Das eine Mal, als ich TAD live sah, war am 9. März 1991 im Town Pump in Vancouver. Erinnern kann ich mich nur noch an die Ehrfurcht, die ich empfunden habe beim Anblick eines Typen dieser Statur wie Tad Doyle, der dermaßen heftig auf der Bühne abging. Es war eines dieser Konzerte, bei dem ich besonders stolz bin, dabei gewesen zu sein. Die ersten beiden Alben „God’s Balls“ und „Salt Lick“ waren schon Teil meiner Plattensammlung, kurz darauf folgte mit „8-Way Santa“ das dritte. Aber erst, nachdem ich TAD live gesehen hatte, hielt ich sie für die größte Rockband der Welt. Und wenn ich ehrlich bin, denke ich das heutzutage immer noch. Aber Tad Doyle möchte inzwischen nicht mehr über TAD sprechen, es sei Geschichte für ihn, abgehakt, also mache es keinen Sinn mehr. Aber ich habe es trotzdem geschafft, ein paar Fragen dazu in das folgende Interview reinzuschmuggeln. Das fand im März 2016 statt, ein paar Wochen vor Beginn der Europatour seines neuen, kaum mit TAD vergleichbaren Projektes BROTHERS OF THE SONIC CLOTH.
Ich habe den Eindruck, dass die von 1995 bis 1998 aktiven BURNING WITCH, die frühere, inzwischen Kultstatus besitzende Sludge-Band von Stephen O’Malley und Greg Anderson von Sunn O))), ziemlich relevant für die ganze Seattle-Doom-Szene waren. Hast du sie damals live gesehen?
Ich habe sie nie gesehen. Ich wünschte, ich hätte. Ich habe sie nicht weiter beachtet, bis sie sich dann aufgelöst haben. Ich bin also eine Art Spätentwickler darin, ihre Großartigkeit zu erkennen.
So geht es offenbar vielen. Ich habe auch Mike Scheidt von YOB interviewt, mit dem du ja auch schon beim LUMBAR-Projekt zusammengearbeitet hast, und er hatte sie auch nicht gehört, bis „Crippled Lucifer“ 1998 bei Southern Lord rauskam.
Stimmt, ich habe auch Mike Scheidts Soloplatte „Stay Awake“ aufgenommen, die bei Thrill Jockey erschien.
Was hast du an Musik gehört, als du noch jünger warst?
Nun, ich bin in den Sechzigern und Siebzigern aufgewachsen und habe als Teenager noch viel Radio gehört, so was wie die BEATLES – wirklich großartige Musik. Und in den Siebzigern habe ich angefangen, Sachen wie BLACK SABBATH zu hören. Ich stand auf Elton John, PINK FLOYD, AC/DC, PARLIAMENT-FUNKADELIC ... Ich habe damals auch viel Jazz gehört. Das war in den Siebzigern. In den Achtziger hat sich mein Spektrum dann erweitert und ich habe mich auch für ganz anderes Zeug interessiert.
Wie sah es mit Punk aus?
Ich habe als Teenager Punk geliebt und auch schon Alice Cooper gehört, er war einer der Vorläufer von Punk, genau wie THE STOOGES oder NEW YORK DOLLS.
Welchen familiären Hintergrund hast du eigentlich?
Damals hätte man es wahrscheinlich als Mittelschicht oder untere Mittelschicht bezeichnet. Ich bin fast immer auf öffentliche Schulen gegangen, später habe ich es auf eigene Faust aufs College geschafft, das habe ich dann auch eine Weile durchgezogen, bis mir klargeworden ist, dass das, was ich mit Musik vorhabe, dort nicht unterrichtet wurde. Ich habe trotzdem viel gelernt, die musikalischen Grundlagen, wie man Noten liest und schreibt, die klassischen italienischen Begriffe – aber ich wollte in der Musik lieber meinen eigenen Weg gehen.
Wann hast du angefangen, Schlagzeug zu spielen?
