THEE HEADCOATS

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BIllY Childish, Bob Dylan, Jack White und der Papst

1989 gründete Sänger und Gitarrist Billy Childish (eigentlich Steven John Hamper) in Chatham, Kent, England die Garage-Rock-Band THEE HEADCOATS, bestehend aus Bruce Band (dr) und (nach ein paar Umbesetzungen) Johnny Jonhnson (bs). Die Band veröffentlichte in kürzester Zeit zig Platten, baute auf dem Ruf auf, den sich Childish seit den späten Siebzigern mit den vorherigen Bands THE POP RIVETS und THEE MILKSHAKES erworben hatte. Enorme 18 Alben veröffentlichten THEE HEADCOATS auf zig Labels, unter anderem auf Childishs eigenem Label Hangman Records, auf Damaged Goods und auf Sub Pop. 2000 war Schluss mit den HEADCOATS, die all die Jahre auch eine weibliche Parallelband hatten in Form der aus Holly Golightly, Kyra LaRubia, Ludella Black und Bongo Debbie bestehenden THEE HEADCOATEES. Seitdem hat Childish zig weitere Bands ins Lebene gerufen, unter anderem THE BUFF MEDWAYS und THE MUSICIANS OF THE BRITISH EMPIRE, und seit vielen Jahren schon ist er auch ein erfolgreicher Maler. Mit „Irregularis (The Great Hiatus)“ ist nun gerade ein neues Album der HEACOATS erschienen, in der klassischen Besetzung aus Billy, Bruce und Johnny. Ich nutzte die Gelegenheit, mit Billy einmal mehr über ... alles zu reden.

Billy, wie hast du die Jahre der Pandemie in Bezug auf deine Kunst, deine Musik, dein Leben und deine Familie erlebt?

Auch wenn es mit all den Plattenveröffentlichungen aktuell so aussieht, als würden wir wieder auftauchen, haben wir in den letzten 13 Jahren insgesamt nicht sehr viel live gespielt. Die Pandemie hatte also kaum Auswirkungen auf unsere Live-Musik, denn wir spielen nicht viele Konzerte. Zufälligerweise haben wir jetzt angefangen, wieder live zu spielen, und dafür gibt es verschiedene Gründe. Ich hatte mich schon ganz zu Beginn mit COVID-19 infiziert und das hat mir nicht so gut gefallen. Was mir ganz gut gefallen hat an der Pandemie, war, dass die Menschen von den Straßen verschwanden und die Städte leer waren. Ich gehe seit 1978 eigentlich nicht mehr aus oder sehe mir Live-Musik an. Das letzte Mal, dass ich mir wirklich absichtlich eine zeitgenössische Gruppe angesehen habe, war im Januar 1978. Da war ich bei den RICH KIDS im Nashville. Danach habe ich mir nie wieder THE CLASH oder die SEX PISTOLS angeschaut oder irgendeine andere Punkband, die ich mit 17 mal gesehen oder genossen hatte. Für mich hatte die Pandemie also keine große Bedeutung, denn ich gehe nicht auf Partys und ich meide Menschenmengen oder Gruppen von Menschen. In dieser Hinsicht war die Situation also eine Erleichterung für mich. Wir haben das Glück, ein großes Haus zu haben. Und mein Sohn war die meiste Zeit zu Hause, weil er in London nicht weiterstudieren konnte. Er ist an der Slade School of Fine Art, und die war natürlich geschlossen. Ich habe im Lockdown also gemacht, was ich sowieso immer mache: Ich bin ins Atelier gegangen und habe sehr viel gemalt. Und mein Sohn malte auch. Ich war in der Zeit so etwas wie sein Mentor.

Und was war musikalisch?
Da ergab sich vor Ort eine neue Möglichkeit. Mein Freund Jim Riley spielte einst in der R&B-Band WIPEOUT, während ich meine Punkrock-Band hatte. Er hat ein kleines Studio hier in der Stadt und während der Pandemie keine Kundschaft mehr. Ein paar CTMF-LPs, die vor sechs oder sieben Jahren aufgenommen wurden, entstanden in Jims Studio. Er musste damals schon fast schließen, weil er keine Kunden hatte. Also habe ich manchmal einfach nur ein Album gemacht, um sein Studio am Laufen zu halten, sonst hätte ich die Alben nicht gemacht. Er ist ein Freund von mir, und ich mag es, Ausreden dafür zu haben, um etwas zu tun, was ich sonst nicht getan hätte. Das sind für mich alles nur Projekte ohne Hintergedanken, außer dass ich einen Grund habe, mich mal wieder aufzuraffen. Auf diese Art und Weise habe ich alle kreativen Dinge geschaffen. Also nicht wegen eines cleveren Plans, sondern weil mein Verstand so begrenzt ist. Als die Pandemie ausbrach, stieß ich bei YouTube auf dieses Video von Jimi Hendrix. Ich war schon früh ein großer Jimi Hendrix-Fan, und ich habe Spaß an frühem Filmmaterial von Hendrix, ja ich mag generell frühes Filmmaterial von Bands und ich mag YouTube sehr, weil da immer wieder neue Sachen auftauchen. Ich mag vor allem Hendrix-Sachen von vor 1967.

Du bist also Fan?
Das ist bei mir kein Hobby, kein echtes Interesse, das ist immer nur eine vorübergehende Laune. Vielleicht alle vier oder fünf Monate denke ich mir: Ob wohl jemand etwas Neues mit Jimi Hendrix oder frühe Aufnahmen von Link Wray gepostet hat? Und dann schaue ich nach, nur so aus Neugierde, denn eigentlich höre ich gar keine Musik. Die einzige Musik, die ich höre, ist klassische Musik im Autoradio oder auch mal im Atelier, wenn ich male. Jedenfalls schaute ich mir also Hendrix-Videos auf YouTube an. Und YouTube schlägt dir ja immer weitere Clips vor. Ich hatte mir „All along the watchtower“ angeschaut, war aber nie ein großer Fan dieses Titels, weil ich die späteren Hendrix-Sachen gar nicht so mag. Obwohl ich ein großer Fan von Jimi Hendrix bin, er mein Lieblingskünstler ist, mag ich wahrscheinlich nur 40% von seinen Sachen. Ich mag eher den Pop-Hendrix. Irgendwie führte mich der Computer also zu Bob Dylan. Ich sammle ja keine Platten, ich habe kein großes Wissen über Musik, es gibt nur dieses kleine Fenster von Sachen, die mich interessieren. Jedenfalls hörte ich mir dann „All along the watchtower“ von Bob Dylan an, und es gefiel mir – viel besser als Jimis Version des Songs. Ich hatte auch nie viel Bob Dylan gehört jenseits von seinen Sachen bis 1964/65, die ich gehört hatte, als ich jung war. Und ich kannte natürlich Hendrix’ Version von „Like a rolling stone“ von der „Live At Monterey“-LP. Die hatte ich als Kind, mit Jimi auf der einen Seite und Otis Redding auf der anderen. Mein älterer Bruder stand auf dieses Zeug. Und dann schlug YouTube vor, dass ich mir einen Live-Mitschnitt von „Shelter from the storm“ ansehe, ein Lied, das ich nicht kannte, weil ich den späten Dylan nie gehört habe. Und ich war beeindruckt von Dylans Stimme hier, denn sie klang sehr nach Joe Strummer. Damals brüllte Dylan relativ viel, das muss so von 1974 oder 1975 sein. Joe Strummer mochte viele Sachen, etwa Woody Guthrie, und wahrscheinlich kannte er das. Und ich dachte mir, nun, vielleicht probiere ich ja mal, „Shelter from the storm“ zu singen. Dabei sind mir die Lieder von Dylan eigentlich zu lang und zu wortreich. Ich fand es auch lächerlich, dass Bob Dylan den Literatur-Nobelpreis gewonnen hat als Popstar. Aber ich hatte eben auch ein paar frühe Interviews mit Bob gesehen und irgendwie begann ich, ihn zu mögen. Sorry, wenn ich abschweife ... Jedenfalls also wollte ich ein paar Songs aufnehmen, und ich fragte David Tattersall, einen sehr kompetenten Gitarristen, und so entstand THE WILLIAM LOVEDAY INTENTION. Der Bassist von THE DAGGERMEN und THE BUFF MEDWAYS war auch gleich dabei, Johnny Barker. Und weil also Jim für sein Studio keine Kunden hatte, dachte ich mir, nehmen wir halt ein paar Tracks auf. Daraus wurden dann seit 2020 zwölf Alben.

