OFFENDERS

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Herz aus Glas

„Hooligan reggae“ heißt der Song, mit dem THE OFFENDERS bekannt geworden sind. Die Band um Frontmann Valerio Tenuta und Drummer Francesco „Checco“ Mirabelli ist vor zehn Jahren aus dem süditalienischen Cosenza nach Berlin ausgewandert und hat in der Kreuzberger Punk-Szene ein neues Zuhause gefunden Mit „Heart Of Glass“ haben die Jungs nun ihr siebtes Album veröffentlicht, ein typisches OFFENDERS-Album mit Offbeats, 77er-Punk-Anleihen, rasanten Ska-Attacken und Texten zwischen deutschen Refrains und englischen Strophen. Im Januar haben sie „Heart Of Glass“ im Sound-n-Arts in Bamberg vorgestellt, ein Club, zu dem sie ein spezielles Verhältnis pflegen, wie sie im Interview erzählen.

Der Gig in Bamberg ist ein besonderer für euch. Warum?
Valerio:
Das ist unsere zehnte Show hier binnen neun Jahren. Der einzige Ort auf der Welt, an dem wir zehn Konzerte gespielt haben. Und wir sind sehr glücklich, hier unser neues Album „Heart Of Glass“ präsentieren zu dürfen. Es ist wie nach Hause zu kommen. Wir haben hier schon unsere eigene Tradition. Bevor wir in den Club gehen, trinken wir mit dem lokalen Veranstalter Frank Keil um die Ecke ein Rauchbier. Und am Tag nach der Show gibt’s dann einen großen Brunch. Wir sind seit unserer ersten Show 2009 enge Freunde. Das macht uns sehr glücklich. Es gibt viele Clubs, die wir lieben, aber hier ist es magisch. Wir lieben Bamberg.

Vor drei Jahren habt ihr mit dem Album „X“ euer zehnjähriges Bandjubiläum gefeiert. Dieses Jahr gibt es schon wieder eine runde Jahreszahl. Vor genau zehn Jahren seid ihr aus Italien nach Berlin ausgewandert. Wie lief das damals?
Valerio:
Als wir THE OFFENDERS gegründet haben, wollte uns niemand produzieren. Wir haben uns umgeschaut, wer sich für uns interessieren könnte, und sind auf das kleine Label Conehead Records in Düsseldorf gestoßen, das es inzwischen nicht mehr gibt. Diese Jungs haben unser erstes Album „Hooligan Reggae“ veröffentlicht und die Scheibe war nach vier oder fünf Monaten ausverkauft. Das war für uns als neue Band ein Riesending. Und nach einer kleinen Tour mit sieben Gigs in Deutschland sind wir auf große Europatour gegangen. Alles ging plötzlich sehr schnell. Und obwohl wir nur eine Underground-Band waren, wollten wir das unbedingt durchziehen, weil es einfach unsere Leidenschaft ist. Für Berlin haben wir uns entschieden, weil dort unsere Agentur Muttis Booking ihr Büro hat. Außerdem hat sich Berlin extrem schnell entwickelt und liegt auch noch in der Mitte Europas. Das war ein großen Vorteil für unsere Reisen. Das Bandleben im Süden Italiens so durchzuziehen, wäre unmöglich gewesen.

Und wie ist euer Verhältnis zu dieser Stadt?
Checco:
Berlin ist natürlich ein sehr spezieller Ort. Eine sehr junge Stadt, die sich ständig verändert. Das finde ich wahnsinnig interessant. Viele Menschen aus der ganzen Welt kommen nach Berlin und schaffen diesen multikulturellen Vibe. Vor allem für Musiker ist Berlin eine großartige Stadt. Es gibt dort jede Menge Bands und Clubs, deshalb gibt es dort immer wieder neue Inspiration.
Valerio: In Berlin passiert einfach eine Menge. Wir können wirklich jeden Tag in der Woche mit Leuten aus unserer Szene abhängen. Leider sind die Preise in Berlin in den letzten zehn Jahren enorm gestiegen, das macht unser Leben etwas komplizierter. Wir werden mit unserer Musik sicher nicht reich. Wir sind keine reichen Rockstars, sondern eher Arbeiterklasse. Inzwischen ist es härter geworden, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, vor zehn Jahren war das noch einfacher.

Faktoren wie Gentrifizierung und die vielen, vielen Touristen haben Berlin in den letzten fünf Jahren sehr zum Negativen verändert. Denkt ihr darüber nach, die Stadt irgendwann zu verlassen?
Valerio:
Ein paar Freunde von mir sind schon in den Osten Deutschlands gezogen, nach Dresden oder Leipzig. Manche sagen, Leipzig wäre das neue Berlin. Ich mag Leipzig, aber ich mag auch meine Nachbarn in Berlin und den Bezirk, in dem ich wohne. Ich habe nicht vor, das zu ändern. Ich habe schon Probleme, überhaupt Kreuzberg zu verlassen. Wir haben dort unsere eigene Welt. Natürlich leben wir in einer winzigen Mietwohnung, mehr können wir uns nicht leisten. Aber ich werde die Stadt bestimmt nicht verlassen. Es sei denn, sie werfen mich irgendwann raus.
Checco: Abgesehen davon gibt es Phänomene wie Gentrifizierung überall. In vielen Städten, in denen Mengen von Menschen wohnen, kommen irgendwann Leute, die nur das große Geschäft im Kopf haben. Das ist also das Problem in jeder größeren Stadt. Traurig, aber wahr. Es gibt keinen Ort, der besser für unser Leben ist, als Berlin.

