RADICAL AID FORCE

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Punk-affine Hilfsorganisationen - Teil 3: Solidarität muss praktisch werden!

Teil 3 unserer Reihe zu NGOs und Vereinen, die sich sozial engagieren und einen Bezug zur Punk- und Hardcore-Szene haben, führt uns direkt ins Kriegsgebiet. Radical Aid Force ist eine kleine Non-Profit Gruppe, die seit Kriegsbeginn regelmäßig in die Ukraine fährt und teilweise auch für längere Zeit dort bleibt. Dort unterstützen sie medizinische Einrichtungen direkt an der Front, Krankenhäuser, Tierheime oder eine FLINTA* Gruppe aus der Region Sumy. „In uns brennt Hass auf den Zustand dieser Welt“, lautet das Motto von Radical Aid Force. Die vier Aktivist:innen Zora, Locke, Rakete und Nestor erzählen uns, was sie antreibt und warum sie das hohe Risiko im Kriegsgebiet auf sich nehmen.

Bitte erzählt uns, wie, wo, wann und warum es zur Gründung eurer Organisation kam.

Als der vollumfängliche Angriffskrieg Russlands auf Ukraine im Februar letzten Jahres startete, war für viele von uns sofort klar, dass wir dort helfen und aktiv werden wollen. Wir alle waren und sind seit Jahren politisch in den verschiedensten Kämpfen aktiv. Sei es der Kampf gegen Gentrifizierung, gegen Rassismus, gegen Faschismus, der Support für Menschen auf der Flucht oder für Tierrechte, unser Sinn für Gerechtigkeit und gegen Diskriminierung jeglicher Art bestimmen schon lange unsere Leben. Zora und Nestor saßen beinahe zeitgleich von Berlin aus in verschiedenen Autos auf dem Weg zur polnisch- ukrainischen Grenze, zwei Tage nach den ersten Angriffen. Beide wussten nichts von der Aktion des jeweils anderen und erst Tage später gab es ein Treffen und die ersten Pläne, das als Gruppe weiterzuführen. Schnell war auch der Entschluss gefasst dies als Gruppe mit eigenem Namen und nicht mehr als Privatpersonen zu machen.

Wer waren damals die Ideengeber:innen und „Köpfe“, wer ist es heute?
Damals waren wir vier Personen, die Radical Aid Force ins Leben gerufen haben. Heute sind von diesen vier Personen nur noch Zora und Nestor Teil der Gruppe, die anderen beiden haben aus teils persönlichen Gründen die Gruppe verlassen. Seit kurzem ist Rakete bei uns im Team. Sie ist extra von Bremen nach Berlin gezogen, um näher an der Ukraine dran zu sein und besser, schneller und flexibler arbeiten zu können. Über Social Media sind wir auf sie und ihre großartige Arbeit aufmerksam geworden, woraufhin wir sie nach einer Zusammenarbeit gefragt haben. Das hat so gut funktioniert, dass sie schnell ein nicht wegzudenkendes Mitglied von R.A.F. geworden ist. Locke ist seit einigen Monaten unsere Social-Media-Queen. Er hatte unsere Onlinepräsenz kritisiert und unsere Antwort darauf war: Mach’s halt dann du! Tja, so kam’s dazu und er ist seitdem an Bord.

Was ist die Geschichte zu eurem Namen?
Dazu sagen wir am besten nicht zu viel. Aus einem Gag wurde einfach ernst. Doch wir finden, der Name passt perfekt zu uns. Wir stammen alle aus der radikalen Linken und „Solidarität muss praktisch werden“ ist für uns nicht nur Demosprech. Die Initialen sind natürlich Zufall. Rote Auto Fraktion. Royal Aid Force. Radical Aid Force... es gibt noch weit mehr interne Variationen, die wir aber lieber für uns behalten.

Welche Ziele habt ihr euch gesetzt? Was wollt ihr erreichen?
Unsere eigene Auflösung, weil wir nicht mehr gebraucht werden. Davor steht der ungebrochene Support unserer Comrades in der Ukraine, bis sie ihre selbstgesteckten Ziele erreicht haben. Schluss ist erst, wenn die Menschen in der Ukraine sagen, dass Schluss ist. Bis dahin werden wir alles Menschenmögliche unternehmen, um den Menschen drüben wenigstens etwas beim Überleben zu helfen und ihr Leid zu lindern. Fakt ist, niemand von uns wird aufhören, politisch aktiv zu sein, nur weil der Krieg in der Ukraine gewonnen ist. Ob es danach die Radical Aid Force in der Form noch weiterhin gibt, ist unsicher und wurde intern bei uns noch nicht thematisiert. Leider wird es jedoch weltweit immer genügend Gründe geben, um weiterzumachen. Da machen wir uns erst Gedanken, wenn es so weit ist.

