LEATHERFACE

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Punkrock-Kneipen-Existenzialismus

Ein Interview mit Laurence Bell von Roughneck Recording Co und Domino Records
In den späten Achtziger Jahren befand sich die britische Punk-Szene stilistisch an einem Scheideweg. Inmitten des Post-UK82/Post-CRASS-Klimas sahen viele Bands die einzige logische Entwicklung darin, härter, heavier und schneller zu werden. Dies führte oft dazu, dass man sich in die tabuisierten Bereiche des Heavy Metal begab, um diese neuen Extreme zu erreichen.


Gleichzeitig gab es eine kleine Gruppe von Bands, die sich entschieden, eine ganz andere Richtung einzuschlagen. Anstatt sich an dem musikalischen Wettrüsten zu beteiligen und mehr rifflosen Krach zu produzieren, injizierten diese Bands mutig Melodie, Hooks und melancholische Untertöne in ihre Songs. An der Spitze dieses neuen Subgenres standen LEATHERFACE aus Sunderland. Die Emotionen in der Musik der Band trafen mitten ins Herz des Zuhörers. Und die ruppige Art der einzelnen Bandmitglieder bildete einen perfekten Kontrast zu den gefühlvollen Melodien, die die Gruppe Abend für Abend aus dem Ärmel schüttelte.

Bis zum heutigen Tag sind LEATHERFACE, auch lange nach ihrer Auflösung, eine sehr geschätzte Band. Vielleicht ist ein Teil dieser anhaltenden Anziehungskraft, dass die Band während all der Jahre ihrer Existenz ihren Underground-Status beibehielt und nie ihren „großen Durchbruch“ hatte. Es ist nicht so, dass sie unfähig gewesen waren, etwas Größeres zu erreichen, sondern es war ihnen einfach nicht bestimmt. Viele ihrer damaligen Zeitgenossen schafften den Sprung vom Indie- zum Majorlabel, doch keine dieser Bands konnte LEATHERFACE das Wasser reichen. Keine von ihnen trifft den Nerv der Leute so, wie LEATHERFACE es tun. Keine von ihnen besitzt so viel Gefühl, Persönlichkeit oder Aufrichtigkeit wie LEATHERFACE.

Laurence Bell war der Mann hinter den frühen LEATHERFACE-Platten, zuerst mit Roughneck Records und dann mit Domino Records. Obwohl manche meinen, dass eine ruppige Punkband wie LEATHERFACE aus dem Domino-Katalog heraussticht, hat Laurence seine Wurzeln im DIY-Punk. Es war sein erstes Label namens Head Eruption, auf dem EXTREME NOISE TERROR 1989 ihren Slammer „A Holocaust In Your Head“ veröffentlichten. Er machte auch das Punk-Zine Harsh Reality und war Frontmann der Band PERFECT DAZE mit Mitgliedern von THE STUPIDS und ENT.

Seit der Gründung von Domino im Jahr 1993 hat Laurence das hohe Qualitätsniveau beibehalten und Domino als eines der angesehensten Independent-Labels weltweit etabliert. Was zunächst mit der Lizenzierung von UK-Veröffentlichungen von US-Bands wie SEBADOH, SMOG, Will Oldham und ROYAL TRUX begann, hat sich in den Folgejahren erheblich verzweigt. Domino hat auch Retrospektiven von einigen der besten frühen Indie-Bands veröffentlicht, darunter die Postcard Records-Acts ORANGE JUICE und JOSEF K und die schottischen Post-Punks THE FIRE ENGINES, aber auch neuereAlben von TELEVISION PERSONALITIES und THE FALL.

Laurence war so freundlich, mit uns an einem späten Abend zu telefonieren und war extrem auskunftsfreudig. Man kann seine aufrichtige Begeisterung für diese Ära spüren, wenn er von seinen Erfahrungen in den frühen Neunziger Jahren erzählt. Er wirkt ernst und bescheiden hinsichtlich seines Anteils an der Veröffentlichung einiger ganz besonderer Platten und wir sind ihm dankbar, dass er sich die Zeit genommen hat, seine Erinnerungen mit uns zu teilen. Ein großes Dankeschön geht an den einzigartigen Sean Forbes für seine Hilfe beim Arrangieren dieses Interviews.