Nun ja, mein erstes Instrument war die Tuba, in der 6. Klasse. Es war nur so, dass mein Bruder, der viel älter war als ich, Schlagzeug gespielt hat. Und ich habe es geliebt, auf Kaffeekannen herumzutrommeln, während er auf dem richtigen Schlagzeug gespielt hat. Dazu lief immer Musik aus der Stereoanlage gespielt und ich habe viel von ihm gelernt. Das Schlagzeugspiel habe ich letztendlich dadurch gelernt, zu einer laut aufgedrehten Stereoanlage zu spielen. Aber zuerst habe ich die Tuba gelernt, weil wir eine zu Hause rumstehen hatten und meine Eltern meinten: „Wenn du dafür etwas Engagement zeigst, sprechen wir noch mal über das Schlagzeug.“ Also habe ich das zwei grässliche Jahre lang durchgezogen und habe es gehasst. Ich hatte auch keinen Tubakoffer, also war ich das dicke Kind, das mit einer Tuba im Arm zur Schule kam. Man kann sich das Ausmaß des Leids, das ich deswegen in meiner Schulzeit durchgemacht habe, nur allzu gut vorstellen. Aber dann habe ich in der 7. oder 8. Klasse angefangen, Schlagzeug zu spielen. Ich hatte einige Jahre kein eigenes Schlagzeug, aber als ich dann Fortschritte gemacht habe, hatte meine Oma Mitleid und kaufte mir ein Ludwig Jazz Double Kick-Set mit psychedelischer Lackierung, und das ist das einzige Drumset, das ich jemals besessen habe. Ich habe und benutze es bis zum heutigen Tage. Es ist ein wundervolles Teil. Als ich dann 1986 nach Seattle gezogen bin, war H-HOUR, meine damalige Band, schon einige Jahre zusammen und das Schlagzeugspielen wurde allmählich langweilig, ich wollte lieber Gitarre spielen. Ich war von Bands wie HEAD OF DAVID, BIG BLACK, BUTTHOLE SURFERS, METALLICA, SLAYER und so begeistert. Also habe ich mich dazu entschlossen, Gitarre zu spielen, ich habe mir kurz darauf eine gekauft, und angefangen, zu einem Drumcomputer zu spielen. So hat es angefangen mit TAD.
Was war deine erste Gitarre?
Eine Neuauflage der Fender Jazzmaster von 1962, ich habe sie immer noch. Man kann auf alten Fotos der Band sehen, wie ich auf ihr spiele. Es ist eine weiße Gitarre mit Schildpatt-Schlagbrett.
Die von dir eben genannten Bands kommen ja nicht aus Seattle. Aber wen gab es dort damals, als ihr 1988 die „Daisy/Ritual Device“-Single aufgenommen habt?
THE U-MEN gab es, und SOUNDGARDEN standen vor ihrem großen Durchbruch. Und eine Menge andere Bands, an die ich mich gar nicht mehr erinnern kann.
Ich war mal Anfang der Neunziger bei einer TAD-Show und hatte nie zuvor jemanden mit deiner Körperfülle stagediven sehen. Ist dabei jemals etwas schiefgegangen? Wann hast du das zum ersten Mal gemacht?
Haha! Ich erinnere mich nicht an das erste Mal, aber es war später ganz normal und ich habe das häufig während unserer Zeit mit TAD gemacht. Aber einmal ist es tatsächlich schrecklich danebengegangen. Da haben wir in Newcastle, England gespielt, es war unsere erste Tour dort. Im Publikum waren um die dreißig, vierzig Leute und die Bühne war circa drei Meter hoch. Ich wollte, dass das Publikum ein bisschen in Schwung kommt. Also habe ich meine Gitarre abgelegt und mich auf sie gestürzt, aber sie haben sich wie das Rote Meer geteilt und ich bin voll auf den Boden geknallt. Es war sehr schmerzhaft, aber ich bin wieder aufgestanden und habe die Show fortgesetzt. Wie alt mag ich da gewesen sein, 28? Damals konnte ich Schmerz noch locker wegstecken.
Du hast davon also keine Langzeitschäden davongetragen, aber hast du mit anderen lang andauernden Sachen zu kämpfen wie Tinnitus?
