PSYCHOTIC YOUTH

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Harmonien statt Wut

2020 ist das Jahr von PSYCHOTIC YOUTH aus Schweden. Drei Alben der 1985 gegründeten, 1999 aufgelösten und 2015 reformierten Band standen auf dem Veröffentlichungsplan. Erst kam Ende August „Stereoids Revisited“, ein neu abgemischter Rerelease des 1998 auf Wolverine nur als CD erschienenen „Stereoids“ auf Vinyl, dann die Neuauflage von „Bamboozle!“ aus dem Jahr 1994 und im Herbst schließlich das neue Album „Forever And Never“. Erstaunlich, wie neu und frisch PSYCHOTIC YOUTH hier klingen – dieser supersweete Pop-Punk, diese Mischung aus Punkrock und Powerpop altert einfach nicht. Ich unterhielt mich mit Mastermind Jorgen.

Du hast die letzten Monate der Corona-Pandemie im Home-Office verbracht und deinem Chef war es egal, was du den ganzen Tag über treibst, oder wie erklärt sich dieser Ausbruch von Kreativität und Veröffentlichungen?

Als Corona zuschlug und klar wurde, dass wir keine Live-Shows mehr spielen können, beschloss ich, mich keinesfalls einfach zurückzulehnen und auf bessere Zeiten zu warten. Wir haben dieses Jahr unser 35-jähriges Jubiläum und ich hatte Angst, dass alle Pläne den Bach runtergehen würden.

Ihr habt gerade das neue Album „Forever And Never“ und die Vinyl-Reprints „Bamboozle!“ und „Stereoids Revisited“ veröffentlicht. Und dann gab es auch noch eine limitierte Garage-Rock-Kassette. Und „21“, euer letztes Album, ist auch erst 2019 erschienen. Was gibt es zu all diesen Veröffentlichungen zu sagen?
Eine Band ist wie ein lebender Organismus, der gefüttert werden muss, um am Leben zu bleiben, also habe ich mir eine Woche von der Arbeit frei genommen, um neue Songs zu schreiben. Danach ging es mit den Jungs in den Proberaum, das Ergebnis ist „Forever And Never“. Einige Tracks beruhen auf früheren Ideen, von „Gimme gimme gimme“ zum Beispiel gab es ein Demo, das bei der „... Be In The Sun“-Session von 1992 übrig geblieben war. Und „A picture of you“ war der Bonustrack auf einem Japan-Release. Aber 80% der Songs sind in dieser Woche entstanden. Kurz davor hatte ich die verloren geglaubten Originaldateien für das „Stereoids“-Album von 1998 wiedergefunden, bei denen ich schon immer das Gefühl hatte, dass sie irgendwie einen schlechten Sound haben. Also schickte ich sie an Christian Jacobsen, der auch mit YUM YUMS oder THE DAHLMANNS arbeitet, um sie neu zu abzumischen und – voila! – „Stereoids Revisited“ war fertig. Dann habe ich noch 14 Tracks überarbeitet, die wir 2012 für einen Neuanfang als Garage-Band aufgenommen hatten. Ein Teil davon ist bereits 2019 auf der „Straight From The Garage“-12“ bei dem französischen Label Skylab erschienen, aber jetzt habe ich alle zusammengesucht für eine limitierte 60er-Kassette namens „Retro“ für unsere Die-hard-Fans. Und die „Bamboozle!“-LP neu aufzulegen, war längst überfällig, weil so viele danach gefragt hatten. Dass ich das Vinyl in drei verschiedenen Farben machen konnte, war das Sahnehäubchen auf der Torte.

Für „Forever And Never“ hattest du in kürzester Zeit 17 neue Songs. Deine Songideen scheinen sich zu vermehren wie Corona-Viren oder woher kommen diese ganzen Einfälle?
Es hilft, wenn es im Leben beschissen läuft. Nach meiner Scheidung habe ich „The Voice Of Summer“ gemacht. Seitdem bin ich noch dabei, die Scherben aufzusammeln. Da ist es nicht schwer, Themen zu finden, zu denen ich Melodien schreiben kann. Zudem habe ich noch ein paar Bands entdeckt, dank denen ich mich endlich ein bisschen besser gefühlt habe, was nicht so oft passiert, und ich musste endlich auf andere Gedanken kommen. MASKED INTRUDER, Geoff Palmer und KURT BAKER COMBO haben wirklich etwas bewirkt bei mir – und wie immer mein Kumpel Morten von YUM YUMS.

Die wahrscheinlich schlimmste Musik derzeit ist – neben Rap – dieser fälschlich „Pop-Punk“ genannte Emo-Metal-Mist mit AutoTune-Gesang. Wie definierst du Pop-Punk und Powerpop?
Für mich hat Powerpop eher Jangle-Gitarren und einen weicheren Ansatz als Pop-Punk, neben dünnen Lederkrawatten und engen Hosen. Pop-Punk ist für mich eher ramonesk. Auf Melodien kommt es bei beiden Genres immer noch genauso an und ohne zuckersüße Chöre läuft hier sowieso nichts. Ich wechsle immer vom einen zum anderen, ohne mich entscheiden zu können.

