Live-Business – wie geht es weiter?

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Bestandsaufnahme und Ausblick

Allenthalben wird über die Nöte der im Veranstaltungsgeschäft tätigen Menschen berichtet – nur wird kaum mal mit diesen geredet. Wir haben uns unter langjährigen Geschäftspartner:innen, Kund:innen und letztlich auch Freund:innen umgehört, wie es ihnen in der Corona-Pandemie ergeht und wie sie die Entwicklung ab der zweiten Jahreshälfte 2021 einschätzen – was ja alle von uns betrifft, die endlich wieder auf Konzerte und Festivals gehen wollen.

Bitte stell dich und deine Firma vor.
Steffen Rose, Navigator:
Steffen Rose, 57, seit mehr als dreißig Jahren im Veranstaltungsgewerbe tätig. Navigator Production ist eine One Man-Company, die lokale Shows veranstaltet, etwa 100 im Jahr. Ein weiterer Teil davon ist eine Backline-Firma, das heißt wir vermieten Equipment für tourende Bands. Außerdem bin am Mission Ready Festival beteiligt und arbeite im Sommer noch auf diversen weiteren Festivals.
Robert, Gate To Hell: Ich bin Robert, Captain von gatetohell.net. Meine Firma entstand mal aus meiner damaligen Band, daraus wurde ein Label, eine Booking-Agentur, dann eine Backline-Vermietung und irgendwann kam noch eine Tourbusvermietung hinzu.
David Pollack, Destiny Tourbooking: Destiny hat als Konzertveranstalter und Label Ende 1983 eher als eine Mischung aus Hobby, Spaß und Notwendigkeit angefangen. Wir ziehen Sachen durch, die in Berlin nicht so viele alleine machen wollten. Wir haben zum Glück ein paar gute Freunde, wodurch wir das doch machen konnten. Ich hätte damals nie gedacht, dass es zu meinem Beruf werden könnte, ich wollte nur was für mich und andere machen. Ab Ende der Achtziger sind wir, glaube ich, zu einer der größten Punkrock-Agenturen geworden, das hätte ich wirklich selber nie gedacht.
Marc, MAD Tourbooking: Ich bin Marc von MAD Tourbooking. Ich bin 1978 mit dem Punk-Virus infiziert worden, der bis heute unheilbar in meinen Adern pulsiert. Hatte einige Punk/Hardcore-Bandprojekte, die ersten Aufnahmen haben wir 1981 mit NEW SOCIETY gemacht, die letzten mit MADDOGS 2018 und einigen weiteren. So um 1980 habe ich auch angefangen, bei Konzerten in Berlin zu arbeiten, und seit Ende 1982 veranstalte ich mit Ute Konzerte, so wie man uns bis heute eigentlich als MAD kennt. Die Liste der Clubs und Konzerte, die mit uns verbunden sind, ist lang. Über die Jahrzehnte bekannte Locations der Berliner Szene sind unter anderem Rauchhaus, Ex, K.O.B., TU Mensa, Tempodrom. Bei der Wiedereröffnung kämpften wir auch Punk- und Hardcore-Konzerte zurück ins SO36, was ein harter Weg war. Einen Namen als Organisation hatten wir zuerst nicht. Das spielte damals durch unsere Einstellung auch überhaupt keine Rolle. Wir hatten gar kein Interesse an einem Definieren als Gruppe oder an einem Profil. Wir waren einfach nur wir, und tingelten so durch die Welt als Teil eines unheimlich tollen Netzwerkes und Abenteuers. Den Namen MAD benutzten wir dann das erste Mal für eine Tour Ende der Achtziger auf einem Poster. Diese Europatour von D.I. dauerte fast zwei Monate am Stück, auch undenkbar heutzutage.
Ollo, Popp Concerts und PASCOW: Mein Name ist Ollo, ich leite seit 2012 die Firma Popp Concerts in Trier, insgesamt arbeite ich seit mehr als zwanzig Jahren dort. Wir sind örtlicher Konzertveranstalter in Trier, Koblenz, dem Saarland und Luxemburg. Dabei sind wir sowohl bei der musikalischen Ausrichtung her als auch der Größenordnung der Veranstaltungen sehr breit aufgestellt, von 100er-Clubshows bis Open Airs mit 25.000 Besuchern ist nahezu alles dabei. In unseren beiden Büros in Trier und Saarbrücken arbeiten sechs Festangestellte, zwei Auszubildende, bei Veranstaltungen noch einige Freelancer und Subunternehmer.
Sandra, Billig People Booking: Ich bin Sandra, Gründerin und Chefin von Billig People Booking, einer kleinen internationalen Künstlervermittlungsagentur, die 2008 aus mehreren Zufällen heraus entstanden und bis heute eine echte Herzensangelegenheit für mich ist. Seit den Neunzigern habe ich in verschiedenen Bands gespielt. Das Booking unserer Konzerte habe ich dabei selbst übernommen und so entstanden bereits Kontakte zu Veranstaltern und Clubs. Kurze Zeit später veranstalteten ein paar Freunde von mir das Atomsmasher Festival, hier wurde ich für das Booking der Bands verpflichtet. Das führte im Laufe der Jahre dazu, dass mehr und mehr Bands auf mich zukamen und mich baten, ihre Gigs generell als Agentur zu buchen, nicht nur für das Festival. Dadurch landete ich letztendlich beim Booking verschiedenster Bands und der Gründung von Billig People Booking.
Tom, Weird World Booking: Ich bin Tom und arbeite unter anderem für Weird World Booking.
Nico Spielmann, Beer & Music: Ich bin Nico Spielmann und meine Company heißt Beer & Music, ansässig in Düsseldorf.

Was machst du, also normalerweise, ohne/vor Corona?
Steffen: Ich buche Shows in drei verschiedenen Städten in Unterfranken, das sind Nürnberg, Schweinfurt und Würzburg, bereite die Shows komplett vor und führe sie auch zum größten Teil selbst durch, für Presse/Promo habe ich externe Unterstützung. Dazu kommt, dass ich das Backline-Equiment warte, Aufträge zusammenstelle und das Material liefere. Plus das Booking fürs Mission Ready, plus die Vorbereitung für Teile des Festivals.
Robert: Zu einem Teil machen wir so genanntes „Dry Hire“, das heißt eine Band kommt vorbei – oder wir liefern nach wohinauchimmer – und holt sich Drums, Gitarrenverstärker, Tasten oder Bass-Amps ab. Nach der Tour kommt das Zeug zurück, wir testen es auf Funktion und Klang, putzen und/oder reparieren es, und dann geht es wieder raus. Wir sind also Elektroniker:innen, Schreiner:innen, Innenausstatter:innen, KfZ-Pfleger:innen und Putzkraft in einem. Der andere Teil ist der Job des Backline-Techs als „Full Service“ auf der Bühne, um zeitgerecht Drums/Gitarren/etc. aufzubauen und abzubauen, Sound- und Linecheck zu machen, zu mikrofonieren, sei es nun als Single-Show oder Festival oder als Tech auf der ganzen Tour. Die Bandbreite ist mit den Jahren enorm geworden, von Klavier- und Jazz-Shows, über Blues, K-Pop bis Death Metal ist alles dabei. Normalerweise fische ich auch den Herrn Biafra aus dem Pit ...
David: Booking, Vorproduktion, ab und zu Tourmanagement, Planung, Veranstalten, Micromanagement. Alles, was mit Konzerten zu tun hat, zusammen mit einigen sehr guten und lieben Kolleg:innen und Musiker:innen.
Marc: Ich buche Konzerte und Tourneen weltweit für Bands aus den Bereichen Punk, Hardcore, Metal und Ska, also der Subkultur, um das mal klassisch zu beschreiben. Ich bin aber auch Manager von Bands, zum Beispiel NAPALM DEATH, schreibe und arbeite bei Buchprojekten mit oder im Hintergrund, bei Labelprojekten oder DIY-Labels, früher machte ich Fanzines, seit 1982, das letzte in den Neunzigern war Over The Edge. Wir unterstützen politische, soziale oder Tierrechtsgruppen, arbeiten oft eng mit ihnen zusammen oder helfen ihnen. Wir haben einige Sachen mit aufgebaut, wie Labels, Busvermietung, Backline-Verleih, Merchfirmen oder auch Coretex Records, wo wir aber immer wieder aus zeitlichen Gründen ausgestiegen sind. Der Tag hat eben nur 24 Stunden! Unsere Liebe ist ja eigentlich diese laute Live-Musik, die uns verbindet, kompromisslos zum Tanzen auffordert, Kommunikation, Schweiß und Emotionen. Gefühle, die nicht ausgesprochen werden und worüber zu schweigen unmöglich ist.
Ollo: Ich buche und organisiere Konzerte in unserer Region und kümmere mich größtenteils um die Geschäftsführung. Das Booking teile ich mir mit meinem Kollegen Kai Jorzyk aus unserem Saarbrücker Büro. Im Schnitt veranstalten wir etwa 120 bis 130 Konzerte im Jahr.
Sandra: Ich bin eine Künstlervermittlerin und kümmere mich darum, dass die Bands, die im Billig People-Pool sind, ihre gewünschten Auftritte und Touren bekommen. Dazu gehört auch die Organisation von Tourbus, Backline, Merchandise, Tourmanagern, Kostenkalkulationen, Verträgen und viel Schreibkram. Ein paar Monate im Jahr bin ich selbst als Tourmanager dabei. On the road zu sein und die Veranstalter, Clubbesitzer, Tontechniker, mit denen ich tagtäglich in Mails und Telefonaten zu tun habe, persönlich zu treffen, ist für mich immer das Highlight des Jahres. Ohne Scheiß. Und einmal wochenlang mit einer Band im Tourbus eingesperrt zu sein, hat auch viele Vorteile. Man lernt sich sehr gut kennen und weiß um die Stärken und Schwächen des anderen, was wiederum eng zusammenschweißt. Die beste Voraussetzung für eine langjährige intensive Zusammenarbeit. A happy family sozusagen.
Tom: Ich habe eigentlich zwei Jobs. Da gibt es zum einen meine Arbeit bei Weird World, wo ich Bands wie die CLOWNS aus Australien oder die CASUALTIES aus den USA buche, zum anderen meinen Teilzeitjob bei Cargo Records, dem Tonträgervertrieb in Wuppertal.
Nico: Wir sind seit zwanzig Jahren örtlicher Konzertveranstalter hauptsächlich in NRW, also Aachen, Ruhrgebiet, Düsseldorf, Köln bis nach Münster und Osnabrück. Sporadisch werden auch kleinere bundesweite Tourneen gebucht.

