MEATBOT

Foto© by Evan Cohen

Punk-Cyborgs

Das Trio aus Maryland hat mit seinen beiden bisher veröffentlichten EPs nachdrücklich unter Beweis gestellt, dass auch Oldschool-Punk made in America nach wie vor spannend und facettenreich sein kann. Im Gespräch geht es neben den Möglichkeiten von DIY und der Szene in Maryland auch um die Auswirkungen der Corona-Pandemie. MEATBOT sind Bruce Taylor (dr, voc), Rob Nelson (bs) und Will Fitzhugh (gt, voc).

Ihr habt vorher in zahlreichen anderen Bands gespielt wie VISIGOTHS, BEEFEATER oder HATE FROM IGNORANCE, die die meisten Leser*innen sie nicht (mehr) kennen werden. Könnt ihr kurz dazu etwas sagen?

Will: VISIGOTHS waren die erste Band, in der ich von 1988 bis1990 mit Bruce spielte. Ich lernte ihn durch eine Anzeige in der Lokalzeitung kennen. Ich wusste nicht, was ich tat, aber Bruce war schon in mehreren Bands gewesen. Er spielte auf der ersten LP von BEEFEATER, „Plays For Lovers“, die ein unterschätzter Klassiker ist. VISIGOTHS veröffentlichten 1989 eine Vinyl-EP und spielten eine Reihe von Shows in Washington, DC. Wir trennten uns aber, nachdem unser Sänger nach Seattle zog. Wir spielten eine Art Punk/Metal. 2014 veröffentlichten wir eine CD mit sämtlichen von uns aufgenommenen Songs.
Bruce: 1982 war ich bei HATE FROM IGNORANCE, die politischen Punkrock spielten und als Vorgruppe von MINOR THREAT auftraten. Unsere erste Sängerin war Monica Richards, die später mit MADHOUSE, STRANGE BOUTIQUE und FAITH & THE MUSE auftrat. Wir waren 1982 auf dem Sampler „Mixed Nuts Don’t Crack“ vertreten und waren Opener für MARGINAL MAN, FAITH, CRUCIFIX und RITES OF SPRING. Von 1983 bis ’85 war ich dann bei BEEFEATER, die eine Mischung aus Punk, Funk und Metal machten und die LP „Plays For Lovers“ auf Dischord veröffentlichten. Wir spielten unter anderem mit BAD BRAINS und tourten 1985 an der US-Ostküste. Nach den VISIGOTHS war ich bei THUD, die Doom/Metal spielten und 1990 als Opener mit NIRVANA auftraten. Daneben war ich noch in einem Haufen anderer Bands.
Rob: Ich spielte in einer Reihe von Punk- und Noise-Bands, die es Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger Jahre nie wirklich aus dem Keller herausschafften. Im Jahr 2001 gründete ich mit einigen Freunden TWO IF BY SEA, die eher eine Art melodischen Dance-Punk mit Synthesizer machten, was für mich musikalisch ein Aha-Erlebnis war. Es war interessant, sich eher darum zu bemühen, das Publikum zu unterhalten, als es einfach nur zu verärgern.

Was war der Grund für die Gründung von MEATBOT?
Bruce: 2014 begann ich, mit Will und dem früheren VISIGOTHS-Bassisten Phil neue Stücke zu schreiben. Als Phil starb, spielten wir als Zwei-Mann-Band weiter, bis 2018 Rob dazukam. 2019 veröffentlichten wir unsere erste selbstbetitelte EP und dieses Jahr erschien die „Live At Fort Reno“-EP. Es ist für mich das Beste überhaupt, mit diesen Jungs zu jammen.
Rob: Nachdem ich etwa fünf Jahre lang gar keine Musik gemacht hatte, habe ich in einer DIY-Musik-Facebook-Gruppe in Washington, DC gepostet, dass ich ein wenig kompetenter Bassist sei, der eine lärmige Punkband gründen oder einer solchen beitreten möchte. Da ich mich mit Mitte vierzig hier in einer deutlich jüngeren Szene bewegte, hatte ich nicht viel Hoffnung auf eine Antwort, aber Will schickte mir eine Nachricht mit einem Foto von ihm und Bruce. Als ich das erste Mal bei ihnen auftauchte und bemerkte, dass ich mit meinen 45 Jahren der Jüngste von uns war, und als ich dann noch ihre Demos hörte, war mir schnell klar, dass das gut passen würde.
Will: Wir hatten viel Spaß dabei, mit Phil ein paar der alten Lieder zu spielen, hauptsächlich als Therapie für ihn. Als Phil dann starb, probten Bruce und ich weiterhin regelmäßig. Wir dachten zwar darüber nach, auch unsere alten Sachen zu spielen, aber ich wollte etwas Neues machen, und als ich erst mal angefangen hatte, sprudelten die Songs einfach so aus mir raus. Wir überlegten kurz, uns eine Sängerin zu suchen, aber dann fing ich selbst an zu singen. Das war schwer, aber ich bin schließlich damit klargekommen.

