PARDON

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Teuflische Jahre

Nichts passiert im luftleeren Raum, alles hat seine Entwicklung – persönlich, gesellschaftlich und im Wechselspiel dieser beiden Sphären. Und auf die Entwicklung eines linken und dabei satirischen Bewusstseins in Deutschland hatte das Magazin pardon, aus dem später die „Titanic“ hervorging, einen erheblichen Einfluss. Als ich acht Jahre alt war, so um 1979, durchwühlte ich bisweilen die Nachttischschublade meines zehn Jahre älteren Bruder, da es dort häufig spannende Dinge zu entdecken gab, zum Beispiel Kondome, Haschisch und sogar eine echte Gaspistole. Daneben lag ein Stapel Magazine, die nach den Räucherstäbchen rochen, die sich ebenfalls im Schrank befanden. Links oben auf dem Titelblatt war ein Teufel mit zum Gruß gehobener Melone abgebildet.

Auf dem Cover waren meist nackte Frauen, manchmal Franz-Josef Strauß, und auf der Rückseite Werbung für Roth-Händle-Cigaretten ohne Filter. Im Heft gab’s Comics, Politik, Trash, Sex und Texte, die ich nicht begriff.
Eine Sache aber blieb bei mir hängen: Das ist subversiv! Obwohl ich das Wort noch nicht kannte – ich bekam ein Gefühl dafür, was es bedeutet. Und dieses Gefühl glimmte in mir noch einige Jahre, bis es sich dann Mitte der Achtziger in Form von Punk oder dem, was ich dafür hielt, entzündete. Sicherlich war das nicht so monokausal, wie es sich das jetzt liest, aber nichts passiert wie gesagt im luftleeren Raum. 1989 saß ich dann im Klassenzimmer der 12. Jahrgangsstufe, daneben Ranen und Tobias Scheisse, mit denen ich gerade gemeinsam HAMMERHEAD gründete. Hinter uns (gibt es noch eine Reihe hinter der letzten Reihe?) saß nach vorne gebeugt ein recht introvertierter Typ. Seine langen Haare verbargen das Gesicht und das, was er fast die gesamte Unterrichtszeit tat: das filigrane Zeichnen von Logos für fiktive Magazine. Das war Till Kaposty, heute Till Kaposty-Bliss. Nach dem Abitur verlor man sich aus den Augen. Bis mir vor wenigen Monaten im Weihnachtsgewusel des lokalen Buchgeschäfts auf einem Buchcover der Teufel, den ich von den Magazinen meines Bruders her kannte, ins Auge sprang: „Teuflische Jahre. pardon: Die deutsche satirische Monatsschrift 1962-1982“, herausgegeben unter anderem von meinem ehemaligen Mitschüler Till. Mit ihm traf ich mich im Caricatura Museum in Frankfurt, wo gerade die dazugehörige pardon-Ausstellung gezeigt wurde.