Wie ist es dir/euch in den letzten Monaten ergangen? Wirtschaftlich wie emotional?
Steffen: Hier war alles vertreten. In den ersten zwei Monaten, das schaffe ich ohne Problem. „Im Sommer dürfen wir ja wieder“, was sich ja als Traum herausgestellt hat. Dann eine Spanne der Frustration, gepaart mit einer leichten Depression, der Lustlosigkeit überhaupt noch weiterzumachen. Dann phasenweise „von Corona lasse ich mich nicht unterkriegen“. Dann wieder voller Elan, wenn es darum ging, neue Shows zu buchen, um einfach nicht aufzugeben. Auch der Austausch mit Kollegen hat hier sehr geholfen. Wir sind hier alle in der gleichen Situation, ob du jetzt Live Nation oder Navigator bist. Alle dürfen keine Shows veranstalten.
Robert: Gestern standen wir noch am Abgrund, heute sind wir einen Schritt weiter. Im Ernst, wir werden in dieser Krise weiterhin überleben, die Spätfolgen sind aber extrem, denke ich. Ich bekämpfe meine Depression mit Sport und habe mir einen Job gesucht, wo ich um fünf Uhr aufstehen muss, einfach damit ich um Mitternacht nicht die zweite Flasche Wein aufmache.
David: Es hat mich manchmal an meine Grenzen gebracht, wegen der Aussichtslosigkeit, was zu ändern. Normalerweise sehe ich immer einen Ausweg in einer schwierigen Situation. Gegen eine Pandemie zu kämpfen, ist aber ziemlich sinnlos. Aus Trotz muss man nicht einfach aufgeben, aber es war und ist sehr frustrierend, keine Lösung finden zu können ...
Marc: Das kann ich, glaube ich, gar nicht wirklich in Worte fassen. Eigentlich habe ich das alles wie einen schlechten Traum erlebt. Ich darf nicht darüber nachdenken, sondern muss einfach atmen. Es ist nicht ausreichend, um davon zu leben. Seit März stehen wir ohne irgendwelche Einnahmen da, leben noch von Erspartem und Rücklagen, da wir keine Hilfe bekommen, einfach nix, um das mal überspitzt zu sagen! In allen Programmen oder wie es immer so heißt, Neustart Kultur bis Hartz IV, werden wir immer aussortiert oder fallen durch. Nur Bands, Clubs und Festivals erhalten Unterstützung, wenn überhaupt, oder können bei diesen Programmen bis jetzt was bekommen. Das größte Problem ist ja bei uns, dass wir als Konzertvermittler/Veranstalter nicht zur Kultur zählen und auch nicht zur Wirtschaft. Keiner fühlt sich für uns zuständig und so werden wir immer wieder hin- und hergeschickt. Trotzdem müssen gerade wir seit März einfach weiterarbeiten, als ob nix passiert wäre. Können nicht nebenbei jobben gehen, da wir ja immer nach vorne arbeiten. Unsere Arbeit besteht ja in Vorplanung, wie jeder eigentlich weiß, sonst würde es ja auch keine Werbung und Vorverkauf geben. Also alles, was wir 2019 geleistet haben, hätten wir 2020 bezahlt bekommen. Was aber nicht passiert ist, durch die Absagen. Wir bekommen ja nur Geld, wenn ein Konzert stattfindet. Also arbeiten wir jetzt fleißig an 2021. Natürlich war Anfang 2020 auch noch das zusätzliche Problem, dass wir alles immer wieder umbuchen mussten und bei jeder neuen Möglichkeit, Clubs wie Bands anriefen, um schnell etwas zu buchen, bis es wieder untersagt wurde. Das war ein ewiges, hektisches im Kreis laufen für nix, ein nervenaufreibendes Unterfangen.
Ollo: In wirtschaftlicher Hinsicht hatten wir das Glück, dass wir uns in den letzten Jahren ein finanzielles Polster aufgebaut hatten, das eigentlich Verluste durch den Ausfall von Konzerten kompensieren sollte. Darüber hinaus waren auch noch ein paar Investitionen geplant. Jetzt verbrauchen wir diese Reserven, um die nicht von den staatlichen Hilfen abgedeckten Kosten aufzufangen wie anfallende Löhne, nicht abgedeckte Fixkosten, etc. Im Sommer haben wir sieben Wochen Autokino und -konzerte veranstaltet und noch weitere pandemiegerechte Open-Air-Shows. Seit Herbst sind eigentlich wieder alle Konzerte – auch mit entsprechenden Abstands- und Hygieneregeln – untersagt worden, meist aufgrund des Ampelsystems, auch teilweise erst 48 Stunden vorher. Emotional war 2020 schon eine echte Achterbahnfahrt. Hoffen und Bangen liegen derzeit nahe beieinander. Von den ursprünglich für 2020 angedachten Shows hat seit dem 10. März nur eine in der Form stattgefunden, wie sie geplant worden war. Das war eine Lesung mit Thorsten Nagelschmidt aka Nagel zu seinem aktuellen Roman „Arbeit“ in Saarbrücken. Ansonsten wurde abgesagt, verschoben, noch mal verschoben, abgesagt und so weiter ... Die eine oder andere Show haben wir nun bereits zum vierten Mal geschoben.
Sandra: Es fällt mir immer noch schwer, das in Worte zu fassen. Wie geht es mir emotional? Ich bin seit März in einer Art Schockstarre. Wahrscheinlich geht es vielen aus der Branche ähnlich. Wer hätte denn mit so etwas gerechnet? Ich ehrlich gesagt nicht. Das Ungewisse, wann, wie und ob es wieder unbedarfte locker-fluffige Konzerte geben wird und ob meine Agentur in dieser Form in Zukunft Bestand haben kann, bereitet mir seit Monaten schlaflose Nächte. Nach all den Monaten der Unwirklichkeit kommt es mir so vor, als hätte dieses Rock’n’Roll-Leben in einer weit entfernten Vergangenheit stattgefunden. Wie in einem Traum. Wirtschaftlich ist es für Billig People Booking natürlich eine Katastrophe. Ich glaube, 2020 haben wir ca. 25 Konzerte gehabt. Zum Vergleich, im Vorjahr waren es um die 400.
Tom: Gute Frage. Und vermutlich wird es mir jetzt nicht leicht fallen, in wenigen Sätzen darauf zu antworten. Wobei, eigentlich würde es ja reichen, wenn ich einfach nur „beschissen“ schreibe. Nein, im Ernst, ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass der Job als Booker momentan genauso viel Spaß macht wie vor Corona. Ich kann gar nicht genau sagen, wie viele Shows und Touren ich mittlerweile verlegen oder gar absagen musste. Wie viele Stunden an Arbeit dabei draufgegangen sind. Für nichts! Zuerst wurden Touren von 2020 in den Frühling 2021 gelegt, dann weiter in den Herbst geschoben und, ganz ehrlich, ob im Herbst wieder Shows stattfinden werden, so wie wir es kannten, daran habe ich noch große Zweifel. Kommen wir überhaupt noch mal an den Punkt, an dem sich verschwitzte Körper auf ausverkauften Konzerten aneinander reiben, an dem Menschen wie Lemminge auf Bühnen klettern, um von dort hinab in die Arme von Freunden oder einfach auch wildfremden Menschen zu springen? Ich hoffe sehr ... Was Corona wirtschaftlich für mich bedeuten wird, kann ich noch gar nicht genau sagen. Da mein anderer Job bei Cargo meine monatlichen Kosten und Ausgaben nicht decken kann, lebe ich vom Ersparten. Ich hatte beziehungsweise habe mit beiden Jobs viel zu tun, aber es hat mir die Möglichkeit gegeben, etwas Geld anzusparen, das quasi meine Rente sein soll. Mit meinem eigentlichen Rentenanspruch könnte ich gerade mal meine Miete bezahlen. Ich musste also etwas Geld beiseitelegen im Verlauf der letzten Jahre. Das sind alles andere als Reichtümer, aber es hat mich etwas beruhigter in die Zukunft schauen lassen. Zu sehen, wie das über viele Jahre hinweg zur Seite gelegte Geld gerade weniger wird, macht irgendwie keine Freude.
Nico: Wirtschaftlich kommen wir aufgrund des übersichtlichen Kostenapparats klar, emotional schwankt es zwischen Hoffnung/Zuversicht und immer wiederkehrender Genervtheit, dass Shows teilweise schon zum vierten oder fünften Mal neu angesetzt werden müssen. Die bestuhlten Sommerkonzerte waren ein kleiner Lichtblick und eine wunderbare Abwechslung zum sonstigen Büroalltag, auch wenn sie finanziell nur begrenzt Sinn machen. So was kann man eine gewisse Zeit mal durchziehen, aber auf Dauer sind bestuhlte Shows im Punkrock/Psychobilly/Metal-Sektor natürlich nicht das Wahre. Kein Vergleich zu normalen Stehplatzkonzerten, aber besser als nichts ...