Wo treibt ihr euch am liebsten in Berlin herum? Wo kann man euch treffen?
Valerio:
Meine liebste Bar, in der ich auch ab und zu Musik auflege, ist die Milchbar, ganz in der Nähe der Oranienstraße. Dort haben wir auch unser letztes Video „Wie geht’s?“ gedreht. Zwei Barkeeper der Milchbar sind enge Freunde von uns. Dort hängen wir meistens ab, aber in der ganzen Umgebung gibt es natürlich jede Menge coole Clubs. Natürlich das SO36, Wild at Heart, Cortina Bob oder das großartige Clash, wo wir einmal im Jahr spielen. Im Osten der Stadt mögen wir Cassiopeia oder Astra. Aber die meiste Zeit verbringen wir in der Milchbar. Manche sind jetzt vielleicht sauer, weil wir das Franken oder den Trinkteufel nicht erwähnen, aber ich komme selbst aus einem Ort mit weniger als tausend Einwohnern. Dort habe ich 25 Jahre lang gelebt. Deshalb musste ich in Berlin meine Dorf-Dimension finden, ich kann nicht in einer Vier-Millionen-Stadt überall leben. Ich mag es, global zu denken und lokal zu leben.

Gibt es so was wie eine Gemeinschaft von italienischen Punkrockern, die in Berlin leben? Ich weiß zum Beispiel, dass die Jungs von TALCO zeitweise auch in Berlin wohnen.
Valerio:
Ich habe die Jungs von TALCO ein paar Mal getroffen. Wir sind aber nicht eng befreundet. Wenn es so etwas wie eine italienische Punkrock-Szene in Berlin gibt, dann kenne ich sie nicht. Natürlich kenne ich jede Menge Italiener in Berlin, und es gibt sogar einige Restaurants, die von Punkrock-Liebhabern geführt werden, aber eine richtige Szene ist das nicht. Ich bevorzuge auch den Mix dieser Stadt, ich habe Freunde aus allen Ecken der Welt. Ich bin nicht besonders stolz auf das Land, aus dem ich stamme. Ich trage keine Flagge durch die Gegend.

Ihr habt euer neues Album „Heart Of Glass“ getauft, warum?
Valerio:
Viele denken, es wäre eine Hommage an BLONDIE. Einer ihrer populärsten Songs heißt „Heart of glass“. Ehrlich gesagt habe ich aber gar nicht an BLONDIE gedacht, als ich den Albumtitel vorgeschlagen habe. „Heart Of Glass“ steht für das Herz, das wir alle in uns tragen, und wie zerbrechlich es sein kann. Es steht genauso für die starke Neigung zu alkoholischen Getränken, die die Jungs in meinem Freundeskreis alle haben. Es bedeutet aber auch, dass zerbrochenes Glas gefährlich sein kann. An einer Glasscherbe kann man sich leicht schneiden. Das ist der Lauf der Lebens. Es kann schön, aber auch schmerzhaft sein. Und ein Herz schlägt und pulsiert und symbolisiert das Leben.

Wie hat sich der Sound der OFFENDERS seit dem letzten Album „X“ verändert?
Valerio:
„Heart Of Glass“ ist unser erstes Album ohne Hammondorgel. Das ist wohl die größte Veränderung. Natürlich erkennt man sofort die musikalische Handschrift der OFFENDERS. Ich singe und Checco spielt Schlagzeug. Checco und ich haben schon immer Gitarrensound geliebt, wir sind große Fans von THE CLASH. So wollten wir schon immer klingen. Und als unser Keyboarder Alex wegen eines Jobangebots ausgestiegen ist, wollten wir ihn nicht ersetzen. Also haben wir einfach eine zweite Gitarre integriert. Als ich das Album geschrieben habe, habe ich viel New Wave und Neue Deutsche Welle gehört. Deshalb gibt es aus dieser Ecke eine Menge Einflüsse. Zum Beispiel in den Songs „Kotti is not L.A.“ oder „Wie geht’s?“. Wir haben schon vor drei oder vier Alben angefangen, uns weiterzuentwickeln, den originalen 2Tone-Sound der frühen Tage hinter uns zu lassen und unser Publikum dabei mitzunehmen.
Checco: Wir haben mit diesem Album dafür auch ein neues Studio ausgesucht: das Kinskinoize Studio in Berlin. Mit den zwei Gitarren ist unser Sound dreckiger geworden, deshalb auch der Ortswechsel.

