TOXOPLASMA

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Die frühen Jahre

Die 1980 in Neuwied gegründeten TOXOPLASMA sind für mich immer noch eine der besten deutschen Punkbands. Und es sind nicht nur die alten Songs wie „Asozial“ oder „S.O.S.“, die mich begeistern, obwohl ihre erste LP aus dem Jahr 1983 bis heute zu den Dauerbrennern in meiner Anlage gehört. Die Band um die Gründungsmitglieder Wally (voc) und Stefan (bs) sowie aktuell Thomas (gt) und Spiro (dr) ist genauso wie damals ein Garant für politischen Punk und geniale Konzerte. Wir unternehmen mit Wally eine Zeitreise zurück in die Achtziger Jahre, sprechen über die Tour mit BAD BRAINS und die Gründe für die erste Reunion 1989.

Wie bist du damals auf Punk aufmerksam geworden?

Das war Ende der Siebziger Jahre. Es war die Musik von THE CLASH, STIFF LITTLE FINGERS, VIBRATORS, X-RAY SPEX, die mich geflasht hat.

Was bedeutete Punk damals für dich – und wie ist das heute?
Was soll ich da groß sagen? Damals war es die Rebellion, die klare Absage an vorgegebenen Normen und Regeln. Der Boykott von Elternhaus, Schule und dem vorgeplanten Werdegang. Das übliche spätpubertäre Spektakel, wenn einem das aufgezwungene System extremst auf den Sack geht. Das Ganze mit entsprechendem Playback. Heute ist es nicht viel anders. Mit „Punk“ als Lebensentwurf bin ich eigentlich immer ganz gut gefahren, nur dass anstelle des totalen Boykotts Alternativen zu Lebensgestaltung dazugekommen sind. Punk ist DIY. Das bedeutet für mich, sich nicht nur nach Lust und Laune optisch zu verhunzen, sondern auch einen eigenen, relativ systemunabhängigen Lifestyle zu fahren, ohne dabei abhartzen zu müssen. Aber ehrlich gesagt, es interessiert mich heute echt einen Scheiß, in welche Schublade man das packt ... Die Liebe zur Punkmusik ist geblieben, wobei mich der neue Kram weniger interessiert. Ich höre weitgehend meine alten Tapes und bin froh dabei. Wenn auch mittlerweile als mp3.

Wer von euch hatte die Idee, eine Band zu gründen?
Es war Stefans Idee. Er meinte, wir sollten eine Band gründen. Ich war eher skeptisch, da mein musikalisches Selbstbewusstsein in der Schule durch erzwungenen Flötenunterricht und inkompetente Musiklehrer komplett geschreddert wurde. Ich lamentierte, dass wohl keiner von uns in der Lage wäre SEX PISTOLS oder THE CLASH nachzuspielen, da wir nie zuvor ein Instrument in der Hand hatten. Er lachte und sagte, das müssen wir auch nicht, wir machen ja eigene Songs! Ho, ein ganz neuer Ansatz! „Okay, dann singe ich!“, sagte ich dummerweise, um mir das Fingerverbiegen an irgendwelchen dubiosen Instrumentenhälsen zu ersparen. Heute finde ich, dass Gitarrist zu sein cooler und weitaus entspannter ist als der Brüllaffe.

Wer hatte die Idee zu eurem Namen?
Der Name ist von mir. Ich war zur Gründungszeit wegen Toxoplasmose ziemlich lange im Krankenhaus. Da mein Körper im Gegensatz zum Rest der Menschheit keine Abwehrstoffe produzierte, breiteten sich die Bazillen ungehemmt in meinem Lymphsystem und Gehirn aus – während ich zu einer medizinisch hochinteressanten Laborratte mutierte.

Du sprachst eben davon, dass ihr eigene Songs machen wolltet, statt nur Cover zu spielen. Welche Bands haben euch im weitesten Sinne beeinflusst?
Das waren vor allem die Bands dieser Zeit. Egal ob von hier, der Insel oder aus den USA. Wobei ich nicht weiß, ob man da überhaupt von Einflüssen sprechen kann, da wir nie versucht haben, deren Musik zu kopieren. Dazu wären wir auch gar nicht in der Lage gewesen. Insofern haben wir unseren eigenen Stil finden müssen, um uns musikalisch auszudrücken. Das ging ja dann auch irgendwie. Was mich allerdings sehr beeindruckt hat, das waren deutsche Bands wie BUTTOCKS, speziell „BGS GSG“, oder MIDDLE CLASS FANTASIES mit „Helden“. Das sind bis heute grandiose Werke der deutschen Punkmusik!