Welche wichtigen Aktionen und Erfolge gab es in der jüngeren Vergangenheit?
Schwer zu sagen, alles ist wichtig und ein Erfolg, was hilft. Besonders im Gedächtnis geblieben ist die Lieferung von 1.800 Stück der Pille danach und Abtreibungspillen in die befreiten Gebiete. Die russische Armee hat dort, und macht es just in diesem Moment an besetzten Orten, Vergewaltigung von Menschen jeden Alters und Geschlechts als Kriegswaffe eingesetzt, was unzählige ungewollte Schwangerschaften verursacht hat. Die Evakuierung und weitere Unterstützung von Menschen auf der Flucht ist uns auch sehr wichtig, zu wissen, dass sie jetzt zumindest in Sicherheit sind. Das ist uns bisher bei knapp 200 Personen gelungen und mit vielen davon stehen wir nach wie vor in Kontakt und unterstützen sie weiterhin bei allen Belangen.

Mit welchen Risiken ist euer Engagement verbunden? Seid ihr Anfeindungen ausgesetzt, werdet ihr kriminalisiert?
Das Hauptrisiko besteht darin draufzugehen. Es ist nun mal Krieg und keine Kaffeefahrt. Einige Einschläge haben uns zeitlich oder räumlich doch sehr knapp verfehlt. Dagegen sind die Anfeindungen sogenannter Antiimps und anderer Pseudolinker ein Witz, ein schlechter noch dazu. Maulhelden, die sich mit ihrer Feigheit hinter Theorien und Büchern verstecken, braucht kein Mensch. Es fällt uns oft schwer, uns so sinnlosen Online-Diskussionen zu entziehen, aber bei diesen realitätsfernen Spinnern hilft sowieso nichts mehr. Daher wird unsere Blockierliste einfach stetig länger und wir schicken uns gegenseitig im internen Chat die witzigsten Beleidigungen von anderen an uns. Kreativ sind einige von den Spinnern schon, das muss man denen lassen. Wir versuchen, so anonym wie möglich zu arbeiten, um einer Kriminalisierung so gut es geht aus dem Weg zu gehen. Jedoch sind wir der Überzeugung, dass unsere Hilfe und unser Support gerade wichtiger sind als ein, zwei Richtlinien, die wir möglicherweise ab und an umgehen müssen. Bis dato klopfen wir auf Holz und machen weiter!

Wie viele ehrenamtliche und hauptberufliche Mitarbeitende habt ihr?
Das Kernteam besteht aus vier Menschen, dazu kommen noch einige mehr oder weniger lose Mitstreiter:innen. Alle arbeiten ehrenamtlich, Hauptberufliche gibt es nicht. Für uns alle ist dies aber nahezu ein 24/7 Job geworden. Die Anfragen kommen zu jeder Uhrzeit und wir versuchen immer, innerhalb weniger Stunden darauf zu antworten und direkt Lösungen parat zu haben. Wir achten sehr auf uns gegenseitig und erinnern uns auch ständig daran, auch mal eine kurze Verschnaufpause einzulegen. Was allen aber unglaublich schwerfällt ...

Wo ist der Sitz beziehungsweise die Zentrale eurer Organisation?
Das klingt alles so offiziell, haha, wir haben alle unsere kleinen WG-Zimmer oder Minibuden in Mietshäusern in Berlin respektive Hannover. Wir sind Zecken – vom Tagedieb und Taugenichts zum fleißigen Bienchen bedienen wir jedes Feld. Die Zentrale der Radical Aid Force ist in unseren Köpfen und im Gruppenchat.

Was könnt ihr leisten, das eine staatliche oder konfessionelle Organisation nicht kann?
Wir sind schnell, arschschnell. Wird etwas dringend benötigt, sind wir in der Regel in der Lage, durch unser Netzwerk innerhalb einer Woche zu liefern. Große Organisationen sind viel zu träge und unflexibel, außerdem geht viel zu viel Geld für Verwaltung und Gehälter drauf. Bei uns geht alles 1:1 direkt an die Menschen.

Welche konkrete Arbeit leistet eure Organisation? Also was genau macht ihr? Und mit wem arbeitet ihr dabei zusammen? In welchen Ländern/Regionen seid ihr aktiv?
Wir liefern, was zum Überleben und zum Kämpfen nötig ist, außerdem unterstützen wir finanziell. Konkret beliefern wir Krankenhäuser, Tierheime, Privatleute, Freiwilligenzentren und Organisationen, Fronteinheiten. In der Ukraine selbst arbeiten wir zum Beispiel mit Solidarity Collectives und Help War Victims UA zusammen, FLINTA*- und queeren Kollektiven, dem Special Platoon „Seneca“ der 93. motorisierten Brigade in Bakhmut und mit Einzelpersonen. In Polen ist XVX.tacticaid unser Ansprechpartner, in Deutschland arbeiten wir mit Ukraine Solidarity Bus, Berlin to Borders, Petners und vielen mehr zusammen. Durch den Punk/Hardcore-Background waren wir bereits vor dem Krieg europaweit gut vernetzt und das kommt uns jetzt zugute. Irgendwo kennt man immer irgendwen, der unsere Arbeit unterstützen, mit uns zusammenarbeiten oder helfen kann. Wir kaufen einen arschteuren Generator irgendwo im Nirgendwo in CZ ... Kein Problem, ein Bekannter ist bereit, den super spontan morgen dort abzuholen und uns an einem Treffpunkt zu übergeben. So und nicht anders sieht Solidarität aus. Derzeit sind wir ausschließlich in der Ukraine aktiv.

