PETRICHOR RECORDS

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Gegen die Plastik-Musik

Oft wird behauptet, Bands anno 2021 würden kein Label mehr brauchen, man könne ja alles selbst machen. Manche Menschen sehen das anders und geben mit ihrem Label wie eine Galerie mit einer Sammelausstellung verschiedenen Künstlern einen Rahmen. So ein Label ist auch Petrichor aus den Niederlanden, das sich den harten Spielarten von Metal und Hardcore widmet. Co-Gründer Guido beantwortete meine Fragen.

Wie ging das los mit Petrichor?

Petrichor wurde im Frühjahr 2020 gegründet von Rick Verbeek und mir, Guido Heijnens. Was uns besonders verbunden hat, war das Entdecken, Hören und Diskutieren von neuen Underground-Bands und Talenten. Wir haben uns oft gefragt, warum niemand diesen Acts einen Deal für eine physische Veröffentlichung anbietet ... Also beschlossen wir, es selbst zu tun, mit der ganzen Erfahrung, die wir bereits in der Musikindustrie gesammelt haben.

Warum gründet man im Jahr 2020 ein Label, mitten in der Corona-Pandemie, noch dazu in einem Umfeld, in dem viele Bands behaupten, sie bräuchten kein Label mehr?
Wir dachten, es sei an der Zeit. Hinsichtlich Corona schien es eine verrückte Idee zu sein, aber wir waren überzeugt, wenn wir das während einer Pandemie schaffen und Erfolg haben, kann es ja nur besser werden, wenn Corona erledigt und vorbei ist. Es gibt so viele tolle Bands im Underground, aber die aktuellen Veröffentlichungen sind größtenteils nicht mehr als „Plastik“ oder schlicht irrelevant, jedenfalls in meinen Augen. Selbstverständlich brauchen Bands ein Label. Bands mit einem Label im Rücken geht es besser, durch ihre deutlich größere Reichweite und Bekanntheit. Und wir wollen fair und aufgeschlossen mit unseren Bands umgehen. Wir sind Fans, wir sind selbst noch aktiver Teil der Szene, sie ist uns wichtig.

Es gibt eine Verbindung zu Hammerheart Records. Eher wie ein Bruder oder wie ein Kind?
Eher wie ein Kind. Wo HHR Oldschool ist, ist Petrichor viel mehr Newschool. HHR ist Nostalgie, verwurzelt in den Achtziger und Neunziger Jahren, in meiner Teenagerzeit. Petrichor ist 2021! Petrichor sucht nach dem Neuen, dem Frischen, der unentdeckten, talentierten Band. HHR konzentriert sich mehr auf Vergangenes, sei es durch Reissues oder die Arbeit mit den alten Bands. Natürlich werden wir alles, was wir in der Vergangenheit gelernt haben, einsetzen für unser neues Abenteuer.

Euer Claim lautet: „Innovative Kunst und Qualität ohne Kompromisse“. Was heißt das für euch, für eure Arbeit und eure Veröffentlichungen?
Das ist im Grunde so, wie es da steht. Wir wollen innovative Bands, die Qualität abliefern, und Rick und ich werden keine Kompromisse eingehen, wenn es um unsere Bands und Veröffentlichungen geht. Und selbst wenn nur wir beide die Einzigen sein sollten, die eine Band mögen, bringen wir sie raus, ganz gleich, was der Rest der Welt davon halten mag ...

Stilistisch sind eure Veröffentlichungen irgendwo angesiedelt zwischen Hardcore und Metal. Das ist ein ziemlich breites Spektrum, während sich andere Labels mehr spezialisieren, zum Beispiel auf Thrash, Black oder Death.
Dabei haben wir gerade erst angefangen! Wir werden definitiv auch Ambient-, Indie- und Wave-verwandte Bands veröffentlichen. Wir haben tatsächlich einige Killer-Releases geplant, die außerhalb des „lauten“ Sektors der Musik liegen. Der Hauptteil der Veröffentlichungen wird in der Tat eher lauter sein, dort liegen die Wurzeln. Thrash, Black und Death Metal sind Genres, die in den letzten zehn, fünfzehn Jahren irgendwie in Stagnation verharren. Es ist schwer, Bands zu finden, die es in diesen Genres wirklich was drauf haben, aber natürlich gibt es welche. Und wir werden sie finden. Wir wollen uns eher breit aufstellen, so wie Relapse, wo ich zwölf Jahre lang gearbeitet habe, wie Profound Lore oder auch Ván Records, 20 Buck Spin, Translation Loss. Wenn es Qualität besitzt, dann ist es vielleicht was für uns.

Welche Labels oder Personen oder Ideen haben euch angeregt, das Label zu gründen?
Für mich persönlich war es eine Art „Anti-Haltung“, weil ich zu viele Plastik-Bands gehört habe. Es ist meist zu viel vom Gleichen, oft gänzlich uninspiriert produziert. Warum, könnte man fragen? Also wollten wir es anders machen, und dann muss man es eben tun. Rick hat früher bei Roadrunner gearbeitet, also hat er dort seine Lektion gelernt, ich habe meine HHR-Erfahrungen. Labels, die mich inspiriert haben, sind Relapse, Peaceville, Profound Lore. Labels, die innovative Acts und Qualität veröffentlichen.

