ŠNK

Foto© by Andreas Michalke

Punk in Lettland

ŠNK – gesprochen: Schnick! – sind im Moment sehr leicht zu finden. Bereits in Berlin, am Anfang meiner Recherche über Punk in Lettland, stoße ich auf ihre Musik. „Pats Vainigs!“ ist das interessanteste lettische Album des Jahres. Gerade weil die Band, drei Frauen und ein Mann, keinen Pop, sondern feministischen, antikapitalistischen Riot-Grrrl-Garage-Punk machen. Natürlich mit lettischen Texten.

Am Samstag fahren wir mit dem Bus vorbei an den Plattenbauten der so genannten „Moskauer Vorstadt“, zum Kartupelpalma 55 Festival in der Kleinstadt Salaspils. Das gemütliche Städtchen hat sogar einen Botanischen Garten und offensichtlich öffentliches Geld zur Verfügung. Die Plakate für das Festival waren überall auf dem Weg von Riga nach Salaspils zu sehen. Bereits am Eingang werden wir zum Kartenkauf in das angrenzende nagelneue Kulturzentrum geschickt. Wir finden den Eingang nicht gleich. Auf einem Parkplatz steht, hinter einem Stromkasten versteckt, ein Mädchen und hört sich gerade NIKOTINI an, die zweite Band des Festivals. Als ich sie frage, wo es Karten für das Festival gibt, führt sie uns kurzerhand hin. Leider hat sie kein Geld für den Eintritt. 15 Euro wären zu viel, aber sie wohne in der Nähe und würde sich die ersten Bands eben nur anhören. „Die meisten Leute kommen nur wegen NIKOTINI und ŠNK“, fügt sie wissend hinzu. Da hätte ich ihr die 15 Euro am liebsten gegeben. Aber ich wollte sie auch nicht in Verlegenheit bringen. Wir schaffen es noch, die Hälfte des NIKOTINI-Sets zu sehen. Mich macht die aggressive Mischung aus Hardcore, Metal, Post- und Pop-Punk gleich ganz glücklich, obwohl die drei langhaarigen Boys und ihr räudiger Leadsänger nicht ganz zu der freundlichen, sommerlichen Umgebung passen. Vor der Bühne stehen ein paar Reihen mit Klappstühlen aus Holz auf dem Rasen.

Das Festival wirkt wie ein Gartenfest. Kinder laufen umher. Außer Bier und Borschtsch (Soli für die Ukraine) gibt es nichts zu kaufen. Nach jedem Stück steht ein weißhaariger Mann auf und hebt applaudierend die Hände. Sicher ein Vater. Oder Opa. Als Zugabe spielen NIKOTINI ihren Singalong-Hit „Nikotini“. Im Stil osteuropäischer Musikwettbewerbe der Sowjetzeit stellt eine junge Frau in der Pause die nächste Band vor, die sich derweil schon auf der Bühne vorbereitet. ŠNK liefern dann prima ab. Melodische Passagen wechseln mit sperrigen. Das Publikum geht mit. Eine Mutter zeigt ihren zwei Söhnen, wie man Pogo tanzt. Eine kleine Gruppe von Teenagermädchen tanzt vor der Bühne. Später kaufen sie von Lauma, mit der ich bereits Mailkontakt hatte, Buttons der Band. Den einzigen Merch, den es gibt. Ich stelle uns vor und verabrede mit Lauma ein Interview am nächsten Tag. Später spielen noch DJ KRANKENWAGEN, vier Männer in Krankenhauskitteln und eine Frau. Sie reproduzieren sehr gut und intensiv den Sound der ZickZack-Bands in Hamburg 1980/81, als die Punks schon keine Lust mehr hatten, Punk zu machen. Dann müssen wir los, die Bahn wartet.

Wir treffen Lauma am Sonntagnachmittag im Vermanes darzs, dem ältesten öffentlichen Park in Riga. Wir setzen uns auf eine Wiese und plaudern erst mal. Wie war das Konzert gestern, zu dem sie nach dem Festival aufgebrochen ist? Super. Drei Grindcore- und Metalcore-Bands spielten im Übungsraum in einem Abrisshaus für die Rigaer Punks. Wir haben wohl was verpasst. Lauma war schon mehrfach zu Besuch in Berlin. Im September kommt sie erneut nach Deutschland. Endgültig genervt hat sie vor kurzem ihren Job in einen Café hingeschmissen, in dem sie sechs Jahre ohne Pause gearbeitet hatte. Genervt vom erzwungenen People-Pleasing und den ständigen Ermahnungen ihrer Chefin wegen ihrer Erscheinung, ihren Tattoos, ihrer geweiteten Ohrlöcher. Ich wende ein, dass woanders Tattoos doch ein Einstellungsgrund wären. „Nicht in Lettland. Lettland ist zu brav“, erwidert Lauma. „Okay, ich kann verstehen, dass niemand einen Crust Punk als Barkeeper einstellen würde, wegen der Hygiene. Aber ich gehe doch sauber zur Arbeit!“ Ich frage nach der Bedeutung des Bandnamens. Sie sagt, sie hätte nach einem typischen Punkband-Akronym gesucht. ŠNK steht für den Sound, den eine Schere macht: Schnipp. Ein Wortspiel, das darauf hinweist, dass alle in der Gruppe bisexuell sind. Sie sagt, die Band hätte sich erst im Februar 2021 zusammengefunden. Eigentlich wollte Lauma nur mit Emils, dem Drummer von ŠNK, ein Musikvideo für seine Synthpunk-Band TAVAS MASAS NASIS machen. Beiläufig erwähnte Lauma dann, dass sie auch gerne eine Band gründen würde, und Emils meinte, dass seine Freundin Gitarre spielen würde. Mit Emils als Drummer, der vorher nur Gitarre gespielt hatte, begann die Gruppe also gemeinsam zu lernen, ihre Instrumente zu spielen. Lauma schreibt Songs auch erst, seitdem die Band besteht.

