SWUTSCHER

Foto© by Manuel Tröndle

Hoch lebe der Pegelverein!

In den Neunzigern ließ eine Gruppe von Bands aus Hamburg mit deutschsprachiger Gitarrenmusik und intellektuellen Texten aufhorchen. Bands wie TOCOTRONIC, BLUMFELD oder DIE STERNE bildeten die Hamburger Schule. Schlappe 25 Jahre später gibt es wieder einige Gitarrenbands aus Hamburg, die für frischen Wind in der Musikszene sorgen. Neben FLUPPE und CIGARETTEN sind es SWUTSCHER, die immer wieder genannt werden. Ende Februar kommt ihr selbstbetiteltes zweites Album auf dem Hamburger Indielabel La Pochette Surprise heraus. Was sie drei Jahre nach ihrem gefeierten Debütalbum „Wilde deutsche Prärie“ anders gemacht haben, erzählen Sänger Sascha Utech und Gitarrist Velvet Bein, der auch der Mann hinter La Pochette Surprise ist.

Wenn eine Band ihr Album nach sich selbst benennt, heißt das, die Band hat entweder den perfekten Sound gefunden oder ihr ist nichts eingefallen. Wie ist das bei euch?

Sascha: Weder noch. Der Bandname hat einfach eine besondere Bedeutung für uns. Den hat sich meine Oma einfallen lassen. Swutscher ist ja plattdeutsch und beschreibt einen Menschen, der ein liederliches Leben führt. Nach all dem, was in den vergangenen Jahren so passiert ist und wie wir alles bewältigt haben, saßen wir zusammen und fanden, dass es mehr als fair ist, dieses Album so zu benennen.
Velvet: Beim ersten Album stammten viele Songs noch von Sascha, diesmal sind die meisten Songs gemeinsam als Band entstanden. Außerdem hat sich unser Sound durch die vielen Konzerte seit 2016 ganz anders entwickelt. Deshalb hatten wir das Gefühl, dass sich SWUTSCHER mit diesem Album gerade gefunden haben. Deshalb erschien es uns logisch, das Album nach uns selbst zu benennen.

Ihr werdet ja vor allem für eure Party-Songs von der ersten Platte wie „Bierstübchen“ oder „Samstagnacht“ geliebt. Geht es bei euch vor allem um Kneipen und Exzess?
Sascha: Suff und Exzess hatten bei uns nie den höchsten Stellenwert, aber es kam natürlich automatisch, weil wir eine Art von Musik machen, die anfangs noch sehr dreckig war. Wir haben uns auch lange in einer Szene bewegt, die diese Musik auch widerspiegelt. Das hat sich aber schon ziemlich geändert, finde ich. Was uns wichtig ist und was wir weiter befürworten, ist, gemeinsam in der Kneipe zu sein. Diese Pub-Kultur mit Karten oder Darts spielen und sein Bier trinken. Das hat aber wenig mit Ausschweifungen zu tun.

Die erste Single „Daheim“ zeichnet ein ganz anderes Bild von euch. Da ist eine gewisse Romantisierung der ländlichen Idylle herauszuhören. Woher kommt das?
Sascha: Als der erste Lockdown losging, konnte ich Ruhe auf dem Land finden. Ich bin nach Nordfriesland gezogen, das hat mir sehr gut getan. Dieses Daheimsein hat also eher damit zu tun, zur Ruhe zu kommen und das zu schätzen, was man um sich herum hat. Dieser Song ist sehr privat und eigentlich nicht direkt auf ländliche Idylle bezogen.

Euer Sound ist schwer zu beschreiben. Country, Schlager, Garage oder High-Energy-Rock’n’Roll. Mit Orgel, Saxophon oder Congas. Woher kommt diese Vielfalt?
Velvet: Weil wir viele Leute in der Band sind und alle unterschiedliche Musik hören, gibt es eine relativ große Schnittmenge. Unser Keyboarder Sepp zum Beispiel kommt aus dem klassischen Bereich, ich selbst war immer in der Garagen-Szene zu Hause. Wir finden es einfach interessant, keinen eingleisigen Sound zu fahren, sondern versuchen immer wieder, Neues zu entdecken und das auf einen Text oder eine Melodie anzupassen. Und damit dem Ganzen den SWUTSCHER-Stempel aufzudrücken. Das macht einfach Spaß.

Worauf könnt ihr euch alle einigen? Was läuft im Tourbus?
Sascha: Der „Trainspotting“-Soundtrack.

Gerade aus Hamburg kommen ja einige Bands, die einen ganz bestimmten Sound geprägt haben: TOCOTRONIC, BLUMFELD oder DIE STERNE. Könnt ihr mit denen was anfangen?
Velvet: Wir haben nie besonders viel Hamburger Schule gehört, aber wir kennen natürlich all diese Bands. Zu TOCOTRONIC haben wir ja sogar eine Verbindung, weil Rick McPhail mit seinem neuen Projekt auf meinem Label ist. Natürlich sehen wir den Bezug zu diesen Bands, Gitarren und deutsche Texte, das liegt natürlich auf der Hand. Aber wir würden uns selbst nicht da einordnen. Wir finden es allerdings schön, wenn wir als die nächste Generation aus Hamburg betrachtet werden.

