RABIES BABIES

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Aus Spass an der Wut

RABIES BABIES gründeten sich 1999 in London, trotzdem haben sie erst dieses Jahr ihr Debüt auf Damaged Goods veröffentlicht. Mit ihrem krachigen Hardcore-Punk voller „anger and fun“ haben sie sich nicht nur in meine Gehörgänge gefräst, „Rabies Babies“ ist auch eine meiner Lieblingsplatten des Jahres 2020. Wir sprachen mit Bassistin und Sängerin Lorna darüber, warum sie über zwanzig Jahre gebraucht haben, um ihre erste Platte aufzunehmen, aber auch über den Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Punk-Szene, Alltagssexismus und Gentrifizierung. Dazu gibt es noch einen Geheimtipp für einen coolen Tag in London. Die weiteren RABIES BABIES sind Laura an der Gitarre und Tabi an den Drums.

Die Band ist 1999 aus dem DIY-Underground von New York und London hervorgegangen. Kannst du uns etwas dazu erzählen?

Laura war während der Achtziger und Neunziger in der New Yorker Hausbesetzerszene aktiv und ich in London. Wir trafen uns 1998, kurz nachdem Laura in London angekommen war. Der Einfluss, den dieses Umfeld bei uns beiden hinterlassen hat, besteht nicht nur aus einer Reihe von Bands, die wir mögen. Es ist die Einstellung und die DIY-Idee, es auf unsere Art zu machen und nicht den „normalen“ Weg zu gehen. Eine „normale“ Band wäre sicher nicht 21 Jahre lang zusammen gewesen, ohne eine Platte rauszubringen.

Ihr zählt neben BLACK FLAG und SLITS auch KLEENEX aus der Schweiz zu euren Einflüssen.
Ich muss zugeben, dass wir erst vor kurzem auf KLEENEX gestoßen sind. Was wir in unserer Pressemitteilung aufgeführt haben, ist eher eine Liste von Bands, von denen die Leute vielleicht schon gehört haben, mit einem ähnlichen Klang oder ähnlichem Feeling wie wir. Wir haben alle einen sehr unterschiedlichen Musikgeschmack, diesen großen Pool an Vorlieben einmal gut durchrühren und du hast RABIES BABIES.

Seit 2004 seid ihr als Trio unterwegs, in der aktuellen Besetzung seit 2018. Sind All-Female-Bands auch in Großbritannien eine Seltenheit?
All-Female-Bands sind nach wie vor eine Ausnahme. In den letzten Jahren gibt es aber mehr Frauenbands, mehr Promoterinnen, die Frauenbands aktiv unterstützen, und es ist viel üblicher, Frauen auf der Bühne zu sehen, aber es ist immer noch nicht üblich, rein weiblich besetzte Bands zu sehen. Bis 2018 hatten wir immer einen Mann am Schlagzeug, aber schon damals wurden wir auf den Flyern oft als „All Girl“ oder „Girl Band“ bezeichnet. Jahrelang waren wir fast immer die einzigen Frauen im gesamten Line-up. Wir waren jahrelang die Alibi-Mädchenband, und immer zuerst dran, weil alle Jungs dachten, sie seien besser als wir. Haha. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Es fängt schon damit an, dass es immer noch als „Männersache“ angesehen wird, in Bands zu spielen, so dass Mädchen nicht glauben, das auch tun zu dürfen.

