PRIVATE FUNCTION

Foto© by Wolfram Hanke

Ein Album voller Pisse

Großartige Punkbands aus Australien stranden quasi im Minutentakt an Europas Küsten, siehe CLOWNS, AMYL & THE SNIFFERS, PRESS CLUB oder GRINDHOUSE. Im Sommer hat eine weitere großartige Band aus Melbourne ihre erste Europatour absolviert: PRIVATE FUNCTION. Das ist die Band, die ihr aktuelles Album mit dem kryptischen Titel „370HSSV 0773H“ in einer Special Edition gefüllt mit der Pisse der Bandmitglieder veröffentlicht hat. Genau mein Humor. Ihre Songs heißen „Good fight, good night“ oder „Bad day to be a beer“. Das verspricht Spektakel. Wir treffen die Band bei ihrer Show im wunderbaren Immerhin in Würzburg getroffen und unterhalten uns mit Sänger Chris Penney und Schlagzeuger Aidan McDonald.

Ihr seid als Band zum ersten Mal in Europa unterwegs. Wie ist das für euch?

Chris: Wir spielen 35 Konzerte in 40 Tagen, ich denke, das ist ganz ordentlich. Ungefähr einen Monat lang sind wir schon hier. Gelandet sind wir in Spanien und das fühlt sich an, als wäre es Jahre her. Echt verrückt. Wir waren noch nie so lange auf Tour. So einen Trip könnten wir in Australien nie machen. Unmöglich. Jede Stadt ist zehn Autostunden von der nächsten entfernt. Und wir haben hier so viele tolle Bands wie zum Beispiel COCK SPARRER kennengelernt. Großartig.

Ihr seid hier, um euer neues Album zum promoten. Das hat einen sehr sperrigen Titel: „370HSSV 0773H“. Was hat es damit auf sich? Oder muss ich mich für eine Antwort auf den Kopf stellen?
Chris: Eigentlich bedeutet es gar nichts. Ein geheimer Code. Das dürfen wir nicht verraten. Wenn du den Code knackst, wirst du das Geheimnis entdecken. Es ist der Rosetta-Stein des Punkrock. Haha.

Von eurem neuen Album gibt es eine streng limitierte „Gold Edition“, die mit eurem eigenen Urin gefüllt ist. Wie seid ihr bitte auf diese Idee gekommen?
Chris: Ich denke, dass ist die logische Schlussfolgerung von Liquid Vinyl, also Platten, die mit Flüssigkeiten gefüllt sind. Ich vermute, jede Band auf diesem Planeten hat davon geträumt, sich mit ihrer Pisse in ihren Platten zu verewigen. Aber keine hatte bis jetzt die Eier, das auch durchzuziehen.

Wie hat das funktioniert? Das war bestimmt nicht ganz so einfach, oder?
Chris: Das war wirklich kompliziert. Aber der Typ, der die Idee für uns umgesetzt hat, ist auch ein genialer Erfinder. Er musste ein paar verschiedene Chemikalien entwickeln, um sie mit unserer Pisse zu vermischen. Denn in Urin gibt es lebende Organismen und wenn die sterben, dann entsteht Sauerstoff. Und der braucht mehr Platz, dadurch würden die Platten irgendwann platzen. Wobei es eine schöne Vorstellung wäre, wenn deine Plattensammlung von unserer Pisse überschwemmt würde, haha. Jedenfalls musste er unsere Pisse mit einer Reihe von Bakterienlösungen waschen und hat sie dabei so lange behandelt, dass sie farblos wurde. Also musste er der Pisse wieder gelben Farbstoff zuführen, damit es natürlich aussieht. Das war also echt nicht einfach für ihn.

Welche Plattenfirma hat euch bei dieser verrückten Idee geholfen?
Chris: Das ist ein kleines Indielabel in Melbourne namens Salty Dog Records. Die haben uns schon bei der „Mystery Bag“-Edition unseres letzten Albums „Whose Line Is It Anyway?“ geholfen, bei der wir kleine Päckchen Speed ins Innere des Vinyls eingebettet haben.