Mit TOCOTRONIC-Bassist Jan Müller habt ihr ja auch einen prominenten Fan. Der hat euer aktuelles Bandinfo geschrieben und Sascha war Gast in seinem Podcast „Reflektor“. Ist das etwas Besonderes für euch?
Sascha: Wir haben uns auf jeden Fall gefreut, und noch schöner war die Einladung in seinen Podcast. Ich war anfangs auch ganz schön nervös, aber ich hatte Guinness mitgebracht und dadurch ging es schnell etwas lockerer zu, haha.

Was hat es mit diesem Haus auf sich, das auf dem Cover im Hintergrund zu sehen ist? Gibt es einen Zusammenhang zum ersten Album?
Sascha: Das ist das alte Nordsee-Hotel auf einem Deich in Husum, das vor drei Jahren abgebrannt ist. Da ist bis jetzt unklar, ob es Brandstiftung war, und der Besitzer weiß immer noch nicht, was er damit machen soll. Denn der Rechtsstreit mit der Versicherung dauert noch an. Wir fanden, dass es einfach ein schönes Foto von uns ist. Das Bild ist während des Videodrehs zu „Daheim“ entstanden.
Velvet: Uns ist eingefallen, dass auf dem Cover unserer ersten Platte, die vor drei Jahren erschienen ist, ein brennendes Haus abgebildet ist. Deshalb fanden wir es konsequent, uns jetzt vor ein abgebranntes Hotel zu stellen. Den Bezug fanden wir witzig.

Euer erstes Album habt ihr ja in einem Bauwagen auf dem Land aufgenommen. Unter welchen Umständen ist nun das zweite Album entstanden?
Velvet: Das erste Album ist tatsächlich in dem Bauwagen entstanden, in dem unser Schlagzeuger damals gewohnt hat. Da haben wir auch viel geprobt, der war aber irgendwann zu klein, als die Band immer größer wurde. Das neue Album haben wir an zwei verschiedenen Orten aufgenommen. Zum einen im idyllischen Watt’n Sound-Studio in einer ehemaligen Dorfschule direkt an der Nordseeküste, in dem schon CLICKCLICKDECKER oder KID KOPPHAUSEN aufgenommen haben. Zum anderen in einem kleinen Studio in Hamburg, weil es zeitlich nicht gepasst hat, dass wir noch mal zu Watt’n Sound gehen konnten. Uns ist es immer wichtig, einen Raum für uns zu haben, weil wir unsere Musik selbst produzieren. Bei uns muss eine ganz bestimmte Stimmung entstehen, damit wir unsere Musik so machen können, wie wir wollen.

Ihr veröffentlicht über La Pochette Surprise. Das Debütalbum kam ja noch bei Staatsakt raus. Wie kam das?
Velvet: Bei Staatsakt hatten wir irgendwann das Gefühl, dass wir mehr Kontrolle haben und einige Dinge anders regeln wollen. Dann war natürlich klar, dass wir die Platte auf meinem Label herausbringen. La Pochette Surprise ist inzwischen gewachsen und hat sich deutlich weiterentwickelt. Wir haben uns mit dem Gedanken, alles selbst zu machen, einfach wohler gefühlt.

Was steht bei La Pochette Surprise in den nächsten Monaten noch auf dem Programm?
Velvet: Mit der SWUTSCHER-Platte startet das Veröffentlichungsjahr. Dann kommt das Debütalbum von SUCK, einer Punkband aus Kassel, die schon eine EP bei mir veröffentlicht hat. Da freuen sich viele Leute drauf, glaube ich. Dann soll 2022 noch ein weiteres Album von FLUPPE kommen. Außerdem steht das zweite Album von MELTING PALMS auf dem Programm. Das ist die andere Band von unserem Bassisten Mike. Dann gibt es vielleicht noch den einen oder anderen kleinen Tape-Release.

Eine große Release-Party könnt ihr ja nach jetzigem Stand nicht feiern. Habt ihr etwas anderes vor, wenn die Platte rauskommt?
Velvet: Eine Release-Party wird es tatsächlich nicht geben, die Tour für die Platte ist für April/Mai geplant. Wir haben aber während der Pandemie eine Art digitalen Fanclub gestartet. Der heißt Pegelverein. Das Ganze ist aus einer Schnapsidee heraus entstanden, hat aber inzwischen schon Form angenommen. Wir hängen da quasi mit unseren Fans und Freunden via Skype ab und trinken gemeinsam, spielen Bingo oder zocken Karaoke. Organisiert wird der Pegelverein über eine Telegram-Gruppe.

Und womit bezahlt ihr eure Getränkerechnung?
Sascha: Ich arbeite in einem Unternehmen, das GPS-Tracking-Systeme für Demenzkranke entwickelt und vertreibt. Damit statten wir derzeit viele Krankenhäuser und Pflegeheime aus.
Velvet: Für mich sind Band und Label tatsächlich die Einkommensquelle. Nebenbei betreibe ich ein kleines Tonstudio und produziere andere Bands. Mike und Martin arbeiten beide im sozialen Bereich, dadurch sind sie zeitlich flexibel und Sepp arbeitet an der Musikhochschule. Wir haben also alle nebenbei Jobs, weil SWUTSCHER nicht zum Überleben reicht.