MITTAGSPAUSE

Foto

Die Könige im Hof

Im Oktober 1977 gaben im Düsseldorfer Geschwister-Scholl-Gymnasium die Gruppen MALE und CHARLEY’S GIRLS das erste Punk-Konzert auf deutschem Boden. Aus CHARLEY’S GIRLS wurde später MITTAGSPAUSE und ab 1980 FEHLFARBEN. Doch als sie noch CHARLEY’S GIRLS hießen, ist Gitarrist Thomas Schwebel noch nicht an Bord. Er spielt zunächst noch bei der Solinger Punkband S.Y.P.H. („Zurück zum Beton“), die er zusammen mit Harry Rag gründete und deren erste Platten die Betreiberin des Düsseldorfer Punkladens Ratinger Hof, Carmen Knoebel, finanzierte. 1979 wechselt der Solinger zu MITTAGSPAUSE. Der Rest ist Geschichte – die Nachfolgeband FEHLFARBEN und Sänger Peter Hein werden bundesweit berühmt. Doch MITTAGSPAUSE haben wir im Ox bislang geradezu stiefmütterlich behandelt. Thomas, der inzwischen Drehbücher fürs Fernsehen schreibt, war so freundlich, gewisse Lücken schließen zu helfen.

Thomas, von dir stammt der Ausspruch: „In Solingen wird man entweder Alkoholiker oder man zieht weg.“ Du hast durch ein frühes Wegziehen wohl das Schlimmste verhindert. Hast du noch Verbindungen dorthin?

Oh Mann, der Satz verfolgt mich. Der bezieht sich auf die Situation am Ende der Siebziger, als Solingen für Leute wie mich und Harry Rag wirklich ein unfreundlicher Ort war, um es vorsichtig auszudrücken. Natürlich kann man in Solingen wohnen, Teile meiner Familie tun es immer noch. Ich lebe eben jetzt in Hamburg, und mit Verlaub, das ist dann doch kein Vergleich ...

Schnell war ja der Ratinger Hof euer zentraler Anlaufpunkt. Du erzähltest mal, dass da neben Rockern und Künstlern auch teilweise Wiking Jugend-Typen mit Punk-Shirts rumhingen. Wie seid ihr damit umgegangen?
Es gab da Leute, die sich von der Härte und Zackigkeit des Punk angezogen fühlten. Aber denen wurde schnell klar gemacht, dass so was nicht geht. Die Zeit war auch von Rock against Racism geprägt. Ich war 1978 mit Gabi Delgado und Harry Rag auf der großen RAR-Demo in London, wo am Ende auf dem Musikfestival unter anderem X-RAY SPEX und THE CLASH aufgetreten sind, vor 80.000 Leuten. Schon das Spielen mit Nazi-Symbolik wurde den Leuten schnell abgewöhnt.

In der DDR wurden die Punks ja von der Stasi beobachtet. Könntest du dir vorstellen, dass – Stichwort: „Heißer Herbst“ – auch im Ratinger Hof ganz gut observiert wurde, oder war die Mischung der Leute einfach dafür nicht interessant?
Das kann ich mir gut vorstellen, ich habe allerdings keine Ahnung, wer damals wirklich mit der RAF zu tun hatte. Ich habe später von einigen Fällen von solcher Überwachung gehört, die es damals im Westen gab, auch im Freundeskreis. Aber das waren politische Aktivisten. Also warum nicht?

Ein enorm wichtiges Ereignis fand am 11. und 12. August 1978 in Berlin statt, das legendäre Mauerfestival im SO36. Du spieltest am ersten Abend mit den DUB-LINERS und am zweiten dann mit S.Y.P.H. Wie erinnerst du dich an die Abende?
Das Mauerfest war eines meiner ersten Konzerte – und alles daran war super: Die Fahrt nach Berlin, die Aufregung, alle Musiker zusammen zu sehen, die tollen Leute, die wir in Berlin kennen lernen konnten, DIN A TESTBILD, Gudrun Gut etc., Bowie und Iggy nach dem zweiten Abend am Tresen im SO36. Dieses permanente Gefühl, dass alles, was wir machten, völlig neu war, das war einmalig. Und innerhalb der Düsseldorfer Gang war alles noch nicht so konkurrenzig wie später. Lustig ist auch, dass David Bowie später immer wildere Anekdoten über den Abend in amerikanischen Talkshows erzählte. Alles Quatsch.

