Party vorbei?

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Das Vinyl-Drama und die Folgen für DIY-Labels am Beispiel von Partysprenger Records

Im letzten Ox schilderte Michael Schuster von Cargo Records unter dem Titel „Das Vinyl-Drama“ eindrucksvoll die aktuell schwierige Situation des Vinyl-Marktes aus Sicht eines Tonträger-Großhändlers. Was bedeuten aber mangelnde Fertigungskapazitäten, steigende Preise und lange Lieferzeiten konkret für kleine Plattenlabels? Hobby-Labels, die den DIY-Gedanken in der Punk-Szene am Leben halten. Die mit überschaubaren finanziellen Mitteln, dafür aber mit reichlich Herzblut und Kreativität am Start sind. Die mehr oder minder regelmäßig zumeist in kleinen Auflagen Tonträger veröffentlichen und damit auch oft kleinen, neuen regionalen Acts eine Heimat für erste Veröffentlichungen bieten. Dies wollten wir von Ox-Schreiber Axel M. Gundlach wissen, der in seiner Freizeit das Ein-Mann-Label Partysprenger Records betreibt.

Bitte stell uns dein Label vor.

Das Label habe ich 1992 aus der Not heraus gegründet. Wir hatten mit unserer Band DIE SCHNICKERS drei Songs eingespielt, fanden aber kein Label, das die Songs veröffentlichen wollte. So habe ich kurzentschlossen Partysprenger Records gegründet, um selbst eine 7“ mit den drei Songs rauszubringen. Bisher komme ich auf 16 Veröffentlichungen, wobei ich die Schlagzahl in den letzten Jahren etwas erhöht habe. Mein Schwerpunkt liegt im Bereich Pop-Punk. Aktuell veröffentliche ich ausschließlich 7“s und LPs in Auflagen zwischen 300 und 500 Stück. Ich bin kein GEMA-Mitglied, haben keinen Labelcode und habe kein Gewerbe angemeldet. Da ich keinen ständigen Geschäftsbetrieb habe und keine Gewinne erziele, läuft das steuerrechtlich als „Liebhaberei“. Und dieser Begriff trifft das eigentlich sehr gut.

Wie ist die Lage aktuell bei dir?
Das Jahr 2021 lief grandios an. Ich hatte Mitte des Jahres zwei großartige Releases, eine 7“ mit den YUM YUMS und eine LP-Compilation mit Surf-themed Pop-Punk mit 16 Bands. Im Lockdown im Frühjahr 2021 hat mir mein Sohn eine eigene Website für das Label eingerichtet. Als dann alle Bands auf ihren Social-Media-Kanälen die beiden Veröffentlichungen promotet und auf meine Website verwiesen haben, bin ich quasi von Bestellungen aus der ganzen Welt überrollt worden. Von Japan über die USA, Australien, fast die gesamte EU, Kanada bis nach Singapur. Dann der Schock. Mein Presswerk, Flight 13 Duplication, eröffnete mir im Herbst, dass es zum Ende 2021 den Geschäftsbetrieb einstellen wird. Ich stand also von einem auf den anderen Tag ohne Presswerk da.

Und dann ...?
Da ich bereits an den beiden nächsten Releases arbeite und eine neue 7“ quasi schon fertig zur Produktion ist, habe ich in den letzten Wochen meine Suche nach einem neuen Presswerk intensiviert. Ja, manchmal weiß man etwas nur richtig zu schätzen, wenn es nicht mehr da ist. Ich merke jetzt, welchen tollen Partner ich mit Flight 13 Duplication in den letzten Jahren an meiner Seite hatte. Immer korrekt, immer faire Preise und ein fairer, freundschaftlicher Umgang. Ein Partner, der unserer Subkultur verbunden ist und der sich für jede Veröffentlichung interessiert. Wo Platten auch noch Namen hatten und nicht nur Projekt- oder Bestellnummern. Ein Partner, dem es immer wichtig war, eine tolle Arbeit abzuliefern. Der sich freute, wenn Labels und Bands mit dem Ergebnis glücklich waren.