Was bedeutet der Name und was bedeutet er für euch?
Will: Für mich steht „Meatbot“ für eine Kombination aus biologischen und mechanischen Komponenten in einem einzigen Organismus. Er spiegelt unsere heutige Gesellschaft wider, in der Computer, Telefone und andere Geräte sowie künstliche Gelenke und Organe unsere physischen Körper ergänzen.
Bruce: MEATBOT sind hier, um politische Ansichten und Kreativität auszudrücken. Musiker sind am gesündesten, wenn sie kreativ sein und auftreten können. Für mich ist der Begriff „Meatbot“ ein Synonym für Cyborg.

Warum spielt ihr Songs im Stil des frühen US-Punkrock? Ist das noch zeitgemäß oder einfach der Soundtrack eurer Jugend?
Rob: Mir gefällt, dass man uns leicht als politische Punkrock-Band identifizieren kann, aber die Songs auch ein rauheres, lauteres und chaotischeres Element haben. Es ist nicht bloß „rasend schneller Hardcore mit Geschrei“.
Bruce: Ich spiele amerikanischen Punkrock, weil ich mich emotional und spirituell damit verbunden fühle. Seit ich 1978 zum ersten Mal die SEX PISTOLS hörte und 1980 die ersten Hardcore-Shows sah, bin ich süchtig danach. Es ist wunderbar – diese Energie und die Vorurteilsfreiheit und die vielen Gleichgesinnten unter den Zuschauern.
Will: Ich bin in den Achtziger Jahren mit Punk aufgewachsen und es stimmt, dass viele unserer Songs ziemlich traditioneller Punkrock sind. In den USA gibt es immer noch viele Bands, die diesen Stil spielen. Aber ich habe das Gefühl, dass wir eine größere Vielfalt an Tempi, Rhythmen und Melodien haben als manche typische Punkband. Ich mag viele musikalische Genres von Metal und Hardrock bis hin zu Jazz und Blues, also versuche ich, Aspekte aus dem kompletten Spektrum in mein Songwriting einzubringen. Aber ja, es ist hauptsächlich Punk.

Ihr kommt aus dem US-Bundesstaat Maryland, was Punkrock angeht, für mich ein weißer Fleck auf der Landkarte. Was könnt ihr uns über die aktuelle Szene erzählen?
Will: Wir befinden uns in der Nähe von Washington, DC, haben also eine enge Verbindung zu dieser Szene, die eine lange Geschichte hat, die ihr sicher kennt. Wir sagen, dass wir aus Maryland sind, weil wir dort leben und versucht haben, hier und auch in Baltimore, der größten Stadt in Maryland, Orte zum Spielen zu finden. Die Gegend um DC, Maryland und Virginia hat eine gute Heavy-Music-Szene, die Metal/Doom, Punk, Hardcore und viele Formen des Alternative Rock umfasst.
Bruce: Die Szene in Maryland ist recht vielfältig, es gibt aber nur wenige Nischen für Punkrock. Es gibt Clubs in Baltimore oder Washington, im nördlichen Teil von Virginia wie auch in Pennsylvania. Es ist unsere musikalische Leidenschaft, Geld ist nicht das Thema. Manchmal fährt man zwei Stunden lang, um aufzutreten, aber wen interessiert das schon? Die Musik ist das, was wichtig ist!

Eure erste EP habt ihr unter einer Creative-Commons-Attribution-NonCommercial-NoDerivs-Lizenz veröffentlicht. Was genau ist das?
Will: Creative Commons ist eine Organisation, die sich dem Austausch von Informationen und Inhalten aller Art verschrieben hat, und sie haben Urheberrechtsbestimmungen ausgearbeitet, die dies fördern. Wir wollen, dass unsere Musik von so vielen Menschen wie möglich gehört wird. Und der beste Weg dafür ist, dass man digitale Versionen unserer Songs kostenlos herunterzuladen und mit anderen teilen kann. Die Lizenz, die wir verwenden, erlaubt es jedem, unsere Songs anzuhören und zu teilen, solange er uns als Urheber nennt und sie nicht für kommerzielle Zwecke verwendet oder modifizierte Versionen davon weitergibt.