Warum habt ihr gut 21 Jahre gebraucht, um eine Platte zu machen?
Ja, das dauerte ein bisschen länger, als man das von Bands erwartet, nicht wahr? Das liegt daran, dass es für uns keine besondere Priorität war, eine Platte aufzunehmen. Wir spielen einfach gerne Gigs, und wir hatten nicht das Bedürfnis, etwas zu veröffentlichen. Wir haben weder den Wunsch noch den Ehrgeiz, RABIES BABIES zu unserer „Arbeit“ zu machen. Und das gibt uns viel kreative Freiheit, weil wir keine Musik machen müssen, die die „Fans“ mögen werden, oder uns darum sorgen zu müssen, wie beliebt wir sind. Wir haben uns entschieden, ja zu Damaged Goods zu sagen, weil so viele Künstler, die wir bewundern, auf Damaged Goods sind. Ian gab uns auch völlige Freiheit und stimmte bei der Platte allem zu, was wir wollten. Es war wichtig für uns, dass es die allerbeste Platte wird, die wir machen können. Wir haben über jeden Aspekt genau nachgedacht. Wir wollten, dass die Platte einige alte Lieder, einige neue Lieder, einige ernste Lieder und einige Partysongs enthält und eine Vorstellung von dem vermittelt, worum es uns geht. Zuerst haben wir Demos in unserem Übungsraum gemacht, so dass wir ausprobieren konnten, alles so zu spielen, wie wir es im Studio aufnehmen wollen. Es war wirklich nützlich, diesen Prozess zuerst im Übungsraum durchzugehen, weil wir uns so wirklich wohl fühlten, jedes Lied gut geprobt hatten und genau wussten, was wir wollen. Wir wollten, dass Tim Cedar uns aufnimmt, weil ich bei ihm schon mit einer anderen Band war und wusste, dass er keine Scheu vor Lärm hat. Tim mischte die Tracks auch ab – wir kennen unsere Stärken, und das Abmischen gehört nicht dazu –, und als er uns die erste Version der Mixe schickte, baten wir ihn, den Gesang leiser und die Gitarre lauter zu machen, und das war es dann auch schon. Er hat es auf den Punkt gebracht. Wir sind wirklich zufrieden damit, wie es klingt. Beim Artwork war uns wichtig, mehr als nur eine Scheibe in einer Hülle zu haben, wir wollten es mit allem Drum und Dran. Der Ausgangspunkt für das Design des Covers war eine Ausstellung mit Arbeiten von Corita Kent, einer Künstlerin, Nonne, Aktivistin aus den Sechziger Jahren – leuchtend, schlicht und kühn, mit Variationen in der Farbgebung. Das Cover selbst wurde von unserem Freund Gavin Knight handbedruckt, es gibt sechs Farbvarianten. An dem Text im Beiheft war die ganze Band beteiligt, um die Lieder zu illustrieren, und ich habe die künstlerische Bearbeitung und das Layout übernommen.

Konntet ihr noch eine Release-Party machen?
Wir konnten leider keinen Gig zum Release spielen, weil keine Auftritte erlaubt sind. Also haben wir eine Online-Party veranstaltet. Sie dauert dreißig Minuten, wir hören die ganze Platte durch und sprechen über die Songs. Wie fast alles, was uns betrifft, haben wir das Video selbst gedreht. Ich nahm eine Skype-Session auf und bearbeitete sie. Ihr findet sie komplett auf unserer Homepage. So bekommt ihr einen guten Eindruck davon, worum es bei RABIES BABIES geht.

Eure Platte hat eine „anger side“ und eine „fun side“. Warum habt ihr das so strikt getrennt?
Es war Lauras Idee, die Seiten auf diese Weise zu gestalten, einfach weil die eine Hälfte der Songs wütend ist und die andere Hälfte eher Spaß macht. Wir diskutierten die Reihenfolge der Titel als Band, wir fragten Freunde, was sie denken, jeder gab uns andere Ratschläge, also folgten wir unserem Herzen, und so war es dann.

