PINK TURNS BLUE

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Melancholie mit Biss

Ein Freund hat mir letztes Jahr die damals aktuelle Single „There must be so much more“ des 1985 gegründeten deutschen Post-Punk-Trios PINK TURNS BLUE empfohlen – ich war sofort elektrisiert und habe den Song seitdem unzählige Male gehört. Im Oktober ist dann das neue Album „Tainted“ erschienen, das bei aller Melancholie unglaublich viel Biss und Energie hat und Stellung zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen bezieht.

Klanglich erinnert das Album sehr an das Debütalbum „If Two Worlds Kiss“ von 1987, das den Überhit „Walking on both sides“ enthält und mit dem es ausgiebig auf Tour ging. Aus Konzerten als Support von LAIBACH entwickelte sich damals eine Bandfreundschaft, die in drei unter der Regie von LAIBACH-Soundmann Jané Krizaj in Ljubljana entstandene Alben mündete. Nach mehreren Jahren Umtriebigkeit von London aus lösten sich PINK TURNS BLUE 1995 auf. Erst 2003 kehrte die Band mit einem begeistert aufgenommenen Auftritt beim Wave-Gotik-Treffen in Leipzig wieder zurück, veröffentlicht seitdem alle paar Jahre neue Musik und tourt weltweit sehr erfolgreich. Ich wollte mehr wissen über diese Band und telefonierte mit Sänger und Gitarrist Mic Jogwer. Zur Band gehören außer ihm noch Schlagzeuger Paul Richter und Bassist Luca Sammuri.

Bei meiner Vorbereitung bin ich auf ein Interview gestoßen, das du kürzlich der hawaiianischen Radio-DJane Nocturna gegeben hast ...
Wir kriegen tatsächlich häufiger solche Anfragen aus der ganzen Welt. Und das ist letztlich auch einer der Gründe, warum es PINK TURNS BLUE wieder gibt. 2015 habe ich angefangen, mein Label Orden Records umzukrempeln und wollte auch andere Bands damit voranbringen. Ich habe lange in der Musikindustrie gearbeitet und wollte es jetzt mal selbst versuchen, also mein eigenes Ding machen. 2017 habe ich versucht, Bands und Medien aus meinen Genres, also Alternative, Wave und Post-Punk, zusammenzubringen. Viele Kontakte, die ich dabei geknüpft habe, haben mich auf PINK TURNS BLUE angesprochen. Da war ein großer Respekt zu spüren. Wir ziehen beispielsweise in den USA oder Kanada mehr Leute zu den Konzerten als in Berlin oder Köln. Und das hat mich überrascht. Wir hatten ja unsere aktivste Zeit vor rund dreißig Jahren und da hatte die Nachfrage irgendwann auch wieder nachgelassen. Inzwischen haben wir herausgefunden, dass das große weltweite Interesse an der Band daher kommt, dass viele junge Acts wie SOVIET SOVIET oder MOTORAMA sich auf uns beziehen. Dazu kommt, dass es nicht mehr so viele Post-Punk-Bands aus unserer Generation gibt, die noch aktiv sind. Oder sie klingen inzwischen einfach anders. Dieses Jahr im Herbst sind wir wieder auf Tour in den USA und Kanada. Insgesamt sechs Wochen lang.

Das hört sich an, als ob du das hauptberuflich machst.
Ja, richtig. Seit 2015 habe ich keinen weiteren Job mehr und will nur noch Musik machen. Das hat auch etwas damit zu tun, dass meine drei Töchter inzwischen aus dem Haus sind und ich dadurch kein regelmäßiges Einkommen mehr brauche, haha. Durch die Corona-Zeit jetzt ist das natürlich etwas wackelig geworden und reicht noch gerade so. Aber in Nicht-Corona-Zeiten kann ich zumindest allein ganz gut davon leben.

Wo probt ihr denn?
Wir wohnen alle drei in Berlin und proben auch hier. Gegründet wurde die Band aber Mitte der Achtziger Jahre in Köln, als ich dort E-Bass studiert habe. Später waren wir dann fünf Jahre in London, wo wir uns auch vorerst aufgelöst hatten.

War das die Zeit Anfang der Neunziger Jahre, als das Album „Perfect Sex“ entstanden ist?
Ja. Das Album war allerdings ein ziemlicher Flop, obwohl wir es mit dem bis dahin größten Budget aufgenommen haben. Das war dann irgendwie schon eine andere Zeit für uns als Band. Die Plattenfirma wusste nicht mehr so richtig, wo vorne und wo hinten war. Wir selbst aber auch nicht. Es war einfach zäh und hat keinen Spaß mehr gemacht, so dass wir die Band komplett aufgegeben haben. Ich habe dann angefangen, mich beruflich mit Multimedia und Internet zu beschäftigen. Da konnte ich Geld verdienen, so dass das auch gut mit meiner Vaterschaft zusammengepasst hat. Und als die Kinder älter waren, habe ich wieder mit der Musik angefangen. Mit PINK TURNS BLUE hatten wir 2019 die erste Welttournee. In den Achtzigern und Neunzigern war das ja vor allem auf Deutschland beschränkt gewesen mit Abstechern nach Frankreich, England oder Dänemark. Für Bands wie uns, die nicht in den Mainstream vorgedrungen sind, hat das Internet schon viele Möglichkeiten gebracht. Auch Spotify, was ich vor Jahren noch skeptisch gesehen habe, bringt ja mit sich, dass die Leute Musik teilen und sie sich verbreitet.