Wie sind deine Bemühungen bisher verlaufen, ein neues Presswerk zu finden?
Es ist aktuell sehr ernüchternd. Ich habe etliche Presswerke und Broker, die Aufträge an Presswerke vermitteln, kontaktiert. Einige Presswerke nehmen derzeit gar keine neuen Kunden an, andere nehmen momentan keine Aufträge von 7“-Produktionen oder von Kleinauflagen unter 500 Stück an. Wenn Aufträge angenommen werden können, sind die aber zumeist mit enormen Lieferzeiten von mindestens sieben bis zu zwölf Monaten oder mit deutlichen Preissteigerungen im Vergleich zu meinen letzten Veröffentlichungen verbunden. Teilweise können mir aktuell sogar gar keine verbindlichen Preise genannt werden, hier wird auf Tagespreise verwiesen. Es kann dir dann also passieren, dass du jetzt eine Produktion in Auftrag gibst, die dann in zwölf Monaten zur Auslieferung kommt. Und wenn dann in der Zwischenzeit deutliche Preissteigerungen vorliegen, kann es dazu kommen, dass du deutlich mehr bezahlen musst, als ursprünglich erwartet. Diese Planungsunsicherheit ist gerade für kleine Labels, die meist spitz kalkulieren und wenig finanzielle Polster haben, eine höchst unangenehme Situation. Über meine Erfahrungen bei der Presswerksuche habe ich mich kürzlich mit Bieber von Flight 13 Duplication ausgetauscht. Er hat mir bestätigt, dass viele kleine Hobby-Labels aktuell die gleichen Erfahrungen machen und in der Folge überlegen, ihre Labeltätigkeit einzustellen. Bitte hier nicht falsch verstehen. Das soll hier kein Wehklagen sein, wie schlecht die Welt und wie böse der Kapitalismus ist. Und es soll auch keine Abrechnung mit Brokern und Presswerken sein, die die knappen Produktionsressourcen gezielt dazu nutzen, die Preise für Vinyl in die Höhe zu treiben und Kleinkunden zugunsten von großen Major-Plattenfirmen abzuservieren. Ich habe sogar das Gefühl, dass sich gerade Broker für Angebote mit deutlich gestiegenen Preisen und langen Lieferzeiten, die sie ja nicht zu vertreten haben, bei mir entschuldigen. Aus wirtschaftlicher Sicht ist das alles nachvollziehbar, auch wenn natürlich ein bitterer Beigeschmack bleibt. In der Blütezeit der CD hat gerade unsere Subkultur weiterhin auf das Medium Vinyl gesetzt und dadurch auch viele Presswerke am Leben gehalten. Das vermittelt einem schon das Gefühl des Undanks, dass jetzt, da die Majorlabels mit ihren langweiligen Mainstream-Produktionen wieder stärker zum Vinyl zurückfinden, für ihre zwischenzeitliche Untreue auch noch belohnt und bevorzugt behandelt werden, während langjährige treue kleine Kunden dafür auf die Strafbank gesetzt werden.