Von „370HSSV 0773H“ gibt es noch eine weitere Version, die etwas mit Glücksspiel zu tun hat. Was habt ihr euch da ausgedacht?
Aiden: Jedes Albumcover hat ein Rubbellos. Und wir haben gesagt, wenn sich unter deinen Gewinnfeldern drei Bananen befinden, hast du 3.000 Dollar gewonnen. Und kurz bevor wir nach Europa geflogen sind, hat tatsächlich jemand gewonnen. Also mussten wir dem Gewinner kurz vor dem Tourstart einen Batzen Geld hinblättern. So ein Scheiß. Haha. Probleme gab es anfangs mit dem Rubbellos-Cover im Bundesstaat South Australia, denn dort haben sie unser Artwork als rechtswidrige Lotterie eingestuft. Dini Soulio, der Kommissar für Alkohol- und Glücksspiel in South Australia, hat uns aber dann eine Ausnahmegenehmigung für den Verkauf unserer limitierten Vinylexemplare ausgestellt, weil er die Idee so cool fand.
Chris: Peter Malinauskas, der Premierminister von South Australia, hat davon Wind bekommen, weil die Geschichte viral gegangen ist. Er hat dann öffentlich im Radio angekündigt, dass er uns sogar ein Zertifikat für unsere Platte ausstellt. Eine Erlaubnis mit Brief und Siegel, das PRIVATE FUNCTION im Bundesstaat South Australia eine rechtswidrige Lotterie durchziehen dürfen. Wie genial ist das denn? Haha.

Wie CLOWNS oder AMYL & THE SNIFFERS verwendet ihr in euren Songs australische Slangwörter. Was bedeutet denn „Jusavinageez“?
Chris: Oh, da steckt nicht viel dahinter. Das sagen wir, wenn wir in einen Klamottenladen gehen und uns nur mal umschauen wollen. Dann kommt meistens ein Verkäufer und fragt, ob er uns helfen kann. Dann sagen wir einfach „I’m just havin’ a geez. Lass mich in Ruhe.“ und er zischt wieder ab. Das ist ein typisch australischer Ausdruck, genauso wie „Smoko“, ein Song von THE CHATS über die kurze Raucherpause bei der Arbeit.

Besonders auffällig ist der vorletzte Song auf dem Album, eine Coverversion des COLDPLAY-Stücks „Yellow“. Nicht unbedingt die erste Wahl für eine Punkband.
Chris: Als der Song zu Hause im Radio lief, ist mir aufgefallen, dass es eigentlich ein sehr einfacher Three-Chord-Track ist. Wenn man ihn teilt, klingt er wie von den BUZZCOCKS. Das war ziemlich verrückt, fand ich. Dann haben wir das bei der nächsten Probe ausprobiert und es hat funktioniert. Aiden hat sich gerade erst ein COLDPLAY-Shirt in Italien gekauft, das er fast die ganze Zeit getragen hat.
Aiden: Ich habe den Typen am Verkaufsstand gefragt, was er dafür haben will, und er sagte zu mir: Fünfzig Euro. Und ich wäre fast aus den Latschen gekippt. Dann hat er gesagt: Oh sorry, ich habe mich versprochen, fünf Euro. Haha. Allright, mate. Dann habe ich es genommen. Ein gutes Schnäppchen.

Mir ist noch ein anderer Song aufgefallen, der heißt „Seize & destroy“. Da musste ich spontan an METALLICA und „Seek & destroy“, aber auch an „Search and destroy“ von IGGY & THE STOOGES denken.
Chris: Als ich noch jünger war, habe ich mich immer gefragt, ob METALLICA wohl den STOOGES-Song gekannt haben. Das fand ich irgendwie komisch. Also habe ich beschlossen, daraus eine Trilogie zu machen. Deshalb haben wir den finalen Song zu dieser Idee beigetragen. Also erst erforschen, dann suchen, dann ergreifen und dann eben zerstören. Deshalb lautet der Refrain auch „Searching, seeking, seize and destroy“. Haha. Wieder eine logische Schlussfolgerung.

Ihr scheint ein ganz besonderes Verhältnis zu METALLICA zu haben. Euer Debütalbum heißt nicht nur „St. Anger“, es kopiert auch in leicht veränderter Form das Artwork von METALLICA. Statt einer Faust gibt es Daumen hoch in Stacheldraht. Seid ihr dafür eigentlich verklagt worden?
Aiden: Angesichts der Tatsache, wie streitsüchtig METALLICA sind, bin ich davon ausgegangen, dass wir mindesten einen Brief von ihren Anwälten bekommen. Aber sie haben nie auf unser Artwork reagiert. Aber wenn Lars dieses Interview liest, kann er sich das ja noch mal überlegen. Ruf uns mal an, ich würde mich gerne mit dir unterhalten.
Chris: Schon auf unserem ersten Demotape „Six Smokin’ Songs“ hatten wir ein Cover von „Frantic“. Du siehst, wir lieben METALLICA. Haha.
Aiden: Unser Gitarrist Anthony spielt sich immer mit dem Song „Battery“ warm, bevor es auf die Bühne geht. Wenn er den Song komplett durchgespielt hat, kann es losgehen. Dann ist er bereit zu rocken.
Chris: Außerdem ist „St. Anger“ ein guter Name für ein Album. Warum sollten nur die den benutzen? Ist doch eigentlich auch scheißegal, wie ein Album heißt. Wir hätten es auch „Requiem“ taufen können, da ist „St. Anger“ im Vergleich auf jeden Fall besser. Haha.

