Quo vadis Compact Disc?

Foto

Parental Advisory

Viele kennen ihn, diesen kleinen, schwarzweißen „Parental Advisory“-Sticker, der früher auf nahezu allen CD-Hüllen prangte als Hinweis für Erziehungsberechtigte zum Zwecke des Jugendschutzes. Vermisst den heutzutage irgendwer? Ein klares Nein. Aber wie sieht es eigentlich mit dem Medium dahinter aus?

Die derzeitige Vinylkrise macht vielen Bands und kleinen Labels das Leben schwer, wie auch eindrücklich in Ox #160 nachzulesen war. Was also tun, wenn Künstler:innen ihr neuestes Werk veröffentlichen wollen, aber die Königsklasse in Form der Schallplatte faktisch nicht mehr als Option zur Verfügung steht? Digitale Veröffentlichungen laufen heute ja ohnehin schon nebenher und zählen zum State of the Art, haben gewiss auch ihre Vorzüge, sind jedoch aus Sicht des eingefleischten Musik-Aficionados im Vergleich zu physischen Formaten völlig blutleer. Und möchte man am Ende wirklich Großunternehmen wie Spotify, Apple und Amazon alle Tantiemen überlassen, obwohl diese über diverse dubiose Formate ohnehin schon Unsummen an Geld in ihre bereits prall gefüllten Kassen spielen? Übrigens sollte dabei nicht unerwähnt bleiben, dass Spotify selbst nur etwa 30% der jährlich eingenommenen 10 Mrd. Euro einbehält – den Rest teilen laut „Music & Copyright“ die drei Majorlabels Sony, Universal und Warner untereinander auf, die insgesamt einen Anteil von ca. 70% am globalen Labelmarkt halten. Eine klassische Umverteilung von unten nach oben also, vor allem dank des zugrundeliegenden Lizenzmodells, das Musikschaffende nach Anzahl ihrer Streams entlohnt, während die zugrundeliegenden Algorithmen wiederum vorwiegend die populären Songs der Majors spielen anstelle der Musik unbekannterer Künstler:innen. Was also tun?

Nun, Neil Young machte es vor einigen Wochen mit seiner Reaktion auf Joe Rogans Schwurbelpodcast vor und ließ seine komplette Diskografie von Spotify entfernen. Auch David Crosby, Graham Nash und weitere folgten seinem Beispiel. Aber Neil Young und Co. verkaufen auch ohne den Streaming-Riesen Unmengen an Tonträgern und dürften somit kaum als Vorbild für kleinere Bands dienen. Diese würden hierdurch zwangsläufig den Zugang zu einem Großteil ihrer Hörerinnen und Hörer verlieren.

Da passt die kürzlich veröffentlichte Meldung über den erstmaligen Anstieg von CD-Verkäufen seit sage und schreibe 17 (!) Jahren auf den ersten Blick doch perfekt ins Bild. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen diese laut Billboard um 6,3% auf insgesamt knapp 103 Mio. Tonträger. Der prüfende Blick zeigt jedoch, dass hierfür nur einige wenige populäre Künstler:innen verantwortlich waren – allen voran Adele und Taylor Swift mit insgesamt über 1 Mio. verkauften Exemplaren in den USA. Von einem generellen Revival der CD zu sprechen, wäre daher völlig verfehlt.

Wie sieht es hingegen im Bereich alternativer Musik aus? Ein schönes, wenn auch beileibe nicht pauschalisierbares Nischenphänomen findet sich seit einiger Zeit im Genre Pop-Punk: Hier gab beziehungsweise gibt es noch immer einen regelrechten Hype um das Medium. Labels wie Mutant Pop, Outloud!, Monster Zero oder Gutter Pop setzen nach wie vor auf die guten alten CDs. Klein(st)auflagen zu moderaten Preisen ermöglichen es sowohl Labelmachern als auch Konsumenten, endlich wieder auf physische Formate zuzugreifen. Ohnehin liegen die Vorzüge der CD im Vergleich zum Vorgängermodell, der Musikkassette, auf der Hand, obwohl beide Medien selbstverständlich noch immer gleich stark die Herzen eingefleischter Sammler höher schlagen lassen: Die besondere Haptik, die Texte in Booklet-Format und glasklarer Sound zu moderatem Preis (letzterer vor allem im Vergleich zu den aktuellen, oftmals horrenden Vinylpreisen). Allerdings war dies nicht immer der Fall, denkt man an die Hochzeiten bis zum Beginn der Zweitausender Jahre, als CDs teilweise für bis zu 40 Mark verkauft wurden. Danach schrumpfte sich dieses Missverhältnis wieder ein wenig gesund. Mittlerweile liegen die lieblos gestalteten Scheiben sogar häufig zum 3-für-1-Preis in den Grabbelkisten der Elektrogroßmärkte und bieten einen traurigen Anblick.

