NILS DAMAGE

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Fiepsen, Knarzen, Schreien – Punkrock hinter der Schmerzgrenze

Ende April 2021 erreichte mich an einem lauen Vormittag eine Messenger-Anfrage von Manuel Wastl. Diesen prägnanten Namen kannte ich bisher nur als Labelprint auf den frühen, derben Veröffentlichungen von SUPERHELICOPTER. Also wusste ich natürlich sofort, dass es etwas mit Nils Damage aus Oldenburg zu tun haben musste, mit dem ich seit den Zweitausendern in losem Kontakt stand und auch einzelne Songs seiner späteren Projekte THE DAMNATION KIDS und THE SPAMCHORDS auf meinen „Wildblumenblues“-Samplern veröffentlicht hatte. Zudem stand noch eine weitere geplante Veröffentlichung aus. Also warf ich trotz laufender dienstlicher Beratung einen kurzen Blick auf diese Nachricht.

Das jedoch hätte ich nicht tun sollen, denn nun musste ich die ganze restliche Zeit, die mein Online-Meeting noch andauern sollte, den Schock über Manuels Nachricht unterdrücken. Denn darin fragte er, ob ich denn als DJ Cramér Linernotes zu einer Nils Damage-Compilation-LP beitragen wollte, denn Nils war mittlerweile verstorben. Nachdem ich in einem längeren ersten Telefongespräch die Umstände erfuhr und mich Manuel tiefer in sein Projekt einweihte, war natürlich klar, dass ich meinen Teil beitragen würde. Ein paar Telefonate mehr und ein Treffen mit Manuel im Sommer 2021 in seiner Heimat nahe Regensburg sorgten dann auch dafür, dass ich gänzlich in das Projekt „Hotzenplotz“ einstieg, das dem einzigartigen und unbeirrbaren Punkrocker Nils „Damage“ Westphal gewidmet ist. Um euch einen kleinen Einblick in Nils’ Schaffen und Wirken zu geben, entstand diese kleiner Plauderei zwischen Manuel und mir, die es nun dankenswerterweise und sehr passend ins Ox geschafft hat.

Manuel, 1998 hast du die zweite SUPERHELICOPTER-7“ „RNR Nightmare“ auf deinem Label veröffentlicht. Wie bist du damals auf den derben NoFi-Trash-Punk von SUPERHELICOPTER aufmerksam geworden?
Hier schließt sich der Kreis. Die Besprechung der ersten, grandiosen 7“ von Carsten „Casi“ Vollmer, die ich 1997 im Ox las, hatte sich vielversprechend angehört. Für 5 DM bei Schlagzeuger Roland Dähne bestellt, gehört, angefixt, und dann noch viele, viele Male gehört. Mit diesem Stück Vinyl eröffnete sich mir das LoFi-Universum.

Bei dir erschienen ausschließlich Veröffentlichungen im Zusammenhang mit SUPERHELICOPTER. War dein Label eine Art „Freundschaftsdienst“ für Nils und seine Mannen, oder gab es irgendwann auch mal den Plan, mit anderen Bands zu arbeiten?
Um ehrlich zu sein, gab es nie ein Label im klassischen Sinne. Ich habe das zumindest nicht so wahrgenommen. Deshalb gab es auch keinen Labelnamen und weitere Veröffentlichungen. Was es gab, war ein Label namens Retard Tapes, da erschienen überwiegend Compilations oder etwa ein KLOTZS-Tape mit allen 7“s. Das war weniger kostspielig, ich war damals Auszubildender mit beschränkten finanziellen Spielräumen. Die Begeisterung für die Musik von SUPERHELICOPTER war der Ausgangspunkt. Dieser RawGaragePunkNoise mit seiner unfassbaren Intensität hat mich einfach total weggeblasen. Als ich noch weitere Aufnahmen von Roland Dähne bekommen habe und die Band unverständlicherweise noch kein Label gefunden hatte, kam die Idee auf, die Musik selbst zu veröffentlichen. Aus diesem Kontakt hat sich mittlerweile eine 25 Jahre währende Freundschaft zu Nils Damage, Roland Dähne und Holger Brettschneider entwickelt. Als Freundschaftsdienst würde ich das also nicht bezeichnen, die entwickelte sich aus der Zusammenarbeit heraus.