Wie bist du, Jahrgang 1970, überhaupt mit pardon in Berührung gekommen? Du bist doch wie ich eigentlich zu jung dafür.
Als Kind war ich Sperrmüllsammler und habe insbesondere immer Comics mitgenommen, „Mickey Mouse“ und so was. 1982 wohnte ich in einer Kölner Vorstadt und habe bei meiner Runde fünf pardon-Hefte aus den späten Siebzigern gefunden. Die fand ich sehr spannend, weil die recht Comic-lastig waren. Darüber fand ich direkt einen Zugang. Die waren natürlich auch sehr politisch, womit ich als Zwölfjähriger noch nicht so viel anfangen konnte. Bis dahin hatte ich von dem Heft noch nie gehört. Zu Hause habe ich die immer wieder durchgeblättert und war von da an fasziniert. Ich muss die Geschichte etwas abkürzen: Viele Jahre später habe ich den ehemaligen Verleger Hans A. Nikel ausfindig gemacht, ihm geschrieben und über die Zeit hat sich ein sehr enges und freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Nach seinem Tod 2018 hat er mir die Rechte an der Marke pardon vermacht. Zu dem Zeitpunkt wusste ich gar nicht, was es da überhaupt noch an Material gab. Ein zentrales Archiv existierte nicht mehr, nachdem die Zeitschrift 1982 eingestellt wurde. Ich habe dann seine Frau Edith unterstützt, seinen Nachlass zu ordnen, und das waren Tonnen an Material, die da zum Vorschein kamen. Im Keller gab es ganze Schränke voll mit Sachen noch aus der (Vor-)pardon-Zeit mit Korrespondenzen, Entwürfen und Originalzeichnungen. Ich wusste, dass es drüber hinaus noch ein Redaktionsarchiv gab, das 1980 als Schenkung nach Mainz ins Deutsche Kabarettarchiv gegangen ist. Dort gab es neben den kreativen Sachen noch etliche Ordner mit Prozessunterlagen, Gerichtsbescheiden und dergleichen. Achim Frenz, Leiter des Frankfurter Caricatura-Museums, hat meine Aktivitäten wahrgenommen und mich angesprochen, ob wir nicht eine Ausstellung machen könnten. Das Museum gibt es ja eigentlich nur, weil es auch pardon gab. Es ist der „Neuen Frankfurter Schule“ gewidmet, also F.K. Waechter, Robert Gernhardt, F.W. Bernstein, Chlodwig Poth ... Das waren ja alles pardon-Mitarbeiter oder auch Begründer, die dann später auch Titanic gegründet haben. So war es folgerichtig, dass man an dieser Stelle eine pardon-Ausstellung macht. Das gab es bis dahin auch noch nie. Gerhard Kromschröder, der langjährige stellvertretende Chefredakteur, beteiligte sich ebenfalls und konnte die Innenansicht repräsentieren, während ich ja eher derjenige bin, der den Blick von außen hat. Wir haben die Ausstellung über anderthalb Jahre intensiv vorbereitet und waren dann zum sechzigjährigen Jubiläum 2022 so weit. Bodo von Hodenberg vom Verlag Favoritenpresse hat das begleitende Buch herausgegeben, ohne den hätten wir das gar nicht alles geschafft.

Wenn du mit dem Blick von heute auf die zwanzig Jahre pardon von 1962 bis 1982 schaust, was sind da für dich die wichtigen Punkte?
Was zuallererst kritisch aus heutiger Sicht zu bewerten ist, ist das Thema nackte Frauen. Das würde man heute sicherlich nicht mehr so machen. Was politische Korrektheit angeht, war das sicherlich eine andere Zeit als heute. In der Nachbetrachtung wird aber auch deutlich, dass das Heft sehr mutig war. Es wurde immer sehr stark gegen rechte beziehungsweise nationalsozialistische Bestrebungen vorgegangen, die es Anfang der Sechziger Jahre ja noch massiv gab. Das war stets eines der Grundanliegen von der ersten bis zur letzten Ausgabe und das ist ja nach wie vor ein relevantes Thema. Das rechne ich dem Magazin sehr hoch an. Die waren dabei aber nie verbiestert oder verbohrt. Und egal, welches Thema mit Humor beackert wurde, die Haltung dahinter war stets erkennbar. Die Verleger und Redakteure kamen ja alle noch aus der Kriegs- oder unmittelbaren Nachkriegsgeneration und hatten erkennbare Standpunkte. Satiriker heute verstecken sich häufig hinter einer „Das war ja nur ein Scherz“-Attitüde. Alles ist nur ein „eigentlich“, wo du am Ende niemanden auf etwas festnageln kannst. Das war bei pardon anders. Dort gab es auch neben dem Humoristisch-Satirischen immer Sachartikel. Günther Wallraff hat als Redakteur Rollenreportagen beigetragen oder auch Alice Schwarzer. Das war ja nicht satirisch, sondern Aufklärungsarbeit im engeren Sinne. Das war aber eingebettet in ein buntes, munteres Umfeld. Und diese Mischung gab es damals wie heute nicht in der Form. Das war schon ein Zeitgeistmagazin. Deshalb lief das auch nicht Jahrzehnte gut.