Noch ganz überrascht und beeindruckt davon, schalte ich kurz das Diktiergerät aus, um zu checken, ob es auch aufgenommen hat. Oh. Nein! Wo ist die Datei? Ich bin kurz verzweifelt. Tippe wild auf der Oberfläche. Ich hab mir das Smartphone erst wenige Tage vorher gekauft. Ah, da ist sie ja! Hat doch aufgenommen. Puh! „Mein erstes Handy“, versuche ich zu erklären. „Kein Problem. Ich dachte du wärst einfach nur alt“, sagt Lauma schnippisch. „Ageism? Echt jetzt?“, erwidere ich. Sie lacht und schwächt gleich ab, das es schon okay wäre, dass ich älter wäre. Sie würde sicher viele dumme Sachen machen, die ich mit mehr Lebenserfahrung nicht mehr tun würde. Ich bezweifle das, aber lasse es mal so stehen. Ich frage noch mal nach, wie sie dazu gekommen ist, Gitarre zu spielen. „Einfach so. Ich dachte, ich mach das jetzt eben.“ Laumas selbstbewusst autodidaktische Attitüde beeindruckt mich sehr. Aber das ist mir auch sehr vertraut. Lauma ist 21 Jahre alt, Gitarristin Katrina und Bassistin Nikola sind 20, Schlagzeuger Emils ist 23. Ich erinnere mich, dass ich mich 1989 an der Kunsthochschule mit einem Comic bewarb, in dem ich erklärte, dass ich akademisches Lernen ablehne. Natürlich lehnte mich die Kunstschule daraufhin auch ab. Ich studierte nie und blieb ein Amateur. Ein Begriff, der sich übrigens von dem Wort Liebe ableitet. Im Gegensatz zu etwas, das man nur des Geldes wegen tut. Es ist eine Punk-Sache.

Gibt es andere Bands, die du gut findest, frage ich Lauma. „Ich mag INOKENTIJS MARPLS. Die gibt es schon seit Ende der Achtziger. Ihr Sänger Dambis hat eine ganz unverwechselbare Stimme. Und PND. Die haben zwanzig Jahre lang gesagt, dass sie ein Album rausbringen und das kam dann dieses Jahr.“ Lauma schreibt den Großteil der sehr direkt formulierten, kämpferischen Texte und ist Kopf und treibende Kraft von ŠNK. Sie sagt: „Viel von dem, was ich tue, mache ich nur aus Trotz. Um Leuten zu widersprechen. Zum Beispiel hat mein Ex-Freund, der auch in einer Band spielt, mal gesagt: ‚Ich komme mal ganz groß raus.‘ Da habe ich nur gedacht: Nee. Ich komme mal groß raus. Und da hatte ich noch nicht mal eine Band.“

Trotz wäre überhaupt ein sehr stark motivierender Faktor, meint Lauma: „Das bringt mich dazu, noch härter zu arbeiten. Ich mag unsere politischen Songs am liebsten. Aber auch den melodischen Happy-go-Lucky-Sound kombiniert mit den sehr kritischen, zynischen, anti-kapitalistischen Texten. Unser Sound ist sehr poliert, im Vergleich zu vielen Riot-Grrrl-Bands. Denen ging es eher darum zu sagen: Mädchen machen jetzt auch schrecklichen Krach. Hier in Lettland ist Feminismus immer noch eine radikale Sache. Bei uns ist es schon etwas Besonderes, wenn du als Frau keinen Pop machst. Und dass wir hauptsächlich Frauen in der Band sind. Meist ist die eine Frau in der Band die Sängerin. Wir werden in Interviews immer wieder gefragt: Warum spielst du als Frau eigentlich Gitarre? In unseren Songs versuchen wir die Message zu verbreiten, dass du als Frau Männern nicht gefallen musst. Die finden dich sowieso gut. Guck mich an. Männer lieben mich! Ich versuche nicht ihnen zu gefallen. Ich rasiere mich nicht. Ich bin eine überzeugte Feministin, die dich angreifen wird, wenn du Sachen sagst, die ich nicht mag. Ich bin fast schon ein Crust-Punk, aber Männer lieben mich. Frauen glauben, sie müssten hübsch, still und unterwürfig sein, um Männern zu gefallen. Nö. Männern ist das egal. Andererseits haben wir auch dieses echt seltsame Paradox. Wir sind eine feministische Band, die sagt: Scheiß auf alte Männer! Dabei sind die meisten Leute im Publikum alte Männer.“