Was ist die Geschichte hinter dem Namen? Und warum heißt eure Website „ochtend dauw“, Morgentau ...?
Petrichor ist der Geruch von Regen auf ausgetrockneter Erde. Du kennst diesen Geruch, wenn an einem sehr heißen Sommertag ein Gewitter für Erfrischung sorgt, der nennt sich Petrichor. Das kommt aus dem Altgriechischen und ist zusammengesetzt aus pétros für Stein sowie Ichór, „Blut der Götter“. Ein Konzept, das sich auf die unterschiedlichste Weise auslegen lässt. Das erklärt auch den Tropfen in unserem Logo. Es ist das Sinnbild für Frische in einer ausgedörrten Welt. Jetzt müssen wir diesen Erwartungen aber auch gerecht werden! Wir dachten einfach, dass Morgentau in ähnlicher Weise für Frische steht, die mit Wasser verbunden ist. Ein frischer neuer Tag, auf dem Weg in die Zukunft. So wie der Slogan von Borussia Mönchengladbach: „Stolzer Blick zurück, volle Kraft nach vorn“.

Stell uns ein paar eurer bisherigen Bands und Releases vor.
Los ging es 2020 mit EMPRESS, einer Killer-Band, die Fans von MASTODON und ELDER ansprechen könnte, aber definitiv einen eigenen Ansatz hat. Dann haben wir SUPRUGA aus Russland veröffentlicht, die AMENRA und OATHBREAKER zu einer heftigen, düsteren Hardcore-Attacke kombinieren, hört sie euch an, sie fegen alles weg. Und SABREWULF, aus El Paso, USA verbinden schwedischen Death-Metal-Sound mit einer Hardcore-Attitüde. Wenn du Grindcore gerne à la 2021 hast, hör dir CONCEDE an, die machen wirklich keine Gefangenen. Sie sind aus Australien, genau wie DESCEND TO ACHERON, bei deren Hybrid aus Death und Black Metal kein Stein auf dem anderen bleibt. 2021 geht es weiter mit EDOMA aus Russland, die ein fantastisches Black/Death-Metal-Album veröffentlichen werden. SURUT aus Finnland debütieren mit einer EP, auf der sie Hardcore und Tristesse zu einem explosiven Cocktail mixen, etwas wirklich Innovatives und Frisches. Das BUTTERFLY-Debüt mit Hardrock im Stil von 1976, gespielt wie 2020, wird rauskommen und vieles mehr. Du kannst sicher sein, du wirst nicht enttäuscht, wir werden Qualität abliefern und alle überraschen.

Habt ihr eine bestimmte „Labelpolitik“? Und wie sieht es mit Politik aus?
Eine wirkliche Labelpolitik gibt es nicht, abgesehen davon, dass Rick und ich beide zustimmen müssen, bevor wir einen Release machen. So viel steht fest. Politik ... hmm. Mit Sicherheit werden wir keine Bands oder Projekte veröffentlichen, die extrem rechts oder links sind. Gemeint ist jede Form von politischen Extremismus. Keine Nazis, aber auch keine Kommunisten. Und alle, die sich ernsthaft auf herabwürdigende oder diskriminierende Weise äußern, haben auch keine Chance. Ich bin eigentlich Geschichtslehrer, auch wenn ich nie in dem Beruf gearbeitet habe, weil ich seit 25 Jahren Musik mache, und interessiere mich sehr für Politik. Es ist besser, wenn man extreme Positionen aus der Musik heraushält. Ausgenommen vielleicht Black Metal, da sollte es dann schon um Satan gehen, gegen ein bisschen Religionsbashing habe ich nichts. Wir betrachten kritisch jedes Detail, wenn wir einen Deal mit einer Band eingehen. Wir wollen keine Spinner.

Vinyl? CD? Digital? Habt ihr Präferenzen?
Für Vinyl spricht das Artwork, das nostalgische Gefühl, Seite A, Seite B und so weiter. Cooles Sammlerstück, hat irgendwie den meisten Wert für die Leute. Aber klanglich ist die CD immer noch mit Abstand am besten, der Audioinhalt ist auch nach 500-mal Abspielen noch genau derselbe, die CD kommt einfach dem Masterband am nächsten. Kassetten sind auch wieder da, coole kleine Schmuckstücke, aber der mieseste Klang und sehr rascher Qualitätsverlust. Und dann digital, das ist natürlich am bequemsten, am PC, im Auto, auf dem Handy. Ich bin mit Vinyl aufgewachsen und Tapes, später kam die CD, dann Downloads. Am wichtigsten ist uns am Ende eine coole Vinyl-Edition, aber da spricht der nostalgische Sammler aus mir, nicht der gesunde Menschenverstand.