Na ja, ein Tinnitus geht nie wirklich weg, und ich weiß nicht, ob das überhaupt behandelbar ist. Aber ich habe 1999, in der Endphase von TAD, angefangen, Ohrstöpsel zu tragen, und so mein Hörvermögen gerettet. Vor ungefähr drei Jahren habe ich mal einen Hörtest machen lassen und dabei kam überraschenderweise heraus, dass ich ein für mein Alter überdurchschnittlich gutes Gehör habe, worüber ich natürlich ziemlich erfreut war.
Wie steht es ansonsten um deine Gesundheit?
Mir geht es gut. Ich habe abgenommen, nachdem ich meinen Lebensstil umgekrempelt habe, was mit das Schwerste war, was ich je im Leben gemacht habe. Es wird immer eine gewisse Überwindung bedeuten, aber die richtige Ernährung ist schon ziemlich hilfreich. Ich habe schon vor langer Zeit begonnen, ein wenig auf mich zu achten, und das hat mir sehr gutgetan. Ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich nehme keine Drogen, und das schon seit 15 Jahren, also lebe ich heute um einiges gesünder.
Vergleicht man die Doku von 2008 mit neueren Aufnahmen, die es auf YouTube gibt, wirkst du heute viel geerdeter, gefestigt und fitter.
Ja, ich fühle mich gut. Luft nach oben ist ja immer.
Ein Phänomen der Achtziger und Neunziger war das Romantisieren von Selbstzerstörung – die Szene war abgedrehter und „dunkler“, dazu die ganzen Drogen. Das spiegelt sich auch in deinen frühen Songs. „Wired god“ handelt zum Beispiel vom Fahren unter Alkoholeinfluss, und es gibt auch welche übers Benzin-Schnüffeln ...
Ich habe nie Benzin geschnüffelt, aber ich habe oft an meinem Modellbaukleber geschnüffelt. Aber ich habe mit so was nie wirklich viel zu tun gehabt. Viele Texte handelten vor allem von der damit einhergehenden Kaputtheit. In der Musikszene von Seattle hatten bestimmte Drogen wie Heroin damals tatsächlich eine gewisse Romantik umgeben. Ich habe Heroin noch nie gemocht. Ich habe es einmal geraucht, aber es hat mir nichts gebracht. Intravenöser Konsum war noch nie was für mich. Aber wenn ich es drauf anlegte, habe ich so ziemlich alles gezogen, getrunken und gegessen, um richtig schön high zu werden. Ich habe Alkohol und Drogen aber nie zum Zweck der Selbstzerstörung konsumiert. Dafür habe ich Essen benutzt, aber Saufen und Drogen nehmen, das habe ich nur gemacht, um high zu werden. Ich wollte einfach alles um mich herum vergessen. Ich wollte damit nichts unterdrücken. Ich kann aber nicht für andere sprechen.
Hast du mal eine Therapie gemacht, um davon loszukommen?
Na ja, ein paar Leute haben mir geholfen. Wirklich! Und ich war in dem Moment auch bereit, Hilfe anzunehmen. Als jemand, der schon Erfahrungen damit gemacht hat, kann ich sagen, wenn jemand, der Hilfe benötigt, diese nicht annehmen will, kann das Ganze niemals funktionieren. Diejenigen machen einfach so weiter wie bisher, weil es für sie so passt. Aber ich bin damals in meinem Leben an einem Punkt angelangt, an dem es so für mich nicht mehr weitergehen konnte. Das war der Auslöser für den Beginn eines neuen Lebens, und eine Person hat mir dabei sehr geholfen, das heißt, eigentlich waren es mehrere.
War deine Frau Peggy eine davon? Sie ist ja die Bassistin bei BROTHERS OF THE SONIC CLOTH und sie sieht aus, als ob sie auch ein bisschen was erlebt und eigene Erfahrungen gemacht hat.