Wie sieht es mit Mitarbeiter:innen aus, mit Geschäftsfreund:innen wie Fahrer:innen, Tourmanager:
innen, Mercher:innen, Backlineverleiher:innen ...?

Steffen: Ich habe keine wirklichen Angestellten, nur Kollegen und Freunde, die mich in den Sommermonaten unterstützen. Wir sitzen alle im gleichen Boot. Keiner von uns hat hier einen wirklichen Job, der ihn gerade ausfüllt. Denn das, was wir sonst machen, haben wir uns ja freiwillig ausgesucht, weil unser Herz daran hängt. Ich habe auch schon von einigen Kollegen mitbekommen, dass sie sich was komplett Branchenfremdes gesucht haben und wohl nach dem Ende der Corona-Krise nicht wieder ins Musikbusiness zurückkehren werden.
Robert: Also unser Team ist geschlossen auf Kurzarbeit. Mo und Flo proben und recorden mit ihrer Band, sind politisch aktiv und bleiben in Bewegung. Ich terrorisiere einmal in der Woche den Lehrling mit praktischen Aufgaben und bastle viel rum. Mit Freunden habe ich das größte Schlagzeug der Welt aufgebaut, diverse andere bekloppte und lehrreiche Videos gedreht. Befreundete Firmen berichten dasselbe, alle „schrumpfen“ oder machen irgendwelche Jobs, als Lkw-Fahrer oder Ähnliches. Ein paar haben auch schon komplett hingeschmissen.
David: Nicht gut, alle im Servicebereich sind extrem betroffen, vor allem Selbstständige! Clubs/Theater/Kinos/Sport und im Musikbereich Fahrer:innen, Tourmanager:innen, Mercher:innen, Backlineverleiher:innen, Musiker:innen und so weiter.
Marc: Das ist unterschiedlich und nicht pauschal zu beantworten, weil es auch da viele verschiedene Lebensläufe gibt. Die meisten können davon doch so oder so nicht leben. Viele haben sich ein System aufgebaut. Viele Bands, Tourmanager oder Backliner, um nur mal einige Berufe zu nennen, arbeiten oder jobben schon immer nebenbei oder sogar hauptberuflich und sind nun eben, wenn möglich, zu 100% wieder in den Kreislauf zurückgekehrt oder waren da ja so oder so schon immer drin. Als Backline-Verleiher ist es natürlich wieder was ganz anderes. Die Angestellten machen jetzt eben auch andere Jobs, der Verleiher, wenn er nur auf Live-Musik gesetzt hat, sitzt da in einem ganz dunklen Loch. Ich kenne auch zwei, die wegen der laufenden Kosten schon aufgeben mussten, mit viel Minus ... ein Lebenstraum oder -werk einfach kaputtgemacht! An der Stelle will ich aber auch noch mal erwähnen, dass das für einige ihr ganzes Leben ist, alle sozialen Kontakte daran hängen, und einige leider schon aus Vereinsamung und Verzweiflung den Freitod gewählt haben. Das ist ein ganz trauriges Thema.
Ollo: Na, die Stimmung ist schon sehr bescheiden. Gerade für Soloselbstständige sind die staatlichen Hilfen bisher kein Highlight gewesen, sofern sie überhaupt was bekommen haben. Wer die Möglichkeit hat, engagiert sich in anderen Bereichen, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Unsere Mitarbeiter nutzen die Zeit unter anderem, um sich in gewissen Bereichen weiterzubilden. Aber auch für sie ist die Situation nicht gerade einfach und es fällt dann in meinen Verantwortungsbereich, die Stimmung nicht in den Keller rutschen zu lassen.
Sandra: Ich glaube, diese Ungewissheit hinsichtlich der Zukunft von Konzerten und in welcher Form sie wann wieder stattfinden können, beschäftigt uns alle am meisten. Und natürlich stellt sich gleich die nächste Frage. Was ist, wenn so einige Clubs, selbstständige Veranstalter, Tourbusverleiher, Tontechniker, Roadies, Fahrer und so weiter, eben dieses wahnsinnig große Konglomerat an verschiedensten Leuten, die bei der Durchführung von Touren zusammenspielen, wirtschaftlich nicht überleben oder sich für einen anderen Job entscheiden müssen oder wollen? Wie viele kleinere Rock’n’Roll-Bands haben noch die Möglichkeit zu touren, wenn dann weniger Locations zur Verfügung stehen?
Tom: Bei Weird World haben wir keine festen Angestellten. Ich kann dazu eigentlich gar nicht soviel sagen beziehungsweise möchte nicht für andere sprechen. Man tauscht sich natürlich aus. Ich glaube, vielen da draußen fehlt einfach der Job und das nicht nur in finanzieller Hinsicht. Ich selbst fahre gar nicht mehr mit auf Tour, sondern gehe nur zu vereinzelten Shows, um „meine“ Bands zu treffen. Aber viele da draußen waren 250 Tage im Jahr unterwegs, auf Tour, vielleicht weniger, womöglich mehr. Immer umgeben von Menschen, von Freunden, immer wieder in anderen Städten. Und dann wird man plötzlich so brutal „entschleunigt“. Ich könnte mir vorstellen, dass nicht jeder das einfach so wegsteckt. Und dann ist da vor allem die Ungewissheit, wie lange das noch alles so gehen soll beziehungsweise was die Zukunft überhaupt bringen wird.
Nico: Na ja, die meisten wurschteln sich alle irgendwie durch und warten darauf, dass es endlich weitergeht. Zum Glück habe ich bisher, zumindest in meinem Umfeld, noch nichts davon gehört, dass Leute final ihr Business beenden oder nach Ende der Pandemie nicht weitermachen wollen. Natürlich sind alle genervt, aber das Ende der Krise naht, wenn auch sehr langsam.

