THE CHANGENCY

Foto© by Nadine Kunath

Live-Musik nachhaltiger machen

Festivals: Irgendwo auf einem Feld treffen sich für drei Tage 5.000 bis 30.000 Leute und machen aus dem Acker eine Kleinstadt. Mangels gutem ÖPNV und wegen zu transportierender Campingausrüstung reisen die meisten Menschen mit dem Auto an. Dixie-Klos, Müllpfandsäcke ohne Trennung, Merchstände mit dem üblichen Programm an Nicht-Bio-Shirts. Fressbuden mit reichlich Fleisch und wenig vegan und etwas vegetarisch. Bier aus dem Einweg-Plastikbecher, weil keine Spülmöglichkeit und Mehrwegflaschen keine Option. Es gibt das volle Programm mit zig Bands aus aller Welt, die Bühne läuft mit Dieselstrom, weil weit und breit keine andere Möglichkeit zur Stromversorgung. Nach der Abreise zwar Müll leidlich okay entsorgt, aber überall Einweggrills, die im Abfall landen, und schrottreife Billigzelte und -pavillons. Soweit der schlechtestmögliche Ist-Zustand. Da ist Optimierungsbedarf. Und viele Veranstalter:innen haben auch gute Ideen, was sich im Detail verbessern kann. Die Berliner Agentur The Changency, hinter der Katrin Wipper und Sarah Lüngen stecken, wollen den Themenkomplex grundsätzlich angehen.

Katrin, Sarah, was habt ihr für einen Background, und wann und wie und aus welcher Motivation heraus kamt ihr dazu, The Changency zu gründen?

Katrin: Ich habe neben dem Studieren lange Zeit in einem Club in Lindau gearbeitet, in einer Band gespielt, DIY-Booking bei Cityrat Records und Flix Agency gemacht, hatte einen eigenen Sprinter und bin drei Jahre mit Bands als Tourmanagerin und Fahrerin auf Tour gewesen und war die letzten sechs Jahre bei Destiny Tourbooking als Bookingagentin und in der Vorproduktion. Shoutouts an dieser Stelle an „meine“ alten Bands BAD COP/BAD COP, THE BABOON SHOW, BUSTER SHUFFLE, DESCENDENTS, LESS THAN JAKE, MAD CADDIES, MOSCOW DEATH BRIGADE, PROPAGANDHI, STRIKE ANYWHERE, TALCO – und die großartigen Kolleg:innen, die diese übernommen haben. Und was nun The Changency betrifft, wir haben uns während der Pandemie kennen gelernt und es hat sofort geklickt. Freundschaft auf den ersten Blick in einem Zoom Call des Netzwerks „Music Declares Emergency“. Es folgten: lange Spaziergänge, das dringende Bedürfnis nach systemischen Wandel und die Idee, ein Leuchtturmprojekt aufzusetzen, um die Strahlkraft von Musik für eine gerechteren Welt und Gesellschaft zu nutzen und Menschen zu inspirieren. „Plant a SEEED“ war geboren: Die erste wissenschaftliche Studie zu den Umweltauswirkungen von Großveranstaltungen. Das haben wir Management, Booking, Produktion vorgestellt, dann der Band SEEED. Alle fanden das super – und auf einmal hatten wir ein Projekt an der Hand. Damit wir das auch wirklich umsetzen können, „mussten“ wir The Changency gründen.
Sarah: The Changency war quasi eine Gründung „by accident“ – zum Glück, es hätte uns nichts Besseres passieren können. Ich komme genau wie Katrin aus der Musik- und Veranstaltungsbranche, bin ursprünglich Diplom-Biologin und wäre fast forensische Insektenkundlerin geworden, aber dann kam alles etwas anders. Während ich auf ein Stipendium für meine Doktorarbeit wartete, machte ich ein Praktikum beim unclesally*s Magazin in Berlin und habe seitdem die Musikbranche nicht mehr verlassen. Die letzten 13 Jahre war ich vor allem als PR- und Marketing-Managerin tätig, unter anderem für Festivals und Tourneen, für Musikmagazine oder Virgin Records. Die Pandemie hat mir dann plötzlich die Arbeitsgrundlage entzogen und man hatte viel Zeit, um sich neuen Themen zu widmen. Die Frage der Nachhaltigkeit hat mich schon viele Jahre umgetrieben und dann war es einfach Zeit, das konkreter anzugehen. Zusammen mit Katrin haben wir dann im Rahmen einer Weiterbildung das erwähnte Konzept für SEEED geschrieben und dann ging alles irgendwie sehr schnell.

