UXA

Foto© by Thomas Seltzer

Happy Tom von TURBONEGRO über KVELERTAK

Es ist vielleicht etwas zu weit hergeholt, wenn man behauptet, ohne TURBONEGRO wäre der Erfolg von KVELERTAK nicht möglich gewesen, aber es ist möglich, dass eine Tour von TURBONEGRO durch das ländliche Norwegen vor zwanzig Jahren die Saat gesät hat, aus der einige Zeit später KVELERTAK hervorgingen. Vor allem aber waren TURBONEGRO in den späten Neunzigern und frühen Zweitausendern jene norwegische Rockband, die überhaupt – jenseits von Black Metal – ihrer Heimat ein Fähnchen auf der Rock’n’Roll-Landkarte verschaffte. Thomas „Happy Tom“ Seltzer von TURBONEGRO, im realen Leben norwegischer Starjournalist, diskutiert mit uns über damals und heute.

Tom, du bist mir zuletzt, auch wegen deines Posts dazu auf dem TURBONEGRO-Profil, mit deiner TV-Dokuserie „UXA – Thomas Seltzer’s America“ aufgefallen. Es war zu TURBONEGRO-Hochzeiten ein kleines Geheimnis, dass du eigentlich für das norwegische Fernsehen NRK arbeitest. Was war damals dein Job? Was ist es jetzt?

Ich betreute damals eine TV-Gameshow bei NRK, dem norwegischen Pendant zur BBC. 2015, als das mit dem Brexit losging und Trump seine Kandidatur ankündigte, dachte ich mir, da passiert gerade was. Also begann ich einen Dokumentarfilm darüber zu drehen. Mein Vater stammt gewissermaßen aus der US-amerikanischen „Prärie“ und ich habe drüben viele Cousins und Cousinen, mit denen ich mein ganzes Leben lang engen Kontakt hatte. Als wir Kinder waren in den Siebzigern, gehörten wir alle noch zur Mittelschicht. Und dann, als wir älter wurden, wurde aus ihnen die Unterschicht in den USA. Ich dagegen hatte mein gutes Leben in Norwegen. Im Grunde geht es in der Doku darum, dass die Mittelschicht in Amerika verschwunden ist, weil der Kapitalismus außer Kontrolle geraten ist. Über vierzig Jahre Reaganismus und die Finanzkrise haben dafür gesorgt. Ich glaube, die Menschen in Europa wissen nicht, wie hart das die USA getroffen hat. 10,5 Millionen Haushalte haben damals ihr Haus verloren, sie wurden von den Banken enteignet, und 30 Millionen Amerikaner verloren ihren Job. Auch mein Bruder verlor sein Haus, das er fast abbezahlt hatte. Und dann wurden die Banken mit etwa 3 Billionen Dollar entschädigt. Es was ein großer Betrug und das hat die Leute wirklich desillusioniert.

Gab es da ein Schlüsselerlebnis für dich?
Ich habe einen guten, alten Freund, der Profi-Surfer ist. Er ist in Topform. Eines Tages, 2012 war das, gingen wir surfen und ich sagte: „Scheiße, Mann, du hast echt schlechten Atem.“ Und er sah mich an und zeigte mir seine braunen Zähne und sagte: „Tut mir leid, Mann, aber ich war seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr beim Zahnarzt.“ Und ich weiß noch, wie ich damals dachte, dass etwas nicht stimmt, wenn bei Leuten aus der Mittelschicht in der größten Volkswirtschaft der Welt die Zähne verrotten. Und dass das ziemlich dramatische Auswirkungen haben wird. Es gibt Parallelen zu dem, was mit Armut und Inflation in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg passiert ist. Wenn man den Menschen ihre Zukunft nimmt, werden sie sich irgendwann den Irren zuwenden. Wir haben also damals diesen Dokumentarfilm gedreht und wagten die Vorhersage, dass Trump viel mehr Stimmen bekommen würde, als die Experten und Kommentatoren für möglich hielten. Es war eine wirklich emotionale Sache für mich, dahin zurückzugehen, wo meine Familie herkommt und zu sehen, dass die Träume von all diesen Menschen dort gestorben sind. Das ist so traurig.

