seth sagen, er besitzt einfach ein sehr gutes Verständnis für Musik, wie man schon anhand der Bands vermuten kann, mit denen er gearbeitet hat. Er har der Klarheit und Kraft von Toms Arbeit dort, wo er es für richtig hielt, sein spezielles Flair hinzugefügt. Es war besonders toll, dass Tom Seths Arbeit auch oft als Referenz verwendet hat gegenüber anderen Bands, mit denen er zu tun hatte. Es war sehr befriedigend, diese transatlantische Zusammenarbeit durch unser Album zu etablieren.

Die ersten drei Alben habt ihr mit Wayne Adams in den Bear Bites Horse Studios eingespielt. Wart ihr an einem Punkt, an dem ein Wechsel des Produzenten neue, kreative Ansätze bieten konnte?
Ich denke, es war sinnvoll, die Herausforderung zu suchen, nachdem wir die ersten drei Alben mit Wayne aufgenommen hatten und mit ihm gewachsen sind. Wir haben ihm so viel zu verdanken. Aber es ist immer wichtig, sich mit neuen Umgebungen und Persönlichkeiten zu konfrontieren, da jeder eine andere Perspektive hat auf das, was man macht. Das ermöglicht es, Grenzen zu verschieben und Dinge auszuprobieren, die einem nicht automatisch in den Sinn kommen. Das war mit Tom und Seth jetzt definitiv so und es hat unserem jahrzehntelangen Backkatalog sicherlich einen weiteren Entwicklungsschritt beschert.

Wie der Vorgänger wird das neue Album bei Brace Yourself erscheinen, aber es taucht auch der Name Rough Trade auf – in welchem Kontext?
Rough Trade kümmert sich hauptsächlich um den Vertrieb in Deutschland, aber die Plattenläden von Rough Trade in UK hatten einen großen Einfluss auf unsere Entwicklung als Band. Von der persönlichen Übergabe von Plattenkisten an die Rough Trade-Legende Sean Forbes in seiner Wohnung, als wir sie noch auf Pets Care Records selbst veröffentlichten, bis hin zu einigen ausverkauften Auflagen bei Rough Trade East – sie haben uns immer den Rücken gestärkt, und wir schauen immer mal wieder vorbei, um Hallo zu sagen, wenn wir in London sind. Es ist eine Ehre, unsere Alben in ihren Katalogen und Regalen zu sehen.

War es eine logische Entscheidung, die Abbey Road Studios zum ersten Mal seit 2017 wieder zu besuchen? Der perfekte Schritt, würde ich sagen, denn das Klangbild passt genau zu eurer musikalischen Vision und unterstreicht die atmosphärischen Akzente.
Nachdem wir die Mastering-Optionen mit Seth und Tom besprochen hatten, gab es ein paar wichtige Namen, die in der Abbey Road ansässig waren, und da wir Frank Arkwrights Arbeit mit Bands wie MOGWAI, ARAB STRAP und TWO LONE SWORDSMEN – RIP Andrew Weatherall – kannten, schien er die perfekte Wahl zu sein. Er verfügt über eine unglaubliche Bandbreite und wir hatten das Gefühl, dass das gut zu der Dynamik unseres Albums passen würde. Wie der Zufall es wollte, ist mein Vater befreundet mit Giles Martin, Toningenieur und der Sohn von BEATLES-Produzent George Martin. Und auch Giles hat uns Frank glühend empfohlen, nachdem er mit ihm an verschiedenen Projekten in der Abbey Road gearbeitet hatte. Es war ein Vergnügen, Frank erneut zu treffen und mit zu besprechen, wie wir mit dem Album das umsetzen, was wir uns vorgestellt haben.

Wie viel Schweiß und Arbeit steckt in eurem neuen Album im Vergleich zu einem normalen Alltagsjob? Gingen die Aufnahmesessions Hand in Hand mit der Hauptphase der Produktion, um Zeit zu sparen, oder war alles so intensiv, dass ihr kleinere Pausen zur Auflockerung einlegen musstet?
Nachdem wir ursprünglich vorhatten, einige Songs als Demos zu testen, waren wir und das Label mit Toms Arbeit gleich so zufrieden, dass wir beschlossen, diesen Prozess weiter zu vertiefen – das bedeutete, dass wir die Aufnahmen auf einige Sessions zwischen den Touren im Jahr 2022 aufteilten. Es ist tatsächlich oft hilfreich, Abstand zu gewinnen, alles zu reflektieren und dann die nächsten Schritte zu planen, um zu sehen, was das Album als zusammenhängendes Ganzes braucht. Wir gehen ziemlich methodisch vor und neigen dazu, uns genug Zeit zu nehmen, um die Qualität zu erreichen, die wir uns wünschen. Natürlich arbeiten wir hart, wann immer es nötig ist – auch zwischen all den anderen Anforderungen des Lebens, und davon gab es dieses Jahr eine Menge!

Als ihr euch 2013 kennen gelernt habt, war, so heißt es, schnell klar, dass ihr einige musikalische Interessen gemeinsam habt. Und auch wenn sie nicht unbedingt einen prägenden Einfluss auf euer Songwriting haben, hinterlassen sie doch Spuren. Welche fünf Bands oder Veröffentlichungen würdet ihr ohne zu überlegen mit einem Blutstropfen besiegeln?
Ich glaube, wir hätten doch unterschiedliche Ansichten, was die Platten für die „einsame Insel“ angeht. Es wäre also unfair, wenn ich die Auswahl alleine treffen würde. Wahrscheinlich ist es offensichtlich, doch wir beide haben schon immer energetische Bands geschätzt wie FUGAZI, die über den Tellerrand hinausblicken. Aber die Playlist in unserem Van umfasst heute alles Mögliche. Analog zur antisensualistischen Ausrichtung unseres Namens mögen wir eher Dinge, die sich auf Ideen konzentrieren anstatt auf ästhetische Verkleidung. Ich möchte also Bands nennen wie PILE und unsere Freunde McLUSKY, die vor allem auch großartige Menschen sind.

Es gibt ja einige Post-Punk- und Noiserock-Trios, aber Duos sind eher selten. Kann man es als Vorteil betrachten, wenn die Band nur aus zwei Musikern besteht, oder fehlt nicht ab und zu die Meinung einer dritten Person?
Wir sind nicht besonders interessiert daran, uns auf solche numerischen Vergleiche einzulassen, obwohl ich glaube, dass die Beschränkung auf zwei Personen JOHN eine besondere Dynamik verliehen hat. Ich kann zum Beispiel nur im Rhythmus meines Schlagzeugs singen, was bedeutet, dass ich dazu neige, Silben auf dem Beat zu landen. In ähnlicher Weise weiß Johnny, wann er die Bassnote einsetzen und – was wichtig ist – wann er sie weglassen muss, damit ihm genug Kraft bleibt, um durch die Gänge eines Songs zu schalten. Wir kennen die Stärken des anderen und wollen oder brauchen sicherlich keine weitere Person ... Es wäre einfach nicht mehr das, was JOHN ausmacht.