Das reichte dir aber wohl nicht ...
Zur gleichen Zeit nahmen wir auch noch ein neues CTMF-Album auf. Gegen Ende der Aufnahmen verstarb leider mein Freund Chris Broderick, der Sänger von THE SINGING LOINS, das war am 2. Januar 2022. Ich hatte ein paar Songs für THE WILLIAM LOVEDAY INTENTION geschrieben, von denen ich dachte, dass er sie singen könnte. Ich hatte ja 1993 mal ein Album mit THE SINGING LOINS gemacht. Meine Idee war, eine 7“ zu machen, aber wenn man eine Single aufnimmt, kann man auch genauso gut eine LP machen. Also haben wir diese LP gemacht. Und damit hatte ich schon eine Band zusammen und dann können wir auch gleich was mit THE CHATHAM SINGERS machen. Danach wurden wir gebeten, was mit CTMF aufzunehmen, mit THE GUY HAMPER TRIO und noch was mit THEE MIGHTY CAESARS ... Neben all meinem Schreiben und Malen musste ich also noch all diese Lieder lernen und mich mit all diesen Dingen beschäftigen. Und dann starb im Februar 2022 auch noch Don Craine ...

... der Sänger und Gitarrist von THE DOWNLINERS SECT.
Ich schlug Bruce Brand und Johnny Rowlands vor, eine 45er für Don Craine zu machen. Und so flog Johnny übers Wochenende aus Sizilien nach London. Aber wenn die beiden schon mal da sind, dachte ich mir, dann können wir auch gleich ein neues THEE HEADCOATS-Album machen. Das hat Spaß gemacht, wir hatten bis dahin seit über zwanzig Jahren nicht mehr gespielt. Ich habe ihnen ein paar Songs gezeigt, danach nahmen wir übers Wochenende das Album auf.

Bevor wir über die HEADCOATS reden, muss ich auf Bob Dylan zurückkommen. Denn wenn man deine Veröffentlichungen in den letzten Jahren beobachtet hat, war es ziemlich offensichtlich, dass du eine gewisse Obsession für Dylan entwickelt hattest.
Der Grund, warum es wie eine Besessenheit aussieht, ist mein Charakter, weil ich keine halben Sachen mache. Bei jemand anderem wäre das eine Besessenheit. Aber bei mir ist es ein flüchtiges Interesse. Das Ding ist, dass ich Bob Dylan und seine Fans nicht verstehe, ja Fans generell nicht. Das ist auch der Grund, warum ich mit CTMF den Song „Bob Dylan’s got a lot to answer for“ gemacht habe. Wir haben Country-Versionen von Bob Dylan-Sachen gemacht und Songs, die ich mag, mag er auch. Bob Dylan betrachtete genau wie ich Buddy Holly und Little Richard als große Inspiration. Es gibt also so etwas wie gemeinsame Interessen. Und ich mag auch ein paar Sachen, die Dylan gesagt hat. Ein Zitat lautet, dass er absichtlich schlechte Platten gemacht habe. Das finde ich wirklich lustig. Und ich mag auch, dass er sich den Erwartungen der Leute verweigerte. Der Grund, warum wir das alles gemacht haben, war, dass wir so was wie einen neuen, verbesserten Bob Dylan erschaffen wollten, weil ich das lustig finde. Und wer weiß schon, ob es neu oder besser sein wird. Es ist einfach ein Spiel. Die Leute denken, dass Kreativität etwas ganz Besonderes ist, dabei liegt das nur in der menschliche Natur. Wenn du etwas tun willst, dann tust du am besten so, als ob du es tun würdest. Menschen fühlen sich sehr unecht, wenn sie so tun, als ob sie etwas tun. Aber jeder, der gut ist, tut nur so, als ob er etwas tut. Das Problem bei Popstars aber ist, dass sie an das glauben, was sie vorgeben zu tun. Wenn du Musik anhörst, einfach nur so, wie sie ist, dann identifizierst du dich nicht damit, sondern du setzt dich auf eine viel realere Weise damit auseinander. So male ich auch, und es macht mir nichts aus, wenn mir Leute beim Malen zusehen. Ich male einfach und es ist mir egal, wie es aussieht. Und weil es mir egal ist, wie es aussieht, muss ich es nicht mögen. Das bedeutet, dass ich sehr viel Freiheit habe, und dann sieht es so aus, als wäre es sehr persönlich und als käme es aus mir selbst. Ich erreiche das also, indem ich nicht wirklich involviert bin.