Manche Labelmacher resignieren hier, geben auf. Ist es für dich eine Option, deine Labelarbeit zu beenden?
Nicht wirklich. Aktuell läuft es sehr gut. Ich erfahre viel Wertschätzung für meine Arbeit. Wenn mir meine Kunden rund um den Erdball schreiben, dass sie sich auf weitere Partysprenger-Platten freuen, wenn Morten von den YUM YUMS anfragt, ob wir nicht gemeinsam weitere 7“s an den Start bringen sollen, und wenn sich meine Freunde FLANDERS 72 aus Brasilien wünschen, dass ich im nächsten Jahr auch deren neues Album wieder auf Vinyl rausbringe, dann scheine ich doch einiges richtig zu machen. Das ist eine schöne Bestätigung für die ganze Arbeit, die ich in das Label stecke. Es wäre sehr schade, wenn ich jetzt aufhören müsste. Ich habe über die letzten Jahre bei meinen Veröffentlichungen viel optimiert. Inzwischen kann ich sogar für geringe Versandkosten einzelne LPs bis nach Japan, Australien und die USA versenden. Das wäre echt schade, wenn ich das erworbene Wissen um die Produktion und die Vermarktung von Platten jetzt nicht mehr nutzen würde. Auch wenn es heißt, dass man aufhören soll, wenn es am schönsten ist, so habe ich doch das Gefühl, dass die Party noch nicht vorbei ist. Ich möchte in der aktuellen Situation ungern den Majorlabels mit ihren teilweise echt überflüssigen Veröffentlichungen kampflos das Feld überlassen. Wenn ich sehe, dass in den Vinyl-Charts eine neue Phil Collins-LP-Sammelbox von der Spitze grüßt, deren einzelne LPs es auf jedem popeligen Flohmarkt in der Wühlküste für kleines Geld gibt, dann ist das echt zum Würgen. Dafür werden dann für zig Tage Pressmaschinen blockiert, während gleichzeitig potenzielle neue, frische Platten hintenanstehen müssen oder sogar überhaupt nicht produziert werden können. Deshalb lohnt es sich, auch weiterhin für neue junge Bands, für das 7“-Format und für den DIY-Gedanken zu kämpfen. Auch wenn das Risiko, das damit verbunden ist, für die kleine Labels immer größer wird. Vom Auftrag bis zur Auslieferung können die Kosten deutlich steigen. Oder du gibst eine Platte in Auftrag für eine Band, Fertigung und Auslieferung benötigen zwölf Monate und plötzlich existiert die Band nicht mehr und es ist in der Folge viel schwieriger, die Platte zu verkaufen. Ein nicht unerheblicher Teil meiner Produktionen wird nämlich zumeist von den beteiligten Bands selbst nach Konzerten am Merchstand verkauft.

Was bedeutet die aktuelle Entwicklung für mögliche neue Releases auf deinem Label?
Ich habe mir in den letzten Wochen viele Gedanken dazu gemacht. Da ich meine Kosten über die letzten Jahre schon optimiert habe, habe ich hier kaum noch Spielraum für weitere Absenkungen. Bei der Qualität meiner Veröffentlichungen möchte ich keine Abstriche machen. Alle meine LPs enthalten beispielsweise Beilagen mit den Songtexten, Bandfotos und weitere Infos zum Release. Das ist mir wichtig, das möchte ich ungern aufgeben, auch wenn ich dadurch ein paar Euro Produktionskosten einsparen könnte. Auch Digital-Releases oder eine Wiederbelebung der CD kommen für mich nicht infrage. Ich möchte auch nicht, dass meine Platten zu Lifestyleprodukten oder Spekulationsobjekten verkommen. Dass es eine Platte von mir zum Beispiel in vier verschiedenen Vinylfarben gibt, das lehne ich ab. Meine Kunden sollen meine Platten kaufen, weil sie die Musik und das Cover toll finden, aber nicht um sie nur im Wohnzimmer auf einer Dekoleiste zu präsentieren oder gar im Safe zu lagern und nach ein paar Jahren zu höheren Preisen weiterzuverkaufen. An Preissteigerungen werde ich wohl leider nicht vorbeikommen, diese sollten aber moderat ausfallen, weil es aus meiner Sicht schon Schmerzgrenzen gibt, die nicht überschritten werden sollten. Aktuell gibt es die 7“s bei mir für maximal sieben Euro und LPs für maximal dreizehn Euro. Steigerungen um je ein bis zwei Euro sind für die Zukunft wahrscheinlich nicht zu verhindern. Ich möchte aber zukünftig nicht Singles für den bisherigen Preis einer LP verkaufen. Und wenn ich schon die Preise anheben muss, werde ich mir überlegen, wie ich die Attraktivität meiner Produktionen weiter erhöhen kann. Bei meiner nächsten 7“ habe ich bereits reagiert. Es ist wieder eine Split-7“, die ursprünglich mit drei Songs von drei Bands geplant war. Ich habe kurzfristig auf vier Songs von vier Bands aufgestockt. Wenn schon die Preise steigen, sollen meine Kunden dann auch mehr Inhalt für ihr Geld bekommen. Auflagen von 200 bis 300 Platten werden sich in den nächsten Jahren wirtschaftlich nicht tragen. Hier muss ich versuchen, die Auflagen über „Shared Releases“ mit anderen Labels von anderen Kontinenten, aus Nordamerika oder Asien, zu erhöhen. Das halte ich im Bereich des Pop Punk für umsetzbar, da die kleine und überschaubare Szene international gut vernetzt ist mit vielen Akteuren, die total hilfsbereit und engagiert sind. Hier gibt es keinen Neid, dafür viel Bereitschaft für gegenseitige Unterstützung.