Würdest du sagen, dass das ein Ereignis war, das allen klar machte: Hey, nun ist Punk ein wirklich bundesweites Ding, und wir sind nicht mehr nur auf ausländische Acts angewiesen?
Nein, so was habe ich nicht gedacht. Es war auch nur Düsseldorf und Berlin, aus Hamburg hat man noch nichts gehört, München gab es gar nicht. Aber damals war so ein Festival schon was Besonderes. Meine alten Freunde in Solingen waren schwer beeindruckt und auch etwas sauer. Die kamen mit ihren Bands nicht über Haan hinaus, und ich Depp mit meinen drei Akkorden durfte nach Berlin, mit Bowie backstage! Das ging alles unheimlich schnell.

Die Songs von euch starten des Öfteren mit rudimentären Rock’n’Roll-Akkorden. Hattet ihr auch aus dieser Ecke Vorbilder?
Anfang 1977 spielte Chuck Berry in Köln, damals waren viele, die später in Düsseldorf in der Szene herumschwirrten, im Publikum. Ansonsten war das eher Verarsche, nach dem Motto: Guckt mal, das können wir auch.

Du warst ja mit dem Sound der damaligen Doppel-Single, die 2014 auf einem österreichischen Label als LP wiederveröffentlicht wurde, gar nicht zufrieden. Aber, im Nachhinein betrachtet, hat das heutzutage nicht echten Charme, wo doch nun alles derart bombastisch aufgenommen wird?
Klar, das nachträglich zu bearbeiten wäre nicht gut. Es ärgert mich nur, dass wir so eingeschüchtert waren und unseren Sound nicht selbstbewusster eingefordert haben. Wir kannten uns eben nicht aus mit der Technik und damals war das noch was Besonderes, ins Studio gehen zu können. Charmant ist es, aber als Musiker denkt man auch nur daran, was man hätte besser machen können. Das ist bei jeder Platte so.

Im Jahr 2004 erschien auf dem japanischen Label Captain Trip Records eine CD von euch, inklusive Live-Songs von 1983. Wie kam es dazu, dass ihr gerade diesen Weg gewählt habt, wo es doch hierzulande von euch fast nichts mehr zu erwerben gab?
Da gab es ein Angebot, das bei uns so nicht existierte. Dieses Label bringt unfassbar viele deutsche Sachen heraus, aus allen möglichen Epochen. So wie wir uns um obskure amerikanische R&B-Künstler kümmern, stehen viele auf der Welt auf crazy German stuff. Ich habe mal jemanden aus den USA getroffen, der seine Masterarbeit an der Uni in New York über obskure deutsche elektronische Musik schreiben wollte.

Im Song „Überblick“ habt ihr euch das Pressewesen zur Brust genommen, also die Flut an Infos, die man auch falsch deuten könnte. Aber waren das im Vergleich zu heute nicht noch „paradiesische“ Zustände?
Absolut, und schon ein paar Jahre später änderte sich das dramatisch. Es gibt eine CD mit alten Archivaufnahmen der FEHLFARBEN aus den Achtzigern, da ist auch ein Lied drauf, das schon davon handelte, dass man mit Nachrichten überschwemmt wird. Scheint ein wichtiges Thema für uns gewesen zu sein.

Und „Militürk“ ist auch aktuell geblieben, oder? Nur dass es statt „die Türken von morgen“ eben etwas anderes sein würde. Die KLABUSTERBÄREN haben das Lied zum Beispiel neulich in einen Song eingebaut.
Tja, das weiß ich auch nicht so genau. Ich musste das Lied neulich erst einem Freund erklären, der aus Istanbul nach Hamburg gezogen ist. Das war nicht ganz so einfach. Aber diese Paranoia und Verschwörungsnummer, um die es in dem Text geht, ist natürlich jetzt gerade sehr aktuell.

Live gab es von euch auch Cover wie „Marmor, Stein und Eisen bricht“ oder sogar „Da Da Da“ von TRIO zu hören. Was war das, reine Ironie?
„Marmor, Stein und Eisen bricht“ war eine ehrliche Hommage, „Da Da Da“ eher eine Retourkutsche, weil natürlich bei den früheren CHARLEY’S GIRLS-Mitgliedern immer der Verdacht da war, dass TRIO den alten Girls- und MiPau-Sound geklaut hatten: Schlagzeug, Gitarre und Gesang.

DIE TOTEN HOSEN, für die „MiPau“, wie ihr genannt wurdet, wörtlich „die Autorität im Ratinger Hof“ waren, haben auf ihrer 2012er Doppel-LP sowohl „Industrie-Mädchen“ von S.Y.P.H. als auch mit „Innenstadtfront“ einen Song von euch gecovert. War das eine tolle Anerkennung? Und gab es wenigstens etwas an Tantiemen?
Für mich gab es ordentlich Tantiemen, weil ich an beiden Stücken beteiligt war. Danke, ihr Hosen! Und es war natürlich Anerkennung. Campino war auch auf dem Lieblingsplatten-Konzert 2016 in Düsseldorf. Als sie noch ZK hießen, haben wir eine Menge Konzerte zusammen gespielt.