Vor zwei Jahren habt ihr mit BREW 36 eine zweite Band gegründet. Hat das neue Projekt auch den Sound der OFFENDERS verändert?
Valerio:
Nein, ich denke nicht. BREW 36 ist unser kleines Baby, mit dem wir unsere Lust am Streetpunk austoben. Natürlich spielen wir mit dieser Band viel kleinere Shows als mit unseren Hauptbands OFFENDERS und REAL McKENZIES. Und der Sound ist völlig anders. Mit BREW 36 haben wir nie Offbeat gespielt. Das ist einfach Punkrock. Natürlich tragen auch diese Songs meine Handschrift. Wir lieben es, musikalisch zu experimentieren. Als sich die OFFENDERS im Underground etabliert hatten, wollten wir auch mal was anderes ausprobieren. Wir machen unheimlich gerne Musik, spielen überall Konzerte und nehmen Platten auf. Das ist unser Leben. Wir sind Vollzeitmusiker.
Checco: Deshalb wollen wir auch immer etwas Neues ausprobieren. Sonst würde unser Leben schnell in Routine versanden. Und für Musik ist das nie gut.
Valerio: Wenn ich die Routine lieben würde, würde ich in einer Bank oder einer Fabrik arbeiten, haha.
Auf euren letzten Alben sind einige Songs über die deutsche Geschichte zu finden: „Berlin will resist“ oder „St. Pauli Swing Jugend“. Auf den ersten Blick ist so ein Song auf dem neuen Album nicht zu entdecken.
Valerio: Es gibt einen Song über moderne deutsche Geschichte. „Kotti is not L.A.“ ist ein zeitgenössisches Bild von Berlin. „Drug dealers standing still / I’m shocked by the light / All I can read is ,Grill‘“, heißt es im Text. Das Kottbusser Tor galt immer als Herz der Punkrock-Szene in Berlin. Es hat sich total verändert und ist schon lange nicht mehr so, wie es im Song „Berlin“ von IDEAL beschrieben wird. Damals bevölkerten Rockabillys, New Waver und Punks diesen Platz. Jetzt sieht es komplett anders aus. Das Einzige, was geblieben ist, sind die Junkies. Der Rest sind Touristen und Menschen, die etwas verkaufen wollen. Ein trauriger Anblick für mich. Die Subkultur ist von dort verschwunden. Es gibt dort keine einzige Punk-Bar mehr.

Ich mag vor allem eure Songs mit deutschen Titeln: „Alles muss raus“, „1.000 Mal vergessen“ oder jetzt „Wie geht’s?“. Ihr singt aber immer nur den Refrain auf Deutsch und die Strophe dann auf Englisch.
Valerio:
Ich spreche einfach nicht gut genug Deutsch. Natürlich bin ich umgeben von deutschen Wörtern. Ich lebe ja schließlich in Berlin. Wörter sind Werkzeuge für mich, um in das Hirn meiner Hörer zu gelangen. Aber die Sprache, die ich jeden Tag benutze, ist Englisch. Und das ist auch die Sprache, die in den meisten Ländern der Erde verstanden wird. Ich habe auch nur in einem einzigen Song der OFFENDERS einen italienischen Satz verwendet. Inzwischen träume ich sogar schon auf Englisch. Mit meiner Freundin oder all meinen Kumpels verständige ich mich auf Englisch. Nur mit Checco spreche ich diesen unverständlichen Dialekt aus dem italienischen Kaff, aus dem wir kommen.
Checco: Als wir eine Show in Italien gespielt haben, machte Valerio zwischen den Songs natürlich Ansagen auf Italienisch. Und nach der Show haben sie ihn auf Englisch angesprochen, weil sie seinen Dialekt nicht verstanden haben. Sie dachten, er wäre ein Ausländer, der versucht, Italienisch zu sprechen.

Habt ihr Kontakt zur Punkrock-Szene in Italien?
Valerio:
Wir waren bis zu deren Auflösung gut befreundet mit der Band REDSKA. Wir haben zusammen eine Split-Single namens „Rude League“ aufgenommen und eine gemeinsame Tour gespielt. Wir sehen uns aktuell kaum noch, weil es REDSKA nicht mehr gibt. Wir sind auch gut mit LOS FASTIDIOS befreundet, aber wir sehen uns nicht oft. Wir spielen nicht viele Konzerte. Aber wenn wir uns irgendwo begegnen, ist es immer eine schöne Party, weil wir uns schon so lange kennen. Neue Punkrock- oder Ska-Bands kenne ich kaum. In den Neunzigern war die Szene in Italien sehr stark. Es gab damals eine tolle Zusammenarbeit zwischen dem italienischen Label Kob Records und Mad Butcher Records aus Deutschland, die jede Menge Bands gemeinsam herausgebracht haben. Momentan läuft in Italien aber nicht besonders viel, soweit ich das beurteilen kann.