Laurence, bei welcher Gelegenheit hast du LEATHERFACE zum ersten Mal gehört? Und haben sie sofort einen Eindruck hinterlassen?
Ich habe sie zum ersten Mal im Van gehört, glaube ich. Wir waren mit den Jungs von SNUFF unterwegs und fuhren zu einem Gig irgendwo in East Anglia. Und die legten ein Tape mit dem ersten LEATHERFACE-Album „Cherry Knowle“ ein. Es klang verdammt gut, ja. SNUFF hatten sie getroffen oder irgendwo einen Gig mit ihnen gespielt. Und ich fragte: „Wer ist das? Das ist großartig!“ – „Oh, das sind LEATHERFACE, die musst du kennen. Diese Jungs, sie kommen aus dem Norden. Sie sind aus Sunderland, und sie sind fantastisch.“ Und das waren sie. Es war wirklich aufregendes Zeug. Nicht lange danach bekam ich einen ersten Job bei einem Plattenlabel, bei Fire Records. Ich machte A&R, und sie ließen mich mein eigenes kleines Sublabel haben, das ich Roughneck nannte. Ich brauchte Acts, die ich unter Vertrag nehmen konnte, und die erste Band, die ich haben wollte, waren LEATHERFACE. Ich fand sie fantastisch. Also habe ich mich mit Frankie Stubbs in Verbindung gesetzt. Ich hatte sie noch nicht live gesehen. Ich habe Frankie einfach angerufen und wir haben uns schnell verstanden und vereinbart, etwas zu machen. Ich habe mich dann mit ihm getroffen, bin hoch nach Sunderland gefahren, um sich gegenseitig zu beschnuppern und ein paar Drinks zusammen zu nehmen. Es muss gut gelaufen sein. Jedenfalls habe ich sie für drei Platten beim Label unter Vertrag genommen.

Als sie „Mush“ für dich aufgenommen haben, wusstest du sofort, als du es gehört hast, dass es das werden würde, was es wurde?
Ja, ich glaube, das wusste ich. Es war unheimlich aufregend, als sie das aus dem Greenhouse Studio mitbrachten, ja. Ich konnte nicht glauben, dass sie mit so vielen tollen Songs aufwarten konnten, und der Sound war so außergewöhnlich, er stach einfach heraus. Ja, ich wusste also, dass es etwas Besonderes war, ja, das wusste ich wirklich. Ich sagte ihnen: „Das ist wirklich etwas Besonderes, dieses Album, das ihr gemacht habt, es ist eine Klasse für sich.“

Gab es Demos zu dem Album, oder hast du es erst gehört, als es ein fertiges Produkt war?
Ich weiß nicht, ob ich irgendwelche Demos gehört habe, um ehrlich zu sein. Ich habe vielleicht mit Frankie darüber gesprochen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es Demos gab, nein. Nein, das ist schon lange her, sorry, haha. Aber eigentlich habe ich nur das Studio für sie gebucht und ihnen ein anständiges Budget für die Aufnahmen besorgt. Es gab ein Studio namens Greenhouse in London, das war wirklich gut, in der Nähe von Islington. Es kostete ein paar hundert Pfund pro Tag. Es war definitiv der schickste Ort, den ich kannte und zu dem ich Zugang hatte. Ich glaube, es gehörte Pat Collier, der bei den VIBRATORS war, und er war außerdem ein ziemlich populärer alternativer Indie-Produzent. Es war der Ort, an dem Platten gemacht wurden, die zu dieser Zeit ziemlich erfolgreich waren, Independent- und wahrscheinlich auch Majorlabel-Platten. Sie hatten dort einen Haustechniker namens Paul Tipler. Und das war eine Art magische Kombination, sie verstanden sich wirklich gut mit Paul. Paul war ein brillanter Techniker, und ich denke, er kannte den Raum und hat den Sound optimal eingefangen. Zu der Zeit waren sie einfach nur eine Live-Band, das waren sie wahrscheinlich von Anfang an, um ehrlich zu sein. Und sie hatten ihren unverwechselbaren Sound. Frankie und Dickie hatten diese unglaublichen Songs zusammen geschrieben. Dann fing man an, auf die Texte zu achten. Und die waren auch unglaublich, diese Art von Punkrock-Kneipen-Existenzialismus. Bewegend und aufrüttelnd. Und es war einfach ein außergewöhnliches Statement, und das ist es auch jetzt noch.

