RAUDITUM FANZINE

Foto© by Ugly

Ein hübsches Heft

Fanzines sind seit sicher vierzig Jahren eng mit der Geschichte des Punk verbunden und bis heute ein essentieller Bestandteil der Szene. Mindestens ebenso lange in der Berliner Punk-Szene aktiv ist Ugly, der das Rauditum Fanzine mittlerweile quasi im Alleingang betreibt und einst Mitbegründer des Skintonic-Zines war.

Ugly, du hast das Rauditum gewissermaßen „geerbt“. Kannst du die Geschichte des Fanzines für Unwissende zusammenfassen?

Irgendwann im Frühling 2020, Corona machte die erste Welle, kontaktierte mich ein junger Mensch aus Dresden und fragte mich, ob ich ihm für die Debütausgabe seines Fanzines ein Interview geben würde. Da ich auch damals schon in dem Alter war, in dem Opa gerne von früher erzählt, nahm ich dankend an. Auch seiner Bitte, mein Interview selbst zu layouten, kam ich gerne nach und als der erste Raudi rauskam, war ich mit im Boot und fortan Mitherausgeber des Rauditum Fanzines. Ich hatte wieder Spaß am Schreiben, ähnlich wie schon dreißig Jahre zuvor als Mitbegründer des Skintonic-Zines. Anfänglich erschien unser Werk alle drei Monate, doch so wie ich dreißig Jahre zuvor, verlor mein Mitstreiter mehr und mehr das Interesse an der gemeinsamen Arbeit. Bei der sechsten Ausgabe nahm er sich eine Auszeit und nach Nummer acht erfuhr ich durch einen seiner Facebook-Posts, dass er beim Raudi aufhört. Das war Ende 2022, der neunte Raudi ist dann Anfang Juli 2023 erschienen. Bei seinem Debüt war das Rauditum Fanzine noch ein kopiertes Heft mit einer Auflage von 150 Exemplaren. Seit der zweiten Nummer werden 500 Raudis von jeder Ausgabe gedruckt, der kleine Racker hat Format und in seinem Fall ist das DIN A5, sein Umfang schwankt, bisher waren es zwischen 68 und 76 Seiten. Zwar ist er unbezahlbar, aber für einen Unkostenbeitrag von drei Euro ist er bereit, seinen Besitzer zu wechseln, insofern die Reisekosten erstattet werden.

Mittlerweile machst du das Raudi komplett in Eigenregie – ist das Segen oder Fluch?
Wie so vieles im Leben ist es beides. Segen, weil ich über Inhalt und Ausrichtung allein entscheiden kann, und Fluch, weil ich für Inhalt und Ausrichtung allein verantwortlich bin.

Könntest du dir vorstellen, wieder mit Menschen zusammen am Fanzine zu arbeiten?
Klar, kann ich mir das vorstellen. Art und Umfang sind natürlich von der jeweiligen Person abhängig, wie gut man miteinander klarkommt und inwieweit man darin übereinstimmt, wie der Raudi erzogen werden soll. Minimalkonsens muss Toleranz sowie eine antifaschistische Grundhaltung sein. Ideal wäre, wenn da noch ein subkultureller Hintergrund, ein lockerer Schreibstil und die Fähigkeit, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen, dazu kämen.

Wie entscheidest du, was relevant fürs Rauditum ist?
Wenn es mich interessiert, bewegt oder beeindruckt, egal ob auf musikalischer, subkultureller oder politischer Ebene, ist es das.

Gibt es Themen, die dir dabei besonders am Herzen liegen?
Antifaschismus, da Faschismus in all seinen Facetten die größte Gefahr und der ärgste Feind der Menschlichkeit ist. Und wenn ich mir die weltweite Tendenz nach rechts anschaue und sehe, wie weit die „Mitte“ in der bundesdeutschen Gesellschaft nach rechts gerückt ist, wobei Tabus wie Antisemitismus und Rassismus mehr und mehr salonfähig werden, dann wird mir angst und bange. Es macht mich hilflos und wütend, was wiederum ein guter Antrieb fürs Schreiben ist. Es ist für mich ein gutes Ventil, um diese Wut ablassen zu können.

