PSYCHISCH INSTABIL

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Drei Fragen an ...

„Unpolitisch macht hirntot“ hieß 1996 die EP von PSYCHISCH INSTABIL aus Hannover, „Hauptsache unpolitisch“ war der Song zum Titel. Anlässlich der Veröffentlichung der EP (plus Bonussongs) im LP-Format lassen wir Irmgard, Triebi und Ballo erklären, in welchem Kontext Titel und Song einst entstanden.

Stammt der Slogan, der längst zum „geflügelten Wort“ geworden ist, von euch oder wo kommt der her?

Triebi: „Hauptsache unpolitisch“ war einer der ersten Songs von PSYCHISCH INSTABIL. Höhnie hatte die Grundidee und brachte seinen Textvorschlag mit. Wir beide haben ihn dann zusammen bearbeitet und so wurde aus „Anti Oi“ schließlich „Hauptsache unpolitisch“. Im Frühjahr 1996 hatten wir die ersten Songs im Studio eingespielt, die erste EP stand an – nur hatten wir noch keinen Titel. Wir saßen zusammen bei uns in der WG-Küche und überlegten. Ideen kamen und wurden verworfen. Inspiriert vom Song „Geld Macht Wahnsinn“ von ANFALL kombinierte ich zwei unserer Songtitel „Hauptsache unpolitisch“ und „Hirntod“ und warf „Unpolitisch macht hirntot“ in den Raum. Nach kurzem Hin und Her wurde diese Wortkombination der Titel unserer EP.
Ballo: Ob dieser Slogan nun direkt aus unserer Feder stammt, entzieht sich meiner Kenntnis. Wir haben letztendlich zusammen in Hannover-Anderten damals in der WG von Irmgard und Triebi gesessen und nach einem Titel für die EP gesucht ... und eins war uns klar, dass wir die EP nicht nach einem Songtitel benennen wollen, sondern da musste irgendwie ein Wortspiel her. Und irgendwie hat sich das aus den Songtiteln „Hirntod“ und „Hauptsache unpolitisch“, zwei Songs der EP, der Slogan „Unpolitisch macht hirntot“ entwickelt ... Wir fanden das witzig, und es hatte für uns eine wichtige Message. Denn zu der Zeit, als wir diese Songs geschrieben hatten, schien die Punk-Szene wirklich hirntot zu sein.

Was wolltet ihr damals mit dem Stück konkret kritisieren?
Ballo: Punk hatte kein Profil mehr, politischer Anspruch wurde in „Ficken Oi!“ umgemünzt, und nicht selten kam es vor, dass Leute kein Problem damit hatten, Faschos auf Konzerten zu dulden. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür. Irgendwie war es „schick“, mit Nazis zu saufen. Die hatten zwar eine andere politische Gesinnung, aber zusammen saufen hat Spaß gemacht. Und als junger Mensch, der ich zu diesem Zeitpunkt war, war ich genervt davon. Ereignisse wie Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Solingen oder Mölln lagen noch nicht so weit zurück und haben mich in meiner politischen Sichtweise sehr geprägt. Ich hatte und habe auch weiterhin keinen Bock auf Leute, die kein Problem damit haben, mit Personen abzuhängen, die keine Hemmungen hätten, in eine Flüchtlingsunterkunft einen Molli reinzuwerfen. Nazis, Rassisten und der ganze Brei haben im Punk nichts zu suchen. Zu der Aussage stehe ich nach wie vor. Und heutzutage ist das ja alles noch schlimmer als zu der Zeit, als wir den Song veröffentlicht haben. Heute zieht der vermeintlich unpolitische Sog die Massen mit sich. Und wenn man das kritisiert, wird man als Spinner hingestellt oder belächelt. Dabei ist das nicht witzig. Für mich ist ein großer Teil der Punk-Bewegung nichts anderes als ein Abziehbild dieser Gesellschaft! Und das wollten wir einfach nicht so hinnehmen. Ich bin früher oft in der Hafenstraße, im Stoertebeker, unterwegs gewesen, und das war Punk, das war Politik. Das war richtig und wichtig. Und mir ging das immer auf den Geist, wenn das verwaschen wurde mit „Hauptsache, gut drauf, egal ob Nazi oder nicht“ ... Dafür habe ich nach wie vor keine Toleranz.
Irmgard: Rechtsoffenheit geht für mich gar nicht. Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der die ganzen Altnazis noch in Amt und Würden waren. Wir sind auf den Demos von den Spießern mit „Euch sollte man alle vergasen“ angepöbelt worden. Auch in den frühen Achtzigern gab es Nazi-Skins, da wäre doch kein Punk auf die Idee gekommen, mit denen abzuhängen. Das wäre lebensgefährlich gewesen. Deswegen war ich in den Neunzigern echt wütend, als dieses „United um jeden Preis“ losging. Der Song „Hauptsache unpolitisch“ sprach und spricht mir deshalb voll aus der Seele. Und ich bin heute immer noch aktiv gegen Nazis unterwegs.
Triebi: Unser Song richtete sich sowohl gegen angeblich „unpolitische“ Skins, aber auch gegen die Punks, die dem Motto „Ficken, Saufen, Oi!“ frönten und in Bezug auf Nazis gerne auch mal alle Fünfe gerade sein ließen.