US-Bands wie THE OFFSPRING und GREEN DAY wurden ab 1993/94 bekannt. Von LEATHERFACE wurde oft gesagt, dass sie der heißeste Anwärter aus dem Vereinigten Königreich waren, um ähnlich viel Erfolg zu haben. Hast du als Labelchef gedacht, dass es noch größer hätte werden sollen, als es tatsächlich war?
Ja, natürlich. Sie waren sehr, sehr leidenschaftlich bei dem, was sie taten und wussten, wie gut sie waren und wie gut die Songs waren. Und ja, ich dachte definitiv, sie hätten viel, viel größer werden müssen, aber es sollte einfach nicht sein. Und sie haben sich eine Fangemeinde aufgebaut, aber nicht in einem riesigen Ausmaß. Sie kamen einfach aus dem grottigen Punkrock-Underground. Was sie taten, entsprach nicht im Entferntesten dem, was in Großbritannien gerade in Mode war. Es war auf keinen Fall angesagt. Sie tourten fleißig und es wuchs nur ganz langsam. Es gab kein Internet, nur Mundpropaganda und ein bisschen Presse. Als sie sich auflösten, wozu wir sicher noch kommen werden, denn das war ungefähr zur Zeit von „The Last“, spielten sie in London vor ein paar hundert Leuten. Aber es war immer brillant. Ich erinnere mich, dass sie ihre größte Show in London spielten. Es waren wahrscheinlich 700 Leute im The Garage, und das war ungefähr zu der Zeit, als wir „The Last“ aufnahmen – ich glaube, es war sogar in der gleichen Woche. Also ja, ich wusste, dass die Songs unglaublich waren. Es war kurz bevor Bands wie GREEN DAY oder OFFSPRING ihren Durchbruch schafften. Es gab also keinen Kontext für eine Art von Crossover-Erfolg. Ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt dafür gemacht waren.

„Mush“ erschien ja auch bereits 1991.
Ich denke, es war wirklich nur das Timing, du weißt schon, Mode und Zeitgeist und all diese Dinge. „Nevermind“ von NIRVANA kam einen Monat später heraus. Aber in Bezug auf die Songs hatte ich definitiv das Gefühl: Jesus, diese Jungs sind die Besten in ihrem Gebiet, das ist eindeutih die beste Punkrock-Musik im Moment in Großbritannien. Die aufregende Gitarrenmusik kam zu dieser Zeit hauptsächlich aus Amerika, für mich war es die frühe bis mittlere Grunge-Ära, kurz bevor das explodierte. LEATHERFACE eröffneten Shows für MUDHONEY und BABES IN TOYLAND. Und natürlich bekamen die amerikanische Acts viel mehr Aufmerksamkeit in der Szene und in der Presse. Amerikanische Bands waren irgendwie exotischer. Es gab schon eine Menge großartiger Musik zu dieser Zeit, in allen möglichen Bereichen, um fair zu sein.

Hast du das mit einem Wiederaufleben der ersten Welle des Punk in England in Verbindung gebracht, mit THE RUTS und STIFF LITTLE FINGERS und solchen Sachen?
Nein, überhaupt nicht. LEATHERFACE fühlte sich aktueller an als die genannten. Ich glaube nicht, dass ich so begeistert gewesen wäre, wenn ich den Eindruck gehabt hätte, es wäre ein Retro-Punk-Ding, auch wenn es Elemente davon enthält. Ich kann ein bisschen von THE RUTS in den Gitarrensounds hören. Ich weiß, dass RUTS die erste Welle des DC-Hardcore ziemlich stark beeinflusst haben. Aber ich glaube, was wir alle dachten, als wir LEATHERFACE zum ersten Mal hörten, ging in Richtung HÜSKER DÜ trifft MOTÖRHEAD. Diese klingelnden Gitarren. Es war wie HÜSKER DÜ mit Lemmy als Sänger, haha, so sahen wir es alle, und das war die „Tagline“, wenn man den Leuten von LEATHERFACE erzählte. „Ihr müsst euch diese Band anhören, die sind unglaublich. Sie kommen aus dem Nordosten Englands, aus Sunderland. Sie schreiben wundervolle Songs und der Sänger hat so eine rauhe Lemmy-Stimme. Und sie haben diesen übersteuerten HÜSKER DÜ-Sound, durch ihren unglaublichen Gitarristen Dickie – er spielt Licks im Stil von DAG NASTY über diese Wall of Sound – und diese unglaublichen Songs und diesen erstaunlichen Sänger.“ Es war völlig einzigartig. Frankie klang wie Shane MacGowan als Frontmann von HÜSKER DÜ.