Wie entstehen bei euch die Songs?
Ich mache eigentlich das komplette Songwriting. Ich schreibe sehr gerne und auch viele Songs, sicherlich einen pro Woche. Und dann spiele ich den anderen die Sachen im Studio vor. Die sitzen da mit einem Zettel, machen sich Notizen und sagen am Ende ganz brutal, was ihnen gefällt und was nicht. Erst neulich hatte ich wieder acht Songs mitgebracht, von denen ich dachte, die seien ziemlich gut. Davon sind dann dreieinhalb übrig geblieben, haha. Die entwickle ich jetzt weiter. Da die beiden anderen Multi-Instrumentalisten sind, können die auch immer gut Ideen beisteuern.

Heißt das, dass das nächste Album bald schon erscheint?
Nein, momentan bereiten wir erst mal eine neue EP vor, die einige Songs enthält, die es nicht auf „Tainted“ geschafft haben. Die klangen damals einfach noch nicht rund. Diese EP soll dann vor der US-Tour im Herbst herauskommen.

Wann ist ein Song für dich „rund“? Mir geht es so, dass manchmal schon kleine Details aus einem guten ein tolles Stück machen können.
Das ist bei mir ein bisschen anders. Ich gehe da eher inhaltlich ran und frage mich, ob bei einem Song ein Anliegen erkennbar ist, das seine Existenzberechtigung hat und zum Sound passt. Es muss eine Balance zwischen Melodie, Sound und Text geben. Außerdem brauche ich einen Refrain, bei dem man auch nach dem dritten Mal Hören noch nicht die Augen verdreht. Und die erste Strophe muss richtig knackig ins Ohr gehen.

Bei eurem neuen Album „Tainted“ höre ich viel Schmerz und Frustration heraus. Ihr bezieht in den Songs immer wieder Stellung. Kannst du es ein bisschen herunterbrechen, was dich beim Songwriting beschäftigt hat?
„Tainted“ ist ganz klar Corona-geprägt. Aber auch die Trump-Jahre sind nicht an mir vorbeigegangen und hatten hier Einfluss. Und die Spaltung der Gesellschaft, zum Beispiel beim Klimawandel oder bei Corona. Es gibt da die einen, denen alles absolut egal ist, nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“. Und auf der anderen Seite die, die ganz extrem darauf achten, sich nachhaltig zu verhalten. Beide Welten prallen immer stärker aufeinander. Da unterhält man sich dann nicht mehr oder tauscht Argumente aus, um ein gemeinsames Ziel zu finden, sondern man steht sich feindselig gegenüber und kommt auch mit Scheinargumenten, nur um Recht zu behalten. Das ist etwas, das in den letzten fünf Jahren für mich viel präsenter geworden ist. Das fing mit Trump an, der einfach nur Scheiße erzählt hat. Oder Boris Johnson. Solche Populisten eben. Und die Anhänger sprechen das einfach nach, nur um einen Grund zu haben, beispielsweise Ausländer schlecht zu finden oder einfach ihre eigenen Interessen zu verfolgen, ohne nach links und rechts zu gucken. Und dann gibt es die anderen, die die Welt auf jeden Fall verbessern wollen, dabei aber unglaublich zahnlos sind. Reden viel, kommen aber nicht wirklich voran. Und die Trump-Zeit hat das für mich noch mal verdeutlicht: Wie kann das sein, dass so jemand Präsident wird? Und dass der so lange durchhält? Dann kam Corona und wir hatten Ähnliches hier bei uns. Da gehen Leute auf die Straße und halten Schilder hoch, bei denen man sich nur fragen kann, ob die noch ganz bei Trost sind. Die Fassungslosigkeit darüber hat das Album geprägt. „There must be so much more“ ist definitiv ein Corona-Song. Im Sinne von: Das kann doch jetzt nicht alles sein, was wir hinkriegen! Die Botschaft des Albums ist, dass zwar vieles schlecht läuft, aber man sich auch denkt:, Wahnsinn, wie viele Menschen es gibt, die sich bemühen, etwas besser zu machen.

Stimmt es, dass euer Bandname sich auf den HÜSKER DÜ-Song „Pink turns blue“ bezieht?
Aber ja. Ich bin weltgrößter HÜSKER DÜ-Fan! Und der Song „Pink turns blue“ ist einfach unglaublich.