LAWN CHAIR

Foto© by Frederike Wetzels

Dystopie und Ambivalenz

Wer denkt, alle Riffs wären gespielt und alle Moves getanzt, der sollte sich die noch relativ junge Post-Punk-Indie-Band LAWN CHAIR aus Köln live ansehen und eines Besseren belehren lassen. Kurz nach der Veröffentlichung ihrer zweiten EP „Eat The Beans And Wear The Jeans!“ beantworteten mir Claudia (voc), Eric (git), Max, (git), Michi (bs) und Toni (dr) im Vorfeld des Konzerts im KOHI in Karlsruhe einige Fragen.

Wie kommt man dazu, sich als Band nach einem Gartenmöbel zu benennen?

Claudia: Es war eher so ein Prozess des Suchens und Ausprobierens. Wir hatten zuerst einen deutschen Bandnamen, der relativ random war. Aber das war irgendwie nicht so griffig. Bei LAWN CHAIR fanden wir dieses Bild einer kleinen Familie, die etwas Dystopisches und Unangenehmes hat, irgendwie gut. Unsere ersten Bandfotos sind auch sehr daran angelehnt.

Euer erstes Konzert war vor etwa anderthalb Jahren. Wie hat alles angefangen?
Claudia: Wir haben uns tatsächlich auf der Musikhochschule in Köln kennen gelernt. Ich habe Eric, der auch mein Freund ist, als Erstes getroffen. Wir haben erst in unterschiedlichen Bands gespielt. Ich war lange in Richtung Indiepop unterwegs, obwohl das nie so meins war. Eric hat viel experimentelle Musik gemacht, in verschiedenen Projekten mit Michi, Max und Toni, in unterschiedlichen Besetzungen, und dann haben wir uns irgendwann einfach gedacht, wieso machen wir eigentlich nichts gemeinsam, wenn wir schon den gleichen Beruf haben. Ich war quasi die Neueste in der Konstellation, aber wir haben sehr schnell gemerkt, dass wir künstlerisch und ästhetisch am gleichen Strang ziehen und alle sehr genau arbeiten und einen ähnlich hohen Anspruch haben.

Gibt es auch andere Projekte von euch?
Max: Ja, Michi, Eric und ich haben noch ein Projekt, das sich THE RURE nennt – ein experimentelles Freak-Jazz-Trio mit Drum-Machine. Das ist gerade ein wenig in den Hintergrund getreten, weil LAWN CHAIR so viel Aufmerksamkeit erfordert und gerade so viel passiert.
Eric: Toni und ich spielen noch in NOW MY LIFE IS SWEET LIKE CINNAMON. Das hat ein wenig Performance-Charakter mit selbstgebauten Instrumenten.
Michi: Man sollte, glaube ich, noch sagen, dass wir alle hauptberuflich als Musiker:innen unterwegs sind, weshalb alle schon immer in mehreren Projekten gespielt haben und immer ein wenig mehrgleisig fahren. Aber aktuell ist für uns alle LAWN CHAIR wegen des Momentums, das wir gerade haben, in den Fokus gerückt.

