TARGETS

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Zielscheibe für die Gesellschaft

1983, nach dem Erscheinen der SLIME-LP „Alle gegen Alle“, verließ Drummer Stefan die Band und wurde ersetzt durch Stéphane, der zuvor unter anderem bei BUTTOCKS spielte. Als sich dennoch das Ende von SLIME abzeichnete, gründeten Elf (voc, gt), Eddie (bs) und Stéphane (dr) bereits im Herbst 1983 eine neue Band – TARGETS. SLIME spielten am 21.01.1984 ihr letztes Konzert. TARGETS, die als deren Nachfolger galten, existierten dann auch nur gut eineinhalb Jahre. In dieser Zeit waren sie jedoch äußerst produktiv und veröffentlichten zwei EPs und ihre LP „Massenhysterie“ auf Aggressive Rock Produktionen. Wir sprechen mit Stéphane über seine Zeit bei SLIME und TARGETS und die Entwicklung von Punk in Deutschland in den Achtziger Jahren.

Wie bist du damals auf Punk aufmerksam geworden und wann hat dich der Virus selbst erfasst?

Wenn ich mich richtig erinnere, war der eigentliche Auslöser – der mich endgültig Blut lecken ließ – ein Gig von BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT mit CORONERS als Vorband im alten Hamburger Winterhuder Fährhaus, wahrscheinlich 1977. Bis dahin war ich mit Glamrock sozialisiert worden. Ich hatte ab 1972 SLADE, SWEET, Suzi Quatro, Gary Glitter und viele mehr in der altehrwürdigen Hamburger Musikhalle gesehen. Dort, wo bis dahin ausschließlich klassische Konzerte stattgefunden hatten, standen die Leute auf den samtbezogenen Stühlen und rasteten komplett aus. Danach ging es Richtung Hardrock, auf NEW YORK DOLLS bin ich aufmerksam geworden, als „Too Much Too Soon“, erschien, und bin dann über DAMNED und BIG BALLS zum Punkrock gekommen. Dreißig Jahre später schloss sich der Kreis, als Alfred von BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT mich 2007 anrief und fragte, ob ich Bock hätte, bei ihnen einzusteigen.

Was bedeutete Punk damals für dich – und wie ist das heute?
Punk hatte und hat für mich mehrere Aspekte. Zunächst der direkte Kontakt zwischen Band und Publikum, das Schwinden der Distanz, die sich in den Siebziger Jahren entwickelt hatte und in den Stadionkonzerten gipfelte, wo man die Band aus einem Kilometer Entfernung als kleinen Punkt wahrnahm. Große Videoleinwände gab es ja noch nicht. Der direkte Kontakt war wichtig, und dass man direkt an der Bühne, in ein bis zwei Metern Entfernung stehen konnte, insbesondere später, 1979, im Krawall 2000, das nach circa einem Dreivierteljahr aber wieder schließen musste. Dadurch entstand das Gefühl, dass man Teil des Geschehens war, prinzipiell jeder dort auf der Bühne stehen konnte, es keine unerreichbaren Superstars waren. Bis hin zu der Punkrock-These, dass jeder eine Band gründen und gute Musik machen kann. Die Grenzen dieser These zeigen sich natürlich dann, wenn sich talentfreie, ideenlose und unkreative Leute zusammenfinden, die es im Bestfall schaffen, Klischees zu reproduzieren. Dazu kam natürlich der politische Aspekt, eine Bewegung, die in ihrer Anfangszeit deutlich antifaschistisch ausgerichtet war und somit gut zu meinen eigenen politischen Überzeugungen passte. Schlussendlich auch dieses Interesse mit Freunden zu teilen, mit denen ich gemeinsam zu Konzerten gehen und Bier trinken konnte. Das alles in Summe hat mir als Teenager gefallen. Heute gibt es immer noch viele gute Bands, aber auch viele, die eher reproduzieren, bei denen ich beim ersten Hören oft ein Déjà-vu respektive Déjà-entendu habe, weil man sofort die Ähnlichkeit mit früheren Bands heraushört. Mir fehlt manchmal auch die Vielfalt, gerade wenn man Punk als Bewegung oder Einstellung betrachtet und nicht als Musikrichtung, wie der Begriff heute meistens verstanden wird.