Aus Gesprächen mit zwei Mitgliedern der Hamburger Band THE TRASH EMPERORS, die früher mal mit Nils Musik gemacht haben und mir Anfang der Zweitausender so manche Anekdote aus Nils’ Leben erzählten, entstand bei mir ein Bild von Nils als eine egomanische Punk-Version eines Hans Dampf in allen Gassen. Will sagen: Nils war wohl nicht unbedingt der Mensch, der anklopfte, bevor er jemandes Tür öffnete. Ich kannte ihn allerdings nur als sehr nett und dankbar. Beschreib du ihn doch mal aus deiner Sicht.
Nils Damage war eine facettenreiche Persönlichkeit: Punk, Vater, Geschäftsmann, Partydiktator, Naturliebhaber, Bandleader ... ich würde ihn als sehr fokussierten Menschen beschreiben, der es immer wieder geschafft hat, sich selbst neu zu definieren, aber sich dabei treu geblieben ist. Sich immerzu im selben Kontext zu bewegen, war für ihn nicht erstrebenswert. Kreativität und Ideen sprudelten oft nur so aus ihm heraus. Ein gewisses Faible dafür, Menschen vor den Kopf zu stoßen, lässt sich im Rückblick nicht leugnen. Er hat auch gerne in der linken Szene angeeckt und der Selbstgefälligkeit so mancher einen Spiegel vorgehalten. Ein kritischer Charakter, auch mit sich selbst. Leute, die er in sein Herz geschlossen hat, konnten sich auf ihn verlassen.

Du hast mit Nils in Oldenburg sogar eine Zeit lang in einer WG zusammengewohnt. War das privat dann eher entspannt oder doch ähnlich explosiv wie seine Musik? Da war doch was mit dem Anrufbeantworter ...
Das war in der Zeit um 9/11 herum. Da wir uns beide in einem schwierigen Lebensabschnitt befanden, war das mitunter eine ganz schöne Achterbahnfahrt, aber immer spannend. Da trafen schon ganz unterschiedliche Haltungen aufeinander. Während ich eher ein Messi war, mitunter vom Amt gesponsort in den Tag hinein lebend, hat Nils als selbstständiger Gärtner im Sommer viel geackert und großen Wert auf einen sauberen Haushalt gelegt. Er war ja auch schon zweifacher Vater. Da gab es so manche lautstarke Diskussion. Ich erinnere mich an tagelange Streitigkeiten bezüglich der Split-LP von SUPERHELICOPTER LTD. mit ERADICATE, die 2001 erschien. Er besaß ein gewisses Talent dafür, Menschen dort zu berühren, wo es ihnen wehtut. Das Layout der „Hotzenplotz“-LP ist jetzt dafür eine kleine Retourkutsche: Bei der Gestaltung habe ich mich daran orientiert, was Nils vermutlich nicht gefallen hätte. Da taucht die Farbe Rosa auf oder ein „Love“-Schriftzug, ha! Ich erinnere mich aber auch an großartige Abende mit Konzert und Lesung, die wir gemeinsam im Wohnzimmer veranstaltet haben und dafür extra alte Teppichbahnen aus dem Container auslegen mussten, um die Mietwohnung nicht allzu sehr zu ramponieren. Ach ja, die Geschichte mit dem AB ist ein schönes Beispiel dafür, dass Ärger sich oft in seinem Schatten bewegte. Ich zitiere mal aus dem Booklet der „Hotzenplotz“-LP: „I also remember, that it had taken you just a couple of days to get me into trouble: After 9/11, in expectation of World War III to come, you recorded a new message on our voice mail: ‚Please leave your message for the Endsieg right here.‘ Unfortunately the hospital where I successfully applied for a job called back because of some missing documents. They reacted ‚a little bit disturbed‘ and the only chance was to accept their invitation to a hearing. I found myself in front of a tribunal of hospital officials who were expecting a nazi nurse!“