Und wie geht es „deinen“ Bands? Was berichten die so?
Steffen: Vielen Bands geht es genauso wie uns. Hier geht es auch ums Überleben. Gerade viele US-Bands, die so gut wie nie was für ihre Altersvorsorge angelegt haben, sind finanziell schwer angeschlagen. Bei den Kollegen hat es immer gut funktioniert, wenn sie drei bis vier Mal im Jahr in Europa getourt sind. Dann war zwischen den einzelnen Touren genug zum Leben da.
Robert: Nun, da die alle vom Tonträgerverkauf nicht existieren können und Spotify etc. im besten Fall dazu reicht, die Stromrechnung zu bezahlen, haben viele irgendwelche McJobs angenommen. Wer stark genug im Merchandise-Geschäft ist, kann, auch durch Soli-Käufe, natürlich länger überleben.
David: Bands sind genauso betroffen wie Selbstständige: Sie haben keine Einnahmen. Es ist besonders schwer für kleine und mittlere Bands, die sicher keine Ersparnisse haben, um mehr als ein Jahr zu überleben.
Marc: Auch das kann man nicht einfach so pauschal beantworten, da gibt es zu viele unterschiedliche Biografien. Ich versuche, das mal vereinfacht aus meiner Perspektive zu beschreiben. Die meisten Musiker spielen ja in „Hobbybands“, sage ich jetzt mal, wo alle eigentlich anderen Berufen nachgehen und Musik nur als Hobby machen. Im Augenblick noch, um das mal so zusagen, sind sie zum Glück alle sicher aufgestellt. Die zweite Kategorie sind die Bands, die alle schon immer nebenbei jobben mussten. Die sind, wenn möglich natürlich, auch alle verstärkt da eingestiegen oder mussten umdenken. Das trifft eigentlich auf die meisten Bands im subkulturellen Bereich zu. Aber natürlich gib es auch immer noch viele, die davon leben müssen. Das sind die, die auch immer touren und das alles am Leben halten, seit Jahrzehnten und auch überall präsent sein müssen für jeden auf dieser Welt an jedem Ort. Die, die immer arbeiten, die von Club zu Club und Land zu Land ziehen wollen oder müssen, um nicht Leute zu verärgern oder zu enttäuschen. Genau diejenigen, die wir alle so benötigen, damit die Clubs Programm haben, eine Live-Szene am Leben bleibt und ihr nicht nur Platten-Reviews drucken müsst. Bands eben wie AGNOSTIC FRONT, SICK OF IT ALL, TERROR, EXPLOITED oder NAPALM DEATH. Die haben alle erhebliche Probleme und denen sind seit März 2020 auch fast alle Einnahmequellen weggebrochen. Man darf dabei auch nie außer Acht lassen, dass an diesen Bands ganz viele Schicksale dranhängen, auch privater Natur wie Familien, Kinder und so weiter. Natürlich fehlt aber auch ihnen die Kommunikation, das Zwischenmenschliche wie uns allen, dieser Austausch von Gefühlen und Meinungen, dieses Wir.
Ollo: Zu den Bands selbst haben wir in der Regel wenig bis keinen Kontakt, das läuft bei uns alles über die Booker oder Agenten. Aber was man so mitbekommt, haben die wenigsten Bands ein entsprechendes Polster, um die aktuelle Lage locker wegstecken zu können, und es gibt auch Musiker aus „großen“ Bands, die sich anderweitig nach Arbeit umsehen mussten.
Sandra: Meinen Bands fehlen am allermeisten die Live-Auftritte. Sie vermissen die tanzwütigen und schwitzenden Leute im Club. Und ihnen fehlt das Tourleben an sich, die Ungezwungenheit. Trotzdem sehen sie der Zukunft des Live-Spielens eher positiv entgegen. Da sind sie auf jeden Fall entspannter, als ich das bin.
Tom: Für viele Bands gilt sicher das Gleiche. Ich habe gestern noch eine Nachricht von Jake, dem Drummer der CLOWNS, zu dem Thema bekommen. Natürlich waren auch sie zunächst geschockt. Da wird dir einfach mal die Lebensgrundlage genommen, und zwar nicht nur finanziell. Das hat ja schon was von „Boden unter den Füßen wegziehen“. Ich möchte auch nicht wissen, wie viele Musiker, aber auch Crew-Mitglieder es da draußen gibt, die mental richtig heftig an dieser Geschichte zu knabbern haben. Die CLOWNS haben irgendwann versucht, das Beste aus der Situation zu machen, die Zeit kreativ zu nutzen. Und jetzt sehen sie in Australien wohl so was wie das Licht am Ende des Tunnels. Wenn ich Jake richtig verstanden habe, fährt Australien zur Zeit langsam wieder hoch und es soll wieder Shows mit fünfzigprozentiger Auslastung geben.
Nico: Von Bandauflösungen wegen Corona habe ich bisher nicht viel mitbekommen. Man muss aber sehen, was passieren wird, sollte auch der kommende Festivalsommer – wie zu erwarten ist – wegfallen, da wird vielen Bands die wirtschaftlich wichtige Festivalsaison zum zweiten Mal in Folge wegbrechen. Da die staatlichen Hilfen in anderen Ländern nicht wie in Deutschland funktionieren, könnte es sein, dass sich dann die eine oder andere Band umorientieren muss. Oder nach der Krise gleich doppelt und dreifach hier touren wird, um das Verlorene wieder auszugleichen.

Wie muss man sich aktuell deinen Arbeitsalltag vorstellen?
Steffen: Ich stehe gegen sechs Uhr auf. Dann dreißig Minuten Dehnübungen, damit mein Körper nicht einrostet, da ich durch Corona nicht zum Cross-Fit-Training kann. Meine Frau ist Lehrerin und unterstützt mich dadurch auch finanziell, daher übernehme ich den kompletten Haushalt. In den letzten Wochen ist wieder mehr Arbeit beim Booking entstanden, da doch viele Shows im Herbst in den VVK gingen oder wieder verschoben wurden. Wenn diese Shows alle wirklich stattfinden, wird es im Herbst 2021 einen Show-Overload geben. Klar, jede Band will wieder touren, jeder Club will Dates füllen. Pro Tag verbringe ich mindestens eine Stunde im Freien, damit ich nicht komplett in dem Hamsterrad feststecke.
Robert: Ich stehe drei Mal die Woche um fünf Uhr früh auf, und mache in der Kletterhalle die Bouldermatten und Griffe sauber. Dann habe ich hier im Gewerbepark noch einen Nebenjob als Hausmeister. Ab und an schreibe ich ein Angebot, repariere den einen oder anderen Amp und optimiere das Lager. Ab und an verleihe ich auch mal ein oder zwei Amps, aber es ist kein Vergleich zu vor Corona.
David: Wir erlauben uns gerade eine Pause. Es war ein bisher sehr anstrengendes Jahr, zu viel Arbeit und das alles leider, ohne viel weiter zu kommen. Also kurz mal den Kopf freikriegen, um dann positiv weiterzumachen.
Marc: Das ist ja gerade das Paradoxe, das ich schon vorher erwähnt hatte. Mein Tag ist noch so wie früher, vor Zeitrechnung März 2020. Ich arbeite jeden Tag und plane Konzerte, Releases oder eben Festivals, buche Konzerte auf der ganzen Welt und hoffe, dass irgendwas irgendwann wieder stattfindet. Verlege Konzerte, buche und buche es wieder neu, als ob nichts wäre. Helfe einigen Buchprojekten oder mache Interviews, bin seit April auch engagiert in Musikgruppen. Wir haben uns zusammengeschlossen, um eine Stimme zu haben und mit der Politik ins Gespräch zu kommen. Aber bis dato haben die kein Interesse, für die einen sind wir einfach nicht ihr kapitalistisches Kapital oder einfach zu links als Wähler. Für die anderen keine Angestellten oder Beamten, daher irrelevant. Das habe ich jetzt mal fast im O-Ton vom Verhandlungstisch zitiert. Also erst mal weiter wie immer, sonst gibt es auch nach der Krise keine Einkommen mehr! Dann ist Schluss, spätestens dann wäre es ja vorbei. Also haben wir ja nur die Wahl zu arbeiten, so wie zuvor, um zu hoffen, dass das Lebenswerk wieder anfängt, Früchte zu tragen ... im Sommer 2021? Was für ein Wahnsinn oder?
Ollo: Wir kümmern uns neben der allgemeinen Büroarbeit vor allem um die Verlegung von Shows und die damit verbundenen Aufgaben: Ticketsysteme umstellen, Gutscheinregelung, Härtefallregelungen, Rückabwicklung von Veranstaltungen und Vorverkauf, Pressearbeit, Betreuung von Homepage und Social Media, etc. Dann gibt es natürlich auch viel mit dem Steuerberater und der Bank zu klären, um zum Beispiel Anträge für staatliche Hilfen zu stellen, Abrechnung der Kurzarbeit und den ganzen Kram. Wir haben uns auch relativ lange mit dem Antrag für „Neustart Kultur“ beschäftigt und überlegen, planen natürlich, wie wir unser Konzertjahr 2021 gestalten können.
Sandra: Der ist eigentlich total verrückt. Leider ist es im Booking nicht so, dass ich nun alle Aktivitäten auf Eis legen und mir einen schönen Tag machen kann, bis das Ganze vorbei ist. Das Buchen von Konzerten findet immer mit monatelangem Vorlauf statt. Also buche ich, um die Agentur am Laufen zu halten, Touren mit fraglichem Ausgang. Ich habe seit März 2020 ca. 300 Konzerte abgesagt oder in eine ungewisse Zukunft verlegt und schaufle mir damit wirtschaftlich meinen eigenen Untergang, Monat für Monat ein bisschen mehr. Denn Geld verdienen werde ich erst wieder, wenn ein Konzert tatsächlich stattfindet. Und trotzdem habe ich weiterhin genug Arbeit. Inzwischen musste ich Touren bereits mehrfach verlegen, weil diese von März nach November und dann von November ins Jahr 2022 geschoben werden mussten. Das hat mein Gehirn noch nicht verstanden beziehungsweise verarbeitet.
Tom: Da hat sich eigentlich nicht viel geändert. Ich arbeite zur Zeit vielleicht sogar noch etwas mehr. Durch die zahlreichen Verlegungen packe ich viele Shows ja nicht nur einmal an. Dazu kommen immer wieder Diskussionen zur derzeitigen Lage, ob es zum Beispiel Sinn macht, eine Show im Monat XY zu buchen oder nicht, und so weiter.
Nico: Die übliche Büroarbeit, wenn auch deutlich weniger als in normalen Zeiten, fällt regelmäßig an, wirklich stattfindende, also bestuhlte Events gab es im Sommer auch ein paar, aktuell sind diese leider, wie bekannt, nicht machbar. Ich beschäftige mich mit unzähligen Verlegungen und teilweise auch ambitionierten Neubuchungen für 2021 – die in den VVK gehen, aber wahrscheinlich größtenteils auch wieder geschoben werden. Einige neu angesetzte Tourneen werden aktuell auch für 2022 gebucht, damit kann man zumindest relativ sicher arbeiten.

