PLATTENBAU

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Neurotransmission der Krisen im Zeitalter des Web 3.0

„PLATTENBAU? Guter Bandname. Seltsam, dass vorher noch niemand drauf gekommen ist“, denkt der Schreiber auf dem Weg ins alt- respektive neuehrwürdige Kreuzberger SO36, wo an dem Abend A PLACE TO BURY STRANGERS nebst anderen Bands auf dem Dedstrange-Labelfest zu Gast sind. Knapp ein halbes Jahr später wird Sänger Lewis das Thema Bandnamen ebenfalls ansprechen: beim Interview zum Album „Net Prophet“. Die vier von PLATTENBAU stehen unweit vom SO36 am Rande von Kreuzberg für das Ox Rede und Antwort. Schöne Gegend, eine Straße, die bisher von Gentrifizierung beinahe komplett verschont blieb. Einst stand eine Mauer in der Nähe, die nicht sehr lange hielt (ungefähr dreißig Jahre). Das SO36 hingegen feiert dieser Tage den Fünfundvierzigsten. Von Kreuzberg aus ließ sich in den Osten schauen, rüber zu den Häusern, die der Band als Namenspate dienten.

PLATTENBAU spielen eine spannende und leicht irrlichternde Mixtur aus No Wave und Noiserock, aber auch Avantgarde, Elektronik und Punk sind keine unbekannten Größen. Schön daran: Es lässt sich durchaus der eine Klang oder die andere Stimmung aus den letzten vier Musikjahrzehnten raushören, aber ein Band-Namedropping soll (und kann) hier nicht stattfinden, dafür sind PLATTENBAU zu eigen und einzigartig. Feine Sache. In einer gemütlichen Küche sprechen Sänger und Keyboarder Lewis (Wales, Neuseeland), Drummer Brandon (USA), Bassistin Sally (UK, Deutschland) und Gitarrist Jesper (Dänemark, Deutschland) über das neue Album „Net Prophet“, über Berlin und Osteuropa und erklären, was an Nebelmaschinen gefährlich sein kann. Die Frage nach dem Albumtitel wird lachend auf später verschoben. Schließlich ist es noch ziemlich früh am Morgen. Erst mal gibt’s Kaffee und Kuchen.

Was verschlug euch aus all den verschiedenen Orten nach Berlin? Die Musik?
Lewis: Ich wollte als Künstler kreativ sein. London war für mich nicht wirklich eine Option. Zum einen viel zu teuer, zum anderen wollte ich lieber in Europa sein und nicht in meinem Heimatland festhängen. In Deutschland kam ich ganz gut klar, da ich in Hamburg schon Freunde hatte und ich es geliebt habe, dort zu leben.
Brandon: Ich wollte definitiv Musik machen und kam deshalb hierher. Bisher finde ich Berlin makellos gut.
Lewis: So um 2009 und 2010 herum hatten wir einen Proberaum im Ost-Berliner Funkhaus. Das war noch nicht renoviert zu der Zeit und relativ günstig. Wir haben auch im alten Stasi-Hauptquartier geprobt. Zu der Zeit war das gesamte Gebäude leer. Es liegt direkt in der Nähe des Stasi-Museums. Ein Typ hat uns damals das Erdgeschoss vermietet.

Hat euer Bandname etwas mit diesen Gebäuden zu tun?
Lewis: Klar, die Umgebung hat den Namen inspiriert. Ich war fasziniert von der Ostblock-Architektur und von dem ganzen Vibe, auch davon, wie unterschiedlich es in West- und Ost-Berlin ist. Allgemein beziehen wir das aber auf ganz Osteuropa, nicht nur auf Berlin oder Städte in Deutschland. Ich mag diese leicht deprimierende Betonstimmung, und ja, ich war wirklich überrascht, dass noch niemand diesen Namen für eine Band genommen hatte.

Habt ihr den Eindruck, es gibt nach wie vor einen Unterschied zwischen Ost und West? Wir sind hier fast genau an der ehemaligen Grenze.
Lewis: Absolut. Wir waren gerade auf einem Festival in der Nähe von Chemnitz, und es fühlt sich nach wie vor wie ein anderes Land an.
Sally: Wir mögen die Atmosphäre sehr. Wir waren mit A PLACE TO BURY STRANGERS auf Tour in osteuropäischen Städten, das war total schön.
Brandon: Wir waren in Bukarest, Belgrad und Sofia, aber auch in Athen.

Wie seid ihr mit A PLACE TO BURY STRANGERS in Kontakt gekommen?
Brandon: Unser vorletztes Album „Shape Shifting“ hatten wir kurz vor der Pandemie fast fertig aufgenommen. Wir überlegten also, wo und wie wir es veröffentlichen wollen, und hielten Ausschau nach Labels. Ich hatte das Album zu einem Freund nach Berlin geschickt. Und als er hörte, es gibt dort ein Label namens Dedstrange, wo APTBS unter Vertrag sind, schickte er es an Mitch O’Sullivan, den Labelbetreiber. Er mochte es und wir beschlossen, es dort rauszubringen.