Wann kamst du auf die Idee, diese LP mit raren oder schwer zu bekommenden Songs seiner verschiedenen Projekte herauszubringen? Und erzähl auch gleich, wie die sicherlich schwierige Auswahl der Lieder zustande kam. Was waren die größten Hürden?
Die Idee dazu entstand Anfang 2020. Corona war da, Lockdown, wohin mit der Kreativität? Aus heutiger Perspektive würde ich sagen, die Zusammenstellung dieser Platte ist eine konstruktive Form der Trauerarbeit gewesen, den Eindruck habe ich übrigens auch von den Menschen, die Linernotes dafür verfasst haben ... Es gab bei Nils immer einen großen Wäschekorb voller Tapes aus dem Proberaum. Das müssen weit über 100 Stück gewesen sein. Ich hatte Nils Lebensgefährtin gebeten, mir diese nach der Wohnungsauflösung doch bitte leihweise zu überlassen. Leider sind diese Tapes nie mehr aufgetaucht. Damit war die Idee erst mal wieder verworfen. Auf meinem Dachboden fand sich dann doch einiges an Tapes und selbstgebrannten CDs, die Nils mir über einen Zeitraum von fast zwanzig Jahren immer wieder hat zukommen lassen. Von Nils’ musikalischen Weggefährten habe ich dann im Laufe der Zeit weitere Aufnahmen bekommen. Nach ca. einem Jahr war der Punkt erreicht, wo ich das Gefühl hatte: das reicht jetzt für eine Platte, die kickt und kein Abklatsch von Altbekanntem ist. So ist es dann eine Werkschau über zwei Jahrzehnte geworden, 1994 bis 2016. Beim Durchhören der Platte kann man gut die sich verändernden Einflüsse und Entwicklungen der Musik raushören. Die vielen unbeschrifteten Tapes und Aufnahmen anhand der Musik und Soundqualität zeitlich und personell zuzuordnen, hat mit Sicherheit am meisten Zeit und Nerven in Anspruch genommen. Ohne die Hilfe von Roland Dähne wäre das so nicht möglich gewesen. Die Songauswahl hat sich auf mehrere Schultern verteilt, die da mitgewirkt haben. Irgendwann kam das Gefühl auf, etwas betriebsblind zu werden, dann ist es wichtig, außenstehende Meinungen einzuholen.

In dem sehr informativen und mit reichlich Fotos versehenen Booklet kommen viele Menschen zu Wort, die Nils als Freund, Musiker, Label oder sonst wie persönlich begleiteten. Wie aufwändig war die Recherche, um möglichst viele Stimmen zu sammeln? Wie bist du vorgegangen und hast du alle erreicht, die du wolltest?
Mit einigen hatte ich noch Kontakt, die mir dann wiederum weitere Kontakte vermitteln konnten. Im Internetzeitalter ist so was via Mail, Discogs und Facebook vergleichsweise einfach. Letztendlich haben alle angefragten Personen tatsächlich Linernotes geschrieben, die ersten habe ich drei Stunden nach der Anfrage fertig zurückbekommen, auf andere musste ich acht Monate lang warten. Der Kontakt zu Ronan Prat von Yakisakana Records in Frankreich kam leider erst zustande, als der ganze Salat schon im Presswerk war. Herausgekommen ist eine interessante Sammlung von Kurzgeschichten, die den Leser:innen ein vielschichtiges Bild von Nils Damage vermitteln, auch wenn man ihn nicht persönlich gekannt hat.

Als du mir das prächtige Front- und Backcover der „Hotzenplotz“-LP erstmals geschickt hattest, war ich sofort begeistert, fing es doch für mich die Person Nils Damage mit seiner zugleich brutalen wie auch humorvollen Musik absolut umfänglich ein. Wie bist du auf den Hamburger Maler Heiko Müller gekommen?
Die Bilder von Heiko Müller begleiten mich schon, seit ich 2008 einen Artikel über ihn im Dresdner ArtMagazin LOW gelesen habe. Auf unserem alten Bauernhof hängen einige Nachdrucke von ihm. Er hat’s ja auch eher so mit Tieren. Da er seine Kunst zu weiten Teilen selbst vermarktet und subkulturell geprägt ist, hat er wohl an diesem DIY-Projekt Gefallen gefunden und auf Anfrage vier Bilder kostenlos zur Verfügung gestellt. Sie bilden allesamt einen bestimmten Teil von Nils’ Persönlichkeit ab, das fand ich sehr passend. Ich empfehle einen Besuch seiner Website heikomueller.de. Aber auch an Roland Wiegner von der Tonmeisterei Oldenburg geht ein dickes Dankeschön für den unentgeltlichen und sicher nicht einfachen Part Mix und Mastering.