Etwas, worüber viel gesprochen wird, sind die Spannungen in der Band und ihre starken Persönlichkeiten und wie sich das in der Musik niederschlug. Habt ihr aus der Sicht des Labels jemals etwas davon bemerkt oder hat es jemals den Umgang mit der Band beeinflusst?
Ja, haha, es gab definitiv einige „lebhafte“ Momente und Spannungen in der Band. Es gab ein paar Auseinandersetzungen in Partynächten, gelegentlich nach der Show. Aber das war ganz normal, sie waren alle eigenwillige Charaktere, da kann so was immer mal vorkommen. Und sie waren wirkliche Gentlemen. Sie tauchten immer am nächsten Tag bei den Shows auf, haha. Auf „Mush“ waren sie wirklich fanatisch. Wir dachten: „Gott, das ist einfach das Beste, die Leute müssen dringend von diesem umwerfenden Album erfahren.“

Auf „Mush“ folgte 1993 „Minx“. Wie hast du diese Platte im Vergleich zu „Mush“ empfunden?
Nun, ich fand sie brillant, es gab viele Songs, die wieder genauso gut waren. Aber es gab wohl einige Probleme mit dem Sound, und das Ganze war viel schwieriger aufzunehmen und zu produzieren. Es gab also einige Dinge im Aufnahmeprozess, die es ein bisschen problematisch machten. Und es lief einfach nicht so glatt und am Ende klang es nicht so toll. „Mush“ besaß einfach diesen undefinierbaren X-Faktor. Es war die perfekt klingende Platte für diese Art von Musik. Es war wie eine AC/DC-Platte, sie war irgendwie perfekt, sie stach heraus. Und „Minx“ war einfach nicht auf diesem Niveau, obwohl es eine wirklich gute Platte war, war sie nicht perfekt. „Mush“ war perfekt, „Minx“ nicht. Es war wahrscheinlich unmöglich zu wiederholen, wenn eine Band eine Platte macht, die perfekt ist, die einfach 10 von 10 ist. Danach kann man oft sowieso nicht mehr weitermachen, also hatte das ein bisschen damit zu tun.

Wie bist du dann vom Fire Records-Sublabel Roughneck zu Domino Records gekommen, das ausschließlich dein eigenes Label ist?
Ich denke, es war einfach an der Zeit für mich, etwas anderes zu machen. Die wichtigsten Leute, die mich bei Fire engagiert haben, waren weitergezogen. Es gab eine Reihe von Leuten, mit denen ich eng befreundet war. Der Typ, der mir den Job gegeben hat, ist weggegangen, und einige der anderen Leute, mit denen ich eng befreundet war, haben alle andere Jobs angenommen. Und die Stimmung war nicht mehr so gut, für mich jedenfalls. Und ich glaube, ich hatte einfach den Wunsch, mein eigenes Ding zu machen. Ich dachte, ich probiere es einfach mal aus. Es war Zeit für mich zu gehen, etwas anderes zu versuchen. Ich wäre auch zu einem anderen Label gegangen und hätte dort gearbeitet, aber ich konnte bei keinem anderen einen Job bekommen. Und ich dachte, ich gebe dem Ganzen ein Jahr und sehe, ob ich es schaffen kann. Also habe ich einfach mein Ding gestartet, nur in meiner Kellerwohnung. Ich bekam einen kleinen Zuschuss von der Regierung, das „Enterprise Allowance Scheme“ wie sie es nannten. Vierzig Pfund pro Woche für ein Jahr.

War es zu dieser Zeit schwierig, da auch Rough Trade abgewickelt wurde und die Independent-Musik sich im Vergleich zu früher im Abschwung befand?
Ja, das war es.