Worauf begründet sich eure Kompetenz, was für Ausbildungen, was für Handwerkszeug bringt ihr mit?
Katrin: Wir haben alle Ausbildungen und Fortbildungen in Deutschland – und viele in UK – zum Thema Nachhaltigkeit und Veranstaltungen gemacht, die es gibt. Zudem sind wir Mitglied in diversen nachhaltigen Event-Netzwerken und durch unsere praktische Erfahrung der letzten zwei Jahre selbst zu Expertinnen in diesem Bereich geworden.
Sarah: Ich denke, was wirklich sehr wertvoll ist, ist die Kombination, dass wir sowohl wissen, wie die Musikbranche und Veranstaltungen funktionieren, und gleichzeitig tiefes Wissen im Nachhaltigkeitsmanagement mitbringen. Häufig verfügen die Menschen nur über das eine oder das andere. Es gibt außer uns auch nur eine Handvoll Leute mit dieser speziellen Expertise, die das sonst machen. Zudem haben wir natürlich über die vielen Jahre auch ein super gutes Netzwerk aufgebaut, auf das wir jetzt zurückgreifen können.

Was messt ihr? Also was ist „ökologisch“, was „nachhaltig“, was nicht? Der CO2-Fußabdruck ist ja nur ein sehr grober Wert mit bedingter Aussagekraft.
Katrin: Noch mal kurz rausgezoomt: Die Klimakrise ist menschengemacht und wird verursacht durch die massenhafte Verbrennung von Kohle, Erdöl und Gas und die dabei entstehenden Treibhausgase. Diese Treibhausgase, die zur Erderhitzung und dem Temperaturanstieg beitragen, entstehen aber auch in anderen Lebensbereichen, zum Beispiel bei Ernährung und Landwirtschaft, hier hauptsächlich Methan und Lachgas. Klimaneutralität in Deutschland bis 2045 bedeutet, dass die Erfassung und Reduktion dieser Gase alle Bereiche und Branchen umfasst, auch die Musikbranche. Hier schauen wir uns die Bereiche Mobilität, Ernährung, Energie, Abfall, Ressourcen, zum Beispiel Merch, und Co. an und deklinieren einen Maßnahmenkatalog durch. Spannend wird es, wenn es ums Thema Kommunikation geht und wie man Menschen, von Fans bis Produktioner:innen, auf den Weg mitnimmt – hier können wir uns kreativ austoben. Ebenso spannend: Nachhaltigkeit nicht nur durch die betriebsökologische Brille betrachten, sondern auch soziale Faktoren einbeziehen, wie Awareness, Barrierefreiheit, Klimagerechtigkeit, Lieferketten, Standards.
Sarah: Das ist uns auch immer sehr wichtig, wenn wir in der Beratung sind, dass die soziale Komponente berücksichtigt wird, das kommt häufig viel zu kurz, dabei geht es bei dem Thema Klimakrise auch immer um Gerechtigkeit. Man sollte stets im Hinterkopf behalten, wenn wir hier für manche Produkte unfassbar wenig zahlen, dass jemand anderes den Preis dafür zahlt, seien es Menschen in anderen Ländern oder unser Planet. Es geht also um viel mehr als nur CO2. Die Musik- und Veranstaltungsbranche hat vor allem aber auch einen Handabdruck, so werden die positiven Aspekte bezeichnet bei den Auswirkungen, die das eigene Handeln hat. Die Musik hat eine unheimliche Strahlkraft und kann das Thema Klimakrise noch mal ganz anders kommunizieren und in die Gesellschaft tragen und so als Vorbild dienen.