pardon gab es seit 1962 und das war noch eine komplett andere Republik. War das Magazin Repressalien ausgesetzt?
Bei der Frage muss ich noch einen Exkurs zur Vorgeschichte anführen. Den pardon-Verlag Bärmeier & Nikel gab es schon seit 1954. Die haben Bücher gegen Militarismus, Atomwaffen und Atomenergie herausgebracht. Das Konzept für pardon ist 1960 entstanden, 1961 erschien eine Nullnummer. Und zu der Zeit war das Thema Sexualität komplett tabuisiert. In Köln gab es von der katholischen Kirche eine Art Sittenwacht-Anstalt. Die haben alles geahndet, was irgendwie sexuell oder anstößig war in Bild und Wort beziehungsweise Nacktheit überhaupt. So etwas wurde von denen direkt bei der Staatsanwaltschaft gemeldet. Bei der allerersten Ausgabe von pardon natürlich auch. Da gab es eine doppelseitige Zeichnung mit dem Titel „Eine Straßenbahn namens Sehnsucht“. Da ist eine Tram zu sehen, die von einem Teufel geführt wird, und sie ist voll besetzt mit kopulierenden Körpern aller Geschlechter. Alles was Spaß macht. Eigentlich relativ naiv gezeichnet. Dieser Skandal der ersten Stunde war für das Magazin natürlich ein Glücksfall, da das medial breit aufgegriffen wurde. Das war ein guter Startschuss. Der Umgang mit Sexualität erregte die ersten zehn Jahre des Heftes immer wieder Anstoß. Es gibt ordnerweise irgendwelche Gerichtsurteile zum Thema „Unzucht“. Da wurden buchstäblich einzelne Schamhaare inspiziert und indiziert. Es gab auch für einzelne Ausgaben Verkaufsverbote, die dann wieder aufgehoben wurden. 1962 war ja auch diese Strauß/Spiegel-Affäre. Springer und die Bild-Zeitung waren in der Zeit total mächtig. Und pardon hat ja dauernd gegen die Bild geschossen und angeprangert, wie Springer versucht, Stimmungen zu produzieren und dabei lügt. Springer hat im Gegenzug immer versucht, pardon mundtot zu machen. Da wurden zum Beispiel Zeitungsauslieferer erpresst. Aber es wurden immer wieder Urteile gefällt, die pardon recht gaben. Gerade hier in Frankfurt war auch der [Anm.: als Alt-Nazijäger bekannte] Staatsanwalt Fritz Bauer ansässig, der immer seine Hand über das Heft hielt. Schlussendlich wurde keine Ausgabe dauerhaft verboten. Es gab auch einzelne Politiker, die immer wieder geklagt haben, wie zum Beispiel Franz-Josef Strauß. Er hat aber nie gewonnen. 1976 gab es eine Klage von Helmut Kohl, als er nackt gezeichnet wurde und durch eine Landschaft huscht unter dem Slogan „Freiheit statt Sozialismus“, das war der damalige Wahlslogan der CDU. Das gab’s auch als Plakat unter dem Namen einer fingierten Pro-CDU-Vereinigung und dieses wurde an diverse Abgeordnete geschickt. Und weil dort das echte CDU-Logo drauf war, wurde es verboten. Aber nur das Plakat, nicht das Heft.

Bei allem Mut und bei allen Verdiensten, die pardon im Nachhinein natürlich zuzugestehen ist, bleibt da nicht auch der bittere Beigeschmack eines männerdominierten, zum Teil machohaften Umgangs mit dem Thema Sexualität und der Darstellung von Frauenbildern über den gesamten Zeitraum hinweg? „Sexuelle Revolution“ bedeutete da doch zum übergroßen Teil das Ausleben männlicher Wunschvorstellungen.
Ja, auf jeden Fall. Da hat pardon wie viele andere Zeitschriften in der Zeit sicher keine ruhmreiche Rolle gespielt. Frauen tauchten tatsächlich oft nur als Sekretärinnen oder eben unbekleidet auf dem Titel auf. Zu Beginn war das sicherlich als Protest gegen Prüderie begründet, aber irgendwann wurde es ein verkaufsfördernder Selbstzweck.