Und um auf Dylan zurückzukommen ...
Von außen mag es so aussehen, als wäre ich von Bob Dylan besessen. Die Antwort ist aber: überhaupt nicht. Aber ich kann verstehen, warum es so aussehen kann. Ich muss mir immer wieder anhören, von so vielen Dingen besessen zu sein oder mich sehr dafür zu interessieren. Das ist verrückt. Ich sammle keine Platten. Ich glaube nicht, dass ich eine Bob Dylan-Platte besitze. Es gab in den Achtzigern mal einen Artikel im Melody Maker. Dylan war in London und auf der Klatschseite stand, er sei in einen Laden in Camden gegangen und habe einige unserer Platten gekauft, von THEE MILKSHAKES. Ein Freund von mir arbeitet mit Bob zusammen und veröffentlicht seine Bootlegs – der bringt gerade ein paar Bootlegs von THE WILLIAM LOVEDAY INTENTION raus. Der gibt Bob immer wieder mal eine meiner Platten. Und er hat mal zu mir gesagt, dass Bob meine Bilder mag. Aber ich weiß nicht wirklich, was Bob darüber denkt, ob er es amüsant oder ärgerlich findet oder sich langweilt. Und wen interessiert das auch? Ich könnte mir vorstellen, dass er zumindest Sinn für Humor hat. Es gibt ein THEE HEADCOATS-Album namens „Brother Is Dead ... But Fly Is Gone!“, da sind viele Punkrock-Songs drauf. Das haben wir an einem Nachmittag live aufgenommen, als das Studio kaputt war, also stellten wir die Bandmaschine ins Klohäuschen im Hinterhof. Als ich mir das Album neulich anhörte, konnte ich mich nicht daran erinnern, das aufgenommen zu haben. „Love comes in spurts“, da wusste ich nicht, dass ich das geschrieben hatte. „Diddy wah diddy“ ist da auch drauf, das hörte ich mir gestern Abend an, das hat irgendwer ins Internet gestellt, und ich dachte mir, das ist einfach nur lächerlich, weil es viel zu schnell ist. Und ich finde es ansatzweise amüsant. Und dann höre ich ein paar andere Sachen, die wir gemacht haben, und die finde ich wirklich gut. Aber es ist mir eigentlich egal, ob das, was ich mache, gut ist. Ich habe keine Vorstellung davon, wie die Leute etwas finden, was ich mache. Ich weiß aber, dass das, was ich mache, echt ist. Aber ich glaube auch, dass das Echte für die Leute nicht wirklich interessant ist, also im großen Maßstab. Und ich habe keine Ambitionen. Niemand hat nach diesen Platten verlangt. Niemand verlangt von mir, dass ich jemals wieder eine Platte mache. Selbst Leute, die mögen, was ich mache, wissen wahrscheinlich nicht, dass ich einige meiner besten Sachen als 63-Jähriger mache. Letztlich sind all diese Platten eine Ausrede, um irgendwie meine poetischen Fähigkeiten in Songs zu verwenden.Viele Songs haben viel Dummheit in sich. Ich will keine Cleverness in ihnen. Bob hat mir in gewisser Weise die „Erlaubnis“ gegeben, bei einigen der William Loveday-Sachen ein bisschen clever und albern zu sein. Ich finde es ziemlich lustig, Textzeilen einzubauen, die nicht passen. Mir geht es bei der Musik um den Klang und die Performance, nicht darum, ob jemand die Platte will. Die Plattenfirmen und die Leute, mit denen ich zusammenarbeite, sind wirklich gute Leute und ermutigen mich sehr, aber sie sagen nicht: „Können wir noch mehr von dem Zeug haben?“ Sie sagen eher: „Bitte nicht!“ In der Kunstwelt ist es genauso, die denken, ich male zu viel und niemand sagt: „Billy, können wir mehr davon haben?“ Alle sagen eher: „Billy, kannst du mal die Klappe halten?“

Wenn ich mir deine musikalische Geschichte anschaue, war es so, dass du immer dann, wenn du neue Ideen hattest, wenn etwas Neues in deinem Leben passiert ist, es neue Leute und neue musikalische Ideen gab, gleich eine neue Band gegründet hast. Mit THEE HEADCOATS kehrst du jetzt aber zurück zu einer Band, die von 1989 bis 2000 mehr als ein Jahrzehnt deines Lebens dominiert hat. Wenn jemand den Namen Billy Childish erwähnt, fällt einem als Erstes dieser Bandname ein. Warum also bist du jetzt mit und zu THEE HEADCOATS zurückgekehrt?
Die Welt präsentiert dir Dinge, die angesprochen werden müssen. Ich singe gerne ein Loblied auf die Menschen, die ich mag und die einen Einfluss auf mich haben. Ich mochte Don Craine von THE DOWNLINERS SECT sehr. Dann ist Don gestorben und ich dachte, das wäre eine gute Ausrede für die HEADCOATS, noch mal was zu machen. Und so machten wir 2022 diese THEE HEADCOATS SECT-7“ „A Tribute To Don Craine“. Das war keine Nostalgie, sondern ein Feiern dieses Musikers. Es brauchte also eine gute Ausrede. Bei THEE MIGHTY CAESARS war es anders: Sie haben sich nie aufgelöst, sie hörten einfach auf zu spielen. THEE MIGHTY CAESARS können also immer tun, was sie wollen, jederzeit. THEE HEADCOATS waren für mich wie eine Familie für zehn Jahre, und mit Bruce mache ich Musik, seit 17 bin, damals noch mit den POP RIVETS. Da gibt es eine Menge gemeinsame Geschichte. Johnny lebt in Sizilien und er war von der Idee angetan, die 45er zu machen. Ich hatte mal eine Band namens THE DEAR WATSONS, mit der ich ein paar HEADCOATS-Songs geschrieben hatte, die wir auch als Album veröffentlicht haben. Das waren quasi ich, Julie und Wolf von CTMF, die ich dazu gebracht hatte, ein paar Songs im Stile der HEADCOATS zu spielen. Also hatte ich ein paar Songs dabei und Johnny flog rüber. Die Windrichtung und die Stimmung passten und es gab eine gute Ausrede – es war für Don Craine. Und dann dachte ich mir, es wäre wirklich schön, wenn Keith Grant singen würde, der Sänger von THE DOWNLINERS SECT, mit dem wir immer noch in Kontakt sind. Also luden wir ihn ein, mit uns zu singen. Keith liebte es, er sagte: „Ihr seid die Einzigen, mit denen es Spaß macht, im Studio zu sein.“ Mit Bruce und Johnny war es im Studio wie damals, wir sahen uns an und legten einfach los. Wir machten uns übereinander lustig und darüber, wie sinnlos das alles ist. Wir legten los, drückten auf Aufnahme, und dann probieren wir noch einen und noch einen. Wir machten ein paar Witze und erinnerten uns an die ganzen Dinge, die wir miteinander erlebt haben. Es gab keine Agenda, keine Nostalgie, kein Programm. Wir hatten einfach eine Ausrede, um eine Platte zu machen, um jemandem Tribut zu zollen, der meiner Meinung nach eine großartiger Mensch war. Das war also eher so, wie man sich überlegt, was für einen Anlass man haben könnte, ein paar Freunde zu einer Teeparty einzuladen. Und dann sucht man sich einen Anlass aus. Das Schwierigste für viele Leute im Umgang mit mir ist, dass ich keinen Plan habe. Als die SPARTAN DREGGS ihr erstes Album mit Neil Palmer gemacht haben, habe ich das getan, weil ich Neil und seine Arbeit mit THE FIRE DEPT. liebe. Also sagte ich zu Neil: „Wir sollten noch ein Album machen.“ Er sagte: „Niemand will ein weiteres Album, niemand ist daran interessiert.“ Ich sagte: „Das stimmt, also sollten wir drei machen.“ Und irgendwie gibt es dann doch immer genug Leute, die sich für diese Art von Experiment interessieren. Wir haben letzte Woche zwei Shows in einem sehr kleinen Theater gespielt, mit SINGING LOINS und THE CHATHAM SINGERS, und wir wussten nicht, ob das jemand interessiert. Es wäre das Einfachste auf der Welt gewesen, es nicht zu tun, weil niemand danach gefragt hat. Aber immer dann wird es interessant für mich, da kommt für mich die Magie ins Spiel.

