PAT BLASHILL

Foto

Fotografiere dein Leben

In Wien lebt es sich selbst in Corona-Zeiten gut. Was der ursprünglich aus Texas stammende Fotograf und Musikjournalist Pat Blashill zu schätzen weiß, der seit langem in der Donaumetropole zuhause ist. Von hier aus publizierte er heuer neben Familienleben und Lohnarbeit das erstaunliche Buch „Texas Is The Reason“. The Mavericks of Lone Star Punk“, voll mit Fotos, die er in den Achtziger Jahren von der Subkultur-Szene in Austin, Texas machte.

Gleich gegenüber vom Campus der Universität war der erste Punkclub der Stadt“, erinnert Blashill sich in einem auf speziellen Kaffee und Bagels spezialisierten Lokal in seiner Nachbarschaft im neunten Bezirk. Ox-Leser:innen mögen jetzt Hipsterverdacht äußern, aber für einen lange Jahre in New York lebenden Menschen ist das eine Errungenschaft. Wie vieles andere, das in den letzten Jahren auftauchte im schon auch ein wenig verschlafenen Wien, das sich oft erst Jahre, nachdem es anderswo Standard ist, in einer hiesigen Auslegung zu finden beginnt. Pat ist dabei ein platonisches dream date für (nicht nur) Punkrock-Nerds. BIG BOYS, THE DICKS, OFFENDERS („Sie waren auf Platte nie so gut wie live“), BUTTHOLE SURFERS, SONIC YOUTH – in einem auf seiner Homepage („poison“, patblashill.com) anzusurfenden Interview mit The Quietus nennt er sie als die Bands, die er am häufigsten fotografierte – und viele andere poppen im Gespräch auf und finden sich auf den 248 Seiten des Buches. Dabei ist unsere Konversation alles andere als ein nostalgischer, punkzentrischer Trip down memory lane. Schon erwähnt er, dass er sich als musikalisch umfassend gebildeter und interessierter Mensch erst gestern Carolyne Mas analytisch anhörte, und in einer älteren Ausgabe dieses Heftes findet sich eines seiner Fotos von LIME CRUSH, eine der spannendsten, derzeit leider etwas inaktiven, aktuellen Wiener Bands zwischen Punk, DIY, Queer- und Postcore aus dem Umfeld des Labels Fettkakako, das dieser Tage sein 15-jähriges Bestehen feiert. Pat zitiert eine E-Mail-Konversation in Zusammenhang mit Texas-Punk, bei der ein zwanzigjähriger Youngster reklamierte, „dass er es leid ist, immer von den selben sechs, sieben alten Bands zu hören. Etwas, bei dem ich mir gut vorstellen kann, dass Gary Floyd, Sänger von THE DICKS und SISTER DOUBLE HAPPINESS, dabei herzhaft gelacht hat.“

„It put the fear of god in me“, so umreißt er den Impuls für das Buch. Konkret meint er damit die Krebserkrankung eines Freundes, die dieser glücklicherweise überstanden hat. Wir alle haben nicht endlos Zeit. Das Archiv des Fotografen, der, seit er zehn Jahre alt ist, mit der Kamera Licht festhält, ist gut organisiert, 2015 begann er damit, es nachhaltig in Richtung Buch zu sichten. Pat Blashills Konzept veränderte sich mit der Arbeit daran und mit den Inputs potenzieller Verleger, denen er das Projekt „pitchte“. Einer brachte ihn davon ab, seine Fotos aus Texas mit denen aus New York, wo er seit 1987 lebte zu kombinieren, und die, wie er heute sagt, eine ganz andere Geschichte erzählen. „In Austin hatte ich zu allem Zugang, war dabei, das waren meine Freunde und Bekannten, in New York hatte ich etwa zehn Minuten mit LOVE AND ROCKETS, dieser BAUHAUS-Nachfolgeband, in einem Hotelzimmer.“ Kurioserweise lebte Pat Blashill nie wirklich von der Fotografie, verdiente aber in NY gutes Geld als Autor und Herausgeber einer Zeitschrift über alternative Musik, die sich gerade auf die Goldgräber-Jahre, NIRVANA und die Folgen, zubewegte. Dabei hat er als Schreiber einen ebenso speziellen, wachen Blick wie hinter der Kamera, seine Liebe zu Musik und seine genaue, achtsame Wahrnehmung (kreativer) Menschen, zeigen sich da wie dort.