Peggy hat viel mitgemacht. Aber für Leute in unserem Alter ist es vollkommen normal, gewisse Erfahrungen gesammelt zu haben Vielleicht liegt es ja daran, dass wir Musiker sind. Ich will jetzt nichts verallgemeinern, aber Musiker scheinen für solche Neigungen anfälliger als Leute, die ein konventionelleres Leben führen. Viele der Dämonen, mit denen wir zu kämpfen haben, gehen viel tiefer als Einflüsse von außen wie Drogen und Alkohol.
Wie hast du deine Frau Peggy kennen gelernt?
Wir haben einen gemeinsamen Freund in Los Angeles, der Regisseur Michael Dean. Er hat auch ein paar Bücher geschrieben wie „$30 Film School“ und viele andere. Und er war in einer Band mit dem Namen BOMB, eine ziemlich fantastische Punkrock-Band aus San Francisco. Er kannte uns beide von seinen Reisen. Peggy ist eine Musikerin mit einem breitgefächerten Hintergrund und so hat es begonnen. Wir haben einfach angefangen, uns zu unterhalten und abzuhängen und das war es letztendlich schon.
War BROTHERS OF THE SONIC CLOTH das erste Projekt, das du zusammen mit ihr gemacht hast?
Mit Brothers ging es los, nachdem ich sie getroffen hatte, deshalb war es das erste gemeinsame Projekt.
Es ist schon ironisch, dass im Bandnamen von Brüdern die Rede ist und dann sind da zwei Frauen in der Band. Wer ist die andere Frau?
Es gibt noch Pamela Sternim, die Gitarre spielt. Sie kommt aus der Hardcore-Szene und ist viel jünger als der Rest von uns. Ich glaube, sie ist in Arizona aufgewachsen, aber sie lebt in Seattle seitdem ich sie kenne. Eine super Gitarristin, sehr talentiert und lernt sehr schnell. Sie ist aber kein offizielles Bandmitglied, aber wir nehmen sie mit auf Tour, um die zusätzlichen Gitarrenparts unterzubringen, die ich geschrieben habe. Aber ja, uns gefällt es, dass wir BROTHERS OF THE SONIC CLOTH heißen und zwei Frauen in der Band sind. Und wenn man darüber nachdenkt, ist es genau dasselbe wie bei SISTERS OF MERCY, wo überhaupt keine Frau in der Band ist.
Ich kann mir eure Musik nur schwer live vorstellen. Da will ich das Licht ausmachen, mich ins Bett legen und die Kopfhörer aufsetzen. Oder ist der Live-Eindruck ein ganz anderer?
Na ja, ich denke, er ist dem des Albums sehr ähnlich. Da Billy Anderson für die Produktion und das Abmischen zuständig war, hat er seine unnachahmliche Handschrift hinterlassen. Und auch wenn wir mit einem Tontechniker unterwegs sein werden, der uns genau kennt, hat man es natürlich mit einer Live-Situation und -Location zu tun. Ich glaube, du wirst keine Band finden, die sich live genau so anhört wie auf dem Album, außer PINK FLOYD, aber sogar das ist fraglich. Wir versuchen, das zu liefern, was auf der Platte zu hören ist; alle Sounds, die du auf der Platte hörst, wirst du live auch hören können. Es ist nicht so, dass du etwas vermissen wirst.
Wie lange ist es jetzt her, dass ihr das letzte Mal in Europa zu Gast wart?
Das war wahrscheinlich 1991. Oder war es 1994? Ich bin mir nicht sicher. Es kommt mir vor, als läge ein ganzes Leben dazwischen und für manche Menschen tut es das ja auch. Ich freue mich wirklich darauf, wieder öfter in Europa zu spielen. Als ich die ersten Male in Europa war, entsprach ich ziemlich genau dem Bild des „hässlichen Amerikaners“, haha. Aber ich denke, jetzt bin ich ein wenig reifer und erfahrener und kann die Kultur mehr genießen, mich mit den Leuten dort vertraut machen und mich wirklich auf die Musik konzentrieren. Das ist es, wofür ich da bin: Um die Musik mit den Leuten zu teilen, die so nett sein werden, da aufzutauchen, darum geht es!