Wer ist eure Kundschaft, wofür bezahlt euch die und was bekommt sie dafür?
Sarah: Das ist ganz unterschiedlich. Zu uns kommen alle möglichen Menschen und Firmen aus dem Musik- und Veranstaltungskosmos. Neben klassischer Beratung machen wir auch ziemlich viel Wissensvermittlung durch Vorträge oder Workshops.
Katrin: Konkret sind unsere Kund:innen Bands, Bookingagenturen, lokale Veranstalter:innen, Festivals, Dienstleistende, Venues, Konferenzen usw. Wir bieten wie gesagt Beratung und Workshops an, aber eben auch Klimabilanzierung oder die Konzeption von Nachhaltigkeitsstrategien und -projekten sowie deren Umsetzung.

Ihr habt mit SEEED versucht, Konzerte nachhaltig durchzudeklinieren. Mal in Kürze: Was war die Idee, was waren die Maßnahmen, was hat geklappt, was nicht?
Katrin: Die Idee dahinter war, ein Leuchtturmprojekt aufzusetzen, das den systemischen Wandel in der Musikbranche hin zu mehr Nachhaltigkeit vorantreibt. Sprich: Wir hatten bis letztes Jahr keine umfassenden wissenschaftlichen Daten, was für Umweltauswirkungen Großveranstaltungen in Deutschland überhaupt haben. Das ist für uns eine Handlungsgrundlage für die Musikbranche – erstmals wurde aufzeigt, wie viele Tonnen CO2 bei einem Konzert mit 17.000 Besuchenden entsteht und wodurch. Jetzt können – und müssen – wir als Szene und Branche gemeinsam ins Handeln kommen. Wir haben sehr viele Maßnahmen umgesetzt, NGOs einbezogen, Aktionen gemacht – im Detail kann man das auf der Projektwebsite plantaseeed.de nachlesen. Eine unserer Lieblingsmaßnahmen: Um das Thema klimafreundliche Anreise greifbar zu machen, haben wir eine Fahrraddemo zusammen mit dem ADFC und Bikeygees, einer NGO, die geflüchteten Frauen das Fahrradfahren beibringt, sowie SEEED und deren Fans organisiert. So sind wir am Konzerttag die zehn Kilometer von Berlin-Kreuzberg zum Venue in der Wuhlheide geradelt, was total schön war und für die Fans auch eine tolle Gelegenheit, ihren Vorbildern etwas näher zu sein.
Sarah: Man kann Plant a SEEED auch zusammenfassen mit den drei Säulen: Wissenschaftliche Studie, Klimabilanz und Aktions-Kommunikations-Kampagne. Die Kommunikation mit den Besucher:innen war uns genauso wichtig wie mit dem Team, denn am Ende kamen zu den Shows ca. 85.000 Menschen, das ist eine kritische Masse an Leuten, die wir bei dem Thema durch Aktionen vor Ort und eben Kommunikation mitnehmen wollten.