Hattest du deswegen irgendwelche Bedenken, damit weiterzumachen?
Die hatte ich, ja. Ich fühlte mich nicht sonderlich selbstbewusst. Ich hatte eine Menge Energie, aber es war keine gute Zeit für Indie-Musik, weil es so viel Geld von den Majorlabels für alternative Musik gab. Und wenn du kein Geld hattest, um irgendwie zu konkurrieren, selbst auf einem niedrigen Level ... Ich habe das Label mit 5.000 Pfund gegründet und hatte einen Vertriebsdeal. Der Vertrieb bezahlte die Produktion der Platten, und das war es dann auch schon. Es war also wirklich schwer, Bands, Musik zu finden, die ich veröffentlichen konnte. Ich konnte es mir nicht einmal leisten, Platten zu machen. Das erklärt zum Teil, warum ich hauptsächlich Musik aus Amerika lizenziert habe. Ich lizenzierte nur die Rechte an europäische Labels für Europa, denn das war billiger. Und ich konnte mit Next-Level-Künstlern aus Amerika arbeiten. Und in Großbritannien hatte ich auch Schwierigkeiten, Acts zu finden – wenn ich etwas fand, das mir gefiel, dann sagte sicher jemand: „Ja, sie haben gerade bei dem und dem für fünfzig oder hundert Riesen unterschrieben.“ Ich hatte nicht mal zehn Riesen, die ich jemandem geben konnte. Es war also eine schwierige Zeit. Ich lebte einfach von Monat zu Monat. Und die Independentlabel-Szene sah zu der Zeit nicht gerade gut aus – Rough Trade Distribution war gerade pleite gegangen, was ein totales Chaos für viele andere Labels verursachte, Factory war pleite gegangen und Creation war knapp bei Kasse und musste sich durchschlagen. All diese Firmen meldeten entweder Konkurs an oder verkauften sich an die Majors. Und dann kam Britpop, man konnte den Erfolg riechen, und dann war plötzlich noch mehr großes Geld im Umlauf. Mein Interesse an Britpop war gering, obwohl ich einiges von diesem Zeug mochte. Aber ich hätte nicht eine Minute lang mithalten können. Also musste ich versuchen, meine eigene Nische zu finden. Ich habe einfach versucht, tief zu graben und Dinge zu finden, für die ich mich begeistern konnte. Vieles kam aus Amerika. Ich fand Musik, mit der ich etwas verbinden konnte, und Leute, die ich dazu bringen konnte, mich mit ihnen arbeiten zu lassen, haha. Du weißt schon, damit das Label anfängt, Platten herauszubringen. Einfach um etwas zu haben, das ich verkaufen konnte und das mich begeistert hat.