Ganz direkt gefragt: Wirst du das überleben oder bist du längst zu „Plan B“ übergegangen, wie immer der aussehen mag?
Steffen: Ich werde das überleben, dank der Hilfe meiner Frau, die zur Zeit die Miete und Lebenshaltungskosten komplett übernimmt. Dazu ich habe mir einen 450-Euro-Job besorgt. Bei ganz knappen Monaten komme ich nicht drumherum, eine Amp aus dem Backline-Gewerbe zu verkaufen. Wenn das noch länger dauert, werde ich an meine private Altersvorsorge gehen. Mir bleibt mit 57 auch gar nichts anderes übrig. Hardcore for life!
Robert: Ich habe keinen Plan B. Ich habe nie in meinem Leben was anderes gemacht und wollte nie was anderes tun. Von daher ist Aufgeben keine Option.
David: Ich kann bei dieser Frage nur für mich selber sprechen. Wenn man/frau etwas will – mit viel Kraft geht es immer weiter. Ich kann dazu nur sagen: Das Leben ist eine Achterbahnfahrt und wenn die Kraft nicht ausgeht, dann geht es immer irgendwie!
Marc: Das war und ist unser ganzes Leben. Aufgeben wollen wir nicht so einfach, nicht jetzt! Wie wir da durchkommen, weiß ich selbst nicht, und ob überhaupt, das liegt ja an vielen Faktoren, die wir gar nicht beeinflussen können im Augenblick. Es ist zwar jetzt ein Licht im Tunnel angegangen, aber da wir nicht systemrelevant sind und auch nicht gewollt vom System, können wir doch nur weiterarbeiten und kämpfen und hoffen, das aus eigener Kraft durchzustehen. Das Problem ist aber für die, die es schaffen, damit noch nicht weg, wir werden dann eben keine Altersrücklagen haben, null Rente bekommen. Die Rechnung kommt also zum Schluss sozusagen.
Ollo: Ich habe keinen Plan B und habe mich bisher auch noch nicht wirklich damit befasst. Ich mache meinen Job sehr gerne, auch wenn die Konzertbranche in den letzten Jahren immer mehr zu einer „Konzernbranche“ geworden ist. Aber es gibt immer noch viele Leute, die dort mit Herzblut und Leidenschaft dabei sind. Das sind auch die Menschen/Unternehmen, um die ich mir am meisten Sorgen mache, denn das sind oft nicht die „Big Player“ und dementsprechend finanziell oft nicht so wahnsinnig dick aufgestellt. Ich glaube aber fest daran, dass unsere Firma auch dies überleben wird.
Sandra: So pauschal kann ich das im Moment nicht beantworten. Für mich ist die Deadline Ende 2021. Bis dahin werde ich mich entscheiden müssen, wie es für mich beruflich weitergeht. Bis dahin halte ich hoffentlich finanziell und psychisch durch.
Tom: Um ehrlich zu sein gab es Momente, in denen ich so etwas wie Zukunftsangst verspürt habe. Ich bin Mitte fünfzig und da wird es vermutlich nicht einfach sein, etwas anderes zu finden. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob ich mich noch mal in einen festen Arbeitsalltag integrieren könnte. Das Booking erledige ich von zu Hause. Da kann ich mir die Zeit frei einteilen. Nicht selten sitze ich nachts am Rechner, mit einem Glas Port und noch einem, und oft ist das für mich die schönste Zeit des Tages. Auch bei Cargo ist meine Arbeitszeit glücklicherweise eher flexibel, wobei meine „Kernzeit“ hier natürlich schon innerhalb unserer normalen Bürozeiten zu finden ist.
Nico: Nee, no way. Ende 2021/Anfang 2022 wird das schon alles wieder werden. Ich bleibe am Ball und bin motiviert, da wieder richtig loszulegen. Auch wenn die aktuelle Ruhephase an manchen Tagen nicht immer Spaß macht und man sich dann schon bemühen muss, die Motivation aufrecht zu erhalten.