Gab es von deiner Seite aus von Anfang an den Wunsch, selbst Musik zu machen?
Ich habe mit 13 oder 14 Jahren begonnen, Schlagzeug zu spielen. Die Motivation entstand durch die Bands, die meine Vorbilder waren. Daher war es mein Ziel, auch eines Tages in einer Band zu spielen.

Du bist 1983 bei SLIME eingestiegen. Wie ist es dazu gekommen? Und wie hast du die Zeit mit SLIME erlebt?
Ich bin Anfang 1983 aufgrund musikalischer Differenzen bei BUTTOCKS ausgestiegen. In der Folge habe ich bei dem Fabrik-Auftritt im Februar 1983 von SS ULTRABRUTAL am Schlagzeug ausgeholfen, der auf einer Seite von der „Monster, Mumien, Mutationen“-LP zu hören ist. Ich habe viele Sessions mit verschiedenen Leuten gespielt, unter anderem auch mit Witte und Arne, heute bei RAZORS beziehungsweise C3I, aber etwas nachhaltig Interessantes hat sich nicht ergeben. Dann hat mich – wahrscheinlich im Sommer 1983 – Elf von SLIME angerufen und gefragt, ob ich bei SLIME einsteigen wollte. Somit haben wir dann nach den Sommerferien angefangen, zusammen zu proben. Die Zeit mit SLIME war positiv. Wir haben BRD-weit einige Gigs gespielt, aber nach einigen Monaten stellten wir wohl alle fest, dass die Luft raus war. Wir haben dann den Abschiedsgig geplant, der zunächst im Dezember 1983 im Rahmen eines Festivals in der Hamburger Uni-Mensa stattfinden sollte, wobei ein Mitschnitt auf LP erscheinen sollte. Der Gig fand statt, aber tontechnisch ist an dem Abend einiges aus dem Ruder gelaufen, so dass die Aufnahmen schließlich nicht verwertbar waren. Wir haben also umgeplant und dann für den Abschiedsgig die Pankehallen in Berlin am 23.01.1984 vorgesehen.

Wann und wieso ist die Idee entstanden, TARGETS zu gründen?
Die Idee muss so Ende 1983 entstanden sein. Im Zuge der Auflösungserscheinung von SLIME kristallisierte sich heraus, dass Eddi, Elf und ich weiterhin interessiert waren, gemeinsam Musik zu machen.

Wer hatte die Idee zu eurem Namen? Und was bedeutet er für dich?
Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wer den initialen Einfall gehabt hat. Die Gedanke dahinter sollte natürlich sein, dass wir als „Targets“, als Zielscheiben für die Gesellschaft fungieren, auf die sie die gesammelte Wut und ihr Feindbild fokussieren.

Ihr galtet ja als Nachfolger von SLIME. War das eher ein Fluch oder ein Segen?
Das mag, insbesondere aus heutiger Sicht, so erscheinen und gelten – wir selbst haben es überhaupt nicht so gesehen und wahrgenommen. Wir wollten damals bewusst nicht als SLIME-Nachfolgeband auftreten, sondern als eigenständige, „von Null an startende“ Band ohne positive/negative Handicaps oder irgendwelche Vorschusslorbeeren Wir haben ein komplett neues Programm aufgestellt und bei Konzerten und den veröffentlichten EPs und LP darauf geachtet, dass es nirgendwo Bezüge zu SLIME gab, wie etwa den Vermerk „ex-SLIME“ oder so. Dass Dreifünftel von einer vorherigen Band dann Ähnlichkeiten mit dieser aufweisen, geschenkt. Um das auszuschließen, hätten wir wahrscheinlich ein Salsa-Programm aufstellen müssen.

Wo habt ihr geprobt – und wie oft?
Wir haben einen Übungsraum in Hamburg-Langenhorn gehabt und haben – soweit ich mich erinnern kann – wohl ein bis zwei Mal pro Woche geprobt.