Noch einmal zurück zum Ende von S.Y.P.H. und deinem Wechsel zu MITTAGSPAUSE. Wie lief das konkret ab?
Ich bin bei S.Y.P.H. raus, ohne zu wissen, was ich machen will. Harry Rag und ich hatten schon sehr unterschiedliche Vorstellungen. MiPau waren da noch weit entfernt, damals war Gabi Delgado noch in der Band. Dass ich dann bei MiPau einsteigen konnte, war ein echtes Privileg, weil sie schon vorher die Könige im Hof waren, echte Autoritäten. Es hat dann auch gedauert, bis ich mich wirklich als Teil des Ganzen gefühlt habe. Ich habe erst kürzlich bei einem Gespräch mit Franz Bielmeier erfahren, dass er durchaus Respekt vor mir hatte. Wenn ich das damals gewusst hätte, wäre es einfacher gewesen, haha.

Was war das musikalische Ziel, die Grundidee von MITTAGSPAUSE, gab es so was?
Am Anfang war es dieser dichte Gitarren-Schlagzeug-Sound, ohne Bass. Komischerweise entstand die Humtata-Rhythmik aus dem misslungenen Versuch, Reggae zu spielen ... Mit mir wurde das dann alles verspielter, Franz wechselte öfter an den Bass, und es entwickelte sich via Ska – noch vor den FEHLFARBEN! – zu einem abwechslungsreicheren Sound, der später in „Monarchie und Alltag“ gipfelte. Das war eine lange, relativ natürliche Entwicklung.

Mit FEHLFARBEN wart ihr dann ja auf Deutschlandtour mit 999, wo ihr von den Spuckattacken der Zuschauer förmlich geplagt wurdet. Dazu sagst du in dem Buch „Verschwende deine Jugend“ von Jürgen Teipel, dass du bis heute ein „Misstrauen gegen das Publikum“ hegen würdest. Ist das nicht der ewige Knackpunkt, Punk war eben wild und unberechenbar – im Gegensatz zu heute. Und was ist nun wirklich besser?
Wild und unberechenbar war es wirklich, aber auf der 999-Tour war es teilweise offen feindselig. Ich habe jetzt zum ersten Mal nach vierzig Jahren Live-Aufnahmen von damals gehört, vom ersten Konzert und vom letzten. Das erste war überraschend gut, wir waren eine gute Band damals, das letzte richtig „down and out“. Wir hätten uns damals schon über ein wenig Zuspruch gefreut. Ich denke bis heute, dass diese Tour eine Mitschuld hatte an dem Split der Band. Auf der anderen Seite ist ein wenig Konfrontation schon ganz gut für die Musik. Aber man kann das nicht verallgemeinern, denke ich.

Was wäre eigentlich gewesen, wenn bereits MITTAGSPAUSE von einem Majorlabel gesignt worden wären? Hätte es womöglich FEHLFARBEN dann nie gegeben?
Das kann gut sein, und dann hätten MITTAGSPAUSE die Songs von „Monarchie und Alltag“ gespielt. Es wäre auch interessant gewesen, was Franz Bielmeier und Markus Oehlen mit „Paul ist tot“ oder „Es geht voran“ angestellt hätten! Aber wahrscheinlich hätte ich nicht den Mut gehabt, in diesem obercoolen Umfeld die ganzen Sachen zu präsentieren. Insofern wäre es mit ziemlicher Sicherheit sehr anders geworden.

Unvermeidlich muss ich die Frage stellen, ob „MiPau“ doch noch mal einen Reunion-Gig absolvieren könnten?
Nein, das glaube ich nicht. Der Auftritt 1983, auf dem „Da Da Da“ gespielt wurde, war schon eine Reunion – und hat nicht wirklich funktioniert. Das bleibt wirklich in der Vergangenheit.

Du hast unter anderem das Drehbuch für den ZDF-Krimi „Waffenbrüder“ der Reihe „Stralsund“ verfasst. Wie viel Punk fließt noch in deine Arbeit ein und erzählst du den Leuten am Set, etwa der Punk-affinen Schauspielerin Katharina Wackernagel, von dieser Zeit?
Nein, ich erzähle nichts davon. Ist Katharina Wackernagel Punk-affin? Hm, wusste ich nicht und habe ich nicht gemerkt. Vielleicht werde ich irgendwann mal was über diese Zeit schreiben, wer weiß ...