Corona hatte also einen Einfluß auf eure Band und die Veröffentlichung.
Brandon: Wir haben das Album dann viel später als erwartet rausgebracht. Der Kontakt bestand bereits seit Herbst, Winter 2020, das Album kam aber erst 2022.
Sally: Wir landeten damit wirklich mitten in der Pandemie. Unser Erstkontakt zu Dedstrange war via Zoom. Mitch hielt sich gerade in Neuseeland auf. Alle befanden sich in unterschiedlichen Ländern.
Brandon: So nahm es noch einige Zeit in Anspruch, bis die Scheibe erschienen war. Die meisten Sachen hatten wir bereits 2018/19 aufgenommen. Bis auch die Vinylversion fertig war, dauerte es aus logistischen Gründen noch mal länger. Alles passierte extrem langsam ... wirklich verrückt.

Seid ihr mit dem Album auf Tour gegangen? Hat das funktioniert kurz nach der Pandemie?
Brandon: Ja, zum Glück. Es war toll, dass APTBS uns als Support mitgenommen haben. Für uns selbst wäre es 2022 echt schwer gewesen, eine eigene Tour auf die Beine zu stellen. Alle Bands versuchten zur gleichen Zeit, unterwegs zu sein, sämtliche Locations waren voll ausgebucht. Und selbst wenn du es hinbekommen hast, eine Show zu spielen, kamen vielleicht nicht viele Leute. Auch deshalb war es toll, mit APTBS zu touren, weil sie ihre Konzerte schon länger geplant hatten und es bereits ein größeres Publikum sowie Interesse gab.

Wie lief es mit dem Labelfest im SO36 im Februar 2023, wart ihr da sozusagen zwischen zwei Touren?
Lewis: Ja. Das Fest fand jetzt zum zweiten Mal statt. Das erste war im Hole 44 in Neukölln. Geplant ist, es jedes Jahr zu veranstalten, um die spezielle New York/Berlin-Connection zu halten und zu fördern, da Labelbetreiber wie Musiker in beiden Städten leben. Bisher wurde es auch etwas am Tourplan von APTBS ausgerichtet.
Jesper: Das SO36 hat als Venue besonders gut gepasst.
Sally: Dieses Jahr haben wir im März zusammen mit APTBS in New York gespielt.
Lewis: Auf dem New Colossus Festival. Das war in einem alten Ballsaal namens Bowery, eine uralte fantastische Halle mit einer schönen Tanzfläche. Überall ist Holz und es gibt eine Galerie.

Lasst uns auf das neue Album „Net Prophet“ zurückkommen. Ich habe den Eindruck, ihr habt einen ganz unterschiedlichen musikalischen Background oder seid sehr offen für verschiedene Genres.
Lewis: Ein wichtiger Aspekt ist sicherlich unser eklektizistischer Musikgeschmack. Niemand ist auf ein bestimmtes Genre fokussiert, wenn es ums Schreiben geht. Ich habe fast immer mit jemand gejammt, meist eins zu eins mit einer anderen Person. Hatte ich für mich eine Soundstruktur gefunden, habe ich damit gearbeitet und das Ergebnis den anderen mitgebracht. So kam es automatisch zu den verschiedenen Genres, wo auch Ambient und Elektronik dazugehören. Es war ein freies Herumspielen mit allen möglichen Elementen in diesem Stadium. Ich war in gewisser Weise der Kurator und habe auch die Texte geschrieben. Wir haben dann ein bisschen geprobt und das Album schließlich live im Studio aufgenommen. Wir wollten keine Extras bei den Aufnahmen, sondern es bei dem belassen, was sich live auf der Bühne umsetzen lässt.

Habt ihr einen Bezug zum Berliner Underground der Achtziger und Neunziger Jahre? Die Zeit hat eine gewisse Reputation, siehe zum Beispiel EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN.
Jesper: Zu der Zeit war ich noch nicht in Berlin.
Brandon: Wir sind dafür eigentlich zu jung, wir wissen mehr über den Hype, ohne es selbst erlebt zu haben.
Jesper: Ich weiß eher etwas von meinem Vater darüber, der nicht unbedingt ein großer Fan von deutscher Musik ist, aber sehr angetan von einigen wenigen Bands, wie zum Beispiel EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN.

Nehmt ihr wahr, dass Berlin sich musikalisch oder auch überhaupt sehr verändert?
Brandon: Ich höre oft, dass es sehr hart ist für viele Leute. Wir sind wahrscheinlich schon lange genug hier, um es ganz gut auf Reihe zu kriegen, wohl auch, weil wir ganz gute Kontakte haben und nicht erst in der Stadt angekommen sind.

