LUMPEN

Foto© by Band

Gemeinsam sind wir stark

Seit den späten Neunzigern schon sind LUMPEN aus Cosenza in Kalabrien (ganz unten im italienischen Stiefel) aktiv, ihr Name ist eine ironische Anspielung auf den von Marx eingeführten Begriff des Lumpenproletariats. Das Trio ballert auch auf seinem dritten Album „We Will Stand Together“ hymnische Skinhead-Hymnen raus, durchaus in der Nachbarschaft von LOS FASTIDIOS (auf deren KOB-Label sie veröffentlichen) und KLASSE KRIMINALE. Silverio Tucci beantwortete meine Fragen.

Da dies das erste Interview mit euch im Ox ist, könnt ihr uns bitte einen Überblick über die Geschichte eurer Band geben? Wer hat sie gegründet, wer war und ist in der Band und was war die musikalische Idee damals?

Die Band wurde 1999 von einer Gruppe von Freunden gegründet, die etwas Lärm machen und unter diesem Vorwand um die Welt reisen wollten. Anfangs bestand die Band aus Alessandro am Mikro, Alessandro Arancino am Bass, Valerio am Schlagzeug und mir, Silverio, an der Gitarre; die ersten beiden wurden später durch Francesco und Mattia ersetzt. In den folgenden Jahren gab es einige Besetzungswechsel und die Band ist jetzt ein Powertrio: Silverio, Gesang/Gitarre, Mattia, Bass, und Mario am Schlagzeug. Im Grunde wollten wir schon immer Oi! spielen, aber unsere Musik wurde natürlich von vielen Sachen beeinflusst, die wir hören.

Ich erkenne zwar einige musikalische Einflüsse, aber ich denke automatisch an englische Streetpunk/Oi!-Bands. Gibt es italienische Bands, die euch beeinflusst haben, von denen Leute aus Deutschland vielleicht noch nie gehört haben?
Wir wurden auf jeden Fall von der italienischen Band LOS FASTIDIOS geprägt, wo ich auch vier Jahre lang Gitarre gespielt habe. Was viele andere italienische Bands angeht, ist es eher richtig, dass wir zusammen aufgewachsen sind, als dass wir von ihnen beeinflusst wurden. Wir haben mit Bands wie YOUNG GANG und LA BANDA DEL RIONE angefangen. Wir haben diesen Sound „geatmet“.

Und was sind generell eure Vorbilder, vielleicht außerhalb des Punk? Ihr covert zum Beispiel „Que sera, sera“ – warum gerade diesen Song?
Wir lieben Bands wie SLADE, DR. FEELGOOD, T. REX, THE HOUSEMARTINS, SUPERTRAMP, THE PROCLAIMERS, aber auch Soul, Motown, Ska und Rocksteady. Wir haben „Que sera, sera“ gecovert, weil dieses Lied seit jeher von den Anhängern der Fußballmannschaft unserer Stadt, Cosenza Calcio, als Stadiongesang verwendet wird.

Ihr stammt aus dem Umfeld des sozialen Zentrums und Squats Gramna. Wie wichtig sind solche kreativen Räume und gibt es dieses Zentrum noch?
Leider existiert Gramna nicht mehr, aber im Laufe der Jahre sind viele andere Räume entstanden. Wir unterstützen diese Initiativen weiterhin, die Verbindung zwischen Oi! und Freiräumen bleibt wichtig.

Wie sieht die Skinhead/Punk-Szene in Cosenza aktuell aus? Gibt es Nachwuchs oder ist es heute eine männlich dominierte Bewegung Dreißig- bis Vierzigjähriger, so wie überall ...?
Wir waren und sind immer noch die gleiche Gruppe von Leuten. Cosenza ist eine ziemlich kleine Stadt und jeder kennt hier jeden. Das Beste daran ist, dass die Hardcore-, Metal-, Punk- und HipHop-Szene eine starke Einheit bilden, wir unternehmen viel gemeinsam.

Ihr seid eine eindeutig antifaschistische Band. Bei den letzten Wahlen sind die rechten Parteien in Italien wieder stärker geworden. Was denkst du, warum wählen selbst „einfache“ Arbeiter lieber die rechten Politiker als die linken? Hier in Deutschland ist es übrigens genauso.
Das liegt daran, dass sich die Linke von den Menschen entfernt hat, weg von den Problemen, mit denen die Menschen alltäglich konfrontiert sind. Politischen Konsens findet man an den Arbeitsplätzen, in den Fabriken, auf der Straße und nicht in irgendwelchen Lounges, in denen „radical chic“ nur zelebriert wird.

Euer Name ist, soweit ich weiß, von dem deutschen Wort „Lumpenproletariat“ abgeleitet. Warum habt ihr ihn gewählt?
Es war die Idee von Alessandro Arancino. Ich glaube, er hat zu der Zeit Marx studiert. Es ist ein cooler Name, „Lumpen“ klingt ziemlich punkig.

Darf ich fragen, was ihr drei beruflich macht?
Mattia und ich haben einen klassischen Spaghettifresser-Job, wir sind Köche. Mario unterrichtet Schlagzeug.

Ihr kommt aus Cosenza in Kalabrien, und wenn die Leute in Deutschland Kalabrien hören, denken sie sofort an die ’Ndrangheta – vor allem in unserer Region, wo sich die Leute noch an die Duisburger Morde von 2007 erinnern, die von ’Ndrangheta-Mitgliedern begangen wurden. Wie präsent ist die Mafia und ihre Aktivitäten in deiner Heimatstadt, beeinflusst sie das Leben der Menschen?
Leider passiert das immer wieder und wir wissen, wie das in Deutschland auf euch wirkt. Es ist vergleichbar damit, dass jeder, wenn es um Deutschland geht, zuerst an Hitler und die Nazis denkt. Es gibt hier in Cosenza nicht mehr und nicht weniger Kriminelle als in jeder anderen Stadt Europas. Auch wenn es immer noch eine weit verbreitete Vorstellung ist, dass wir hier auf Maultieren reiten, Coppola-Hüte tragen und Gewehre auf der Schulter. Touristen wären sicher ziemlich enttäuscht, wenn sie unsere Städte besuchen und so was nicht zu sehen bekommen. Cosenza zum Beispiel hat eine Universität mit über 50.000 Studenten, eine beachtlichen Kultur- und Musikszene und ist eine integrative, antifaschistische und antirassistische Stadt. Ich will damit nicht sagen, dass es keine ’Ndrangheta- oder Verbrecherclans gibt, aber es sind viel weniger, als du dir vielleicht vorstellst. Außerdem macht die Mafia ihre Geschäfte dort, wo es Geld zu verdienen gibt, und wir sind eine der ärmsten Regionen Europas!