Festivals also ... Wie bekommt man so was halbwegs „grün“ hin, ohne dass die Veranstaltenden sagen: „Tolle Ideen, bekommen wir aber nicht umgesetzt – und falls doch, kostet das Festival das Doppelte, da gehen unsere Besucher:innen nicht mit.“
Katrin: Der Maßnahmenkatalog ist riesig – das kann überwältigend sein, ist aber auch eine gute Neuigkeit: Egal wo, man kann überall ansetzen und das Thema als Kitt für die Gemeinschaft sehen. Egal, ob das in der inhaltlichen Ausrichtung von Festivals ist, so ist zum Beispiel auch ein diverses Line-up nachhaltig – das verursacht keine Mehrkosten und berücksichtigt trotzdem Gerechtigkeit, Teilhabe und Sichtbarkeit. Im Gegenteil, die geringe Diversität auf den Bühnen ist ein schönes Beispiel dafür, dass das Festhalten am Status quo Mehrkosten verursacht: So muss sich Rock am Ring fast schon jährlich mit dem Shitstorm auseinandersetzen, dass sie 50% der Bevölkerung auf der Bühne zu durchschnittlich 96% ignorieren.
Sarah: Es gibt wahnsinnig viel, was man tun kann, unsere Aufgabe in der Beratung besteht deshalb vor allem darin, gemeinsam mit unsere Kund:innen die wichtigsten Hebel zu erkennen, unter anderem durch Klimabilanzen, um dann Schritt für Schritt vorzugehen. Wir helfen dabei, den Fokus zu finden, um sich nicht zu verzetteln, das passiert sehr häufig bei dem Thema. Es geht aber auch nicht darum, im ersten Jahr direkt alles anzupacken und umzusetzen, Nachhaltigkeit ist ein Prozess, der Zeit und Durchhaltevermögen braucht. Wir versuchen auch immer, den Druck etwas rauszunehmen, denn wichtig ist, dass man erst mal anfängt und nach und nach besser wird und dazulernt. Und es ist eben auch ein Thema, das alle im Team angeht, das kann nicht nur auf den Schultern einer Person liegen.

Stichwort: Greenwashing. Heute ist ja alles nachhaltig und eco-friendly. Was ist eure Top 3 der schmerzfreien, weil ökologisch quasi wirkungslosen Maßnahmen, die dennoch gern genommen werden?
Katrin: Greenwashing – ich hasse dieses Wort, weil es meiner Meinung nach so oft komplett falsch verwendet wird und Vorreiter:innen shamet. Wie ich das Wort gerne verwende: Wenn Shell „klimaneutrales“ Benzin verkauft oder BP „klimaneutrales“ Heizöl. Wie ich das Wort nicht gerne verwende: Wenn die 5% der Bands, die sich schon auf den Weg gemacht haben und Verantwortung übernehmen, dafür einen vor den Latz geknallt bekommen. Alle hacken auf COLDPLAY rum – was schön von der Verantwortung der restlichen 95% der Bands ablenkt, die nüscht machen. Wie öde. Diese Zeit hätten wir besser nutzen können: Do It Yourself! Zeig weniger mit dem Finger auf andere und hör auf, Bands zu verurteilen, die schon drei Schritte weiter sind als du selbst. Deswegen: Greenwashing bei den Hauptverursachern konkret benennen, bei allen anderen: selbst mit gutem Beispiel vorangehen und Menschen und Bands für ihre Bemühungen belohnen statt dafür zu shamen, wenn noch nicht alles richtig läuft.
Sarah: Wir sind der Meinung, es braucht auch hier eine Form der Fehlerkultur, wir müssen es schaffen, kritisch zu sein und trotzdem auch erste Schritte anzuerkennen. Wie Katrin schon sagt, klimaneutrales Heizöl ist natürlich kompletter Bullshit, aber generell leben wir ja in einer Zeit, in der alles abgestraft wird, was nicht perfekt ist, und das ist insofern schwierig, als wir in einem nicht perfekten System leben. Aber zu der eigentlichen Frage: Unternehmen oder Produkte, die Kompensation durch beispielsweise Bäume als alleinigen Grund dafür verkaufen, wieso sie oder ihr Produkt klimaneutral ist, da könnte ich echt kotzen. Das ist einfach absoluter Schwachsinn, wer glaubt, dass wir allein durch Kompensation und keinerlei Verhaltensänderung das Ruder rumgerissen bekommen, ist so was von auf Abwegen. Wir brauchen echte Veränderung. Ein weiteres Beispiel sind zum Beispiel Klamotten aus recycletem Meeresplastik. Das ist Ablenkung vom sonstigen Mist, den die Modeindustrie verzapft, und das Plastik gelangt dann sowieso als Mikroplastik wieder ins Wasser durch den Waschvorgang. Aber verkauft sich natürlich als ganz wundervolle PR-Story.