Welche Alben und Bands haben den typischen PSYCHOTIC YOUTH-Sound geprägt?
Die ersten beiden waren noch Garage-Rock Alben, mit viel Sixties-Punk und Psychedelic. Erst als wir 1987 aus dem Norden des Landes nach Göteborg gezogen sind, kam die Sache richtig in Schwung. Ich war Booker in einem Rockclub und ich verliebte mich in australische Bands wie EASTERN DARK, NEW RACE, CELIBATE RIFLES, LIME SPIDERS oder EXPLODING WHITE MICE. Das hat sehr auf mein Songwriting abgefärbt, als ich „Some Fun“ geschrieben habe. Irgendwann fing ich an, mir billige Powerpop-LPs zu kaufen, weil ich immer pleite war und sie nur ein paar Cents kosteten. Meine nächsten Alben waren also durch Bands wie PAUL COLLINS BEAT und PLIMSOULS beeinflusst. Bis heute komme ich immer wieder auf sie zurück. Aber wie schon gesagt, zur Zeit sind es MASKED INTRUDER, YUM YUMS, Kurt Baker und Geoff Palmer, die mir immer wieder Anregungen liefern weiterzumachen.

Es gibt noch andere musikbezogene Aktivitäten deinerseits: du betreibst das Label Red West, hast zwei weitere Bands namens THE BUCKSHOTS und RED WEST & HOT RHYTHM, du dealst mit Vintage-Mikrofonen und es gibt eine Radioshow mit Musik aus den Fünfzigern. Details, bitte!
Als ich dachte, mit PSYCHOTIC YOUTH wäre Schluss, musste ich mir etwas anderes suchen und gründete ein Rockabilly-Trio – und wir waren verdammt gut! Also machten wir eine Menge Alben und 160 Gigs in kurzer Zeit, bis wir anfingen, es und einander zu hassen, und uns trennten. Danach habe ich geheiratet und mit meiner Frau eine weitere Fünfziger-Jahre-Band gegründet. Wieder hatten wir Erfolg und es folgten eine Reihe von Alben und Shows – bis ich geschieden wurde und PSYCHOTIC YOUTH wieder am Start waren und wir durch Japan tourten und so weiter. Meine Frau hasste PSYCHOTIC YOUTH ... Die Musik der Fifties spukte aber immer in meinem Kopf herum und bei meinem nächsten Projekt sollte es wieder um klassische Rockabilly-Tunes gehen. In den Jahren mit BUCKSHOTS und RED & MARY WEST hatte ich eine Menge Geld verdient, von dem ich alte Mikrofone gekauft und angefangen habe, sie selbst zu restaurieren. Schließlich habe ich die halbe schwedischen Rockabilly-Szene mit Mikrofonen ausgestattet. Heute sammle ich sie einfach, weil sie so schön aussehen. Ähnlich war es mit der Fünfziger-Jahre-Radioshow. Ich habe etwa 135 einstündige Sendungen gemacht, die von Stationen in ganz Schweden ausgestrahlt wurden. Einige senden die Wiederholungen immer noch, obwohl es fünf Jahre her ist, dass ich damit aufgehört habe. Das Label habe ich nur, weil es besser ist, wenn ich durch meine eigene Schuld untergehe, als auf einen armen Kerl bei einer anderen Plattenfirma sauer zu sein. Der Umsatz ist so gering, dass es finanziell keine Rolle spielt. So traurig es auch ist.

Es gibt Leute, die an der Musik die Aggression, das Geschrei, den Lärm mögen. Du scheinst zu dem anderen Teil zu gehören, der süchtig nach Harmonie und Melodien ist. Warum ist das so?
Ich bin aufgewachsen mit BEACH BOYS, Connie Francis und Elvis. Ich habe SEX PISTOLS und CLASH nie gemocht. Inzwischen finde ich wieder zunehmend Gefallen daran, aber Harmonien sind mir immer noch lieber als Wut. Mein erstes Album war die Elvis Presley-Compilation „The Rockin’ Days“. Ich quengelte als Siebenjähriger so lange bei meiner Großmutter, bis sie es mir gekauft hat, ohne überhaupt zu wissen, wer Elvis war. Das Plattencover hatte mich einfach irgendwie umgehauen. Mein Dad arbeitete auf einer Fähre, die Autos über den Fluss brachte. Dort konnte ich oben auf der Fähre sitzen und Radio Luxemburg und all diese Fünfziger-Jahre Hits hören, denn das war der einzige Ort, wo das Signal zu empfangen war. Ich glaube, der erste Song, den ich mitsingen konnte, war „Jailhouse rock“. Es gibt nur einen King!

Wird es im Jahr 2021 irgendwelche Live-Aktivitäten geben? Was ist dein Plan, oder besser gesagt, was steht auf der Wunschliste?
Ich hoffe es! Wir sind bereit und sobald sich Corona erledigt hat, hoffen wir, wieder nach Deutschland und Spanien und dem Rest von Europa zu kommen. Vielleicht sogar nach Japan. Aber zunächst werden wir eine Split-Platte mit der dänischen Band TOMMY & THE ROCKETS machen, wir arbeiten gerade an den letzten Details. Wir haben auch eine EP mit der italienischen Band RADIO DAYS aufgenommen, bei der wir uns gegenseitig covern. Wenn sich aus all dem nicht ein paar Live-Shows ergeben, drehe ich durch.