Nur ein einziges Mal habe ich einen Großteil meiner CD-Sammlung veräußert, als ich selbst auf den anfänglichen Siegeszug der mp3 aufspringen zu müssen glaubte und ohnehin gerade Spielarten jenseits von Punk, Hardcore und Rock’n’Roll (!) für mich entdeckte. Doch bereits kurze Zeit später war mir klar, dass dies ein unverzeihlicher Akt der Sabotage an meinem musikalischen Tagebuch darstellte. Es folgten Nachkäufe, natürlich vorwiegend auf Vinyl, aber dennoch hin und wieder gerne auch auf CD. Stehe ich heute vor meinem Regal und durchsuche es akribisch nach einem ganz bestimmten Album, das mir urplötzlich in den Sinn kam und welches ich unbedingt sofort hören muss, dann erfasst mich wirklich das gleiche Gefühl wie bei der Sichtung meiner Schallplattensammlung: Es ist ein Hochgenuss, sein eigener DJ zu sein und den perfekten Soundtrack für die jeweilige Stimmung zu suchen. Mit dem Finger an den aufgereihten Jewel Cases entlang streifend, begleitet von ständigem Abwägen, dann kurz die Überlegung, ob vielleicht nicht doch eine andere Scheibe besser passen würde. Und dieses: Ach, Moment, dieses eine Album hatte ich ja ebenfalls völlig vergessen. Das muss ich auch unbedingt mal wieder auflegen! Zu guter Letzt dann aber der beherzte Griff ins Regal gemäß dem ersten Bauchgefühl. Ohne Zweifel könnte ich an dieser Stelle auch genauso gut einen Streamingdienst aufrufen und das Ganze über Bluetooth auf die Anlage durchfunken. Es wäre aber definitiv nicht das Gleiche. Denn bei CDs geht es mir genauso wie beim Auflegen einer Schallplatte: Es ist das Sich-der-Musik-Widmen, nicht der bloße Konsum. Und wenn dann noch die klangliche Qualität stimmt, gibt es aus meiner Sicht wirklich nichts auszusetzen.

Sicher, das alles klingt schwer nach Nostalgie oder auch Romantisierung und ist hochgradig subjektiv. Kommen wir daher besser noch einmal auf den eingangs genannten Aspekt zurück, nämlich den Mehrwert der CD für kleinere Künstler:innen und Labels. Und hier sei vorab gesagt: Es wäre absoluter Irrglaube, die derzeitigen Entwicklungen des Musikbusiness würden die CD wieder zu einem populären Mainstream-Format machen. Dafür ist das Medium wirklich zu sehr aus der Zeit gefallen und für den bloßen Konsum von Musik ohnehin auch nicht mehr wirklich erforderlich. Denn Populärmusik verfolgt eine komplett andere Zielrichtung: Sie muss eingängig sowie ubiquitär sein, darf aber auch gleichzeitig austauschbar bleiben. Es ist eine legitime Kunstform, die maßgeblich ökonomische Aspekte verfolgt und sich nicht der Verbreitung der Kunst sensu stricto unterordnet. Die Musik wird so Mittel zum Zweck.

Genauso irrsinnig wäre es aber, das Format der CD gänzlich abzuschreiben, da es doch zweifellos eine ideale Ergänzung im Potpourri der sich bietenden Konsumoptionen bildet – und noch dazu ein günstiges mit gutem Klang. Ein unverwüstliches Arbeitstier unter den Medien, gemacht für die Peripherie des Mainstreams und die Leidtragenden der Vinylkrise. Mit CDs haben unbekanntere Künstler:innen noch immer die volle Kontrolle: Eine prima Visitenkarte zur Vorstellung des eigenen Œuvres, eine haptische Belohnung für Blut, Schweiß und Tränen des im-Proberaum-vor-sich-hin-Arbeitens, ein Hingucker im Musikregal nebst Begleitlektüre. Was schiebt man über den Tresen seiner Lieblingskneipe, wenn man mit der eigenen Band dort unbedingt einmal auftreten will? Und was schickt man an Magazine zum Zwecke der Bemusterung, da rein virtuelle Einsendungen – völlig zu Recht, da an Frechheit grenzend – absolut verpönt sind?

Nein, die CD wird definitiv nicht mehr groß werden. Und natürlich ist und war sie auch nicht das coolste Musikformat aller Zeiten. Daher sollten die jüngst von Billboard veröffentlichten Verkaufszahlen auch keineswegs auf ein wirkliches Revival rückschließen lassen. Allen Unkenrufen zum Trotz ist der Niedergang dieses Mediums in den alternativen Nischen und Randbereichen der Musikindustrie aber noch lange nicht besiegelt. Unkraut vergeht eben nicht.

Ein Schmankerl noch zu guter Letzt: Auch Spotify verwendet neuerdings Warn- und Informationshinweise für Sendungen mit kontroversen Inhalten – so beispielsweise bei fragwürdigen Podcasts. Genau wie damals die kleinen schwarzweißen Sticker auf den CDs.