Hat die Regierung für Menschen wie dich, für Firmen wie deine genug respektive überhaupt etwas getan?
Steffen: In den ersten Monaten sicherlich kaum. Es hat über acht Monate gedauert, bis unsere Regierung erkannt hat, was wirklich alles an dem Unterhaltungsgewerbe hängt. Dass hier die Person, die im Stadttheater an der Garderobe arbeitet, genauso wie der Tourmanager von TERROR keinen Job mehr hat. Diese Situation war vielen Politikern einfach nicht klar. Wie umfassend die Problematik sich hier darstellt.
Robert: Ja, die Regierung hat einiges getan. Soforthilfe, Überbrückungshilfe I + II, November- und Dezemberhilfe, billiger KfW-Kredit. Klar, das ist alles gut gewesen. Leider schwer am Patienten vorbei. Viele professionelle Drumtechs verkaufen nun online Hundefutter, die Hilfen kommen nicht beziehungsweise zu spät an und es geht oft am Ziel vorbei. Für Festangestellte ist Kurzarbeit ein Segen, für Freiberufler wird zu wenig getan. Zum Glück konnte BMW ja Dividenden ausschütten, während die Angestellten in Kurzarbeit waren, die Quandts und Klattens haben ja hart genug geerbt dafür. Auch dass Starbucks jetzt Novemberhilfe bekommt, aber gar keine in Deutschland ansässige Firma ist, ist ein Schlag ins Gesicht für jede:n freiberufliche:n Stagehand oder Tourfahrer:in. Leider wird diese Diskussion nicht öffentlich geführt.
David: Das ist wirklich eine sehr schwierige Frage ... Auf der einen Seite gab es wirklich sehr wenig Hilfe und ohne jahrelange Ersparnisse wären wir tatsächlich jetzt pleite, aber jede Hilfe zählt und hilft trotzdem ...
Marc: Ich sage jetzt mal: Nein, nix! Natürlich haben wir auch Gelder bekommen, um bei den großen Lobbyisten, bei Freunden der Regierung Einnahmeeinbußen zu verhindern und das Geld durchzureichen für Strom, Banken, Versicherungen und so weiter. Aber ansonsten wurde ja nicht mal ein Kugelschreiber oder Toilettenpapier als Kosten bewilligt. Nur diese Durchlaufposten für „Die großen 5“. Und ja, ich bin auch dafür dankbar, obwohl es am Ende auch alles wieder versteuert wird und so doch wieder Kosten da sind. Sollte man nicht falsch verstehen an der Stelle. Ich wollte es aber auch nur mal ins richtige Licht rücken. Denn anstatt wie immer denen das Geld direkt zu überweisen, gibt es eben diesen netten Umweg und so scheint alles gut für alle. Ist es aber eben nicht! Eine Soloselbständige oder Firma hat eben viel mehr monatliche Kosten und muss Steuern, Löhne, GEZ, GEMA, Krankenversicherung bezahlen. Die meisten Programme, die sie mit der Bazooka verteilen wollten, kommen gar nicht an und sind für Clubs wie Veranstalter unmöglich erreichbar, für uns so oder so nicht. Da werden jetzt Mittel freigegeben, damit Toiletten neu gebaut werden und Belüftungsanlagen, schön, aber eben nicht für alle, wieder nur für einige. Wem hilft das noch in Zeiten, in denen einige am Ende sind?
Ollo: Pauschal lässt sich das schwer beantworten. Für Soloselbstständige, Künstler, Techniker etc. hat die Regierung definitiv viel zu wenig getan. Vor allem wenn man bedenkt, dass unsere komplette Branche unverschuldet in diese Krise geraten ist und zum Allgemeinwohl auf die Ausübung ihres Berufes und damit der Möglichkeit, eigenes Geld zu verdienen, verzichten muss. Ich denke. die Live-Branche hatte bisher einfach keine gute Lobby und die Bedeutung dieses gigantischen Wirtschaftszweigs wurde schlichtweg unterschätzt.
Sandra: Hahahaha. Diese Frage ist gut. Hat sie natürlich nicht. Null. Das macht mich so wütend, wie unsere Regierung generell mit dem Selbstständigen umgeht. Sie baten uns anfangs, aus Solidarität nicht zu arbeiten, und sie gaben uns einen Arschtritt als Gegenleistung. Traurig für Deutschland und im Vergleich zu anderen Ländern eine Farce. Die fehlende Wertschätzung der Selbstständigen, die wiederholt falschen Versprechen der Politiker hinsichtlich finanzieller Hilfen und die völlig ausufernden Bürokratiehürden, und nicht zuletzt die nun wegen Subventionsbetrugs angeklagten Freiberufler, die den Staat mit dem „Abkassieren“ der Soforthilfe betrogen hätten, das ist einfach alles nicht mehr zu fassen.
Tom: Zunächst einmal bin ich froh, dass ich den Job bei Cargo noch habe. Es gibt so viele da draußen, die haben das nicht, denen wurde einfach mal die komplette Existenzgrundlage genommen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Regierung für diejenigen genug getan hat. Ganz und gar nicht. Was mich betrifft, stell mir die Frage doch vielleicht noch mal in sechs Monaten oder einem Jahr. Dann weiß ich vielleicht, ob und welchen Ausgleich ich vom Staat für die weggebrochenen Einnahmen aus dem Booking bekommen habe.
Nico: Ich kann in dieser Sache nur für meine Firma sprechen, nicht für eine gesamte Branche beziehungsweise die Soloselbstständigen, bei denen ja lange einiges im Argen lag bezüglich der Hilfszahlungen. Sollte die versprochene Umsatz-Erstattung für den November und Dezember– ohne weitere X-Faktoren und Abstriche – kommen, wie von Herrn Scholz angekündigt, wäre das für alle beteiligten Unternehmen sicher eine sehr lukrative und großzügige Lösung. Nun muss man diese Sonderhilfe aber auch runterrechnen auf 15 bis 16 Monate Berufsverbot oder zumindest eine Berufsausübung mit massiven Einschränkungen. In allen anderen Monaten gab es von der Regierung eine Betriebskostenerstattung. An sich ja erst mal auch in Ordnung – nur müssen alle Berufstätigen natürlich auch Geld über ihre Betriebskosten hinaus verdienen, um ihr privates Leben zu finanzieren. Ich hörte von einigen Kollegen, die ihre geplante Altersvorsorge für den täglichen Bedarf ausgeben müssen, weil sie eben zur Zeit kein Geld verdienen können. Das kann man natürlich nicht ewig so machen. Anfangs war klar zu sehen, dass unsere Branche – weil in viele kleine Teile zersplittert und nicht organisiert – im Gegensatz zu vielen anderen Branchen gleicher Größe keine wirkliche Lobby hatte, meiner Wahrnehmung nach hat sich das zum Ende des Jahres aber sehr stark geändert. Presse sowie Politiker haben vermehrt von der Kulturbranche geredet, allerorten wurde darauf hingewiesen, dass die Zustände in der Kulturszene durch die Schließungen absolut existenzbedrohend sind. Die großzügigen November/Dezember-Umsatzerstattungen sehe ich auch als Ergebnis dieser Wahrnehmung. Die Initiative „Alarmstufe Rot“ mit ihren Demonstrationen sowie die Unterstützung zahlreicher Prominenter wird in dieser Sache sehr geholfen haben. Logisch ist auch, je länger die Schließung andauert, desto mehr Aufmerksamkeit und Interesse wurde geweckt. Ich würde liebend gerne mein Geld selber verdienen, anstatt Hilfen vom Staat anzunehmen, die ich auch in den zwanzig Jahren vor der Krise weder für meinen Betrieb noch privat gebraucht habe. Das Ganze funktioniert gut, wenn man denn machen darf. Da es hier allerdings um ein Berufsverbot geht, damit der Rest der Gesellschaft geschützt wird, finde ich es in dieser Sache auch völlig okay, dass ordentliche Finanzhilfen an den Start gebracht werden. Jahrzehntelang wurden ja auch sämtliche Steuern dankend angenommen. Auf der anderen Seite hat man als Selbstständiger immer auch gewisse Risiken allein zu tragen, sollten Aufträge ausbleiben. Diesen Punkt sollte man nicht vergessen, auch wenn es aktuell in den meisten Bereichen daran liegt, dass alles von staatlicher Seite untersagt wird. Dennoch muss man klar feststellen, dass die deutschen Hilfen im weltweiten Vergleich sehr weit vorne liegen. Beruhigend zu sehen, dass das wirtschaftlich so machbar ist. Olaf und Peter sind das Tag-Team 2020.

Und wie sieht deine Prognose, dein Plan für 2021 aus?
Steffen: Weitermachen, Shows buchen, Termine umstellen. Auf keinen Fall aufgeben. Die Hoffnung liegt jetzt bei der Impfung, dass wir dadurch wieder so arbeiten dürfen wie vor Corona.
Robert: Meine Kristallkugel sagt, dass erst nach dem Sommer wieder ein normaler Betrieb möglich sein wird. Hey, im Herbst wird gewählt, da sollte alles wieder auf Grün stehen, oder? Bis dahin wird auch noch nichts von der Pleitewelle zu spüren sein. Der Einbruch kommt erst im Normalbetrieb, wenn die Firmen zu den laufenden Kosten auch die Schulden aus der Corona-Zeit bedienen müssen. Mein Plan ist daher, möglichst wenig laufende Kosten zu haben und zu versuchen, einfach nach der Seuche wieder einen guten Job zu machen.
David: Leider noch sehr schwer zu sagen. Ich habe noch Hoffnung, dass es ab dem Sommer wieder losgehen könnte, aber es ist leider noch zu früh, etwas zu sagen. Wir können nur abwarten, die Hoffnung bleibt.
Marc: Da kann ich nur in die Glaskugel schauen und sagen, ab Mai wird alles besser und im Herbst sind wir wieder auf dem Weg zurück, wie sagt man immer, „zur Normalität“?
Ollo: Ich hoffe, dass es ab dem Frühjahr kleinere Indoor-Shows und im Sommer wieder Open-Airs mit mehr als tausend Zuschauern geben wird, aber unter welchen Auflagen und zu welchen Rahmenbedingungen, das wird sich zeigen. Vieles wird sicher davon abhängen, wie sich die Impfquote, die Krankheitsverläufe und die Mortalitätsrate entwickeln werden. Hoffentlich wird uns der Herbst 2021 wieder ein gutes Stück näher an die „Normalität“ bringen.
Sandra: Ganz ehrlich, ich habe keinen Plan für 2021. Die Touren werden weiterhin Monat für Monat in irgendeine Zukunft geschoben. Und ich glaube, 2021 wird, genau wie 2020, ein beschissenes Jahr, zumindest beruflich gesehen. Ich arbeite hauptsächlich mit internationalen Bands zusammen, die europaweit touren. Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, dass eine amerikanische Band innerhalb von drei Wochen durch neun europäische Länder tourt. Veranstalter, Clubbesitzer, Bands und ich, wir sind oft in Kontakt und versuchen, positiv in die Zukunft zu schauen. Aber ich als alte Pessimistin, ich freue mich nicht zu früh, dann kann es am Ende nicht so schlimm werden.
Tom: Ich habe so gut wie alle Touren in den Herbst geschoben. Aber, ganz ehrlich, ich glaube kaum, dass im Herbst schon wieder Konzerte stattfinden werden, so wie wir sie kannten. Ich weiß nur, dass ich für Bands wie den CLOWNS oder den CASUALTIES keine Shows buchen möchte, bei denen das Publikum an Tischen sitzt.
Nico: Es sind einige bestuhlte Shows von 2020 nachzuholen, sobald der Komplett-Lockdown wieder aufgehoben wird. Ich hoffe sehr stark, dass ab Sommer 2021 weitere Lockerungen im Veranstaltungsbereich folgen und man eventuell ab Herbst/Winter 2021 wieder mit Stehplatz-Shows arbeiten kann. Sollte der Impfstoff Mitte 2021 wirklich – wie mehrfach von Jens Spahn angesagt – für alle verfügbar sein, wird sich einiges ändern. Sobald jeder Bundesbürger und jede Bundesbürgerin die Möglichkeit hat, Interesse vorausgesetzt, zeitnah einen Termin zur Impfung zu erhalten, müsste man eigentlich kurz danach den absoluten Großteil der Einschränkungen aufheben. Das öffentliche Leben weiter stark einzuschränken, weil Einzelne keine Lust auf eine Impfung haben, darf nicht der Weg sein. Aber man weiß nie, was in dieser Sache noch Neues passiert – es bleibt auf jeden Fall spannend.