„Fotografiere dein Leben. Dann werden deine Fotos auch noch Jahre später etwas für dich bedeuten.“ So zitiert er seinen Mentor, den er nach dem ersten Jahr auf der Uni kennen lernte, seit der Highschool arbeitete Blashill dabei mit 35-mm-Film. Mit 1983 gibt er das Jahr an, wo er mit der Qualität seiner Fotografie selbst zufrieden war. „Ich war oft auf Shows, fotografierte und am nächsten Tag drückte ich den Bands Prints in die Hand. Ich erinnere mich an ein Treffen mit Gibby Haynes von den BUTTHOLE SURFERS, er riskierte einen Blick und sagte, die sind aber nicht besonders gut. I was devasted, aber er hatte recht. Gibby und die Bands wussten, was sie wollten, er war ein art school boy, ja, sie waren wild, Hillybillys, die deine Geschwister ficken, aber sie waren auch sehr intelligent und es war viel mehr geplant, als sie rausließen.“

„Wäre so etwas wie die Austin-Szene in Wien passiert, wäre vielleicht dieser Anti-Intellektualismus nicht so stark gewesen. Es war nicht cool zu sagen, dass du Ambitionen hast, dass du Dinge studiert oder darüber nachgedacht hast. Es war cooler zu sagen, dass du die Dinge upfuckst, Dinge aus dem Stand machst, versuchst, alle zu erschrecken. Dass in Austin diese Szene überleben konnte, hatte damit zu tun, dass die Mieten billig waren und viele miese Jobs verfügbar waren, die du aufnehmen und wieder bleiben lassen konntest.“

Ein Teil des Reizes und der großen Kraft mancher der Bands, die in „Texas Is The Reason“ so lebendig dokumentiert sind, macht gewiss ein Element von „outredneck the rednecks“ aus, kurzgeschlossen mit subversiver Energie und der Sehnsucht nach Neuem. So ziert eine Doppelseite mit Fotos der DICKS ein Gary Floyd-Zitat: „I’m a redneck fagot. It’s like ‚You don’t like it? Fuck you!‘“ Tim Kerr (BIG BOYS, POISON 13 Gitarrist) sagte mir, dass es ganz wichtig war für ihn, sich von dieser anderen subkulturellen Musiktradition Austins, dieser „Cosmic American Music“ ganz deutlich abzusetzen.

„Texas Is The Reason“ ist ein praller Bildband, ein vitales Geschichtsbuch einer dynamischen Zeit. Wir sehen weit mehr als Menschen mit Instrumenten auf Bühnen oder backstage, „crowd shots“ oder Musiker:innen, bekannte und unbekannte, beim Posen. Wir sehen Partys, Badezimmer, Schlafzimmer, kriegen einen Eindruck von der Stadt, der Kultur, in der sich das alles abgespielt hat. Wir sehen (Semi-)Berühmtheiten passing through town, DEVO, die MISFITS, Bob Mould und Paul Westerberg gemeinsam on stage, oder David Pirner von SOUL ASYLUM. Aber ebenso die „no names“, die genauso „wichtig“ sind, wie ihre in die schwer zu fassende Geschichtsschreibung der Subkultur eingegangenen Kolleg:innen. Der tatsächliche Verleger von Bazillian Points formte das Buch mit, indem er Pat davon abbrachte, etwas „arty“ kleine Fotos inmitten einer Seite mit viel „Rand“ abzudrucken oder nur ein Foto pro Seite. So erfüllt es perfekt eine Ambition, die Pat Blashill selbst an den Fotobüchern, die er mag schätzt und sucht – eine Geschichte zu erzählen.

„Some day all the adults will die“ ist die Überschrift eines Textes, den der Fotograf selber zum Kontextualisieren der Bilder geschrieben hat, andere substanzielle Wortspenden stammen von Richard Linklater oder David Yow. Yow kennt Pat seit gefühlten Ewigkeiten. „Das war schon speziell, als die SCRATCH ACID-Sachen erschienen sind. Wow, diese lustigen, schrägen Typen machen auf einmal diese Musik ...“ Seine Frau, Autorin, die er in New York kennen lernte und die aus Österreich stammt, weshalb das Paar in Wien lebt, wo Pat Blashill an einem Gymnasium unterrichtet, machte ihn auf einen blinden Fleck bei den Texten des entstehenden Buches aufmerksam. „Das war so ein richtiger #MeToo-Moment, ich fragte also meine Freundin Donna Rich, und Teresa Taylor von den BUTTHOLE SURFERS steuerte eine Top Ten des Texas-Punk bei.“ Besonders signifikant ein Text von Adriane „Ash“ Shown, die über Vergewaltigungen und Gewalt gegen Frauen schreibt. „Aspekte der Szene, die mir damals absolut nicht bewusst waren.“ Showns Text endet mit: „Mögen unsere Töchter, Enkelinnen und Urenkelinnen alle ein Gefühl der Zugehörigkeit erleben, ohne je eine Statistik zu werden.“ Was zur Stimmigkeit, zur „Vollständigkeit“ dieses wunderbaren Buches essentiell beiträgt. Now go make your own book!

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Pat Blashill
„Texas Is The Reason.
Mavericks of Lone Star Punk“
Bazillion Points • bazillionpoints.com
(zu beziehen über bookdepository.com)