Warum wurde damals nicht verstanden, dass sich das gegen die eigenen emanzipatorischen Ideale richtet?
Wenn du dich mit den noch lebenden Leuten von damals unterhältst, verwundert es, dass die das damals einfach nicht gesehen haben, selbst die zur Gründungsredaktion zählende Elsemarie Maletzke. Eine Ausnahme ist da Alice Schwarzer, die das damals schon falsch fand. pardon war auch, was die Leserschaft angeht, sehr männerdominiert. Innerhalb der Redaktion wurde das auch nicht thematisiert, sondern die kritische Würdigung kam erst im Nachgang. Das ist aus heutiger Sicht unbegreiflich. Ich selber bin da auch zwiegespalten, auf der einen Seite bin ich auch ganz korrekt, was das angeht, auf der anderen Seite mag ich aber auch die pardon-Titelbilder und finde die toll. Ich verstehe total, dass man das ätzend findet, dennoch bringt das etwas in mir zum Klingen, das kann ich nicht verneinen. Ich sehe das aber auch immer in seiner Zeit. Es ist ja immer leicht, Jahrzehnte später Sachen zu beurteilen: „Ja, hättet ihr mal ...“ Nein! Wenn der ganze Zeitgeist um dich herum so oder so ist und du bist nicht unbedingt in allen Bereichen gleichzeitig total visionär und sagst „Oh je, in zwanzig Jahren wird uns das mal böse auf die Füße fallen“, dann ist es immer leicht, etwas im Nachhinein zu kritisieren. Bei der Ausstellung machen wir das jetzt so, dass wir die Besucher:innen vorher darauf hinweisen und das entsprechend kritisch würdigen.

Gab es bei der Durchsicht des Materials noch andere Themen, bei denen du sagen würdest, dass sie damals auf dem Holzweg waren? Wo viel experimentiert wird, kommt oft auch viel Schrott bei heraus.
Das Unglück der Titanic in den Siebzigern ist diese Geschichte mit der „Transzedentalen Meditation“. Das ist eine spirituell-religiöse Art des Yogas und wurde von Maharishi Yogi entwickelt, der ja auch der Guru der BEATLES war. Er war der Meinung, wenn alle Leute gleichzeitig bestimmte Dinge tun, meditieren und in sich gehen wird, eine Energie freigesetzt, die einen von der Erde abheben lässt. David Lynch ist ja immer noch Anhänger davon. Das ist meinetwegen auch vollkommen okay, wenn Leute das machen. Aber der pardon-Verleger hat sich zu sehr davon einnehmen lassen. Die allgemeine politische Stimmung war schwierig, die RAF war großes Thema in der Gesellschaft und das fand er nicht gut. Ein großer Teil der Linken waren ihm nicht reflektiert genug und so ging er in eine spirituelle Richtung, zunächst privat, und dann schlug das auch als Linie aufs Heft durch. Das gipfelte im November 1977 in dem Titel „Kein Witz, ich kann fliegen!“. Ein unsatirischer und ewig langer Bericht, in dem beschrieben wird, dass durch Transzendentale Meditation die Kriminalitätsrate sinken, die Welt glücklicher und fröhlicher werden würde und so weiter. Das wurde noch mit Statistiken und Tabellen unterlegt sowie mit Bildern von hopsenden Menschen illustriert. Und das in einer Satirezeitschrift! Die war zu dem Zeitpunkt zwar insgesamt nicht mehr ganz so satirisch wie früher, aber wurde doch noch als solche gesehen. Am Anfang dachten die Leser, das sei ein Witz. Aber das hörte ja gar nicht mehr auf, so dass die Leser reihenweise abgesprungen sind. Das war dann der Anfang des Untergangs von pardon und sicherlich ein Irrweg. Ansonsten fand ich eigentlich alle behandelten Themen durchweg spannend. Einen besonders großen Stellenwert hatte der Literaturbetrieb und das in verschiedensten Formen – gezeichnete Kolumnen, Fotocomics neben satirischen Artikeln. So eine Breite findest du in der Titanic heute nicht mehr und Literatur ist da längst nicht so stark vertreten.

Welches sind deiner Meinung nach die wichtigsten und stärksten Impulse, die von dem Magazin ausgingen?
Unwidersprochen ist sicherlich, dass die Art des subtil-albernen Humors Generationen von nachfolgenden Zeichnern und Autoren beeinflusst hat. Dass zum Beispiel Hauck & Bauer heute in der FAZ abgedruckt werden, hätte sich vor dreißig Jahren niemand vorstellen können. Leute, die als Jugendliche pardon gelesen haben, sind ja zum Teil auch später selber in den Medien tätig gewesen. Und diese Lockerheit, diese Verbindung von Scherz und Ernst ist da doch heute weitgehend eingeflossen. Ich vermute auch, dass das permanente Hinweisen auf die Gefahren der Atomkraft beispielsweise oder auch des Nationalsozialismus einen gewissen gesellschaftlichen Einfluss hatte. Ein Highlight war sicherlich der Auftritt des Adolf Hitler-Darstellers bei der Frankfurter Buchmesse 1973.