Nun, wie man sieht, hat das funktioniert. Also waren LEATHERFACE mit die Ersten, die du zu Domino mitgenommen hast?
Ich habe sie nicht wirklich mitgenommen, um ehrlich zu sein. Ich bin mir nicht sicher, was passiert ist. Wir waren einfach noch befreundet und es war mehr eine einmalige Sache. Eigentlich war das Album „The Last“ 1994 nur das Ergebnis einer Aufnahmesession, die wir gebucht hatten, um ein paar Stücke aufzunehmen, als sie gerade in London waren. Domino hatte im Frühjahr 1993, angefangen, einige Platten herauszubringen, die ich aus Amerika lizenzierte, wie SEBADOH und ROYAL TRUX und solche Sachen. Und auch eine Gruppe namens SMUDGE aus Australien. Das waren so die drei oder vier Bands. ROYAL TRUX und PALACE BROTHERS wurden von Drag City lizensiert, das war alles wichtiges und interessantes Zeug für mich. Ich war in alle möglichen verschiedenen Dinge eingebunden. In Großbritannien waren die ersten Sachen, die wir gemacht haben, zum Beispiel FLYING SAUCER ATTACK aus Bristol und dann haben wir mit den PASTELS gearbeitet, was ziemlich wichtig war, da sie etwas Stolzes und Unabhängiges repräsentierten, das wirklich ansprechend war, zusätzlich zu der Musik, die sie machten. Ich hatte Stephen getroffen, als ich bei Fire war und mich mit ihnen angefreundet. Die LEATHERFACE-Platte, „The Last“, sollte eigentlich nur eine EP werden. Ich war nicht darauf aus, sie unter Vertrag zu nehmen. Ich stand ihnen immer noch ziemlich nahe und ich glaube, ich habe ihnen einfach nur geholfen. Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, was der Grund dafür war, wo die Band stand, denn offensichtlich lösten sie sich genau zu diesem Zeitpunkt auf. Ihr Drei-Platten-Deal mit Roughneck war ausgelaufen. Aber ich glaube, es hieß dann: „Lass uns einfach ein paar Aufnahmen machen, wenn wir nach London kommen und wir können eine EP veröffentlichen.“ Ich glaube, das war es, was „The Last“ werden sollte. Es war also nicht so, dass ich sie unter Vertrag genommen habe oder so. Wir haben einfach eine EP gemacht. Aber dann gingen sie ins Studio und machten mehr Tracks, als wir erwartet hatten. Sie kamen mit acht Tracks aus dem Studio, also sagten wir: Lasst es uns ein Mini-Album nennen. Und das haben wir dann auch gemacht. In der Woche, in der sie in der Stadt waren, spielten sie eine Show im The Garage, und es war ausverkauft, eine unglaubliche Nacht. Es war Samstagabend, wenn ich mich recht erinnere, und es war unglaublich. Ich denke, es war wahrscheinlich die größte Londoner Show, die sie gemacht haben. Du konntest dich da drinnen nicht bewegen. Es waren mindestens 700 Leute. Es war wirklich ein brillanter Auftritt. Aber es gab einige Probleme. Es gab einige Spannungen in der Gruppe, und sie trennten sich an diesem Abend, ich glaube, noch auf der Bühne. Vielleicht hat Frankie irgendetwas gesagt und das war’s. In der nächsten Woche stand es dann, ich glaube, in der Weihnachtsausgabe des Melody Maker, und es gab eine große Geschichte darüber. Ich glaube, die Melody Maker-Redaktion hatte auch mit Frankie telefoniert und so wurde es noch offizieller. Ich denke, es gab einige Probleme. Sie waren auf Tour und hatten sich gestritten oder was auch immer. Und das war’s. Aber es ist wirklich alles ein bisschen verschwommen. Es war also eine sehr euphorische Samstagabend-Show, und dann endete sie so seltsam. Aber sie hatten diese Aufnahmen während der Woche gemacht, und die waren brillant. Nach „Minx“ hatte ich gesagt: „Lass uns in ein wirklich gutes Studio in London gehen, wenn ihr schon mal da seid.“ Sie gingen ins Blackwing, ich glaube das war es, und machten die Aufnahmen. Und sie klangen fantastisch. So hatten wir wenigstens dieses großartige Dokument des letzten kleinen Schwungs brillanter Songs.

Es sind wirklich einige brillante Songs enthalten. „Patrick kills me“ ist einer meiner Lieblingssongs.
Ja, da stimme ich zu. Ich war verrückt nach „Little white god“. Ich fand, das sei eines der besten Stücke, die sie je gemacht haben.

Ist das der Grund, warum du dich entschieden hast, das auf der Single zu veröffentlichen?
Ja, definitiv. Ich fand, es war ein wirklich, wirklich besonderer Song. Die Lyrics waren irgendwie erstaunlich. Und er klang einfach so gut. Es hatte dieses LEATHERFACE-Zwillingsgitarren-Ding. Es ist eine ziemlich traurige Geschichte über Drogen und was sie mit Menschen machen. Frankie war ein Mod, also nahm er Drogen, weil er ein Mod war, und Speed war ursprünglich die Mod-Droge. Dann hat er weiter Speed genommen und dann hat er aufgehört, ein Mod zu sein. Er hat trotzdem Speed genommen. Und dann fing er an, schlimmere Drogen zu nehmen, und so wurden weiße Linien zu braunen Linien und all das. Es ist eine sehr, sehr bewegende Hymne darüber, welchen Schaden Drogen anrichten können. Aber der Song war auch wirklich kraftvoll, sehr bewegend. Das ist die Seite von Frankies Texten, die fast wie ein Tom Waits-Song oder so ist. Du hast also dieses erstaunliche Stück, das an Tom Waits erinnert, etwas wirklich Melancholisches. Wunderschön.

Hattest du bei der „Little White God“-Single ein Mitspracherecht, dass sie die STOOGES covern?
Nein, hatte ich nicht. Ich hatte sogar vergessen, dass das überhaupt auf der Single war. Es war auf der B-Seite, glaube ich?

Ja, das ist richtig.
Welche STOOGES-Cover sind es noch mal?

Es ist „I gotta right“ und ... das andere fällt mir gerade nicht ein.
Ich habe „I’ve gotta right“ immer geliebt. Ich erinnere mich, dass ich das mal auf einer 7“ hatte, oder mein bester Kumpel hatte es, und es war definitiv ein echter Kultsong früher, als ich ein Teenager war. Also wäre ich wirklich begeistert gewesen, wenn sie darüber gesprochen hätten, es zu machen, und ich hätte das vielleicht gefördert, wenn Frankie es vorgeschlagen hätte. Aber sie hatten immer tolle Coversongs.