Woher kommt das?
Das war schon immer so. Mit den MILKSHAKES haben wir ganz früh schon in Deutschland gespielt. Bei unserem ersten Auftritt in Aachen waren zwei Leute und da haben wir das Set zweimal gespielt, weil noch eine weitere Person auftauchte. Und das war jemand vom Spex-Magazin, was wir aber nicht wussten. Die Leute waren beeindruckt, dass wir noch ein weiteres Set spielten. Das Konzert fing mit zwei Leuten an und endete mit drei, weil wir da waren, um uns zu amüsieren und Musik zu machen. Nicht dass es uns nicht gefallen hätte, wenn wir berühmt geworden wären und es mehr Leute gewesen wären, aber dass es nicht so war, war für uns kein Grund zum Aufgeben. Ich mag Erfolg, Geld, Freiheit. Aber nichts davon wird je mich und mein Handeln beeinflussen. Es wäre toll, all das zu haben. Ich bin dem nicht abgeneigt, aber ich strebe das nicht an. Das sind keine vorrangigen Ziele für mich. Und das ist vielleicht eine ungewöhnliche Position. Ich bin nicht auf Unterstützung von irgendwem aus, was nicht heißt, dass ich es nicht genieße, wenn es passiert. Aber es ist nicht mein Ziel. Ich habe keine Agenda. Aber weil jeder eine Agenda hat, ist es für andere sehr schwer zu verstehen, dass ich keine habe. Das liegt nicht daran, dass ich clever bin. Es liegt nicht daran, dass ich einen super Plan entdeckt habe. Es liegt daran, dass ich so bin, wie ich bin. Und dagegen kann ich nichts tun.

Als ich im Vorfeld des Interviews etwas recherchierte, stieß ich auf einen Satz zu DOWNLINERS SECT, die für dich sehr wichtig waren, aber ansonsten eher unbekannt sind: „Die Band war in den frühen Sechziger Jahren ikonisch, unter anderem wegen Don Craines Deerstalker-Mütze, die er trug, um sich über die Aristokratie lustig zu machen.“ Ich habe dann mal nach Abbildungen von Deerstalker-Jägermützen gegooglet und erinnerte mich an alte Fotos von euch mit allen möglichen Hüten und Mützen. Diese waren also eine klare Anspielung darauf, oder?
Bruce war ein großer Fan von DOWNLINERS SECT. Und er trug zu Ehren von Don Craine gelegentlich eine Deerstalker-Mütze. Deshalb covern wir auch den Song „The leader of the sect“ auf dem Album, sagt er. Don Craine sagte, es sei eine Scherzgeschichte über ein Mädchen, das bei einem Konzert von einer Bassgitarre „überfahren“ und getötet wurde. „I took off my hat ’cause it was a deerstalker“, heißt es da. Der Witz ist, dass eine Frau als „dear“, als „Schatz“ angesprochen wird. Er singt also, er nahm seinen Hut ab, weil es ein Deerstalker war. Bruce verstand damals aber den Text falsch, er hörte „I took off my headcoat / It was a dear stalker“. So als habe der Erzähler seine Mütze aus Respekt abgenommen. Wir hatten also schon diesen Begriff und schon bei THEE MIGHTY CAESARS trugen wir manchmal Deerstalker. Wir nannten sie „Headcoats“. Weil wir dachten, Don Cairne habe damals „headcoats“ gesungen. Als wir dann für die damals neue Band einen Namen suchten, sagte ich: „Warum nennen wir uns nicht HEADCOATS? Und wir setzen uns Deerstalker-Mützen auf.“ Es geht also alles auf ein Missverständnis zurück. Daher kommt also der Name – die Dinger sehen ja aus wie „Kopfmäntel“, das ist ein guter Name. Wir hatten das nie wirklich verstanden, bis wir mal Aufnahmen gemacht haben mit Don. Und der sagte: „Nein, ich singe da nicht ‚headcoat‘, ich singe ‚hat ’cause‘. Don war ein ziemlich lustiger Kerl, er machte sich über den Adel lustig, über seine irische Herkunft, er erzählte Geschichten von seinem Onkel, der in der alten IRA aktiv war, und er hatte eine gesunde Missachtung für den Papst. Er hatte viel auszusetzen am Establishment und eine eher soziale Sichtweise. Ich verstand mich sehr gut mit Don, der sich auch sehr für das Heidentum, für Paganismus interessierte, für Hexerei und all so was. Ich fand ihn sehr interessant. Ich selbst habe kein Problem mit Päpsten, Königen und solchen Leuten, weil ich das einfach für einen Scheißjob halte. König oder Papst zu sein, das wäre das nichts, was mich interessieren würde. Ich betrachte also alle Menschen in diesen Positionen mit einem gewissen Mitleid. Ich habe neulich mit meiner Galerie in England gesprochen, der Cole Freedman Gallery, und irgendwie kamen wir auf König Charles zu sprechen und ich sagte: „Ich würde den Job nicht wollen, das ist der schlimmste Job der Welt.“ Die sagten, das sei ja kein Job, der einem angeboten wird. Ja, stimmt, man wird dazu erzogen, König zu sein. Meiner Meinung nach muss das sehr einengend und unangenehm sein. Selbst wenn du dann jemanden hast, der dich morgens rasiert und anzieht, dann musst du ja auch noch all diese Leute treffen und ihnen die Hand schütteln. Und wenn du auf Verschwörungsmythen stehst, was weiß Gott, was dann da noch alles läuft, hahaha.