Wie sah die Punk-Szene in Hamburg aus? Was waren die Orte für Punk-Konzerte? Gab es die Möglichkeit, selbst Konzerte zu organisieren?
Ende der Siebziger Jahre gab es noch keine „eigenen“ Clubs oder Locations, wo man auftreten konnte. Ausnahme: das Krawall 2000 für circa ein Dreivierteljahr 1979, damals sehr gut dokumentiert in dem Pretty Vacant Fanzine von Eugen Honold. Punkrock-Konzerte fanden meistens in der Hamburger Markthalle statt, aber auch im alten Winterhuder Fährhaus, im Grünspan, Audimax, Musikhalle – siehe BLONDIE. In dieser Zeit haben sogar DEAD KENNEDYS auf ihrer 1980er Tour keine Auftrittsmöglichkeit in Hamburg gefunden und sind dann auf die Realschule in Rothenburg an der Wümme in Niedersachsen ausgewichen. In den frühen Achtziger Jahren sind weitere, kleinere Clubs hinzugekommen, wie etwa Graffiti, Versuchsfeld, Kir und Fabrik. Die Gigs haben wir ausschließlich selbst organisiert, indem wir die Kontakte, die wir hatten, angerufen oder angeschrieben haben. Die „eigenen“ Clubs waren rar. Um 1983 öffnete in den besetzten Häusern in der Hafenstraße die Volxküche, wo ich viele super Konzerte gesehen habe. Später kam dort das Störtebeker hinzu.

Exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum – gab es den bei euch oder in eurer Szene? War das der Grund für euch, „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“ zu covern?
Natürlich gab es das – mehr oder weniger. Ich würde auch nicht unterscheiden zwischen Alkohol und Droge, die ja der Alkohol auch ist. Einige haben sich ihr intensiver verschrieben. Michael, der BUTTOCKS-Bassist, konnte bereits 1982 nicht weitermachen und ist einige Jahre später daran gestorben. Ansonsten, gerade in der Band, wurde eher aus Anlass von Feiern gedrogt. Wenn wir regelmäßig getrunken hätten, hätten wir unsere eigenen Stücke nicht spielen können. Die Idee mit „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“ kam damals von mir. Das Stück war prädestiniert und besetzte alle Vorurteile – was will man mehr? Udo Jürgens wird sich auch über die gelungene Entstaubung seines Songs gefreut haben.

Ihr habt mit SLIME am 23.1.1984 den letzten Gig gespielt und wart schon im Februar als TARGETS mit PETER AND THE TEST TUBE BABIES auf Tour. Welche Aktionen, Peinlichkeiten, Konzerte sind dir in besonderer Erinnerung geblieben?
PETER AND THE TEST TUBE BABIES hatten zu dem Zeitpunkt gerade „The Mating Sounds Of South American Frogs“ herausgebracht und surften auf der Oi!-Welle ihrem Zenit entgegen. Die Konzerte waren damit zwar voll, aber die Oi!-Bewegung zog damals insbesondere auch Skins und andere rechte Ratten an – an manchen Orten auch gefühlt in der Mehrheit, insbesondere beim Auftritt im Quartier Latin in Berlin und in der Zeche Bochum. PETER AND THE TEST TUBE BABIES schien das ziemlich egal zu sein, sie haben sich damals nicht eindeutig distanziert, wohl um sich nicht unnötig Feinde zu machen und potenzielle Plattenkäufer zu verlieren. Für uns mit einer deutlichen politischen Ausrichtung bedeutete es, dass wir oft nicht gut ankamen beziehungsweise sich Aggressionen aus dem Publikum gegen uns richteten, wir teilweise ausgebuht wurden.