„Kernreaktor in Brand“ – zumindest ein Lied von damals hat sich in positiver Weise überholt. Wurde sonst etwas besser seit 1996?
Irmgard: Klar, die AKWs sind in Deutschland abgeschaltet, aber der Atommüll wird noch über Jahrtausende strahlen. Und sonst? Was wurde besser? Ich gehe gerade mal einige Songs durch. „Die Polizei knüppelt wieder“ – der Song hat nichts an Aktualität verloren. Die Cops werden immer mehr hochgerüstet und zum Staat im Staat. Ihnen wird ohne Kontrolle einfach freie Hand gelassen und sie greifen schon bei völlig harmlosen Aktionen brutal ein. Wie sie beim G20-Gipfel die „Welcome to Hell“-Demo ohne Anlass auseinandergeprügelt haben, die Gewalt, mit der Lützerath geräumt wurde wie auch schon der Hambi vorher. Auf Antifa-Demos laufen wir im Wanderkessel, während die Cops immer wieder brutal reingehen, um Menschen rauszuziehen. Unsere Antikriegssongs: Der brutale Überfall auf die Ukraine ist ja nur das jüngste Beispiel, dass sich nichts geändert hat, ebenso wie die Fluchtursachen. Die Menschenrechtssituation ist grauenvoll, an den Grenzen Europas lässt man eiskalt Menschen ertrinken. Das ist einfach nur menschenverachtend und widerlich! „Ein Leben lang gespeichert“: Wir erleben gerade die Schattenseiten der Digitalisierung, die ganze Datenspeicherung und Fake News ... „Schlächter der Unschuld“: Ich nenne als Beispiel nur den Missbrauch in der Katholischen Kirche. Und zu „Psychisch Instabil“: Der Umgang mit psychisch kranken Menschen ist immer noch oft unterirdisch. Auch über die Hälfte der von den Cops bei Einsätzen getöteten Menschen befanden sich in einer psychischen Notlage ...
Triebi: Ich bin da ganz bei Irmgard.
Ballo: Die Probleme sind heute deutlicher zu spüren als damals. Gerade auch, was die Klimakrise angeht. Das nehmen die Menschen mittlerweile mehr wahr, besonders die jungen Menschen. Aber was auch schlimmer geworden ist, ist der Ton, wie man miteinander umgeht. Da werden Jugendliche, die sich auf der Straße festkleben, als Terroristen bezeichnet von so dahergelaufenen Politikern. Das ist fatal, so was mit Terrorismus gleichzusetzen. Und der Blöd-Zeitungsleser fühlt sich wieder bestätigt ... und leider nicht nur der. Die Stimmung war früher auch schon aufgeheizt, aber jetzt nimmt das meiner Ansicht nach immer mehr Fahrt auf. Ich spreche hier bewusst von „Hass“, ein ganz fürchterliches Wort. Und ich finde das sehr problematisch, wenn sich der Hass von vermeintlich Erwachsenen auf Jugendliche bezieht, die nur eines haben – Angst um ihre Zukunft. Was passiert denn gerade? Der Planet kollabiert, und die ganzen Kriege noch dazu ... Da kann man als junger Mensch doch nur verzweifeln. Da ist das sich auf die Straße kleben doch harmlos.