Was war da bitte?
Auch lange nach dem 2. Weltkrieg war eine gewisse Nazi-Nostalgie relativ populär und insbesondere die Person Adolf Hitler übte auf viele eine große Faszination aus. Und so kamen damals wie heute jährlich mehrere Bücher raus, die irgendeinen Aspekt aus Hitlers Leben beleuchten bis hin zur Katze der Sekretärin des „Führers“. Auch Guido Knopp hat ja etliche TV-Beiträge zu völlig absurden Hitler-Themen produziert. Hitler war und ist omnipräsent. Und insbesondere die Buchmessen waren jährlich bestückt mit diesen Hitler-Wälzern, weil sich das gut verkauft hat. pardon hat ja nicht nur das Heft herausgebracht, sondern auch immer wieder Aktionen gestartet. 1973 haben sie einen amerikanischen Schauspieler auf die Buchmesse geschickt, der fast genau so aussah und zurecht gemacht war wie Hitler. Der ist dort mit einem VW-Käfer vorgefahren und dann zu den Verlagsständen gegangen, die „seine“ Bücher herausbringen. Er hat sie hochgehalten und sich persönlich bei den Verlegern für sein Gedenken bedankt. Diese Aktion finde ich echt cool. Die haben so auf eine nicht zu bösartige Weise infrage gestellt, ob das alles so richtig ist, was da passiert. Und diese Art mag ich sehr.

Irgendwann haben Mitarbeiter von pardon die Titanic gegründet. Wie kam es dazu?
Es war so, dass die erste Generation der Mitarbeiter wie Waechter, Gernhardt, Bernstein sich irgendwann abgewendet haben. Da war so um 1973 der erste Bruch. Das war die Zeit, in der es Bestrebungen gab, ein Redaktionsstatut einzuführen. Mitbestimmung war in dieser Zeit ein großes Thema, auch bei anderen linken Verlagen wie Wagenbach zum Beispiel. Das Magazin Konkret wurde ja nahezu enteignet von den Redakteuren. Die Mitarbeiter wollten keinen Chef mehr akzeptieren und selber die „Macht“ haben. Das war bei pardon ähnlich. Es wurden Forderungen gestellt, die der Verleger in der Form allerdings nicht erfüllen wollte. Teile der alten Belegschaft haben dennoch weiter dort gearbeitet, aber es wurden immer weniger. Und wenn die Leitung etwas anderes will als die Redakteure, muss das zwangsläufig irgendwann zum Bruch führen. Einer der letzten „alten Recken“, der tatsächlich bis 1979 noch dort war, ist Hans Traxler. Die anderen Mitarbeiter haben eigene Projekte verfolgt, etwa Buchverlage oder fürs Fernsehen gearbeitet. 1979 taten sich einige zusammen und wollten pardon, mit dem sie nicht mehr einverstanden waren, etwas entgegensetzen. Und diese alte Mannschaft hat dann Titanic gegründet. Wenn du dir die ersten beiden Jahrgänge von Titanic anschaust, ist das schon sehr ähnlich, wie pardon es mal war.

Wenn du dir heute Titanic anschaust, wie viel pardon steckt noch da drin?
Eigentlich fast gar nichts mehr. Da liegen ja jetzt auch über vierzig Jahre Evolution dazwischen. Man findet noch das von Waechter gezeichnete „Briefe an die Leser“. Aber insgesamt ist das eine komplett andere Form, auch wenn ich die nach wie vor mag und lese. Es ist alles sehr viel alberner und ich merke, dass mir zu vielen Dingen der Bezug fehlt.