Habt ihr oft in anderen Städten oder im Ausland gespielt? Wie wurden die Konzerte in einer Zeit ohne Internet organisiert?
Mit TARGETS haben wir viel innerhalb der BRD inklusive West-Berlin gespielt, meistens an Wochenenden mit An- und Abfahrten innerhalb des Wochenendes. Ins Ausland haben wir es nicht geschafft. Dazu haben wir uns wohl auch zu früh aufgelöst. Das Organisieren von Konzerten war viel aufwändiger. Location-Kontakte mit Adresse, Telefonnummer und Name waren ein wertvolles Gut. Wir haben diese angerufen oder postalisch angeschrieben und haben auf positive Antworten gehofft. Manchmal hat uns auch Karl Walterbach von Aggressive Rockproduktionen/Modern Music vermittelt und uns Gigs verschafft.

Wie ist der Kontakt zu Aggressive Rockproduktionen zustande gekommen? Wie hast du die Aufnahmen zu euren Platten in Erinnerung? Ihr wart ja für die recht kurze Zeit sehr produktiv. Warum ist auf der „Massenhysterie“-LP eine Seite live?
Der Kontakt zu Karl Walterbach von Aggressive Rockproduktionen/Modern Music bestand ja schon zu SLIME-Zeiten. Da bereits SLIME für Karl ein ziemlich profitables Geschäft gewesen sind, hat er sich folglich auch für TARGETS interessiert. Auch die Chance, bei der PETER AND THE TEST TUBE BABIES-Tour als Support zu spielen, ist ja durch Karl zustande gekommen. Die beiden EPs und die LP sind allesamt in Harris Johns’ Musiclab in Berlin aufgenommen worden – mit Ausnahme der Live-Seite der „Massenhysterie“-LP, die in der Berliner Villa Kreuzberg eingespielt wurde. Harris hatte bereits damals ein gutes Verständnis und Gefühl für die Anforderungen von harter und schneller Musik, bei der die Klangereignisse zeitlich viel dichter auftreten und dennoch differenzierbar und im ausgewogenen Lautstärkeverhältnis zueinander aufgenommen und gemischt werden müssen. Das konnten zu der Zeit nicht viele – Harris schon. Die Zeit im Studio erinnere ich als sehr diskussionsfreudig, da wir durchaus unterschiedliche Auffassungen vom Schlussmix hatten. Bei der LP „Massenhysterie“ hatten wir die erste SHAM 69-LP „Tell Us The Truth“ im Blick, ebenfalls mit einer Live- und einer Studioseite. Dieses Konzept hat uns gut gefallen und erlaubte dem Hörer, sich einen Eindruck der Studio- wie der Live-Qualitäten einer Band zu verschaffen.

Hast du das Gefühl, dass eure Texte immer noch aktuell sind?
Die Texte von TARGETS stammen – bis auf die Coverversionen – allesamt von Elf. Die Stücke haben wir dann zusammen im Übungsraum ausgearbeitet. Es geht um zwischenmenschliche Beziehungen, Widerstand in einer BRD, die in Judikative, Legislative und Exekutive noch von alten NSDAP- und SS-Größen durchseucht war, um Krieg, Umweltverschmutzung, die Macht multinationaler Konzerne und Verdummung durch Fernsehen und Werbung. Auch wenn die alten Nazi-Größen sich mittlerweile biologisch erledigt haben, so verstecken sich deren mehr oder weniger Gesinnungsnachfolger heute teilweise in Parteien, die das Wort „Christ“ im Namen führen, beziehungsweise treten deutlich in anderen rechten Parteien und Organisationen zutage. Die sonstigen Themen haben sich in ihrer Dimension vergrößert und verschärft, der Kalte Krieg befindet sich wieder im Aufschwung, die Gesellschaft liebt Politiker, die gelernt haben, dass es ausreicht, über Umwelt- und Klimaschutz zu reden, während sie weiterhin Garanten dafür bleiben können, dass keine der Maßnahmen umgesetzt wird – erst recht keine, die für ihre Wähler zu Unannehmlichkeiten führen könnten. Wir können also davon ausgehen, dass die Texte weiterhin aktuell sind beziehungsweise zukünftig noch weiter an Aktualität gewinnen werden.