Als Veganer muss ich natürlich die Frage stellen: Pflanzliche Lebensmittel sind quasi der „Königsweg“ in Sachen CO2-Abdruck. Gleichzeitig muss man sich selbst bei Punk-Festivals keinen Illusionen hingeben, was die Akzeptanz von rein veganem Catering und Fressbuden betrifft. Aber ... führt für ein nachhaltiges Festival ein Weg an pflanzlichem Essen vorbei? Und selbst wenn nicht: Biofleisch-Bratwürste auf einem Festival wurden noch nie gesichtet, glaube ich ... Es würde die Gewinnmarge der Budenbesitzer:innen wohl auch nachhaltig schädigen, schätze ich, weil Billigfleisch muss sein, damit da die Kasse stimmt ...
Katrin: Um den CEO von Rügenwalder Mühle zu zitieren: „Fleisch ist die Zigarette der Zukunft.“ An einer rein pflanzlichen Ernährung führt kein Weg vorbei. Da beißen wir uns teils in Kommunikation mit Produktioner:innen die Zähne aus – gleichzeitig wurden die zwei veganen/drei Veggie-Days bei SEEED aber so gut von der lokalen Crew angenommen, dass sie das herausragend gute fleischfreie Catering auch bei ihren darauffolgenden Shows beibehalten haben. Die gute Neuigkeit: Auch bei DIE ÄRZTE und DIE TOTEN HOSEN hatten wir 100% leckeres veggie-veganes Catering bei der Crew.
Sarah: Es braucht auch hier ein Umdenken. Bei DIE ÄRZTE und DIE TOTEN HOSEN hatten wir auch 60% Vegan-Veggie-Angebot für die Besucher:innen und es hat sich keine:r beschwert. Ich verstehe aber auch die Argumentation immer nicht, als würde jedes Gericht mit Fleisch automatisch gut schmecken. Denn das ist es, worum es geht, das Essen muss schmecken und satt machen, und das können vegan-vegetarische Gerichte ganz genauso. Zudem gibt es dafür ja sogar Fakten, das schwedische Way Out West Festival hat ein zu 100% Vegan-Veggie-Gastroangebot seit über zehn Jahren und dadurch die Qualität des Essens gesteigert und die Umsätze sind direkt mit gestiegen. Ich verstehe also diese ganze Diskussion immer nur bedingt, es ist eine Win-Win-Win Situation für alle.

Hängt die Bereitschaft zur Akzeptanz von ökologischen Maßnahmen mit der auf der Veranstaltung gebotenen Musik zusammen? Gibt es das vermutete oder erwiesene Korrelationen?
Katrin: Können wir jetzt nur drüber spekulieren, bisher noch nix in die Richtung gelesen.
Sarah: Sollte man mal Erhebungen machen, fände ich auch spannend. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es das gibt, wir erkennen schon Tendenzen. Aber ich glaube, es hängt auch stark damit zusammen, was die Künstler:innen auf der Bühne vorleben. Wenn man auf der Bühne Verschwendung, fette Autos und Markenklamotten als Hauptthema hat, wie soll dadurch die Message an die Fans rausgehen: Ey checkt mal bitte euer Verhalten und achtet auf eure Umwelt und eure Mitmenschen. Generell sollte das Thema auf der Bühne einfach viel mehr stattfinden, es gibt ja ein paar Bands und Künstler:innen wie Billie Eilish, BRING ME THE HORIZON oder THE 1975, die das schon echt gut machen. Jetzt braucht es noch mehr, die es ihnen nachmachen.