Das wäre meine nächste Frage gewesen, zu ihren Coverversionen, weil sie immer so großartige hatten.
Nun, Frankie ist ein richtiger Songwriter und er schätzt ordentliches Songwriting. Sie coverten ziemlich viele Mainstream-Sachen wie „Talkin’ about a revolution“ von Tracy Chapman. Sie hatten eine unglaubliche Version von „Message in a bottle“. Das war kein Song, den ich mochte. Als Jugendliche mochten wir THE POLICE nicht wirklich, aber dann haben sie es gecovert und es war einfach unglaublich. Man konnte die Musikalität hören, die ausgefeilten Akkorde, und dass sie dieses Zeug spielen konnten. Es waren immer Songs, die unglaublich gut geschrieben waren. Dann haben sie sie genommen, und zack, zu ihren eigenen gemacht. Es gab ein unglaubliches ABBA-Cover, sie haben eine fantastische Version des Songs „Eagle“ gemacht. Die ist so gut. Hast du die schon mal gehört?

Ja, habe ich.
Sie haben auch „In the ghetto“, „Knockin’ on heaven’s door“, „Candle in the wind“ gecovert, alles Mögliche, „Ideal world“ von den CHRISTIANS. Es gab auch mal die Idee, „A song from under the floorboards“ zu covern. Das hätte ich gerne gehört. Dann gibt es natürlich auf „The Last“ auch noch das SNUFF-Cover, das eigentlich ziemlich straight ist. Sie haben für ihre letzte Platte „Win some, lose some“ aufgenommen.

Vom Standpunkt des Labels aus gesehen, was bedeutet es für dich, ein Teil dieser Geschichte gewesen zu sein?
Ich bin unglaublich stolz. Es jagt mir immer noch Schauer über den Rücken, wenn ich sie höre, und ich höre sie nicht sehr oft. Aber natürlich habe ich mir ihre Platten noch mal angehört als Vorbereitung für dieses Gespräch, so wie ich es schon früher getan habe, wenn sie gelegentlich auftauchen oder wenn Leute sie mir gegenüber erwähnen. Aber ja, ich bin sehr stolz darauf, dabei gewesen zu sein. Sie waren wahrscheinlich die erste Band, als ich nach London gezogen bin, als ich in das „richtige“ Musikgeschäft, nennen wir es mal so, eingestiegen bin. Ich hatte DIY-Platten gemacht, und ich hatte Sachen in meiner Heimatstadt gemacht und ein paar Platten mit befreundeten Gruppen herausgebracht, die viel Spaß gemacht haben und auf die ich auch stolz bin. Aber LEATHERFACE waren großartig, ich denke, sie ragen heraus. Ich denke immer noch, dass sie das Beste auf diesem Gebiet aus dieser Zeit sind. Ich denke, Frankie ist einer der erstaunlichsten Songwriter und Texter, ein absoluter Visionär als Künstler. Sie waren ein bunter Haufen von Persönlichkeiten. Es hat wirklich Spaß gemacht, mit ihnen zusammen zu sein. Also ja, ich bin stolz. Sie werden außerhalb der Punkwelt vielleicht immer noch unterschätzt – aber ich bin so froh, dass es manchen Leuten auch nach dreißig Jahren noch eine Menge bedeutet. Ich dachte immer, dass sie ein riesiger Kult werden würden, und ich war wirklich froh, als die Amerikaner anfingen, sie aufzugreifen. Ich habe immer gehofft, dass METALLICA oder irgendjemand einen ihrer Songs covern würde und es einfach durch die Decke geht, haha. Aber das ist nicht passiert, jedenfalls noch nicht.

Nein, aber sie haben in Amerika sicherlich bereits Kultstatus erreicht.
Ja. Nun, sie haben sich schließlich reformiert und sind in die USA geflogen und haben da gespielt, worüber ich sehr froh war. Ich höre immer noch viel aus Amerika darüber, die Aufregung darüber, diesen Kultstatus, den sie erlangt hatten – zu Recht.