Gibt es Texte beziehungsweise Songs, die du so heute nicht mehr schreiben oder auch spielen würdest?
Auch wenn ich heute ein anderer Mensch bin als mit 22, weil jeder Mensch sich kontinuierlich während seines Lebens verändert, so habe ich bisher jede Phase meines Lebens als positiv empfunden, so auch die Zeit mit TARGETS – selbst wenn es am Schluss ziemliche Querelen gab. Und auch wenn ich heute nicht mehr mit der gleichen Motivation, Intensität und Aggressivität hinter jedem Song stehen würde wie vor 36 Jahren, so hätte ich dennoch keine Vorbehalte, diese zu spielen.

Was war der Grund für die Auflösung?
Wir haben insgesamt eine schöne Zeit zusammen gehabt, aber schließlich traten die unterschiedlichen Vorstellungen dann doch deutlich zutage. Ein weiterer Punkt war bestimmt auch die Resonanzlosigkeit bei unseren Konzerten.

Im Rückblick: Wie war es für dich, in den Achtzigern in einer Punkband gespielt zu haben?
TARGETS waren ja nicht die einzige Band. Davor waren es BUTTOCKS und SLIME, danach habe ich mit Wolle von BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT und mit Rod von DIE ÄRZTE gespielt, bis ich vom Sommerurlaub zurückkam und Rod in der Zwischenzeit nach Berlin gezogen war, weil er als Gitarrist bei RAINBIRDS eingestiegen war. Von 1987 bis 1993 folgten dann LA FOLIE DOUCE in unterschiedlichen Besetzungen. Im Laufe der Achtziger hat sich vieles verändert. Ich hatte das Gefühl, dass die Szene ausgelaugt war. Bei Konzerten hingen die Leute oft apathisch herum, saßen am Bühnenrand mit dem Rücken zur Band, tranken ihr Bier und unterhielten sich miteinander, während die Band auf der Bühne spielte. Ich konnte bei den Kids nicht mehr das Interesse und die Faszination an der Musik entdecken. Mir selbst hat es weiterhin großen Spaß gemacht, in einer Band die Musik zu spielen, die ich mochte.

Eure LP und die EPs sind ja auf Höhnie Records und Colturschock wiederveröffentlicht worden. Wie ist das zustande gekommen?
Colt von Colturschock und Höhnie haben sich bei uns gemeldet und gefragt, ob wir Interesse an einer Wiederveröffentlichung der „Massenhysterie“-LP hätten und auch an der späteren EP-Compilation „Menschenjagd“ samt zwei Live-Tracks, die ausschließlich bei Colturschock erschienen ist. Das hatten wir natürlich. Später hat Colt auch die beiden EPs von BUTTOCKS neu aufgelegt, mit einer deutlich besseren Digitalisierungsqualität als bei Weird System Anfang der Neunziger.

Bist du heute noch musikalisch aktiv? Käme eine Reunion für dich in Frage?
Ja, ich spiele weiterhin Schlagzeug in Bands, die immer eine Zeitlang existieren und die sich – wie es sich traditionell für Hamburger Bands gehört –, sobald sich ein potenzieller Erfolgsschimmer am Horizont auftut, gleich wieder auflösen. Riesigen Spaß bringt es mir immer noch. Wenn ich abends vom Proben nach Hause fahre, freue ich mich schon auf die nächste Probe. Oder auch: Nach der Probe ist vor der Probe – frei nach dem Punkrocker Sepp H. Was die Reunion angeht: ich habe schon zu oft Bands gesehen, die das Bild, welches über Jahrzehnte entstanden ist, nicht mit ihrer Reunion hätten einreißen sollen, ihre Reunion also mal lieber hätten sein lassen sollen.

Wie sieht es mit deinen früheren Bandkolleg*innen aus? Habt ihr noch Kontakt?
Ich habe aus SLIME- und TARGETS-Zeiten nur mit Elf auf rein geschäftlicher Ebene Kontakt. Bei den anderen Bands ist es anders, mit Mike von BUTTOCKS, Freunden von LA FOLIE DOUCE, BIG BALLS und späteren Bands treffe ich mich gelegentlich.