Glaubst du, das europäische Publikum wird die Songs anders aufnehmen als das amerikanische? Ich stelle mir Europäer anspruchsvoller vor, auch wenn ich selbst noch nicht dort war.
Ich weiß es auch nicht und ich war schon ein paar Mal in Europa. Bei einigen Shows in den Anfangstagen von BROTHERS OF THE SONIC CLOTH dachte ich, wir wären richtig schlecht, weil die Leute einfach so rumstanden. Aber dann habe ich ein bisschen herumgefragt und erfuhr, dass sie komplett eingetaucht waren und zugehört haben. Früher setzte ich Bewegung, Stagediving, geballte Fäuste, Satansgrüße mit gutem Feedback gleich, dabei ist es ja eigentlich auch cool, wenn jemand dich genug respektiert und auf solche Faxen verzichtet. Also nicht, dass daran etwas falsch wäre ...
Benutzt ihr viele Effekte? Beim Song „The immutable path“ habt ihr diesen sehr vielschichtigen, mehrstimmigen Gesang. Was macht ihr, um das auch auf der Bühne hinzubekommen?
Nun, „The immutable path“ spielen wir nicht live. Der Song sowie das Klavier-„Outro“ waren Bonustracks für die Platte. Aber alles andere machen wir auch live. Und Dave French, unser Schlagzeuger, singt dann auch. Er wird bei einigen der zweistimmigen Parts singen, die wir haben.
In anderen Interviews ging es darum, dass du deinem Tun eine spirituelle Bedeutung beimisst. Gibt es da irgendeine spezielle Lehre, mit der du dich identifizierst, irgendeine Definition oder ist das einfach Erfahrung?
Ich denke, das Leben an sich ist eine spirituelle Erfahrung. Das hat nichts mit Religion, Glaubenssätzen oder irgendwelchen Schriften zu tun. Ich identifiziere mich noch am ehesten mit buddhistischen und taoistischen Lehren. Ich bin unter der Knute des Christentums aufgewachsen und mochte es nicht. Der Schlüssel liegt wohl in dem, was für das jeweilige Individuum am besten funktioniert. Ich reagiere unerbittlich auf jeden, der versucht, mir vorzuschreiben, wie ich in spiritueller Hinsicht leben soll. Glaub nicht an jeden Scheiß und jeden Hype, finde deinen eigenen Weg, das ist der Schlüssel. Und was die spirituelle Dimension in der Musik angeht: Ich hole mir viel Inspiration von elementaren Erfahrungen. Ich liebe Wind, Feuer, Wasser, Erde. Ich versuche, einfach offen zu bleiben und im Moment zu leben, das ist meine spirituelle Praxis.
Meditierst du?
Ja. Und ich habe herausgefunden, dass es manchmal schon Meditation ist, einfach Musik zu machen.
Gibt es irgendeine Art religiöser Musik, die da eingeflossen ist, zum Beispiel buddhistischer oder christlicher Gesang? Es erinnert mich auch an das letzte YOB-Album, im Sinne eines Versuchs, Transzendenz durch Musik zu erreichen. Gibt es andere transzendente Musik, die du gehört hast?
Ich liebe klassische Musik und ich denke, man kann Trost darin finden. Mir geht es zumindest so. Für manche Menschen sind es Bücher, für andere mag es wieder etwas anderes sein, aber für mich ist die Musik. Ich identifiziere mich nicht wirklich mit organisierter Religion. Ich verweise gerne auf den Spruch: Wenn du dich selbst als Buddhist bezeichnest, hörst du auf, Buddhist zu sein. In dem Moment, in dem du etwas für dich Anspruch nimmst, hörst du auf, genau das zu sein. Darum arbeite ich daran, meinen Nullpunkt zu halten. Der Nullpunkt ist letztendlich dort, wo du weder hier noch dort bist, nur im Jetzt. Ich bin kein fest definiertes Ding, ich bin keine Person, ich bin einfach ein Lebewesen, ich verstehe alles und nichts.
Und kannst du das auch auf der Bühne umsetzen?