Angeblich hat ganz England getrauert, als letztes Jahr Queen Elizabeth starb. Du auch?
Ich glaube, die Engländer mögen so etwas. In England gibt es gerade so eine Entwicklung, dass man entweder für oder gegen etwas ist. Auf persönlicher Ebene, für die Familie ist es traurig, dass jemand gestorben ist. Für das Land denke ich, dass es besser ist, eine Monarchie zu haben als einen gewählten Präsidenten oder obersten Repräsentanten, denn dann wäre es meiner Meinung nach jemand Korruptes, es wäre wahrscheinlich Tony Blair und damit jemand, den ich wirklich nicht mag, und das sage ich als Labour-Wähler. Wenn ich mich politisch einordnen sollte, würde ich mich wahrscheinlich als Mitte-links bezeichnen, aber viele Leute von Mitte-links würden mich für einen Rechten halten, weil ich nicht an viel von dem Unsinn glaube, an den die Linken glauben. Aber andererseits glaube ich auch nicht an den Unsinn, an den die Rechten glauben. Die Rechten würden mich erschießen lassen – und die Linken auch. Das liegt daran, dass ich keiner Doktrin Glauben schenke, ich glaube nicht, dass irgendjemand recht hat. Manche Dinge, die Donald Trump sagte, waren wahr. Aber mag ich deshalb Donald Trump? Nein, ich finde ihn töricht und unangenehm. Anscheinend kann er im persönlichen Umgang auch sehr charmant sein, aber offensichtlich ist er ein komplett narzisstischer Soziopath. Aber an solche Leute bin ich gewöhnt, weil mein Vater und meine Mutter auch welche waren. Ich glaube also nicht, dass Donald Trump nicht auch etwas Vernünftiges zu sagen hat, selbst wenn das auf die Mehrheit seiner Äußerungen nicht zutrifft. Ich finde auch, dass John Lydon ein paar vernünftige Dinge sagt, empfinde ihn aber sonst als sehr unangenehm. Das heißt aber ja nicht, dass er nicht auch Richtiges tun und sagen kann. Das Problem bei solchen Ikonen ist, dass sie die Neinsager in ihrem Umfeld schon vor langer, langer Zeit aus dem Weg geräumt haben. Das tun Popstars auch. Wenn du dir den Film „Elvis in Las Vegas“ ansiehst, Elvis mit seiner Truppe, dann empfindest du Mitleid mit dem armen Kerl, denn diese Leute lachen immer über alles, was er sagt, auch wenn es nicht lustig ist. Das muss total unerträglich sein. Wenn ich Leute treffe, die sich für Billy Childish interessieren oder ein Fan von mir sind, dann habe ich kein Problem damit, wenn sie das im Gespräch mit mir komplett vergessen können. Ich interessiere mich nicht wirklich für Billy Childish, denn das ist ein Konstrukt von irgendwelchen Medien. Und dann denken die Leute, dass sie dich kennen, weil du teilweise in der Öffentlichkeit stehst. Aber sie kennen dich nicht wirklich. Du befindest dich also in einer Art Niemandsland. Mir passiert es nicht oft, weil ich nicht so berühmt bin, aber ein oder zwei Mal pro Show erlebe ich das, weil wir uns nicht verstecken und mit den Leuten reden. Die meisten Leute, die wir treffen, sind echt okay. Aber richtige Fans sind es, die für mich viel zerstören. Bob Dylan ist gut darin, sich abzuschotten. Er hat versucht, sich selbst zu schützen, und sich geweigert, so zu sein, wie man ihn haben wollte. Vielleicht hat er deshalb den Papst besucht, haha.

Ich mache ein Fanzine, das kommt von „Fan Magazine“. Das Wort Fan kommt allerdings von Fanatiker und das ist meiner Definition nach keine gute oder vernünftige oder positive Person.
Ja, das Wort Fan impliziert, dass man sich zu sehr in etwas hineingesteigert hat. Ich verstehe das, und ich war ein großer Fan von van Gogh und Jimi Hendrix. Ich bin mit Richard Hell ziemlich gut befreundet. Ich hatte vor langer Zeit mal eine gemeinsame Lesung mit ihm und fühlte mich wie gelähmt, ihm persönlich zu begegnen, weil ich einst sein erstes Album so sehr bewundert habe. Richard ist ein wirklich guter, bodenständiger Kerl, der hat keine Star-Allüren, der war ganz normal. Ich habe mich vor kurzem mit Richard unterhalten und er hat mir ein Video von einer sehr frühen TELEVISION-Aufnahme geschickt, das war noch vor Tom Verlaines Tod kürzlich. Wir haben über Musik geplaudert, darüber, dass wir auf dem neuen CTMF-Album seinen Song „Love comes in spurts“ covern, und er sagte zu mir, er werde dafür sorgen, dass auf seiner Beerdigung nur meine Lieder gespielt werden, das habe er seiner Freundin schon gesagt. Das ist wirklich gut. Jedenfalls ging es eigentlich um das TELEVISION-Video, das er mir geschickt hatte, und er sagte, so wie in diesem Video habe damals Malcolm McLaren sie erlebt. Daraufhin habe McLaren ihn, Richard Hell, nach England holen wollen, um daraus das zu formen, was er später mit den SEX PISTOLS gemacht hat. Ich sagte zu Richard: „Da bist du der Kugel aber gerade noch mal ausgewichen.“ Richard hatte auf McLarens Pläne keine Lust. Ich erinnere mich, wie McLaren mal über Richard Hell schimpfte 1977, weil der nicht wollte, wie er wollte. Aber hör dir mal das erste Album der VOIDOIDS an, da kamen die SEX PISTOLS nicht einmal annähernd ran. Es ist einfach fantastisch, diese VOIDOIDS-Album. Es ist kein Punkrock, es steht für sich selbst. Das SEX PISTOLS-Bootleg „Spunk“, das war gut. Aber das richtige Album, auf das wir damals die ganze Zeit gewartet hatten, kam ein Jahr zu spät heraus. Ich habe es nie gekauft. Ich hatte nur das Bootleg, wahrscheinlich habe ich es noch irgendwo. „Spunk“, was für ein toller Titel, viel besser als „Never Mind The Bollocks“. „Spunk“ [Sperma, Wichse – der Autor] – das war es, was die SEX PISTOLS von sich gaben.

Wir sprachen von Ruhm ...
Ruhm, jemand sein zu müssen, ist ein sehr zweischneidiges Schwert. Ich kenne einige berühmte Leute und mit manchen habe ich mich zerstritten, weil ich mich nicht auf ihre Spielchen einlasse. Ich nehme die Leute so, wie sie sind, und gebe nichts auf ihren Ruf. Manche von diesen Leuten wissen das zu schätzen, weil die sonst von allen umschmeichelt werden. Andere sind diese ständige Umschmeichelung so gewohnt, dass sie nur noch auf Bewunderung wirklich gut reagieren, nicht auf normale menschliche Zuwendung. Als diese Sache mit Jack White passierte, konnte ich mich nicht mal mit ihm unterhalten. Er war verärgert über einige Dinge, die ich gesagt hatte. Ich habe anfangs versucht, mich zu entschuldigen, aber ich konnte ihn telefonisch nicht erreichen. Also habe ich ihm eine Nachricht hinterlassen und gesagt: „Weißt du, zwei Millionen Menschen halten dich für brillant. Keiner weiß, wer ich bin. Warum muss ich ein Fan sein? Wen kümmert es, was ich denke? Wen kümmert es, wenn ich nicht mag, was du machst?“ Ich mag es überhaupt nicht, wenn Leute zu mir kommen und mir zeigen, was sie gemacht haben, und mich fragen, ob es mir gefällt. Ich sage dann immer: Wenn es mir nicht gefällt, ist es wahrscheinlich gut.