Eure aktuelle EP ist ein Live-Mitschnitt eures Auftritts im Rahmen der Fort Reno Concert Series. Was könnt ihr uns darüber erzählen?
Bruce: Fort Reno ist eine sehr coole Outdoor-Location in D.C., wo bisher Tausende von kostenlosen Shows von guten Bands aus der Region stattgefunden haben. Im Laufe der Jahre bin ich dort mit SOCIAL SUICIDE, CLEAR VISION, SHOCK TREATMENT, THUD und MEATBOT aufgetreten. Es ist in meinem alten Viertel, in dem ich von 1966 bis 1978 gelebt habe und aufgewachsen bin.
Will: Fort Reno ist ein Park in Washington, D.C., in dem seit Jahrzehnten eine wunderbare Sommerkonzertreihe stattfindet, umsonst und draußen. Wir hatten das Glück, 2018 dort zu spielen, also im fünfzigsten Jahr des Bestehens. Es ist ziemlich einzigartig, dass alle Genres, Hintergründe und Altersgruppen willkommen sind und gefeiert werden. Bekannte Dischord-Bands wie MESSTHETICS, HAMMERED HULLS und CORIKY waren in den letzten Jahren dabei, aber es treten auch viele jüngere und unerfahrene Bands auf. Sie machen einen großartigen Job mit dem Sound und nehmen alle Shows auf, so dass wir die Tracks bekamen und drei Songs aussuchen konnten, die gut genug sind, um sie zu veröffentlichen.

Eure Platten habt ihr so wie schon bei VISIGOTHS alle selbst veröffentlicht. Was ist der Grund?
Will: Der Hauptgrund ist, dass wir es können. Keiner von uns ist auf Einnahmen aus unserer Musik angewiesen, und es ist unsere Leidenschaft, also warum nicht an jedem Schritt beteiligt sein? Wir würden in Erwägung ziehen, mit einem Label zu arbeiten, aber das ist kein Ziel.
Bruce: Die eigenverantwortliche Veröffentlichung unserer Musik sichert uns eine hundertprozentige kreative Kontrolle über das Produkt. Mit den digitalen Möglichkeiten bei Aufnahme, Bearbeitung und Veröffentlichung ist es heutzutage viel einfacher als mit den großen Magnetbändern und Vinyl-Schallplatten der Vergangenheit.

Plant ihr, demnächst ein Album aufzunehmen?
Bruce: Ja. Wir haben großartige neue Aufnahmen von aktuellen Songs, die wir bald präsentieren werden.
Will: Wir haben genug Stücke zusammen für ein komplettes Album. Es ist aufgrund der Pandemie schwer zu sagen, wann wir jetzt in der Lage sein werden, das Album aufzunehmen, aber wir hoffen, dass das irgendwann im Laufe des Jahres klappt.
Rob: Will ist eine Songwriting-Maschine. Ich kann ich mir vorstellen, wenn die Pandemie vorüber ist, hat er Songs für mindestens zwei neue Alben fertig.

Was Corona betrifft, hören wir schreckliche Zahlen aus den USA. Wie erlebt ihr selbst die Krise?
Will: Die USA sind ein großes Land, und jeder Staat geht unterschiedlich mit der Pandemie um. Es ist verrückt, aber so ist es nun einmal. In Maryland gibt es seit März einen Shutdown, aber zum Glück hat keiner von uns seinen Job verloren, obwohl ich meinen Plattenladen in Rockville, Purple Narwhal Music & Manga, schließen musste. Im Moment sind wir gesund und hoffen, euch in Deutschland geht es ebenso.
Rob: Mein 84-jähriger Schwiegervater wohnt bei uns, daher waren wir anfangs sehr besorgt, wie wir mit seinem Kontakt zur Welt umgehen, da Corona Senioren mehr zu gefährden scheint. Dann habe ich erfahren, dass ein Mann meines Alters, also 48, mit dem ich zur Highschool ging, vor etwa zwei Wochen an COVID-19 gestorben ist. Er hatte eine Frau und Kinder in dem Alter meiner Kinder, so dass es mir klargeworden ist, dass ich auch meine eigenen Interaktionen mit der Außenwelt viel bewusster angehen sollte. Ich denke, wir müssen erkennen, dass die Art und Weise, wie die Welt so funktioniert, weder nachhaltig noch gerecht ist.
Bruce: Die Pandemie hat sämtlich Live-Auftritte und sogar das gemeinsame Proben zum Stillstand gebracht. Jeder von uns übt für sich selbst. Unseren Proberaum haben wir vom historischen Annapolis in Maryland in ein abgelegenes weiträumiges Haus in die Blue Ridge Mountains im ländlichen Norden von Virginia verlegt. Hier gibt es nur eine ganz geringe Anzahl COVID-19-Infizierter. Wir alle haben Schutzmaßnahmen getroffen und gehen momentan nur raus, um etwas einzukaufen und unsere Vorräte aufzustocken. Handschuhe und Maske sind in vielen Staaten Pflicht. Ich gelte übrigens als „systemrelevant“, weil ich für das öffentliche Schulsystem arbeite. Die Schulen sind zwar geschlossen, aber wir müssen in diesem Sommer ständig alles desinfizieren und die jährliche Gebäudereinigung durchführen. Gefährlich, ja. Aber wenigstens bin ich immer noch angestellt! Please be well and stay safe!