Wie setzt man ökologischen Maßnahmen um? Durch freiwillige Regelungen? Durch Gesetze? Durch kommunale Auflagen?
Katrin: Wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass jemand anderes – Staat, Gesetze, Parteien – für uns diese riesengroße, systemische Krise regelt. Seit 1994 wird Homosexualität nicht mehr strafrechtlich verfolgt, seit 1971 dürfen Frauen in der Schweiz wählen, seit 2021 gibt es ein Klimaschutzgesetz. All diesen Gesetzesänderungen ging ein inhärentes Gefühl der Ungerechtigkeit, Ungleichheit und fehlender Verantwortung voraus. Es braucht „nur“ 3,5% der Bevölkerung und ihren friedlichen Protest, um gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken. Das wurde in einer Studie festgestellt, die sich mit vielen großen Protesten – Civil Rights Movement, Vietnamkrieg etc. – beschäftigt hat. Deswegen: Stimme nutzen, sich über die Klimakrise und seine eigene Handlungsverantwortung informieren, über Klimagerechtigkeit sprechen, es tagtäglich leben – und von anderen einfordern.
Sarah: Dadurch erhöht man indirekt auch den Druck auf Politik und Wirtschaft. Wir müssen verstehen, dass wir den systemischen Wandel brauchen und es nicht die Schuld des/der Einzelnen ist. Aber es ist eben wie Katrin sagt, nicht zu unterschätzen, wie wichtig auch unsere eigene Stimme und unser Verhalten sind.

Wie ist Deutschland in Sachen nachhaltige Festivalideen aufgestellt? Und wie sieht es im europäischen Ausland aus?
Katrin: Wir holen uns die meiste Inspiration aus UK, vielleicht weil die Festivals dort noch mal offensiver und selbstverständlicher Maßnahmen umsetzen und das Thema kommunizieren. In Deutschland geht zum Beispiel das Wurzelfestival mit viel visueller Kreativität an das Thema, aber auch „die Großen“ wie etwa das Southside mit seinem Programm Trasholution, wo pro gesammeltem Müllsack ein Euro an eine NGO gespendet wird. Das Boom Festival in Portugal setzt stark auf Kreislauffähigkeit und Wasserersparnis.
Sarah: Generell muss man aber schon sagen, dass die richtig tollen Vorbildfestivals nicht aus Deutschland kommen bisher – aber es tut sich viel. Das DGTL Festival in Amsterdam ist ein super gutes Vorbild, sie machen schon wahnsinnig viel und teilen das auch transparent, ihr Kernthema ist die Kreislaufwirtschaft. Das Wacken arbeitet auch daran, kreislauffähig zu werden, das heißt, dass man alle Ressourcen in Kreisläufen denkt. Also man kann sagen, da geht noch einiges mehr in Deutschland, aber sehr viele Festivals verstehen das langsam und fangen an und das ist natürlich super wichtig.

Eure Top 3-Ideen für Besucher:innen für ein Festival-Wochenende mit möglichst geringem ökologischem Fußabdruck?
Katrin: FDP abwählen, auf die nächste Fridays for Future-Demo gehen, Lieblingsband und Festivalorganisator:innen anschreiben, wie sie ihrer Verantwortung gerecht werden. Davon abgesehen: Warm-up-Party bei der Zuganreise, Falafel statt Schnitzelburger, Grenzen anderer Menschen respektieren.
Sarah: Dem ist nicht viel hinzuzufügen, auch wenn ich glaube, dass es hier unter den Leser:innen zum Glück nur sehr wenige bis keine FDP Wähler:innen gibt. Aber ja, der größte CO2 Verursacher bei Festivals, also 80-90%, ist die Anreise der Besucher:innen, also mit dem Zug anreisen ist eine super Idee oder wenn schon das Auto, dann voll gepackt mit Menschen. Und ganz persönlich würde ich mir wünschen, dass die Menschen nicht ständig ihre Kippen auf den Boden werfen und wild pinkeln bei Festivals, das ist eine krasse Belastung für das Ökosystem vor Ort und die Lebewesen, die dort das ganze Jahr über leben müssen.

Und eure Top 3-Ideen für Veranstalter:innen für ein Festival mit möglichst geringem ökologischem Fußabdruck?
Katrin: Bankkonto wechseln, Ökostrom, Mushroom-Burger und save the last cow. Für Details kann man uns gerne kontaktieren.
Sarah: Und ganz wichtig: anfangen! Nicht immer nur darüber nachdenken, wie kompliziert alles ist. Wenn wir nichts machen, wird es nämlich immer alles noch komplizierter. Und Spoiler: Es kostet auch nicht immer alles mehr, an mancher Stelle kann man sogar Geld sparen.