Wie sah die Punk-Szene in deiner Heimatstadt aus?
Neuwied hatte schon Ende der Siebziger Jahre eine relativ große und auch kreative Szene. Dabei ist Neuwied bis heute noch ein Kaff. Ein autonomes Zentrum? Dass ich nicht lache! So was gab es nie und wird es dort auch niemals geben. In den Siebzigern gab es die Schlossklause, vor der auch in den Schulen gewarnt wurde, wegen Hasch und so – später gleicher Laden als Ideal. Oder bis Mitte der Achtziger das Flop. Das waren Läden, wo Punkmusik lief und wo wir weitgehend Frieden hatten. Und ein Haus der Jugend gab es auch, städtisch verwaltet und sozialpädagogisch beaufsichtig. Mit Tischtennis, Malkursen und so. Als Punk bist du da mal besser nicht rein. Es sei denn, du wolltest Ärger. Überhaupt ist man zu der Zeit als Punk nicht mal gerade in irgendeinen Laden gegangen, ohne Stress mit Rockern oder Bauern zu bekommen. Die seltenen Konzerte fanden in irgendwelchen Läden in der Umgebung oder im tiefsten Westerwald statt. Immer alle auf Alarmstufe Rot.

Und wo konntet ihr dann proben?
Im Keller von Frau Leitzbach. Das war die Mutter von Markus. Den kannten wir gut. Wir probten da samstags. Die Woche über war ich nicht in Neuwied.

Ihr wart 1982 auf dem „Underground Hits“-Sampler von Aggressive Rockproduktionen vertreten, wo auch 1983 eure erste LP erschienen ist. Wie ist Labelchef Karl Walterbach auf euch aufmerksam geworden?
Wir hatten einige von unseren Demotapes, die wir 1981 aufgenommen hatten, in Berlin verkauft. Davon hat Karl Walterbach eins in die Finger bekommen und uns dann wegen des „Underground Hits 1“-Samplers angerufen. Kurze Zeit später haben wir dann die Platte da aufgenommen. Ich kann mich noch gut an Karl erinnern und wie er ausgerastet ist. Er kam irgendwann ins Studio und fand vier halbtote Gestalten vor. Wir waren schon zwei oder drei Tage da, hatten aber ausschließlich gefeiert und es war noch kein Ton auf dem Band. Karl schrie und gestikulierte herum wie ein Berserker. Dabei hat er sich den Kopf am Türrahmen gestoßen und blutete stark am Kopf. Es kann sein, dass mir die Erinnerung jetzt einen Streich spielt, aber ich glaube, er hatte sogar Schaum vor dem Mund. Die Aufnahmen hat Harris Johns mit einer stoischen Ruhe und Geduld in seinem Music Lab gemacht. Ohne ihn wäre das sowieso nichts geworden. Ich glaube, er nimmt es mir immer noch übel, dass ich ihm seinen Laden vollgekotzt habe.

1983 seid ihr mit BAD BRAINS auf Tour gegangen. Wie habt ihr sie in Erinnerung? Und welche Konzerte waren noch besonders?
Ich weiß nicht, also solche mit DEAD KENNEDYS oder BAD BRAINS waren schon beeindruckende Erlebnisse. Peinlich wäre es fast bei BAD BRAINS geworden. Wir hatten schon Wochen vor der Tour „Big take over“ geprobt und wollten dann den Song vor denen mal so „lässig aus der Hüfte schütteln“. Als BAD BRAINS dann vor dem ersten Konzert im Hannover Soundcheck gemacht hatten, spielten sie diesen Song an. Keiner von uns hatte bis dahin ein derartiges Hardcore-Brett in solch einer virtuosen Brachialität um die Ohren gedonnert bekommen. Was für ein Sound! Was für eine Gewalt! Dazu kam noch, dass da keine zerkifften Jungens auf der Bühne standen, sondern ziemlich abgebrühte Typen mit Bodys wie aus Stahl. Das Projekt, diese Band zu covern, war ab da ein für allemal vom Tisch. Labelchef Karl hatte BAD BRAINS an Land gezogen und da wir gerade unsere erste LP am Start hatten, hat er uns mitgenommen. Sicher gibt es eine Menge, woran man sich erinnert, es gibt aber auch Konzerte, wo es wohl besser ist, dass man sie vergessen hat. Ans KuKoZ in Paderborn kann ich mich noch gut erinnern. Das war aber ohne BAD BRAINS. Weniger ans Konzert selbst, eher daran, dass uns die Veranstalter morgens rausgeworfen haben. Das versprochene Frühstück durften wir dann von draußen durch die Scheibe begutachten, während sich die Belegschaft – uns beharrlich ignorierend – darüber hergemacht hat. Arschlöcher!