Wie lautet dein Fazit?
Ich befürchte, dass es aufgrund der aktuellen Entwicklung leider einige Verlierer geben wird. Einige kleine Hobby-Labels werden dichtmachen. Junge Bands werden es schwerer haben, erste Vinylveröffentlichungen umzusetzen. Das ist echt bitter. Ich erinnere mich an meinen ersten Release. DIE SCHNICKERS gibt es auch heute noch, fast dreißig Jahre nach der ersten 7“. Ich wage mal die Einschätzung, dass es die Band ohne diese erste Platte heute wahrscheinlich nicht mehr geben würde. Weiterhin wird das Format 7“ deutlich leiden und auch Releases in kleinen Auflagen. Ich habe auf alle Fälle vor weiterzumachen. Angeblich sind neue Fertigungsanlagen in Auslieferung, der Vinylmarkt wird sich dadurch konsolidieren, davon werden aber zunächst ausschließlich die Majorlabels profitieren. Bis sich die Situation auch in unserer Subkultur wieder spürbar entspannt, werden mit Sicherheit noch drei Jahre vergehen. Da heißt es durchzuhalten und in dieser Zeit vielleicht etwas kürzer zu treten und auch mal ein paar Produktionen mit Verlust abzuschließen. Es ist auf alle Fälle besser, drei Jahre lang durch ein Tal der Tränen zu gehen und in aller Munde zu bleiben, anstatt den Laden abzuschließen und dann in drei Jahren wieder quasi bei Null zu beginnen. Ich wünsche mir dazu auf alle Fälle weiterhin eine breite Wertschätzung für die Arbeit der vielen kleinen Hobby-Labels, die den wichtigen DIY-Gedanken für unsere Subkultur am Leben halten und neue kleine, noch unbekannte, aber aufstrebende Bands bei ihren ersten Schritten zu einer breiteren Popularität unterstützen. Blöde Kommentare in Richtung der Labels zu langen Lieferzeiten oder höheren Preisen sind da wenig hilfreich, mögen sie vielleicht auch manchmal spaßig gemeint sein. Und wenn wir schon beim Thema Wertschätzung sind. Alle Ox-Leser:innen, die bisher noch kein Ox-Abo haben, haben über den Abschluss eines Abos die Möglichkeit, hier ihre Wertschätzung für eine engagierte, wichtige Arbeit für unsere Subkultur zum Ausdruck zu bringen. Fanzines wie das Ox haben eine wichtige Funktion, dass kleine Labels wie Partysprenger Records in den nächsten Jahren überleben werden. Ohne Reviews der Releases und ohne Interviews der veröffentlichten Bands ist das nicht zu schaffen. Einfach mal drüber nachdenken, danke. Der Kampf geht weiter, Genossen!