Eure zweite EP ist soeben erschienen. Ich finde, ihr gebt den Songs hier viel mehr Raum, sich zu entwickeln.
Claudia: Ich glaube, das hat mit der Art und Weise zu tun, wie die EP aufgenommen und produziert wurde. Während Olaf Opal bei der ersten EP als Mischer mitgewirkt hat, war er bei der zweiten EP als Produzent mit im Studio dabei. Wir haben uns einfach mehr Zeit dafür genommen, wie die Produktion das Songwriting beeinflusst, und wir hatten insgesamt mehr Raum zum Ausprobieren.
Eric: Wir hatten bei der zweiten EP auch Chris Coady, der unter anderem schon mit YEAH YEAH YEAHS gearbeitet hat, als Mixer dabei. Claudia kommt ursprünglich aus der Gegend um Seattle und ist in den USA aufgewachsen. Wir haben alle ein wenig unser Herz an diesen Seattle-Grunge-Punk Sound verloren, den wir auf der EP einbringen wollten. Unser Management kam dann mit Chris Coady um die Ecke. Als Claudi und ich dann letztes Jahr in Amerika im Urlaub waren, haben wir einfach ein Treffen mit ihm ausgemacht und ihn in Los Angeles besucht.
Claudia: Wir waren super positiv überrascht. Man weiß ja nie, wie Produzenten, die viele bekannte Indie-Bands produziert haben, drauf sind und ob sie nicht voll die Diven sind. Aber wir haben das genaue Gegenteil erlebt, nämlich dass er super bodenständig ist, fast schon ein wenig schüchtern, aber sehr sympathisch. Er wohnt auch sehr zurückgezogen auf einem Berg in einem alten, denkmalgeschützten Haus und hat dort sein Studio. Er war super zuvorkommend, obwohl amerikanische Produzenten natürlich für einen ganz anderen Preis arbeiten. Wir haben viel von dem Mixing in Zoom-Sessions gemacht und er hat uns viel Freiraum gelassen.

Habt ihr ihm vorher Referenzen geschickt? Wusste er, was auf ihn zukommt?
Max: Teilweise. Nachdem wir fertig waren mit den Aufnahmen, haben wir besprochen, wie wir es machen wollen, und ihm bewusst zu manchen Songs gar nichts gesagt, weil es uns interessiert hat, was er einbringt.

Was hat es mit dem EP-Titel auf sich?
Claudia: Der Titel ist eine Textzeile aus unserem Song „Punkrock band“. Der Satz stammt aus einem Video, in dem der US-Showmaster Conan O’Brien bei einem texanischen Ranger einen Tag eine Ausbildung zum Deputy macht und dieser zu ihm sagt: „You gotta eat the beans and wear the jeans.“ Ich fand das einfach einen super lustigen Spruch, aber auch eine treffende Aussage, zu dem was wir machen. Zieh dich an deinem Hosenboden hoch und mach einfach weiter. Das Showbusiness ist einfach hart.

Auf der EP ist auch ein Stück mit dem Titel „Rhoenians death“ – eine Abrechnung mit der Jugend?
Eric: Das Stück stammt von mir. Mein Bruder Michi und ich sind in der Rhön aufgewachsen. Das hat natürlich immer eine gewisse Ambivalenz. Auf der einen Seite ist es mega schön. Es gibt mehr Solidarität und die Leute helfen sich gegenseitig. Aber auf der anderen Seite wird Träumen mit so Sprüchen wie „Lass mal lieber sein“ auch schnell ein Riegel vorgeschoben. Der Titel bezieht sich letztendlich darauf, dass es in früheren Jahren eine häufige Todesursache war, dass die Leute in den kleinen Häusern mit den steilen Treppen besoffen die Stufen hinuntergestürzt sind.
Michi: In jeder Familie gibt es sozusagen jemanden, der irgendeinen Verwandten verloren hat, weil er besoffen die Treppe runtergefallen ist. Für uns ist die Rhön also eine große Quelle der Inspiration. Durch das ländliche Aufwachsen auf dem Bauernhof hat man viel aufzuholen, wenn man aus so einem kulturell verarmten Gebiet kommt. Aber man bekommt auch viel Gutes mit auf den Weg.

Nachdem ihr schließlich der Rhön entflohen seid, spielt ihr nun die erste Headliner-Tour.
Michi: Bisher läuft’s extrem gut, die Leute, die da sind, sind immer begeistert, kaufen Merch und freuen sich.
Toni: Ich find’s irgendwie erstaunlich. Eigentlich haben wir bisher immer Club-Gigs in Köln oder auf Festivals gespielt und wenn wir jetzt in eine fremde Stadt kommen, ist der Club trotzdem voll.