Nils hatte sich bereits vor den letzten mir bekannten Aufnahmen 2015 immer mehr aus der Musik zurückgezogen und war auch nicht mehr willens, live aufzutreten. Hatte das eher mit dem Rückzug ins väterlich Private zu tun, oder waren das bereits Anzeichen einer aufkommenden Krankheit?
Live ist Nils schon noch aufgetreten: aber nur für ein Kinderpublikum. Als Märchenerzähler oder in seiner Paraderolle als Grüffelo. Ich denke, die letzten Shows von THE GOTHIEFS waren so um 2011 rum, bis Henner, der Schlagzeuger, nach England gezogen ist. Wie anfangs erwähnt, hat Nils sich immer wieder neu definiert. Als ich 2015 zu Besuch war, hat er gerade seine Schallplattensammlung im Freundeskreis verschenkt und sich darüber hinaus von vielen materiellen Dingen getrennt. Konsum auf ein Minimum reduziert, sich aus dem kapitalistischen Kreislauf verabschiedet und seinen Fokus auf Familie und die existentiellen Fragen des Lebens gerichtet. Es war zu diesem Zeitpunkt aber nicht so, dass das Musikmachen ihn körperlich überfordert hätte. Das Letzte, wovon er musiktechnisch erzählte, war eine Probe im Original-SUPERHELICOPTER-Line-up im Jahr 2018. Der Grund seines frühen Todes mit 47 Jahren war eine Autoimmunerkrankung, die 2018 auftrat und erst fünf Monate vor seinem Tod im Dezember 2019 diagnostiziert wurde. Er hat sich bewusst gegen eine Hightech-Therapie entschieden, die er vermutlich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr überstanden hätte. Ich ziehe meinen Hut davor, wie er diesen letzten Weg beschritten hat und sich trotz Widerständen dabei auch nicht beirren ließ.

Wenn die „Hotzenplotz“-LP nur eine 7“ hätte werden können, welche vier Songs wären es geworden und was sind deine ewigen 3-Top-Songs aus dem gesamten Nils Damage-LoFi-Universum?
Schwierige Frage. Die Songs wurden so ausgewählt, wie sie im Zusammenspiel gut (dis)harmonieren. Es gab im Entstehungsprozess mindestens fünf Versionen der „Hotzenplotz“-LP. Heute würde ich auf eine imaginäre 7“ packen: SUPERHELICOPTER „Dance or die“, PRESKOOL DROPOUTS „Little baby“, KALOTTE „Black renitition“ und GOTHIEFS „Drop me back to death“. Morgen sähe das wohl schon wieder anders aus! Meine drei All-time Favorites: 1. SUPERHELICOPTER „Fuck your head“ von der ersten 7“, 1997: „Es ist 5.45 Uhr morgens, scheiße, schon wieder Schicht in der Klapse. Ich brauch noch ne Ladung Stoff: noch einmal die erste SUPERHELICOPTER-Single auf voller Lautstärke. Boah, wie das den Körper & Geist durchflutet: Jetzt bin ich bereit! Auf zu den (diagnostizierten) Bekloppten für die nächsten zehn Stunden.“ 2. SUPERHELICOPTER LTD. „Es ist vorbei“ von der Split-LP mit ERADICATE, 2001: „Mein Soundtrack für den Beginn von neuen Kapiteln. Sich freizumachen von Ballast, nicht zu hadern mit dem, was war. Klar werden und auf zu neuen Ufern!“ 3. SUPERHELICOPTER „Rocker“ von der „RNR Damnation“-10“, 2000: „Wie viel Gitarrenfeedback kann ein Song vertragen? Das laute Hören dieses Songs hat einen nicht unwesentlichen Anteil an meinen bereits vorhandenen auditiven Einschränkungen. Oder doch aus Nostalgiegründen? Schließlich war ‚Dirty Deeds Done Dirt Cheap‘ einer meiner ersten selbst erstandenen Kassetten aus dem Gemischtwarenkaufhaus meiner Kindheit.“ Haltet Ausschau bei Crauts Recordings nach der Neuauflage der SUPERHELICOPTER-LP „Sweet, Nice And Happy ... In Hell“ mit dem Mix von Guido Müller. Die soll dieses Jahr noch erscheinen.

Willst du noch was loswerden?
Danke an alle beteiligten Menschen, die diese Platte als Crowdfunding-Projekt ermöglicht haben, ganz unkompliziert auf Zuruf. Alle haben für umme daran gearbeitet, wow. Die digitale Nils Damage-Diskografie mit insgesamt 18 Releases zwischen 1997 und 2008 gibt’s zu fairen Preisen auf nilsdamage.bandcamp.com, die Einnahmen gehen an Nils’ Familie. Die LP mit dickem Booklet und Download-Code gibt’s bei Head Perfume Records. Danke, René, für den Support! Oder ist das jetzt unangebracht, wenn die Leser:innen erfahren, das Musikjournalist und Interviewpartner diese Platte gemeinsam veröffentlicht haben?