Vergangenes Jahr hatte ich ein Interview mit Anna von WÜRST NÜRSE, der Krankenschwestern-Punkband aus Melbourne, mit der ihr befreundet seid. Und sie meinte: Ihr bettelt geradezu darum, verklagt zu werden. Für eure Single „One Headed Dog“ habt ihr das Artwork mit dem dreibeinigen Hund von ALICE IN CHAINS geklaut und leicht verändert.
Chris: Auch das ist wieder ein Spiel mit verschiedenen Künstlern. Zum einen eben der dreibeinige, traurige Hund auf dem Cover von ALICE IN CHAINS, dem wir einfach ein viertes Bein angeklebt haben. Zum anderen „Two-headed dog“, der Song von Roky Erickson. Wir mögen so was.

Mein persönlicher Favorit auf dem Album ist „Don’t wanna go out on the weekend“. Welche Geschichte steckt hinter diesem Song?
Aiden: Den ursprünglichen Refrain habe ich im Lockdown geschrieben. Damals hatte ich wirklich keine Lust mehr, in den Pub zu gehen. Bei diesem Gedanken habe ich mich richtig alt gefühlt. Auszugehen und um mich herum nur junge Menschen. Aber dann haben wir den Song zu einer Fortsetzungsgeschichte gemacht.
Chris: Der Text ist jetzt eine Art Sequel zu „God save the king hit“ von unserem ersten Album. Der Song handelt von einem Typen, der einem anderen ohne Vorwarnung von hinten auf den Kopf schlägt und ausknockt. Das nennt man bei uns „King Hit“. Eine schlimme Sache. Der Typ haut also einen anderen Typen um, der überlebt das nicht und dafür wandert der Täter lebenslang in den Knast. Und der Song „God save the king hit“ erzählt die Geschichte aus dem Knast heraus weiter. Wie sehr er inzwischen seine dumme Aktion bereut und dass das alles nicht passiert wäre, wenn er daheim geblieben wäre.

Warum haben die Australier generell diese sehr spezielle Verbindung zu ihren Pubs? Das wird auch immer wieder in Songs thematisiert wie „Pub feed“ von THE CHATS oder „Security“ von AMYL & THE SNIFFERS.
Aiden: Ich habe sechs oder sieben Jahre lang in einem Pub gearbeitet. Das ist einfach der ideale Treffpunkt für alle. Dort hängen wir herum und gründen Bands. Außerdem trinken Australier einfach gerne jede Menge Bier. In Melbourne gibt es ja auch hunderte Pubs, in denen man saufen und Bands entdecken kann. Unzählige Rock- und Punk-Clubs, in denen man jeden Tag Live-Musik hören kann.
Chris: Die meisten australischen Bands, die momentan nach Europa kommen, stammen aus Melbourne. Da kann man einfach sieben Tage die Woche ausgehen und hat jeden Abend die Qual der Wahl zwischen zehn verschiedenen Shows. Und am Wochenende sind es locker zwanzig pro Abend, die alle gut besucht sind. Das ist echt verrückt.

Gibt es da einen Unterschied zu Perth, Brisbane oder Sydney?
Chris: Ohne Zweifel. Melbourne hat mehr Live-Venues als jede andere Stadt in Australien. Die meisten Leute, die in Melbourne leben, sind nicht dort geboren. Das ist ähnlich wie in Berlin, schätze ich. Leute, die Musik machen wollen, ziehen nach Melbourne. Ich selbst bin in Sydney aufgewachsen.
Aiden: Viele Bands machen sich nicht mal die Mühe, nach Brisbane oder Sydney zu fahren, weil es so einfach ist, Shows in Melbourne an Land zu ziehen. Die Szenen in den anderen Städten sind viel kleiner, aber sie wachsen stetig.
Chris: Melbourne ist in meinen Augen die Rock’n’Roll-Hauptstadt der Welt. Es gibt nirgendwo eine bessere Musikszene als dort. Ich bin schon viel herumgereist, aber etwas Vergleichbares habe ich noch nicht gefunden.