Der erste Song hat den Titel „Rape is rape. Even if the rapist is in a band that you like“ und behandelt sexuellen Missbrauch in unserer Szene und den Umgang damit. Was war der Anlass für diesen Song?
Wenn einem Mann in einer Band ein sexueller Übergriff vorgeworfen wird, wird fast immer das Opfer selbst beschuldigt oder als Lügnerin bezeichnet und sie wird aus der Szene verdrängt. So viele Male haben wir das schon erlebt. Und das sollte nicht so sein. Es schafft eine Atmosphäre, in der Männer nicht einmal merken, dass sexuelle Übergriffe falsch sind. Vor einigen Jahren begannen wir, während unserer Gigs über das Thema „Zustimmung“ zu sprechen. Wir verfassten auch Flugblätter darüber und verteilten sie auf unseren Konzerten. Das Lied entstand aus Wut und Verzweiflung über den Zustand unserer Szene. Es gibt einige Männer in Bands, die mehrfach mit sexuellen Übergriffen aufgefallen sind. Und jeder weiß, was vor sich geht, aber die Leute tragen immer noch die T-Shirts dieser Band und gehen zu ihren Auftritten. Nachdem wir „Rape is rape“ zum ersten Mal live gespielt haben, hörten einige Männer aus lokalen Punkbands auf, mit mir zu reden. Der lokale Punk-Veranstalter rief mich an und warnte mich davor, Ärger zu machen und die Szene zu zerstören. Dieser Typ gab uns nie wieder einen Auftritt.

Der Song ist in Dialogform geschrieben. Warum?
Ich wollte die Kommentare auflisten, die die Leute so ablassen, wenn ein Mann der Vergewaltigung beschuldigt wurde. Alle Zeilen des Liedes sind Dinge, die Leute wirklich gesagt haben.

„On your bike“ erzählt von negativen Erfahrungen und sexistischer Anmache beim Radfahren.
Die ganze Band fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit. In London ist es die einfachste und billigste Art, sich fortzubewegen. Aber es fahren immer noch viel mehr Männer als Frauen mit dem Rad, und das scheint einigen Männern das Gefühl zu geben, sie müssten Frauen ständig Anweisungen geben, wie sie Rad fahren sollten. Hier einige Beispiele: Tabi war mitten am Tag mit dem Rad unterwegs. An einer Kreuzung ermahnte sie der Mann auf dem Fahrrad neben ihr, sie habe kein Licht an ihrem Fahrrad, obwohl es hellichter Tag war und sie kein Licht haben musste. Ich wartete an der Ampel an einer belebten Kreuzung. Zwei Männer hinter mir fingen an, laut darüber zu sprechen, was sie von meinem Hintern hielten. Ich war an einer Kreuzung. Ich war mir nicht sicher, ob es dem Fahrer des großen Lastwagens hinter mir bewusst war, dass ich dort stehe, also beschloss ich, dass es am sichersten ist, an ihm vorbei zur Ampel zu gehen. Ein Mann auf einem Fahrrad in der Nähe sah mich dabei und fing an, mich anzuschreien. Er verfolgte mich und fuhr neben mir her und brüllte mich etwa fünf Minuten lang an. Und warum denken die im Fahrradgeschäft immer, ich wolle ein „shopping bike“? Laura wurde von einem männlichen Radfahrer angeschrien, weil er fand, dass sie zu langsam fuhr, obwohl sie sich auf einem Weg befand, den Radfahrer und Fußgänger gemeinsam benutzen, wo man also besser nicht so schnell fahren sollte. Ich könnte noch viele weitere Beispiele anführen ... Das Lied entstand, weil wir uns unsere Sexismus-Erfahrungen beim Fahrradfahren erzählen wollten, aber es könnte auch gut von anderen Aspekten des Lebens handeln, in denen Männer denken, sie hätten das Recht, Frauen zu sagen, wie sie sich verhalten sollen. Der Song besteht aus den Antworten, die wir ihnen gegeben haben oder was wir uns gewünscht hätten, gesagt zu haben.

Auf der „fun side“ findet sich eure Version von „La la la“. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?
Es war eine Verarsche. Wir spielten einen Gig mit der Band eines Freundes namens TERMINAL DECLINE. Ihr Sänger hatte den Text eines neuen Songs nicht gelernt und er hatte Papierfetzen mit dem ganzen Text drauf, kam aber mit den Zetteln durcheinander. Wir dachten, es wäre lustig, einen Song zu machen, bei dem der gesamte Text „La la la“ lautet, und den Text auf Papier zu schreiben, um uns selbst zu verarschen.