Ich schätze, im Fall von Jack White war es so, dass er dich bewundert, dich für einen großartigen Musiker und Künstler hält, und da hat es ihn getroffen und verletzt, dass dir nicht gefällt, was er macht. Ich schätze, so hat er dir seine Wertschätzung gezeigt.
Ja, aber MUDHONEY und solche Leuten wussten, dass ich nicht mochte, was sie machen, und es war ihnen egal, weil wir einfach Freunde sind, aber sie sind vielleicht ein bisschen reifer. Die Geschichte darüber, wie es damals zu dem Streit mit Jack White kam, ist eigentlich ganz interessant, weil auch Bob Dylan vorkommt. Ein sehr großes Magazin [GQ – der Autor] in den USA hatte ein Interview mit mir gemacht, ich wusste nicht mal, dass es so groß ist. Sie haben einen sechsseitigen Artikel über mich geschrieben, weil der Redakteur mich mochte und einer der Autoren auch. Ich hatte Eddie Vedder gefragt ob ich es machen soll, und der sagte ja. Eddie ist ein netter Kerl, auch wenn ich mir seine Musik nicht anhöre. Jedenfalls wollten die von dem Magazin wohl von ein paar Leuten Zitate über meine Musik, und so sollte Bob Dylan was über die HEADCOATS-Coverversion von „Ballad of Hollis Brown“ sagen. Sie versuchten es, und Bob antwortete nicht, vielleicht lief ja gerade was Spannendes im Fernsehen. Und warum sollte er auch? Was zum Teufel sollte es ihn auch kümmern, was irgendein Idiot in England für eine Version von seinem Song macht? Also kamen sie auf die Idee, Jack White zu fragen, der hatte mich mal als seinen Helden bezeichnet. Also sprachen sie Jack White an und Jack sagte, er kenne mich nicht wirklich. Das machte die Journalisten wütend, denn sie wussten, dass er mich kennt. Also haben sie Spielchen gespielt, und damals hatte Jack gerade diesen Coca-Cola-Werbespot gemacht und die wollten ihn ein bisschen auf die Schippe nehmen. Das alles wusste ich damals natürlich nicht, das erfuhr ich erst später. Und dann sagten sie zu mir: „Wir haben diesen Jack White auf dich angesprochen und wollen nun wissen, was du von Jack White hältst, du weißt schon, er ist ein sehr charismatischer Künstler.“ Und ich sagte, nun ja, ich finde ihn nicht sehr charismatisch, was er macht, ist nicht so mein Ding. Und ich habe gesagt, dass wir als Band immer versuchen, den Abstand zwischen uns und dem Publikum möglichst gering zu halten – und die WHITE STRIPES wollen ins Stadion. Ich sagte, wir wollen etwas ganz anderes, denn die von dem Magazin haben versucht, eine Ähnlichkeit zwischen mir und Jack zu suggerieren. Nun, all das wurde gedruckt, und deshalb ist Jack aus seinem Kinderwagen aufgestanden und hat sich ein bisschen aufgeregt, was für ein Arschloch ich doch bin. Als ich das mitbekam, habe ich sofort versucht, ihn anzurufen, weil ich seine Nummer noch hatte, weil es mit ihm und mir anfangs ja gut lief. Als ich ihn das erste Mal traf, fragte er mich, ob ich mit ihm bei Letterman auftreten und einen Song singen würde. Ich sagte, das würde davon abhängen, was für einen Song wir spielen würden. Da hat er, glaube ich, gemerkt, dass ich vielleicht doch nicht so ganz sein Typ bin. Bruce hatte ihm damals ja die ganze Ausrüstung geliehen, als sie mit uns in London gespielt haben. Bruce mag ja auch LED ZEPPELIN und solche Sachen, was ich nicht tue. Bruce mag Rockmusik. Und Bruce mag Leute, die etwas mehr aus sich rausgehen, er ist eher der Party-Typ. Nun, ich bin das nicht und es interessiert mich auch nicht. Als wir mit den HEADCOATS damals mit MUDHONEY auftraten in Reading und so, wurden wir backstage eingeladen, um mit HOLE und so rumzuhängen. Ich machte da nicht mit, ich habe lieber eine Tasse Tee getrunken. Ich mag auch keine Festivals. Ich will nicht backstage rumhängen. Wenn ich es aber doch mal mache, verstehe mich aber erstaunlicherweise mit einigen Leuten. Es ist immer wieder erstaunlich, dass es doch immer jemand mit einem guten Sinn für Humor gibt, mit dem ich mich über alles lustig machen kann. Eleanor Roosevelt sagte mal: „If you’ve got nothing nice to say, come and sit with me.“

THEE HEADCOATEES waren so was wie das weibliche Äquivalent zu den HEADCOATS. Gab es einen feministischen Aspekt bei der ganzen Sache?
Nein, denn ich interessiere mich überhaupt nicht für Feminismus. Als ich 1977 Teil der Punkrock-Bewegung war, waren dort Frauen vertreten mit Bands wie SLITS. Mit meiner Band THE POP RIVETS spielten wir in der Schweiz mit KLEENEX und TNT, die eine Sängerin hatten. Ich war ein großer Fan von X-RAY SPEX und Poly Styrene, ich war 17 und traute mich, sie anzusprechen. Und wir sprachen mit Siouxsie Sioux, die war auf allen Shows. Niemals wäre es mir damals in den Sinn gekommen, dass eine Frau nicht das tun könnte, was sie will. Ich kam damals also gar nicht auf die Idee, dass Frauen in der Szene unterrepräsentiert sein könnten. Dass das der Fall war, wurde mir erst klar, als vorletztes Jahr das Buch über THEE HEADCOATEES erschien [Saskia Holling „Girlsville: The Story of The Delmonas & Thee Headcoatees“, 2021]. Auch meine Frau Julie spielte einst in den USA in einer All-Girl-Group, sie war Schlagzeugerin bei THE STUCK UPS. Als Julie dann nach England kam, war sie mit Kyra und zwei anderen Frauen in THE A-LINES, die haben auch ein Album aufgenommen. Die Sache mit THEE HEADCOATEES kam so: Ich und Mick Hampshire waren große Fans der SHANGRI-LAS und von The Duchess aus der Band von Bo Diddley. Meine absoluten Lieblingssängerinnen sind Billie Holiday und Bessie Smith. Und ich konnte mir also nicht vorstellen, dass Frauen nicht involviert sein sollten. Damals also hatten Sarah, die damals meine Freundin war, und ich die Idee, eine weibliche Backing-Band zu gründen. Das führte zu THE DELMONAS. Hilary von den DELMONAS, die Big Russ’ Freundin war, hatte eher eine feministische Sicht der Dinge, Sarah aber überhaupt nicht. Und bei THEE HEADCOATEES hatte möglicherweise Debbie feministische Ideen, aber sie hat sie nie geäußert. Kyra, die damals meine Freundin war, stammt aus einer kommunistischen Familie in Flandern, ihr Großvater war einer der Anführer des Widerstands in Westflandern, ihre Großmutter eine hoch dekorierte jüdische Widerstandskämpferin. Ihr Großonkel war sogar ein Berater von Lenin. Aber auch von Kyra habe ich damals nie wirklich explizit feministische Äußerungen vernommen. Meine Frau Julie betrachtet sich selbst als selbstbestimmte Person, würde ich sagen. Und einer der Gründe, warum wir mit den POP RIVETS damals bei den Punks der zweiten Generation nicht beliebt waren, war, dass wir keine politische Agenda hatten.