Deshalb freuen wir uns, viele von diesen Bands hier begrüßen zu dürfen. Was macht die australischen Punkbands in euren Augen so attraktiv?
Chris: Ich glaube, weltweit stirbt Rock’n’Roll als Kunstform langsam aus. Das ist inzwischen definitiv ein „Old Man’s Game“. Aber in Australien ist Rock’n’Roll immer noch sehr wichtig für junge Menschen. Speziell in Melbourne trifft man jede Menge Menschen im Publikum, die noch nicht volljährig sind. Bei uns gibt es also eine komplett neue Generation von Rockfans, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt. Und die treffen sich dann in den Pubs mit fünfzigjährigen oder noch älteren Typen und das finde ich großartig. Da gibt es einfach keine Altersdiskussion. Und so lernen die Jüngeren den Spirit der älteren Generation kennen. Also von Bands wie THE SAINTS oder RADIO BIRDMAN, die in den Siebzigern groß waren. Das ist in meinen Augen ein sehr gesunder Kreislauf, in dem jeder von jedem lernen kann.

Auffällig ist auch, dass es so viele Bands mit Männern und Frauen gibt. AMYL & THE SNIFFERS, PRESS CLUB, GRINDHOUSE oder ihr. Wie kommt das?
Aiden: Diversität ist eine sehr wichtige Sache. Es sollten nicht immer nur Typen auf der Bühne stehen, wie das jahrzehntelang der Fall war. Jetzt wollen die Leute einfach auch mal Frauen oder Frauen und Männer gemeinsam auf der Bühne sehen. Das bringt erfrischend neue Perspektiven in die Musik und die Performance.
Chris: Ich finde das vor allem beim Songwriting sehr interessant. Frauen bringen dich auf Ideen, die dein blödes männliches Gehirn nie ausgebrütet hätte. Da sind bei uns schon jede Menge coole Dinge entstanden. Das ist toll und macht Spaß.

Bei eurer Show hier im Immerhin ist es sehr kuschelig. Mit 100 Besuchern ist der Saal richtig voll. Wie groß sind eure Konzerte in Australien?
Chris: Wenn wir allein auf Tour gehen, spielen wir vor 800 bis 1.000 Leuten. Zumindest in größeren Städten wie Melbourne oder Sydney. In kleineren Städten ist das natürlich anders. Ich liebe es nach wie vor, in kleinen Clubs wie dem Immerhin zu spielen. Diese Tour in Europa ist wahnsinnig erfrischend für uns. Das bringt uns zurück zu unseren Anfangstagen. In Australien dürfen wir gar nicht mehr in so kleinen Venues spielen, das erlauben unser Booking-Agent und unser Management nicht mehr. Hier haben wir in einigen von Punks besetzten Häusern gespielt, das war ein Riesenspaß. Ich liebe das.

Bisher habt ihr eure Platten selbst oder über kleine Indielabels veröffentlicht. Habt ihr schon mal überlegt, mit einem größeren Label zu arbeiten, wie CLOWNS bei Fat Wreck Chords? Damit man eure Platten überall auf der Welt bekommt.
Aiden: Wir sind offen für alles. Gleichzeitig haben wir unser eigenes kleines Label namens Still On Top Records gegründet, weil wir keine Lust mehr auf die Musikindustrie hatten. Auf den kleinen Teil vom Kuchen, von dem wir nicht einmal die Aufnahmen fürs nächste Album finanzieren konnten. Außerdem sind wir Kontrollfreaks und wollen einfach das letzte Wort in allen Angelegenheiten rund um die Band haben. Wenn aber jemand dieses Interview liest und uns ein millionenschweres Angebot machen möchte, dann hören wir natürlich gerne zu.
Chris: Die Musikindustrie hat sich in den vergangenen Jahren ganz schön verändert. Labels sind schon lange nicht mehr das, was sie mal waren. Deshalb sind wir mit unserem eigenen Label gut aufgestellt. Wir haben auch nicht vor, die Platten von anderen Bands zu veröffentlichen. Ich glaube, Branchenriesen wie Sony könnten sowieso nicht viel für uns tun.

Wie sehen eure Pläne für den Rest des Jahres aus?
Chris: Wir gehen zu Hause mit einer Band namens GRINSPOON auf Tour. Von denen hast du wahrscheinlich noch nie gehört. Das ist eine Pop-Punk-Band, die Mitte der Neunziger große Erfolge bei uns gefeiert hat. Wir spielen eine Tour durch Australien und sie hängen ständig neue Termine dran. Und das in riesigen Venues, in die 2.000 Menschen oder mehr reinpassen. Da freuen wir uns schon drauf.