Eure Videos wirken sehr professionell aus und es steckt offensichtlich immer eine Idee und eine Story dahinter, was in der aktuellen Zeit eher ungewöhnlich ist.
Lewis: Da ich auch Filmemacher bin und es früher meine Arbeit war, für andere Musiker Videos zu drehen, sehe ich unsere Musik immer als „filmisches“ Projekt, auch wenn ich hier in erster Linie Musiker bin. Ich wollte immer, das sich die Songs ein bisschen wie ein Soundtrack anhören. Die visuelle Seite ist für mich sehr wichtig: Die Videos sollen dich in eine andere Welt mitnehmen, wie ein „Gesamtkunstwerk“. Am liebsten würde ich zu jedem Song ein Video drehen, wenn ich dafür die Zeit und Energie hätte.

Das „Celebration“-Video gefällt mir ... Es hat aber nichts mit dem Klimawandel zu tun, oder?
Lewis: Die Absicht ist mehr abstrakt: Die dargestellte Wüste soll ein spirituelles Niemandsland sein, wo du verloren bist in deinen Gedanken. Das ist auch der Inhalt des Songs, aus dieser Zone zurück in die Realität zu kommen, wo du zum Beispiel mit anderen Leuten zu tun hast, um letztendlich das Leben zu genießen. Es ist eher ein positiv spiritueller Aspekt, so wie eine Depression zu überwinden oder mentale Blockaden, um wieder in die reale Welt einzutauchen.

Das „Cloaking love“-Video sieht nach Berlin aus.
Sally: Ja, das war im Ostteil der Stadt.
Brandon: In Lichtenberg sowie in Hohenschönhausen.
Sally: Es war unfassbar kalt.
Brandon: Wir haben gefroren!

Wird es wie bei „Shape/Shifting“ auch noch ein Remix-Album geben?
Lewis: Eher nicht. Wir sind nicht mehr so darauf fokussiert, obwohl es viel Spaß gemacht hat, mit all diesen Künstlern zusammenzuarbeiten. Dieses Mal soll der Schwerpunkt aber auf dem eigentlichenAlbum liegen.

Bei der kommenden Tour spielt ihr im Berliner Urban Spree, das sich auf einem ziemlich wilden Gelände befindet. Die Gegend und das Venue passen ganz gut zu eurem Bandnamen.
Jesper: Ich habe dort schon sehr schöne Konzerte gesehen, auch im Astra, und das Badehaus ist sehr nett. Drumherum ist es eher eine Touristenfalle.
Brandon: Das gehört alles einem Typ, oder?

Auf jeden Fall wird es sich dort sehr verändern, da kommen überall Hochhäuser hin.
Brandon: Das fühlt sich seltsam an.

Ich hörte, ihr habt 2023 auch auf dem Fusion-Festival gespielt?
Lewis: Ich musste dort leider nach dem Gig abreisen.
Sally: Es ist toll dort, die vielen verschiedenen Künstler!
Lewis: Ich hatte eine tragbare Nebelmaschine dabei, die ist batteriebetrieben und wirklich sehr schwer. Wir hatten sie von einem Filmgeräteverleih geliehen, sie kostet vielleicht um die fünfzig Euro am Tag, wenn du sie kaufst, sind es ungefähr 800 Euro. Sie ist eher dafür geeignet, damit auf einem Filmset rumzulaufen.

Ihr hattet das Teil aber auch im SO36 dabei, oder? Ich erinnere mich, dass du damit in die Menge gerannt bist.
Lewis: Ja, bis ich gemerkt habe, dass ich mich verbrenne und beinahe andere Leute damit umbringe. Dann habe ich sie nach unten gehalten und dachte, das mache ich nicht noch mal, es fühlte sich wirklich gefährlich an.

Das bringt uns zurück zu APTBS, die gehen auch mit ihren Instrumenten ins Publikum und spielen eine Weile in der Mitte des Pits.
Lewis: Absolut. Ich nehme an, wir sind ein bisschen durch sie inspiriert, weil sie die Barriere zwischen Band und Publikum aufheben und die Leute in die Show einbeziehen. Das war auf der Tour mit ihnen auch so. Am ersten Abend gab es ein kleines bisschen Publikumskontakt, und es wurde von Tag zu Tag mehr.
Lewis: Wollten wir nicht noch was über den Titel „Net Prophet“.erzählen?
Brandon: Wir hatten bandintern lange Zeit diesen Witz das wir eine große Firma sind ...
Lewis: ... ein globales Business. Er sollte wirken wie ein antikapitalistischer Kommentar, passend zum Internet-Zeitalter, so wie eine Logline oder ein Slogan des Albums, was es auch sein könnte: Neurotransmission der Krisen im Zeitalter des Web 3.0. Es ist völlig verrückt, was im Internet gerade abgeht, und wir sind dabei, die nächste, noch verrücktere Stufe zu erklimmen. Der Albumtitel steht auch dafür, dass die ganze Welt sich in einer Krise befindet. Wir wollten die Energie dieser Ära einfangen.