Heute wird der Status von Musikerinnen stark diskutiert. Als wie männlich, machistisch oder emanzipatorisch hast du die damalige Szene wahrgenommen?
Ehrlich gesagt: als emanzipatorischer als heute, obwohl auch um 1980 größtenteils Männer zu Punkrock-Konzerten kamen, so wie heute auch noch. Aber in den Siebziger und Achtziger Jahren hatte ich den Eindruck, dass mehr Frauen den Mut hatten, etwas Eigenes, Außergewöhnliches auf die Beine zu stellen. Ähnlich wie die HANS-A-PLAST-Schlagzeugerin Bettina Schröder in Ox #139 festgestellt hatte, dass sich damals viele Frauen vorgewagt hätten, wohingegen sich die heutige Rolle der Frau in der Musikbranche wieder sehr stark auf die des „Sexobjekts“ beschränkt. Ich habe heutzutage eher den Eindruck, dass die Situation der Frauen in Deutschland schon fast archaisch ist. Frauen bekommen durchschnittlich geringere Gehälter trotz durchschnittlich besserer Bildung, müssen bei einer Bewerbung erheblich mehr Kompetenzen aufweisen, um sich gegen einen männlichen Bewerber durchzusetzen, sind im Durchschnitt immer das Geschlecht, welches in einer Beziehung für den Haushalt zuständig ist. Im Bundestag sitzen nur grottige 31% Frauen gegenüber knapp 50% in skandinavischen Ländern. Die CSU-Regierungsfraktion besteht zu 100% aus Männern und als Eumel-Leuchtturm haben sie eine Staatsministerin für Digitalisierung ernannt, von der man gar nichts hört oder sieht, weil sie wahrscheinlich den ganzen Tag am Herd steht oder Hemden für Seehofer bügelt. Ein gutes Beispiel ist ein jährliches Handball-Turnier der vierten Klassen in der Stadt, wo ich wohne, für Jungs und Mädchen gemischt, an dem meine Tochter teilgenommen hat. Der Anteil an Jungs und Mädchen war in allen Schulteams etwa paritätisch, die Trainer wurden vom örtlichen Handballverein gestellt und kannten die Schüler vorher nicht. Nach circa sieben Spielen der Klasse meiner Tochter ergab sich zum Turnierende circa 25% Einsatzzeit für die Mädchen. Bei den anderen Klassenteams war es ähnlich. Ich traute meinen Augen nicht. Ich habe dann die Mütter um mich herum – Väter waren kaum zu sehen, es war Samstagvormittag und daher waren anscheinend Baumarkt und Autowäsche wichtiger als ihre Kinder – gefragt, wie sie das Turnier wahrgenommen hatten. Sie fanden es alle okay und gut. Das heißt sie haben gar nicht registriert, dass ihre eigenen Töchter bereits im Alter von zehn Jahren soeben systematisch diskriminiert worden waren. Schon Kinder werden also so konditioniert, dass für sie die Benachteiligung von Mädchen Normalität ist. Daraus erwachsen Männer, die den Status quo erhalten wollen, und Frauen, die anscheinend zum großen Teil ebenfalls diejenigen Parteien wählen, deren Familienministerinnen sich mit Händen und Füßen gegen bindende gesetzliche paritätische Quoten in den Vorständen deutscher Unternehmen sträuben, von der Repräsentation in den darunter liegenden Managementebenen ganz zu schweigen. Als Schlusswort dann doch etwas Positives: Letztes Jahr habe ich auf dem Schröderstift Festival in Hamburg LES DECIBELLES aus Paris gesehen. Abgesehen von dem genialen Wortspiel gefiel mir auch der Auftritt sehr gut und sie erinnerten mich an die Aufbruchsstimmung mit diesen mutigen Frauen in den Siebziger und Achtziger Jahren.

Diskographie:
Schneller, lauter, härter (7“, Aggressive Rockproduktionen, 1984) • Menschenjagd (7“, Aggressive Rockproduktionen, 1984) • Massenhysterie (LP, Aggressive Rockproduktionen, 1985; CD: 1992; Rerelease: LP/CD, Colturschock/Höhnie, 2014) • Menschenjagd auf deutsche Art: EP-Tracks & Outtakes 1984 (LP, Colturschock, 2017)