Sicher. Musikalisch war es mir immer möglich, zu erreichen, im Jetzt zu sein. Das hat mir auch wirklich gutgetan.
Wenn du klassische Musik sagst, was meinst du genau?
Als Kind wuchs ich mit Rimski-Korsakow auf. Ich liebe Mozart, ich liebe Tschaikowski, aber mein Horizont hat sich diesbezüglich erweitert und ich höre zum Beispiel auch Edgar Varèse, einen französischen Komponisten, der 1915 in die USA ausgewandert ist. Er hat einige der fantastischsten Werke geschaffen, die ich kenne, und ist bis heute mein Lieblingskomponist. Er war der erste, der mit einem Synthesizer arbeitete. Und das klingt jetzt vielleicht komisch, aber ich liebe Jerry Goldsmiths Soundtrack zu „Planet der Affen“. Der ist der Wahnsinn! Ernsthaft. Am besten hörst du den im Bett liegend, bei ausgeschaltetem Licht und mit Kopfhörern, probier das mal.
Um noch mal abschließend auf TAD zurückzukommen: Es gab mal Gerüchte in Bezug auf unveröffentlichtes TAD-Material, das 2008 veröffentlicht werden sollte. Was ist damit passiert? Wird es jemals erscheinen?
Bisher gibt es keine Pläne dafür. Es gab sie mal, aber gewisse Umstände haben es verhindert. Zum Teil wurden einige dieser Songs auch schon veröffentlicht. Einige Labels haben Singles herausgebracht. Aber es macht keinen Sinn, das momentan zu veröffentlichen.
Du verarbeitest kein TAD-Material im BROTHERS OF THE SONIC CLOTH-Set, oder?
Nein, gar nicht. Ich finde, es wäre dem Vermächtnis der Band gegenüber nicht fair, das zu tun. Und außerdem bin ich nicht mehr mit dem Herzen bei TAD. Ich muss da sein, wo ich bin, und die Musik machen, die mir im Moment wichtig ist.
Gibt es etwas aus der Zeit mit TAD, auf das du besonders stolz bist?
Ich liebe alle TAD-Platten. Es war immer aufregend, wie sie entstanden sind. Sie sind wie Kinder für mich, ich ziehe keine der anderen vor. Sie haben alle etwas, das damals einmalig war.
Was Grunge angeht, hat „Nevermind“ damals vieles für mich kaputtgemacht. Ich hörte danach auf, noch viel von dem Zeug zu hören. Ich konnte bis vor ein paar Jahren nicht einmal mehr eure Platten „Inhaler“ oder „Infrared Riding Hood“ hören, dabei liebe ich TAD. Aber ich denke, das wird euch nicht betroffen haben, denn ihr habt ja nach wie vor diese Musik gemacht.
So ist es. Und dazu kommt, dass ich uns nie als Teil dieser Szene gesehen habe. Wir wurden alle in einen Topf geworfen, weil wir auf Sub Pop waren und weil wir eine der Vorreiterbands waren, die dieses Label bekannt gemacht haben. Und ich war stets der Überzeugung – und das sage ich absolut ehrlich und ohne Stolz –, dass wir schon immer einzigartig waren, weil wir nicht einfach das wiedergekaut haben, was andere Leute vorgemacht haben. Wir waren ein wirkliches Original, und ich denke das über die Musik, die ich mache, bis heute. Wirklich, ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand dasselbe macht wie wir.
Kategorien können dir helfen, deinen Kopf zu ordnen, aber sie können auch Dinge unterscheiden, die gar nicht unterschieden werden sollten.
Ja, so ist es, gut formuliert. Ich würde sagen, dass das Umfeld und der Kontext wichtig sind, wenn es darum geht, anderen Menschen zu vermitteln, wie sich Musik ähnelt. Der Kontext ist einfach eine Kommunikationshilfe. Menschen stecken allgemein gern Sachen in Schubladen und wollen sie mit Etiketten versehen, anstatt sie einfach das sein zu lassen, was sie sind.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #128 Oktober/November 2016 und Allan MacInnis