Wird es ein Club- und Festivalsterben geben?
Steffen: Schwer zu sagen. So wie es gerade aussieht, werden die meisten Clubs überleben, wenn wir 2021 loslegen dürfen. Festivals werden sich von selbst regulieren, der Kunde wird wohl noch genauer hinschauen, zu welchen er geht. Hier sehe ich sehr gute Chancen für Festivals, die sich mit ihrem Programm und ihrer Durchführung aus der Masse abheben. Weg von den anonymen Massenveranstaltungen.
Robert: Sicher. Welcher Club kann denn zur Zeit die monatliche Miete stemmen? Nur durch Verschuldung geht das, sonst nicht. Und jede:r Vermieter:in freut sich, wenn er einen neuen Pachtvertrag mit neuer, höherer Pacht abschließen kann.
David: Nochmals: Wir können nur abwarten, die Hoffnung bleibt.
Marc: Ja, natürlich, es hat aber längst angefangen. Es sind schon einige weg und teilweise ist das auch so gewollt. Ende April haben doch einige bekannte Politiker immer wieder gesagt, dass sie notfalls die Kultur über die Klinge springen lassen.
Ollo: Die Clubs hatten es ja schon vorher echt schwer. Ich schätze mit den Bundeshilfen alleine wird es echt hart. Die Städte und Kommunen erkennen hoffentlich, welche (sub-)kulturelle Bedeutung diese Läden haben und unterstützen diese Einrichtungen. Bei all dem Mist, der gerade passiert, freue ich mich aber auch über jede gute „DIY-Marketing-Idee“, die den Betroffenen eine Finanzspritze verschafft. Man wird kreativ und verlässt sich nicht ausschließlich auf die Obrigkeit. Vielleicht ergeben sich so ja auch neue Konzepte, die sich über diese Krise hinaus etablieren werden. Festivals gibt es doch echt sehr viele und einige hatten es schon vor der Pandemie nicht leicht, Gagen und Produktionskosten zu finanzieren, vielleicht auch weil eine Sättigung des Markts erreicht war. Aber Kulturveranstaltungen und -einrichtungen sollten definitiv nicht aufgrund dieser Krise den Betrieb einstellen müssen.
Sandra: Das hat leider schon begonnen. Am schlimmsten für mich persönlich ist die Schließung des Mondo Bizarro in Rennes, Frankreich. Einer der coolsten Rock’n’Roll Clubs, die ich kennen lernen durfte. Dort hat einfach alles gestimmt. Ein Punkrock-Paradies. Auch in München sind einige Clubs für immer geschlossen. Auch aus dem Pits in Kortrijk, das so genannte CBGB von Belgien, hört man nichts Gutes. Ich bin nicht mit jedem Club vernetzt oder bekomme alles mit, aber das sind bereits Verluste, die die Punkrock-Kultur nun verschmerzen muss. Mich macht das alles sehr traurig.
Tom: Ich hoffe nicht. Mehr kann ich dazu auch gar nicht sagen. Jetzt gerade, in diesem Moment, in dem ich hier sitze, nachdem ich die Fragen beantwortet habe, merke ich auch, dass mich schon wieder so ein komisches Gefühl beschleicht. Wieder so eine Art Zukunftsangst, weil wir einfach nicht wissen, wo die Reise hingeht. Ich wünsche mir so sehr, dass alles so wird wie vor Corona.
Nico: Bisher ist mir da nichts Signifikantes zu Ohren gekommen, ich hoffe, dass alle Kollegen auch noch die letzten Monate weiter durchhalten.

Deine Prognose: Wie werden Konzerte ab Herbst 2021 aussehen, ablaufen, sich anfühlen?
Steffen: Für mich privat so wie vorher oder gar nicht. Eine Punk/Hardcore-Show mit Abstand kann ich mir kaum vorstellen, von dem Kontakt zwischen Band und Publikum lebt doch das, was wir machen. Anfühlen wird es sich für mich, wie wenn du aus einem endlosen Traum aufwachst, der dich über Monate in Watte gepackt hat, und endlich deinen ganzen aufgestauten Emotionen wieder freien Lauf lassen kannst.
Robert: Ich frage mich, wie ein normaler kleiner Club ein Konzert veranstalten will. Pogo geht nun mal nur ohne Maske, also muss das Publikum wohl immun oder geimpft sein ... aber wie wird das getestet? Wie überprüft? Mich gruselt, dass Qantas plant, nur Geimpfte fliegen zu lassen, oder dass Israel darüber nachdenkt, einen so genannten „Grünen Pass“ auszugeben, mit dem die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen wieder möglich sein soll. Und dann die Pläne von Ticketmaster, die Karten nur an Geimpfte zu verkaufen ... Ich frage mich, wie die Gesellschaft sich entwickelt ... Geimpfte versus Ungeimpfte?
David: Ich hoffe, dass Open-Air-Konzerte ab dem Sommer 2021 stattfinden werden, aber es wird bestimmt besondere Bedingungen geben, zum Beispiel reduzierte Kapazitäten ... Wir freuen uns sehr, wenn alles wieder, hoffentlich bald, zu einer Art Normalität zurückkommt.
Marc: Kann ich nicht sagen, aber ich hoffe, wir sind dann wieder an einem Punkt wie 2019 angekommen.
Ollo: Ich denke die Kontaktdatenerfassung wird uns noch eine ganze Weile begleiten, ansonsten hoffe ich darauf, dass die Abstandsregelung im Sommer nach und nach gelockert werden kann. Das wird alles noch etwas Zeit brauchen, bis es wieder „back to normal“ ist, aber irgendwann wird der Spuk auch wieder vorbei sein.
Sandra: Ich wünsche mir, dass zumindest im Sommer einige Festivals und Outdoor-Konzerte stattfinden können. Eine Rückkehr zu dem normalen Wahnsinn eines Punkrock-Konzerts oder eben Europatouren internationaler Bands mit unbeschränkt offenen Grenzen in Europa, daran glaube ich erst mal nicht. Ich hoffe trotzdem, dass ich mich irre!
Tom: Keine Ahnung. Sollte ich aber irgendwann in einem ausverkauften Sonic Ballroom stehen, in denen das Publikum ekstatisch durch die Gegend fliegt und sich später verschwitzt und glücklich in den Armen liegt, dann werde ich vermutlich Tränen in den Augen haben. Und das nicht, weil ich traurig bin.
Nico: Ich hoffe zumindest, dass wir wieder im Stehplatz-Bereich ohne feste Sitzplätze und Abstände agieren können. Notfalls mit eingeschränkter und geringerer Kapazität in den Clubs, wenn nicht anders machbar.