In eurem genial gestalteten Booklet habt ihr auf einer Karte Pubs und Clubs in London markiert, wo ihr gespielt oder geprobt habt. Wie macht sich die allgegenwärtige Gentrifizierung bemerkbar? Wie ist die Szene in London?
Als ich das zusammenstellte, wollte ich auch die Geschichte von RABIES BABIES erzählen. Wir leben und spielen schon lange in der gleichen Gegend und die hat sich seit 1999 enorm verändert: Die Olympischen Spiele 2012, Gesetzesänderungen – in Wohngebäuden ist Hausbesetzung in Großbritannien jetzt illegal – und natürlich die Gentrifizierung haben unser Viertel verwandelt. Diese Kartenseite im Booklet stammt aus dem Londoner „A-Z“. Für die Jüngeren: Jeder, der in den Tagen vor dem Smartphone in London lebte, hatte ein Exemplar des „A-Z“. Es war unerlässlich, um sich zurechtzufinden. Auf Seite 50 ist ein Zigarettenbrandfleck zu sehen. Ich habe dies als ein Hinweis auf die Vergangenheit hinzugefügt, als wirklich jeder so einen „London Street Atlas“ mit Brandflecken auf seinen Lieblingsseiten hatte. Die meisten der hier abgebildeten Veranstaltungsorte, Squats und Proberäume existieren heute nicht mehr und sind zu Luxuswohnungen oder teuren Bars geworden. Aber bis März 2020 gab es eine fitte lokale Club-Szene mit einer ganzen Reihe von kleinen Veranstaltungsorten in unserer Gegend und an den meisten Abenden gab es Konzerte. Unser letzter Auftritt wurde von „Loud Women“ organisiert, einer Kooperative von Frauen, die hauptsächlich weibliche oder nicht-binäre Bands veranstalten.

Corona ist ebenfalls gegenwärtig. Was könnt ihr uns in London empfehlen, wenn die Pandemie vorbei ist?
Ich habe das Gefühl, dass Corona nicht die größte Katastrophe für London im Jahr 2020 sein wird. Der Brexit kommt. Und wir haben keine Ahnung, in welcher Scheiße wir nach dem 31. Dezember stecken werden. Aber für jeden, der dies liest und nach London kommen möchte, ist mein Top-Tipp für einen großartigen und vor allem billigen Tag in London, einfach an der Themse entlang zu spazieren. Beginnt entweder am Tate Britain Museum oder bei den Houses of Parliament. Überquert den Fluss und geht am Südufer entlang. Haltet auf dem Weg an den Dingen an, die euch interessieren. Macht im Sommer ein Picknick am Roof Garden, besucht die Tate Gallery of Modern Art, schaut euch das Globe Theatre an. Wenn dort ein Theaterstück aufgeführt wird, könnt ihr für fünf Pfund Stehplätze bekommen. Stellt euch einfach auf die Millennium Bridge, um einige kultige Londoner Touristenfotos von der Tower Bridge und St. Paul’s zu machen. Ihr könnt auch ein Clipper-Boat für Pendler von verschiedenen Punkten entlang der Themse aus nehmen, das ist um einiges billiger als ein Touristendampfer. Sie verkehren regelmäßig, vermeidet aber unbedingt den Berufsverkehr. Früher gab es hier an jedem Abend Gigs, hoffentlich wird es Post-Corana auch wieder so sein. Wenn ihr London besucht, lohnt es sich, vorher einen Blick auf den Konzertkalender zu werfen. Die besten Shows finden oft in winzigen Venues und Pubs statt. Für einen Kneipenabend empfehle ich dann unseren lokalen Pub, The Royal Sovereign in Clapton, ein großartiger Laden mit leckerer Pizza und freundlichen Einheimischen. Cheers!