Wofür verwendet ihr das Geld, das euch gespendet wird? Und habt ihr so was wie ein Spendensiegel beziehungsweise wie wird gewährleistet, dass mit den Spenden satzungsgemäß umgegangen wird?
Für Dinge, die nachgefragt werden. Das waren ganz zu Beginn neben Nahrungsmitteln vor allem Tourniquets, IFAKs, Splitterschutzwesten und Platten, ballistische Helme ... Über den Winter wurden Isomatten, Schlafsäcke, Thermounterwäsche, Heat Packs, Generatoren und Powerbanks benötigt. Medizinischer Bedarf ist ungebrochen nachgefragt. Der Bedarf ändert sich laufend und wir liefern. Für Sprit geht leider auch nicht wenig Geld drauf. Da wir keine offizielle Organisation sind und sein wollen, gibt es weder Spendensiegel noch eine Satzung. Unsere Verwurzelung in der Szene ist unser Siegel, die Menschen vertrauen uns. Trotzdem versuchen wir, so transparent wie möglich auf Social Media zu sein, um den Supporter:innen zu zeigen, was wir durch die Spenden alles schaffen. Doch die meisten Dinge fallen hier vom Tisch. Seien es Dinge, die wir aus rechtlichen Gründen nicht zeigen dürfen, seien es scheinbar kleine Dinge wie Äxte zum Holzhacken an Privatleute, seien es Geldspenden an Einzelpersonen, um überlebensnotwendige Medikamente zu kaufen, oder seien es Dinge, die wir einfach vergessen zu dokumentieren, da neben uns gerade Beschuss ist und wir so schnell wie möglich handeln müssen. Sollen wir jede Miniüberweisung online stellen? Wenn darum gebeten wird, klar gerne. Wir haben nichts zu verheimlichen. Im Gegensatz zu vielen großen Organisationen kommt bei uns jeder Cent 1:1 dort an, wo er gebraucht wird. Klingt vielleicht kurz etwas überheblich, aber wir haben echt viel Scheiße gesehen, was bei anderen „Hilfsorganisationen“ und deren Spendengeldern abgeht.

Wie kann man euch unterstützen? Nur mit einer Spende oder auch mit aktiver Mitarbeit?
Mit der aktiven Mitarbeit gestaltet es sich etwas schwierig, da wir auf Menschen angewiesen sind, auf die wir uns auch in Extremsituationen wie beispielsweise Beschuss verlassen können und die weder sich noch andere unnötig gefährden. Daher ist das für uns bisher keine Option gewesen. Geldspenden sind immer gut, damit können wir flexibel auf Bedarf reagieren. Werden Sachspenden benötigt, starten wir explizite Aufrufe und die Sachen können an Sammelpunkten in diversen Städten abgegeben werden. Außerdem hauen wir hin und wieder Soli-Shirts oder Patches raus, das bekommt ihr dann auf Insta mit. Hilfe und Support kann so vielfältig sein, auch ohne Kohle. Teilt unsere Beiträge, erzählt im Bekanntenkreis von der R.A.F., so bekommen wir mehr Aufmerksamkeit und damit mehr Unterstützung.

Habt ihr prominenten Fürsprecher:innen aus dem Musik- und Kulturbereich? Wer ist das, und warum passen die zu euch?
Die einzige Konstante bisher ist die Band ZSK, die seit Kriegsbeginn eine Spendendose für uns am Merch aufstellt, uns deren Tourbus für die Fahrten geliehen hat und auch Ansagen auf der Bühne zur Situation in der Ukraine macht. Wir versuchen derzeit, durch unsere Kontakte in den Musikbereich ein Soli-Konzert zu organisieren. Leider erweist sich das als sehr schwer. Viele Bands antworten nicht, oder es kommt ein lockeres Schulterklopfen. „Wir finden ja gut, was ihr da macht, aber leider können wir bei eurem Soli-Konzert aus verschiedenen Gründen nicht mitmachen“ ist die Regel. Frust diesbezüglich macht sich ehrlich gesagt schon breit, denn was wäre so schwer daran, eine Spendendose bei Konzerten oder in Kneipen aufzustellen? Einen oder zwei Euro Spende auf Tickets draufzuschlagen? Aber vieles ist wohl einfach mehr Fashion als Passion und Solidarität ist leichter ausgesprochen als auch ausgeführt – wo wir wieder den Bogen zum Demosprech spannen ...