Was denkst du, was werden die konkreten Folgen für das Live-Geschäft sein? Massiv steigende Preise wegen der Sicherheitskonzepte, wegen teurerer Flüge? Noch mehr Wettbewerbsdruck, weil weniger Spielorte und großer Andrang von Bands? Verdrängung kleiner Anbieter durch internationale Konzerne?
Steffen: Hier lässt sich gerade nur viel mutmaßen, wahrscheinlich von allem etwas. Nur darf es nicht passieren, dass unter dem Corona-Deckmantel Punkte durchgedrückt werden, die vorher undenkbar gewesen sind. Sollten wirklich die Ticketpreise angehoben werden müssen, bedarf es einer Transparenz gegenüber dem Kunden, um ihm darzustellen, was denn für diese Extrakosten geleistet wird. Im Augenblick sitzen zum ersten Mal die Global-Player unseres Gewerbes an einem Tisch, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen und die auch bei unserer Regierung vorzubringen. Mal sehen, ob das auch nach Corona noch Bestand hat. Wenn wir 2021 noch keine Band-Flut haben, wird das spätestens 2022 passieren. Da wollen alle touren und wieder Geld verdienen. Was auch gerade passiert, ist, dass die wirklich großen Agenturen auf Einkaufstour gehen und kleinere kaufen, um ihren eigenen Marktwert noch zu steigern.
Robert: Ich habe bereits von Angeboten gehört, wo der Tagessatz für einen Veranstaltungstechniker-Meister 50% unter dem üblichen Preis liegt. Auch glaube ich, dass viele, auch von der Verzweiflung getrieben, Arbeit und Material zum Discountpreis anbieten werden. Gleichzeitig werden zahllose Bands die Bühnen stürmen. Ich fürchte jedoch, dass die Kalkulationen nicht mehr passen werden. Eine Band, die auf einen Montag sonst 500 Leute zieht, wird, wenn in der selben Woche noch drei Bands des gleichen Genres spielen, sicher nicht auf die gewohnte Zahl an Leuten kommen. Und das Publikum hat, auch vor dem Hintergrund der Kurzarbeit etc., sicher nicht mehr Geld in der Tasche. Und dann funktioniert auch der Merchverkauf nicht mehr wie geplant. Irgendwo platzt dann der Knoten, und es können nicht alle bezahlt werden ... und so fällt der nächste Dominostein. Auf der anderen Seite denke ich, dass das erste Konzert ... hach, ein Konzert ... da war doch mal was ...
Marc: Es werden mehr Regeln kommen, mehr Gesetze, keiner macht mehr, was er will. Freiheit ist kein zentraler Wert mehr, meinst du? Es ist doch seit Jahren kein Geheimnis, dass wir mit der Infrastruktur, die wir hier gerade in Deutschland über Jahrzehnte aufgebaut haben, mit freien Clubs oder Trägern aus der Subkultur, ein Dorn im Auge sind und bis dato die Kaufangebote oder Übernahmen von den Clubs noch abgewendet wurden, teils durch gute Wirtschaftlichkeit oder die Philosophie dahinter. Aber Zeiten, Perspektiven haben sich geändert und die jetzige Situation bringt ganz andere Fakten und Tatsachen ans Licht. Da wird am Ende abzuwarten sein, wer wirtschaftlich so gut durchkommen kann, um das abzulehnen. Die Preise steigen seit Jahren für die Branche unverhältnismäßig stark, alleine die neue CO2-Steuer auf Benzin, Diesel und Heizöl bedeutet doch jetzt schon für eine:n Veranstalter:in, für Bands und Touren 2021 mehr Kosten oder gar Verluste. Dadurch steigen in den Hallen die Heizkosten sowie die Transportkosten vom Van bis zum Pkw. Flugzeuge zahlen keine Kerosin-Steuer und auch nicht die neue CO2-Steuer – nur mal am Rande, aber denen wird auch wieder was einfallen. Einige Festivals haben auch schon pauschal zu 20% die Gagen gekürzt für 2021. Das ist gerade bitter für solche Bands, die hart touren. Einige Veranstalter geben ihr Risiko einfach an die Bands weiter. Für jeden Auftrittsort oder Festival, das verschwindet, wird ein neues kommen. Das ist nicht das Problem, war es nie. Das Problem ist doch, dass Architekten gehen, Idealisten und Philosophien. Diese Authentizität ist unübertragbar. Sie haftet einer Situation, einer Erfahrung, einer Handlung an, einem Lebenswerk. Da verändert sich immer viel, sieht man doch auch an dem musikalischen Angebot, oder glaubt irgendjemand wirklich, da geht es um Nachfrage und Angebot?!
Ollo: Ich gehe davon aus, dass die erhöhten Auflagen auch die Preise steigen lassen. Die ersten zwei Jahre wird es auch eine Flut von Konzertterminen und Veröffentlichungen geben und das wird auch keine einfache Zeit werden. Ich befürchte, dass es einfach zu viele Shows sein werden. Nicht wenige davon werden defizitär sein, das müssen die Clubs, Veranstalter und Bands dann auch noch einkalkulieren und verkraften. Wie schon erwähnt, haben Konzerne in den letzten Jahren einen immer größeren Einfluss auf das Marktgeschehen genommen und die Pandemie wird diese Entwicklung leider vorantreiben. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es auch weiterhin Künstler geben wird, denen „Independent-Strukturen“ und freundschaftliches Miteinander mehr bedeuten als die Aussicht auf den vermeintlich schnellen Erfolg.
Sandra: Puh. Ich versuche gar nicht, so gezielt vorauszudenken. Das macht tatsächlich nicht viel Lust auf die Zukunft. Unsere Punkrock-Community ist, meines Erachtens, in den letzten zehn, fünfzehn Jahren extrem geschrumpft. Dank Gentrifizierung in den Großstädten hat Deutschland bereits viele geschichtsträchtige Rock’n’Roll-Locations verloren. Alles Dinge, die bereits vor 2020 passiert sind. Und jetzt, seit März, sieht es alles sowieso nicht mehr gut aus. Es wird sicherlich in Zukunft nicht einfach, als kleine Band „größer“ rauszukommen, wenn es kaum Möglichkeiten gibt, auf einer Bühne zu stehen, sei es wegen fehlendem Publikum, fehlender Clubs, zu teurer Einreisebestimmungen. Ich glaube, im Moment sind wir alle noch hoffnungsvoll, dass sich die Dinge zum Guten wenden in diesem Jahr. Aber ich denke auch, dass die Geduld und das Geld vieler am Ende sein werden, wenn sich Mitte 2021 herausstellt, dass es auch im nächsten Jahr keine Hoffnung auf normale Live-Konzerte geben wird. Dann werden die internationalen Musikkonzerne sicherlich übernehmen und die kleinen unabhängigen Läden schließen.
Tom: Keine Ahnung. Nimm es mir nicht übel, aber ich mag jetzt auch nicht mehr darüber nachdenken. Ich komme irgendwie komisch drauf.
Nico: Wie jedes Jahr werden die Eintrittspreise sicher etwas steigen, da auch die örtlichen Kosten nicht geringer werden. Da aber nach der Krise alle Künstler touren wollen und auch Venues/Veranstalter/Booker lange Zeit kein wirkliches Geld verdient haben, sehe ich die Gagen in etwa auf selbem Niveau wie vor der Krise. Im ersten Jahr wird es einen Run auf die freien Termine geben, 2022 ist jetzt schon in vielen Venues sehr gut gebucht. Zu der Zeit werden sehr viele Acts gleichzeitig touren. Man kann nur hoffen, dass die Besucher aufgrund des „Entzugs“ das Überangebot mitnehmen und zahlreich erscheinen werden. Spezielle Corona-Sicherheitskonzepte sollten sich nach einer flächendeckenden Impfung hoffentlich ab 2022 völlig erledigt haben.

Sonst noch was?
Marc: Haltet wieder mehr zusammen und versucht, zu helfen und zu verstehen, und lasst euch nicht davon vereinnahmen, euch von Missgunst, Vorurteilen, Intoleranz, Verblendung, Zweifel, Bedenken, Vorsicht, Skepsis oder Misstrauen leiten zu lassen. Denkt einfach nach für euch selbst. Und hoffen wir auf ein schnelles und gutes Ende.
Ollo: Bleibt gesund und macht weiter!
Sandra: Ich wünsche euch allen ein froheres und besseres neues Jahr. Und dem Ox alles Gute und Durchhaltevermögen in dieser seltsamen Zeit. Rock’n’Roll forever, bitte sehr!
Nico: Josef Matula bleibt unvergessen.