Wie wurden die Konzerte in einer Zeit ohne Internet organisiert?
Das lief ausschließlich per Post und Telefon. Letzteres eher selten, da Ferngespräche und demnach teuer. Wir haben nie selbst die Läden angequatscht, sondern sind angeschrieben worden. Die Adresse stand ja auf der Platte. Hingefahren sind wir dann mit einer Wegbeschreibung und einer Landkarte auf dem Schoß. Der Prozess von der Anfrage bis zum Konzert hat oft Wochen gedauert, aber wir kannten es ja nicht anders und Zeit hatten wir auch genug.

In eurer Setlist finden sich noch viele Songs aus den Achtziger Jahren. Hast du nach all den Jahren das Gefühl, dass eure Texte immer noch aktuell sind?
Stimmt, irgendwie sind viele Texte von uns zeitlos. Keine Ahnung, hat sich leider so ergeben. Ansonsten sind es wohl auch Sichtweisen, mit denen man sich heute immer noch identifizieren kann, wie zum Beispiel „Asozial“, oder gesellschaftspolitische Skizzen wie „Schwarz, rot, braun“, „Leben verboten“, „Deutsch in Kaltland“, die sich auch im Laufe der Jahrzehnte nicht groß verändert haben. Sicher, es gibt einige Texte, die ich heute nicht mehr schreiben würde. Daher spielen wir diese Songs auch nicht. Überhaupt spielen wir nur Songs, mit denen wir selbst klarkommen. Das wäre ja auch äußerst merkwürdig, wenn es anders wäre.

Punktreffen waren in den Achtziger Jahren in vielen Orten gang und gäbe, wie etwa die Chaostage in Hannover. Warst du selber mal da?
Sorry, nein, Hannover ging mir komplett am Arsch vorbei. Wir waren 1981 oder ’82 in Duisburg auf den Chaostagen. Ich weiß nicht mehr genau wann. Ich habe es als stressig in Erinnerung. Besoffene Punx, böse Bullen. Durchgeknallte Menschenmengen außer Kontrolle. Gar nicht so mein Ding. Stefan ist auch noch eingefahren. Willi Wucher ist dann auf die Wache gelatscht und kam mit ihm irgendwann wieder raus. Jürgen wurde von einem Bullenauto angefahren und flog vom Kühler bis über das Dach der Karre – Stein in die Autoscheibe, Flucht ins Eschhaus ... das ist alles, was ich davon noch im Kopf habe. Das muss ich aber nicht noch mal haben, ich stehe eher auf entspannte Treffen im kleineren Kreis.

Was war der Grund für die Auflösung 1986? Und was war der Anlass für die erste Reunion 1989? Eure 12“ „Monsters Of Bullshit“ erschien ja 1990 wieder auf AGR, zwei weitere Alben auf dem Label folgten.
1986 kamen mehrere Sachen zusammen. Unser damaliger Drummer hatte durch einen Unfall schwere Verbrennungen und lag lange in einer Spezialklinik. In der gleichen Zeit wurde unser Proberaum aufgebrochen und ausgeräumt. Irgendwie war dann die Luft dermaßen raus, dass wir uns danach nicht mehr aufgerafft haben. Ich hatte zwei, drei Jahre später einige Songs alleine aufgenommen, auf Achtspur mit Drummaschine. Das war aber nicht so das Gelbe, daher habe ich die Leute gefragt, ob sie Bock hätten, mir die Instrumentenspuren vernünftig einzuspielen. Dazu kam noch George, der für eine Portion Nasi Goreng Soli dazu spielte und dann bis 1998 blieb. Die ganze Aktion war eigentlich als private Spaßnummer gedacht, letztlich auch wegen dem Drumcomputer. Aber irgendwann haben wir dann doch Karl kontaktet und er hat „Monsters Of Bullshit“ tatsächlich veröffentlicht. Mit diesem Ding sind wir dann in die Neunziger gestartet.