LEATHERFACE umgibt eine gewisse mystische Aura, die sich von der anderer Bands unterscheidet.
Ja, ich denke, die gab es irgendwie immer. Sie hatten einen gewissen Ruf. Sogar der Name. Es war so ein mächtiger Name zu dieser Zeit. Jeder dachte nur: „Oh, das ist eine knallharte Gruppe.“ Und das waren sie auch. Sie hatten einen knallharten Sound, aber dazu kam es diese außergewöhnliche Sensibilität und Emotion in den Texten und die Poesie darin. Das verlieh dem Ganzen eine gewisse Tiefe und Komplexität. Und diese Art von Bewusstseinsstrom. Aber ja, unglaubliches Zeug. Ich bin sehr froh, ein bisschen LEATHERFACE in unserem Katalog zu haben, haha.

Warst du überhaupt an der Wiederveröffentlichung „Razor Blades And Aspirin: 1990-1993“ von 2015 beteiligt, die auf Fire Records erschienen ist, oder war das etwas völlig anderes?
Nein, war ich nicht, ich war überhaupt nicht involviert.

Hast du Pläne, „The Last“ auf Domino wiederzuveröffentlichen?
Ja. Um ehrlich zu sein, habe ich gar nicht bemerkt, dass die Platte gar nicht mehr zu bekommen ist. Ich schätze, sie ist im Moment nur in digitaler Form auf irgendwelchen Plattformen erhältlich. Ich habe im Lager nach einer Kopie gefragt und erfahren, dass sie komplett ausverkauft ist. Also ja, ich kann mir vorstellen, dass wir sie irgendwann tatsächlich wiederveröffentlichen. Im Moment gibt es noch keine Pläne, aber ich bin mir sicher, dass sie wieder auf Vinyl herauskommen wird, ganz sicher. Vielleicht kann man immer noch billige CDs irgendwo finden. Aber ja, ich bin sicher, dass es passieren wird.

Ich weiß, dass es sehr viele Leute gibt, die gerne eine Kopie hätten.
Nun, ich werde mit den Verantwortlichen bei Domino sprechen, haha.

Ich erinnere mich, als ich LEATHERFACE zum ersten Mal hörte, wie schwer es war, einen physischen Tonträger mit ihrer Musik zu bekommen. Ich hörte „Not a day goes by“ in einem BMX-Video, und ich erinnere mich ... Wir haben hier in Boston eine Musikladenkette namens Newbury Comics. Und ich erinnere mich, dass ich jedes Mal, wenn ich in den Laden ging, ziemlich lange nach LEATHERFACE gesucht habe, und dann tauchte endlich eine „Mush“-CD auf Roughneck Records auf. Und das war eine große Sache, weil es sehr schwieriges war, das Album hier in den Staaten zu bekommen.
Wie schon gesagt, habe ich Fire, das Label, dem Roughneck gehörte, 1992/93 verlassen. Aber die Platte wurde an Seed Records lizenziert, die, glaube ich, ursprünglich zu Warners Tochtergesellschaft Atlantic gehörten, als sie 1991 herauskam. Es gab also eine amerikanische Lizenz zu der Zeit. Aber sie wurde dort nie veröffentlicht, das passierte erst später.

Fandet ihr, dass die amerikanischen Vertriebe das Album hier nicht so sehr gepusht haben, wie ihr es gerne gehabt hättet?
Zu dieser Zeit war es ziemlich schwer zu erfahren, was vor sich ging. Wir dachten, dass das Album einen anständigen Push bekommen würde, schon allein weil es tatsächlich veröffentlicht wurde und zwar über Warner. Aber es hat offensichtlich keinen richtigen Schub bekommen. Ich denke, es war vielleicht nur ein kleiner Schubs. Also ja, ich wusste es nicht wirklich, um ehrlich zu sein. Ich habe mit jemandem bei WEA gesprochen, es gab einen Produktmanager, aber ich wusste nicht genau, was los war, ob es gut vermarktet wurde oder was auch immer. Aber da gab es, glaube ich, nicht wirklich eine Infrastruktur für die Band, um zu touren. Es gab nicht diese Art von Management, oder eine Agentur und solche Dinge. Jedenfalls nicht zu dieser Zeit.

Ganz besonderen Dank an Laurence Bell und Sean Forbes für ihre Hilfe bei diesem Beitrag. Bandfotos aus der Beilage der 2015er Wiederveröffentlichung der „Minx“-LP auf Fire Records (Fotograf unbekannt)