Die Rolle, die pardon in der Nachkriegsgesellschaft gespielt hat, kann heute wahrscheinlich ein Satiremagazin gar nicht mehr erfüllen. pardon hatte ja einen Alleinstellungsanspruch, während die Titanic nur ein Blatt in einem extrem aufgeblähten und diversen Zeitschriftenmarkt ist. Kann ein satirisches Produkt heute überhaupt noch annähernd eine solche Relevanz erlangen?
Eine Satirezeitschrift, wie sie heute vielleicht nötig wäre, müsste radikaler sein. Und wir haben das ja bei Charlie Hebdo gesehen, das endet möglicherweise tödlich. Es war aber auch so, dass die Lager damals klarer waren. Auf der einen Seite waren da die konservativen „Bösen“ und auf der anderen die progressiven und aufgeklärten „Lieben“. Nachdem, was mir die alten Mitarbeiter berichten, gab es innerhalb dieser Lager nicht diese Zänkereien untereinander. Heute gibt es diese Gruppe der „Alternativen“ oder „Linken“ gar nicht mehr, sondern die sind in tausend Untergruppen aufgeteilt, die sich gegenseitig auch noch beharken. Du hast nicht mehr diesen Block, der geschlossen gegen den anderen großen Block vorgeht, sondern zig kleine „Fürstentümer“ und alle beschießen sich untereinander. Deswegen wirst du auch kein Zentralorgan der Satire oder was auch immer mehr haben können. Wenn du dich positionierst, hast du eine kleine Gruppe, die dein Heft kaufen beziehungsweise lesen. Aber 500.000 andere werden dich hassen, weil sie nicht vorkommen oder weil sie sich gar angegriffen fühlen. Und wenn du die auch noch mit aufnimmst, ufert das total aus und du bekommst kein richtiges Profil mehr zustande. Heute ist es auch so, dass die sozialen Medien dich in kürzester Zeit vernichten können. Mit der entsprechenden Reichweite und Lautstärke kann eine überschaubare Gruppe so ein Blatt in null Komma nichts zerlegen. Junge Menschen kaufen außerdem keine Zeitschriften mehr. Es müsste also eine neue Form gefunden werden, die zwangsläufig online ist. Und wer bezahlt dafür?! Es gibt unendlich viele satirische Online-Inhalte, die kostenlos sind, zum Beispiel der Postillion, den ich auch sehr schätze. Die decken ja auch Missstände auf, recherchieren und haben ihre Zielgruppe. Aber eine große Zeitschrift, die sich über ihre Leserschaft finanziert, wird es nicht mehr geben. Es sei denn, es gibt eine Revolution und/oder das Internet geht kaputt. Dazu wird es aber nicht kommen. Alles hat halt seine Zeit.

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Till Kaposty-Bliss
Geboren 1970 in Köln, Grafiker, Zeitschriften-Sammler, seit 2014 Verleger von Das Magazin und seit 2020 des Verlages Bärmeier & Nikel, beide in Berlin; beschäftigt sich seit seinen Jugendtagen mit pardon und dessen Kosmos. Was 1982 als Sperrmüllfund in der Kölner Vorstadt begann, mündet vierzig Jahre später in der großen pardon-Werkschau „Teuflische Jahre“. In seiner Freizeit rettet er historische Laden-Schriftzüge vor der Verschrottung und ist Vorstandsmitglied des „Buchstabenmuseums“ im Berliner Hansaviertel.

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pardon war eine literarisch-satirische Zeitschrift, die von 1962 bis 1982 in Frankfurt erschien. Markenzeichen von pardon war F.K. Waechters Teufel, der seine Melone lupft. Schnell entwickelte sich pardon zum Zeitgeistmagazin des Aufbegehrens der Jugend gegen den Muff der Adenauer-Zeit und seiner Autoritäten. Es eckte immer wieder an, wurde mit Prozessen überzogen, legte sich mit den meist klerikalen Sittenwächtern an und agitierte gegen die weitverbreitete Prüderie und bürgerliche Doppelmoral der frühen Bundesrepublik. Viele spätere sehr bekannte Autoren und Zeichner fanden über pardon ein breiteres Publikum. Mit einer Auflage von bis zu 320.000 Exemplaren und mehr als 1,5 Millionen regelmäßigen Lesern wurde pardon zeitweilig zur größten Satirezeitschrift Europas. Ehemalige Mitarbeiter des Heftes gründeten Ende der Siebziger Jahre die Titanic.