MERCY MUSIC

Foto© by Alan Snodgrass

Der traurige Bastard

Sie kommen aus Las Vegas. Und sie haben inmitten dieser Stadt der klischeehaft und grell wie die Neonleuchten nach außen getragenen guten Laune ein Album aufgenommen, auf dem es traurig bis dramatisch zugeht. Es ist Punk mit einem famosen, weil dennoch nie kitschigen Pop-Appeal, damit MERCY MUSIC veröffentlichen eine der schönsten Platten der vergangenen Monate. Frontmann Brendan Scholz erklärt, was ihn so traurig macht – und was sich für die Band seit den Anfangstagen verändert hat.

Euer neues Album trägt den Titel „Nothing In The Dark“. Bitte verzeih, aber ich glaube viel eher, dass heutzutage fast alles im Dunkeln liegt: Corona, Trump, Polizeibrutalität ...

Ich muss dir zustimmen und könnte es nicht besser ausdrücken. Es wird sogar immer schwieriger, überhaupt irgendein Licht am Ende des Tunnels zu sehen ... Aber was den Titel des Albums und die Songs betrifft, so ist all das bereits entstanden, bevor die Welt in ein totales Chaos wurde. Und das bezieht sich eher auf mein eigenes, mein persönliches Leben. Du musst wissen, 2019 war ein extrem hartes Jahr für mich. Und diese Platte bringt nun wirklich alles ans Licht. Daher der Titel. Und du hast recht, das hört man raus. Die Songs handeln mitunter von Prüfungen im Leben, vom Erwachsenwerden und Älterwerden, von Enttäuschungen und vom Wiederaufstehen, nachdem es einen hingelegt hat. Ich habe schon seit geraumer Zeit psychische Probleme. Und 2019 war das erste Jahr, in dem sie wirklich begannen, sich auf meine Ehe auszuwirken. Es ist nicht leicht, mit mir zusammenzuleben, und ich halte meine Frau für eine Heilige. Um es kurz zu machen: 2019 war für mich somit auch ein Weckruf, nicht tiefer in meine Psychose abzugleiten, sondern vielmehr der beste Vater und Ehemann zu werden, der ich sein kann. Präsent zu sein. Ich arbeite jeden Tag daran.

Passend dazu nennst du die Musik deiner Band „Sad-Bastard-Power-Pop-Punk“. Wer ist der traurigste Bastard von euch?
Wie du dir schon denken kannst, diese Rolle spreche ich voller Überzeugung und sehr gerne mir selber zu, haha.

Aber warum muss dann gleich die ganze Band dem Trauer-Genre anheimfallen? Ist es unmöglich, als Mitglied von MERCY MUSIC auch mal „heitere“ Songs zu schreiben?
Ich schätze, ich habe einfach eine Vita, die voller Depressionen, Angst und derlei Dingen steckt. Für mich ist das Glas immer halb leer. Das zu ändern ist, wie gesagt, etwas, woran ich immer schon gearbeitet habe und weiterhin arbeite. Täglich. Jeder Tag ist quasi ein Kampf gegen mich selbst. Klar, es gibt einige fröhliche Songs von uns. Das sind vor allem Liebeslieder, die ich für meine Frau geschrieben habe. Aber im Allgemeinen sind MERCY MUSIC eine Band der poppigen Songs mit traurigen und geradezu quälend ehrlichen Texten. Das ist schlicht die Art, wie ich schon immer Lieder geschrieben habe. Daran halte ich fest. An Liebesliedern. An Liedern über das Überleben – und an Liedern über das Sterben.

Was empfindest du als Mastermind dahinter als den größten Unterschied zum Album davor? Das schlug ja dieselbe Richtung ein.
Was den Aufnahmeprozess betrifft, war es so, dass wir das Ganze dieses Mal binnen fünf Tagen aufgenommen und versucht haben, unseren Live-Sound einzufangen und ins Studio zu überführen. Das letzte Album wurde dagegen im Laufe eines Jahres in kleinen Stücken aufgenommen, was damals ziemlich viele und enervierende Zeitkonflikte und Zwänge mit sich brachte. Dadurch klang es zu „produziert“, zu künstlich. Und trotz der angesprochenen Themen zu wenig homogen und menschlich. Es fing uns als Band nicht wirklich ein – auch wenn es großartige Songs enthält. Dieses Mal sind die Songs auch noch einen Ticken ehrlicher. Es sind die persönlichsten Lieder, die ich bisher geschrieben habe. So empfinde ich es zumindest. Es ist die homogenste Platte, die wir je gemacht haben.

Wenn man an MERCY MUSIC zu Beginn im Jahre 2014 und heute betrachtet und vergleicht: Wo standet ihr damals und wo steht ihr heute?
2014 waren wir drei Kerle aus Las Vegas, die sich selber nicht kannten. Niemand von uns war auf das, was kommen sollte, vorbereitet. Diese Touren. Das Songwriting. Diese Selbstmordmission namens „gemeinsame Band“, haha. 2020 sind wir zwar immer noch drei Kerle aus Vegas. Aber die wissen jetzt bis zu einem gewissen Grad, wer sie sind. Und haben Erfahrungen gesammelt in mehreren Ländern, haha. Ich weiß, das klingt nicht nach einer Riesensache. Aber für mich ist es eine. Es haut mich immer wieder um, wenn ich daran denke. Ich glaube, wir haben eine Menge von dem erreicht, was wir erreichen wollten. Nein, mehr sogar. Es ist nicht alles perfekt. Aber das wird und muss es auch niemals sein. Es geht doch letztlich nur darum, vorwärts zu gehen. Das zu tun, was man liebt.

Du hast Las Vegas, eure Heimat, bereits angesprochen. Diese Stadt wird ja mit endlosem Feiern assoziiert, mit Glücksspiel, mit der Illusion eines Lebens, das nicht real ist. Ist es angesichts dieser Umstände eigentlich nur konsequent, dass sich gerade dort eine Punkrock-Band wie ihr gründet? Oder ist das eine kleine Sensation, an einem solchen Ort überhaupt über Punkrock nachzudenken?
Man muss wissen, abgesehen von all dem Zeug, das man im Fernsehen und im Kino sieht, ist Vegas wirklich nur eine normale, eigentlich sehr kleine Stadt. Und es ist eine Stadt mit einer blühenden unabhängigen Musikszene. Das kenne ich nicht anders. Insofern ist es kein Wunder, dass sich hier Punkbands gründen, haha. Das Problem ist eher, dass diese Subkultur, diese Szene unter dem Eindruck der von dir erwähnten Dinge, die man als jemand von außerhalb vorgesetzt bekommt, untergeht und unbeachtet bleibt.