Wie nahmst du denn in dieser Hinsicht die frühe Punk-Szene war?
Ich wuchs mit der Musik von Joe Strummer auf, ich war auf den Konzerten der frühen Punkrock-Szene. Joe Strummer und Mick Jones sprachen mich und mein Freund – der Typ, der mich Billy Childish nannte – damals mal an, weil wir mit einem schwarzen Typen zusammen rumhingen, der eine Hakenkreuz-Armbinde trug. Gabriel, so hieß er, war einer von nur ein paar schwarzen Kids damals. Joe und Mick also kamen rüber und rissen ihm diese Hakenkreuz-Armbinde ab. Wir haben Joe dann besänftigt, er solle ihn in Ruhe lassen. Ich habe mich damals nie für die Socialist Workers Party oder linke oder linksextreme Politik interessiert. Ich hatte später Probleme mit einer feministischen Gruppe auf der St. Martin’s Kunstschule, weil ich denen nicht politisch genug war. Ich war nicht daran interessiert, bei Aufmärschen mitzulaufen. Ich verließ St. Martin’s, und als dann da mal jemand nach mir fragte, hieß es „Ja, das war der Typ, der ein bisschen faschistisch war.“ Das kam aber nur daher, weil ich nicht zu den Aufmärschen gegen die Rechten mitgegangen bin. Weißt du, mein Vater war damals im Gefängnis und ich hatte eine Menge persönlicher Probleme. Ich war einfach mehr mit mir selbst beschäftigt. Ich erinnere mich aber, dass Holly und Sarah von THEE HEADCOATEES mal in einem Interview nach feministischen Themen gefragt wurden und die beiden dann nur über Kochen und Bügeln sprachen. Einfach um jeden Versuch, sie als Feministinnen hinzustellen, zu durchkreuzen. Ich habe grundsätzlich ein Problem mit dem Verständnis von Unterrepräsentation. Warum willst du in so einem Kontext vertreten sein? Wenn du als Frau versuchst, in einer Institution weiterzukommen, die so gegen Frauen eingestellt ist, das muss frustrierend sein. Ich würde doch gar nicht erst in dieser Institution weiterkommen wollen. Ich verstehe also die Motivation nicht wirklich. Weißt du, ich bin schon mit so vielen Dingen konfrontiert worden, mit sexuellem Missbrauch und so weiter. Ich weiß, dass Männer ziemlich unangenehm sein können. Daran gibt es keinen Zweifel. Ich habe aber auch viele unangenehme Frauen kennen gelernt. Um also noch mal auf deine ursprüngliche Frage zu sprechen kommen ...

Danke.
Wenn du dir anschaust, was wir machen und woran ich beteiligt bin, dann gibt es keine gesellschaftliche oder politische Agenda. Auch wenn das natürlich als solche interpretiert werden kann. Als Saskia, die Frau von Big Russ von THE POP RIVETS, also dieses Buch über die HEADCOATEES schrieb, tat sie das aus der Perspektive, dass Frauen in der Musik unterrepräsentiert sind. Ich habe zwar nicht das ganze Buch gelesen, aber was auf jeden Fall darin hätte vorkommen sollen, war ein Zitat von mir, als ich in einem Interview in Europa gefragt wurde, ob die HEADCOATEES ihre eigenen Songs spielen würden. Ich antwortete damals, die HEADCOATEES könnten ja nicht einmal ihre eigenen verdammten Schnürsenkel binden. Ich fand das ein gutes Zitat, aber natürlich gibt es in dieser Welt keinen Platz für Humor. Sowieso entwickelte sich das damals mit den gemeinsamen Touren von HEADCOATS und HEADCOATEES so, dass die Party immer erst bei den Frauen losging. Und was mich immer sehr amüsiert hat: Es gab Leute, die sagten, ihnen hätten die HEADCOATEES besser gefallen als die HEADCOATS. Und ich sagte: „Ich bin selbst bei den HEADCOATEES, du Idiot!“ Weißt du, wenn du einen Witz machst oder nicht voll in die politische Agenda deines Gegenübers einsteigst, nimmt diese Person an, dass du wütend oder verbittert bist, weil sie es auch wäre. Dann wirst du als Feind angesehen, wenn du nicht mit ihnen übereinstimmst. Das ist der Grund dafür, dass wir es jetzt mit diesen extremen politischen Positionen zu tun haben. Wenn ich eine politische Agenda hätte, wäre es wahrscheinlich eine Art linkes Utopia. Und wenn ich für eine linke Utopie kämpfen würde, würde ich die Rechten ermutigen, diese so weit wie möglich zu unterdrücken. Vielleicht sollte man also etwas dazwischen anstreben ... aber das ist ziemlich wischiwaschi, glaube ich. Im Grunde finde ich all diese Diskussionen ziemlich langweilig.

Ich habe eine letzte Frage. Deine Heimatstadt Chatham hat speziell in den letzten Jahren in deiner Musik, deinen Texten eine große Rolle gespielt hat. Warum?
Nun ja, wir hatten wahrscheinlich einen gewissen Einfluss auf die Idee, dass man sich auch mit einer Müllhalde identifizieren kann. Lange Zeit gab es keinen guten Grund, mit Chatham in Verbindung gebracht zu werden, aber wir haben es einfach getan. Ich glaube, es entstand aus der Idee heraus, die Tatsache zu akzeptieren, dass es eine verkommene einstige Marinebasis ist. Und genau da kommen wir her. Und das war’s auch schon. In Chatham gibt es eine konservative Arbeitergegend im Süden und eine reiche Gegend im Norden. In meiner Familie hatten alle mit der Royal Navy oder den Docks zu tun. Nur dass mein Vater ein selbsternannter Verrückter war, der all dem zu entkommen versuchte. Wir hatten auch in Sachen Chatham keinen wirklichen Plan. Wir kommen von hier, das ist einfach eine Tatsache. Ich wollte nie wirklich in London leben, weil es zu teuer ist. Aber London ist nicht weit, und Europa auch. Ich interessiere mich für militärische Dinge, auch Geschichte interessiert mich sehr. So sehr, dass einige Leute der Meinung sind, ich sei davon besessen, genau wie mir eine Besessenheit in Sachen Bob Dylan und Spiritualität und Zweiter Weltkrieg und Garage-Music unterstellt wurde. Ich habe immer schon hier gelebt, in Rochester. Die Rede ist immer von den fünf Medway Towns. Insgesamt gibt es fünf Städte am Medway, die Werften spielten immer eine große Rolle. Ich wohne im Haus von Oswald Short, der die große Fabrik hinter unserem Haus gebaut hat, in der die Short-Flugboote und -Wasserflugzeuge gebaut wurden. Das hat alles irgendwie mit meinem „Projektdenken“ zu tun. Ich mache mir also gerne einen Reim auf die Dinge, um mich zu beschäftigen. Und so finde ich immer neue Themen – einfach weil sie da sind. Es gibt keine wirkliche Agenda. Hier komme ich her, da lebe ich und da kommt meine Familie her. Und ich habe beschlossen, dass man das genauso gut verherrlichen kann wie alles andere, aber nicht im Sinne von religiöser Verehrung. Sondern in Verbindung mit einer gesunden Abneigung gegen vieles.