Schreibst du Bands selbst an oder wirst du für Interviews und Reviews auch kontaktiert?
Bei Reviews sprechen Labels oder Bands mich an, bei Interviews bin zumeist ich derjenige, der anfragt. Zwar bekomme ich auch öfter Mails von Promotern mit Interviewangeboten, aber Bands, die einen Promoter oder gar eine Agentur engagieren, sind für mich uninteressant, da ihre Intention, Musik zu machen, das Streben nach Ruhm ist. Punkrock ist für mich aber Wut und Rebellion und nicht Ruhm.

Über welche Themen oder Bands würdest du gern noch schreiben, bist aber bisher nicht dazu gekommen?
An zwei angefangenen Bandstorys arbeite ich von Zeit zu Zeit weiter und hoffe, da bald zum Abschluss zu kommen, da geht’s um KORTATU und THE BURIAL. Aktuell schreibe ich einen Artikel über SEETHING WELLS und würde gerne was über JOY DIVISION und die Anfangsjahre von THE CURE machen. Und einen angefangenen Artikel über die „Stay-Behind-Organisation Gladio“ muss ich endlich mal fertigstellen, aber das ist so umfangreich, dass es wohl noch dauern wird. Und ich würde gerne Jan Böhmermann und Anja Reschke interviewen, was wohl ein Wunsch bleiben wird.

Du bist ja im Prinzip seit vier Jahrzehnten in der Berliner Subkultur verankert. Welche Veränderungen hast du in der Hauptstadt-Szene in dieser enormen Zeitspanne wahrgenommen?
Die größte und wohl einschneidendste Veränderung war der Fall der Mauer und die daraus resultierende Gentrifizierung. Etliche, in den Achtziger Jahren erkämpfte Freiräume sind verloren gegangen und gehen weiterhin verloren. Kreuzberg, einst ein Bezirk in dem kein Yuppie tot überm Gartenzaun hängen wollte, ist heute das Eldorado für eben diese. Gewachsene Strukturen wurden dadurch zerstört, obwohl man auch anmerken muss, dass sich einige Strukturen über dreißig Jahre erhalten konnten. Und es gab auch positive Entwicklungen, so findet man in Berlin Punkrocker aus jedem Land der Erde, was den eigenen Horizont erweitert. Insgesamt ist die Stimmung nicht mehr so positiv kämpferisch wie vor dem Fall der Mauer. Damals hatten Kämpfe das Ziel, neue Freiräume zu schaffen, heute ist es der fast aussichtslose Kampf, die letzten Freiräume zu erhalten.

Gab’s Punkte in deinem Leben, wo du auf Punk keinen Bock mehr hattest?
Komischerweise hat sich diese Frage für mich nie gestellt, irgendwie war das wohl nie eine Option.

Wenn es um die künftige Entwicklung der „Szene“ und ums Fanzine machen geht: Guckst du eher in eine rosige Zukunft oder siehst du schwarz?
Wie schon in den letzten Jahrzehnten wird einiges besser und andere Dinge verschlechtern sich. Nicht immer finde ich das gut oder verstehe es, aber es zeugt davon, dass die wunderbare Welt des Punkrock lebt und sich natürlich verändert. Solange es Herrschaft gibt, wird es Kids geben, die mit der Situation unzufrieden sind und dagegen aufbegehren. Ob sie bunte oder keine Haare haben und „Hottentotten-Musik“ hören werden, sei dahingestellt, aber unzufriedene Jugendliche werden immer eine Protestform finden, um ihre Welt ein stückweit besser zu machen.

Was möchtest du den Ox-Leser:innen noch mitteilen?
Seid unbequem und solidarisch, steht zu euch und euren Idealen. Egal, wie viel Geld ihr am Monatsende bekommt, macht nichts, von dem ihr das Gefühl habt, es sei falsch. Unterstützt Bands, Labels und Fanzines. Macht selber was und haltet die wunderbare Welt des Punkrock am Leben.

Interesse geweckt? Fragen und Bestellungen rund um das Rauditum Fanzine an: UGLY-Rauditum@gmx.de