1998 habt ihr die Band wieder aufgelöst, 2004 gab es erneut eine Reunion in Originalbesetzung, bis zwei die Band wieder verließen. Machen die beiden noch Musik, habt ihr noch Kontakt?
Uwe, unser alter Gitarrero, hat eine geile Gitarrensammlung, gute Amps und sich seine Pergola schallisoliert. Er spielt, macht aber wohl nichts Offizielles derzeit. Drummer Harry wohnt in Süddeutschland, zu ihm haben wir keinen Kontakt mehr.

Im Rückblick, wie war es für dich, in den Achtzigern in einer Punkband gespielt zu haben? Und was ist der Unterschied zu heute?
Vom Gefühl her war das eigentlich nichts Besonderes. Wie jetzt auch, nur vierzig Jahre früher. Aber wenn ich mir die alten Videos aus der Zeit anschaue, beschleicht mich das Gefühl, dass da doch irgendwas anders gewesen sein muss. Keine Ahnung – vielleicht liegt es auch nur am verrauschtem Bild der Videokassetten. Zumindest waren wir jünger. Heute ist man froh, wenn man nach dem Konzert, nachdem die Backline abgebaut und verstaut ist, so langsam in die Horizontale kommt. Früher war Party danach. Mein Opa sagte immer: „Früher Tango, heute Fango“ ... Wie scheiße recht er hatte.

Welche Rereleases gibt es aktuell von TOXOPLASMA?
Zur Zeit gibt es ausschließlich die „Demos 81/82“ und neuerdings auch „Leben verboten“, beide auf Vinyl. Das hat Tobi von Twisted Chords angeleiert. Er hat uns vor Ewigkeiten mal bezüglich eines Rerelease der Demotapes von 1981 und 1982 angehauen. Das lief alles gut und unkompliziert, so dass ich ihm auch die „Leben verboten“ zum Verwursten überlassen habe.

Heute wird der Status von Musikerinnen stark diskutiert. Wie männlich/machistisch oder emanzipatorisch hast du die damalige Szene wahrgenommen?
Das war zu der Zeit eher das Thema der Emma-Abonnenten und in unserem Kreis keine Diskussion wert. Zumindest unsere lokale Szene habe ich als ein homogenes und symbiotisches Gemisch aus beiderlei Geschlechtern in Erinnerung. Das hat sich in meinem sozialen Umfeld auch bis heute nicht geändert. Später tauchten merkwürdige Begriffe wie zum Beispiel „Punkette“ auf. Das irritierte mich, waren doch Klassifizierungen wie diese gerade im Punk – der für meinen Begriff nach wie vor geschlechtsunspezifisch ist – kleinkariert und spießig... Wenn wir Toxo-mäßig unterwegs waren, hatten wir äußerst selten Berührungspunkte mit Musikerinnen. Ich glaube sogar, die erste komplett weibliche Band, mit der wir nach über dreißig Jahren Bandgeschichte die Bühne geteilt haben, waren SUCUBUS aus Süddeutschland.

Diskografie
Demo (MC, Self-Release, 1981, Rerelease: 7“, Get Happy, 1995) • Demo (MC, Self-Release, 1982, Rerelease: 7“, Get Happy, 1994) • s/t (LP, Aggressive Rockproduktionen, 1983, Rerelease: ) • Monsters Of Bullshit (LP, Aggressive Rockproduktionen, 1990) • Ausverkauf (LP/CD, Aggressive Rockproduktionen, 1991) • Gut & Böse (LP/CD, Aggressive Rockproduktionen, 1992) • 1994: Leben verboten (CD, Impact, 1994, Rerelease: LP, Twisted Chords 2021) • Split w/ SMALL BUT ANGRY (7“, Impact, 1995) • ... spielen ihre Lieder (Live) (CD, Impact, 1995) • Demos ’82 (7“, Get Happy!!, 1994) • Demos ’81 (7“, Get Happy!!, 1995) • Demos 81/82 (LP, Twisted Chords, 2012) • Köter (LP/CD, Aggressive Punk Produktionen, 2013)