Ich bin neulich auf deinen Song „Das Lied der Kriegsmarine“ gestoßen ... was hat es damit auf sich?
Ich erinnere mich daran, wie wir damals mit den POP RIVETS nach Hamburg kamen und ich diese dunkle, düsteren Gefühle mochte, das Gefühl für Geschichte, das mich da an vielen Orten überkam. Der THE WILLIAM LOVEDAY INTENTION-Song „Das Lied der Kriegsmarine“ entstand aus diesen Eindrücken, später gab es eine andere Version namens „The song of the Medway“. Die von meiner Berliner Galerie warnten mich dann, ich müsse vorsichtig sein, denn Kriegsmarine bedeute speziell die Nazi-Marine. Ich sagte: Das ist noch besser. Ich singe da „Across the Elbe where the Bizmark grew / A bombed out pub – tramps sleep in their own piss and spew / A sailor’s cock in a hurrid hand / Die politzi common better grab your pants“. Es geht um besoffene Matrosen und Tripper und Huren und zerbombte Gebäude. Im Grunde darum, wie das Hamburger Hafenviertel aussah, als wir 1979 dort spielten. Da liefen überall zweifelhafte Gestalten rum, und dann war da dieser kleine Punkrock-Club unten am Hafen und überall die Autos, die herumfuhren auf der Suche nach Prostituierten. Das war eine wirklich seltsame Atmosphäre. Der Song musste diese Dunkelheit und diese Geschichte aufgreifen: „Scabs on sailors – the scabs of war / Bombed out buildings and quest for the whore / A stringent ointment to dress all your sores / You’ll be glad you never saw what the buttler saw / I’m singing the song of the kriegs marine / They come 6 abreast one dressed as a queen / Caught in the ally – her bobbing head / Like the bobbing dead declared obscene“. Und weiter: „Baggy legged sailors dressed all in blue / Pissing Gomorrah where there fire storm blew / A cute little box but beware the pox / Better hold onto your hats, your balls and your cocks“. Gomorrah bezieht sich auf die Bombardierung Hamburgs im Zweiten Weltkrieg, auf den Feuersturm. Gomorrah war der Codename dafür. „Wir pissten Gomorrah“, das heißt so viel wie, du pisst Feuer. Und „süße kleine Kiste“, na ja, das ist in der Umgangssprache „Fotze“. Hüte dich vor den Pocken! Haltet eure Hüte, eure Eier und eure Schwänze fest! „Lined up on the bar 10 iced corn shots / The cooks boiling socks in the porridge pots / The rains coming down in the Hamburg docks / The rains coming down in the Hamburg docks / So sing the song of the kriegsmarine / Better hold onto your hats your balls and your cocks“. Das Lied ist wie meine Version von „Amsterdam“ von Jacques Brel. Und in der Medway-Version des Lieds geht es dann um die Docks auf der anderen Seite des Medway, wo die HMS Victory gebaut wurde. Mir gefällt einfach die Vorstellung, dass die Victory in Chatham gebaut wurde, und auch die Temeraire. Und während ich mit dir spreche, kann ich von hier aus den Fluss sehen und die Autobahnbrücke, die nach London führt. Neulich sprach ich mit meiner Tochter und sagte: „Stell dir vor, vor 2000 Jahren hat der römische Feldherr Claudius gerade seine Kampftruppen nach Britannien herübergebracht, und sie hatten Kampfelefanten, die wahrscheinlich unterhalb von da, wo wir wohnen, am Fluss entlang liefen. Sie mussten den Fluss überqueren, um mit den Briten zu kämpfen, hier hat eine große Schlacht zwischen Claudius und den Briten stattgefunden.“ Ich finde es einfach faszinierend, was die Menschen so alles anstellen. Und wenn ich woanders leben würde, gäbe es andere Geschichten.

Du wirkst wie ein Gelehrter, der sich alles im Selbststudium beigebracht hat.
Ich habe nie eine formale Ausbildung genossen, ich wurde im Grunde genommen dazu erzogen, in der Werft zu arbeiten. Ich ging mit 16 als Legastheniker von der Schule ab. Ich habe also keinerlei Bildungshintergrund, aber ich habe mich schon immer für diese Dinge interessiert. Als ich 14 war, habe ich auf eigene Faust Archäologie betrieben, weil hier in der Nähe einst römische Töpferwaren in den Sümpfen hergestellt wurden. Ich mochte „I, Claudius“ sehr, eine britische TV-Serie von Mitte der Siebziger. Da war ich schon Punkrocker, und bevor ich von meinen Freunden den Spitznamen Billy Childish kam, war mein Punkname Gus Claudius, weil ich den Roman von Robert Graves, der der Serie zugrunde liegt, wirklich sehr mochte. Alle Punkrocker hatten coole Namen. Meine Mutter hatte mich Gus genannt, als ich ein Kind war, und Gus kommt von Augustus, also Gus Claudius. Da kommt das alles her. Auch die Sache mit den Chatham Forts kommt daher, dass ich mit 14 Jahren zusammen mit meinem Freund die örtlichen Festungsanlagen erkundet habe. Es war für mich immer alles nur ein Spiel. Und deshalb tauge ich weder als politischer Aktivist noch als Anführer von irgendwem.

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Diskografie

„Headcoats Down!“ (LP, Hangman, 1989) • „The Earls Of Suavedom“ (LP, Crypt, 1990) • „The Kids Are All Square- This Is Hip!“ (LP, Hangman, 1990) • „Beach Bums Must Die“ (LP/CD, Crypt, 1990) • „Heavens To Murgatroyd, Even! It’s Thee Headcoats! (Already)“ (LP/CD, Sub Pop, 1990) • „W.O.AH! Bo In Thee Garage“ (LP, Hangman, 1991) • „Headcoatitude“ (CD/LP, Shakin’ Street, 1991) • „The Good Times Are Killing Me“ (LP/CD, Vinyl Japan, 1993) • „Thee Headcoats Conundrum“ (LP/CD, Hangman’s Daughter, 1994) • „In Tweed We Trust“ (LP/CD, Damaged Goods, 1996) • „Deerstalking Men“ (LP/CD, Hangman’s Daughter, 1996) • „Knights of the Baskervilles“ (LP/CD, Birdman, 1996) • „The Jimmy Reed Experience“ (LP, Get Hip, 1997) • „The Messerschmitt Pilot’s Severed Hand“ (LP/CD, Damaged Goods, 1998) • „Brother Is Dead... But Fly Is Gone!“ (LP/CD, Vinyl Japan, 1998) • „17% - Hendrix Was Not The Only Musician“ (LP/CD, Sympathy For The Record Industry, 1998) • „Ready Sect Go!“ (LP/CD, Vinyl Japan, 1999) • „I Am The Object Of Your Desire“ (LP/CD, Friends Of The Buff Medway Fanciers Association, 2000) • „Head Box“ (4CD Box, Damaged Goods, 2022) • „Irregularis (The Great Hiatus)“ (LP/CD, Damaged Goods, 2023)