Wie hast du damals dieses Projekt gepitcht? Nur durch deinen familiären Background oder spielten da auch deine kulturellen Erfahrungen und weltweiten Verbindungen als Musiker eine Rolle?
Ich habe erst vor etwa drei Jahren meinen norwegischen Pass bekommen, bis dahin hatte ich nur einen US-Pass. Und ja, über TURBONEGRO hatte ich über all die Jahre Kontakt mit so vielen Menschen aus der Punk-Szene geknüpft. Ich habe ein großes Netzwerk und diese Menschen repräsentieren viele Facetten der US-Gesellschaft, von Working Class bis Oberschicht. Ich zog 1975 nach Norwegen um, als ich noch ein kleines Kind war. Bis dahin lebten wir im so genannten Stahlgürtel, den man heute Rust Belt nennt, in einer Stadt namens Superior, Wisconsin. Der Hafen von Superior und Duluth ist der größte Süßwasserhafen der Welt. Hierüber kam der ganze Stahl, das ganze Eisen, das nach Detroit und Cleveland ging, um dort zu Autos verarbeitet zu werden. Ich habe sogar unser altes Haus auf einer Immobilien-Website gefunden, und da habe ich gesehen, dass es für 50.000 Dollar zum Verkauf steht. Dafür bekommst du in Norwegen nicht mal ein Apartment in der Größe eines Kleiderschranks. Früher, 1955, war Detroit mal die reichste Stadt der Welt. Was ist da passiert? Was ist aus dem amerikanischen Traum geworden? Aus dem Traum, hart zu arbeiten und dadurch etwas erreichen zu können? Die Menschen in Amerika haben so viel verloren, deshalb haben sie sich dem Wahnsinn zugewandt, glauben an Verschwörungstheorien oder dass Trump ihnen eine bessere Zukunft bringen wird. Aber der ist einfach nur ein verdammter Betrüger. Und Hillary und Bill Clinton haben die ganzen Freihandelsabkommen unterzeichnet, sie haben damit Arbeitsplätze vernichtet. Und in Europa setzt sich das fort, hier haben die Sozialdemokraten überall die gleichen Probleme. Sie sind zu einer selbstgefälligen Partei geworden und haben die Arbeiterschicht vergessen. Sie kommen mit ihren Sparprogrammen an und treiben die Leute damit in die Radikalisierung. In den USA gibt es eine Menge Leute, die Trump nicht ausstehen können, aber sie haben für ihn gestimmt, da sie es satthaben, weil sie alles verloren haben.

Und dann kommst du, der Reporter, der in Norwegen lebt, einem der reichsten Länder der Welt. Das freilich nicht immer so reich war. Im Ox-Interview erzählt einer von KVELERTAK, dass seine Eltern in der ländlichen Gegend bei Stavanger so arm waren, dass sie sich keinen Fernseher leisten konnten. Also schickten sie die Kinder in den Keller, um auf ein paar Musikinstrumenten zu spielen, die sie hatten. Das war das alte Norwegen noch in den Achtziger Jahren, bevor Norwegen durch das Öl eines der reichsten Länder der Welt wurde.
Ja, das ist wahr. Als wir 1975 nach Norwegen kamen, hatten sie quasi gerade erst das Öl gefunden. Am 23. Dezember 1969 haben sie das erste Mal einen Tropfen Öl hochgepumpt, aber es dauerte noch Jahre, bis das Geld auch bei den Leuten ankam. Die Tante und der Onkel meiner Mutter hatten einen kleinen Bauernhof, die ernteten damals noch mit der Sense, und sie fuhren kleine, billige Autos, etwa von Lada. Mitte des 19. Jahrhunderts war Norwegen das ärmste Land in Europa, abgesehen von Irland. Und diese beiden Länder schickten die meisten Auswanderer nach Amerika. Ich glaube, fast die Hälfte der Bevölkerung Norwegens ging in die USA. Für die Norweger gibt es also eine besondere Verbindung zu Amerika und dem amerikanischen Traum, denn die Menschen kamen aus der Armut und gingen nicht nach Amerika, um reiche Imperialisten zu werden und Napalm auf vietnamesische Kinder zu werfen und die Indigenen zu töten. Die Menschen gingen nach Amerika, weil sie in einem Europa lebten, wo Fürsten, ein König oder der Papst das Sagen hatten und wo man typischerweise in dem Dorf starb, in dem man geboren wurde. Es gab keine soziale Mobilität. Die Menschen gingen in die USA wegen der Möglichkeiten, die sich ihnen da boten. In der kleinen Stadt, in der ich als Kind aufwuchs, gab es im Jahr 1900 vier Geschwister, die aus Norwegen nach Amerika gekommen waren. Das jüngste von ihnen, ein Junge, war Maler. Er war 19 Jahre alt und das war zu der Zeit, als sich Amerika radikalisierte. Er reiste umher und lernte die radikale Ideologie und die Organisationsmethoden der militanten amerikanischen Gewerkschaften und der Anarchosyndikalisten wie der IWW kennen. Er war bei der Gründungsversammlung der Industrial Workers of the World dabei. Er reiste fünf Jahre lang durch Amerika und lernte all diese Dinge. Und dann sagte er sich: „Scheiß drauf, ich gehe mit diesem Wissen zurück nach Norwegen.“ Und er wurde zum Gründer der modernen norwegischen Gewerkschaftsbewegung und des norwegischen Sozialstaats und war Generalsekretär der Arbeiterpartei. Diese linken Ideen kamen also nicht aus Moskau. Sie stammen aus dem Stahlgürtel, aus der Prärie in Amerika! Das müssen die Leute erkennen, auch die Europäer wissen das nicht. Und die Amerikaner sind nicht so reaktionär, wie man immer denkt. Die amerikanische Durchschnittsbevölkerung will höhere Steuern für die Reichen. Neun von zehn Amerikanern wollen, dass die Reichen und die Wirtschaft aus der Politik verschwinden, und die große Mehrheit der Amerikaner will eine gute öffentliche Gesundheitsversorgung. Aber das geht nicht, weil die Oligarchen das ganze System kontrollieren. Es geht also nur um Waffen und Abtreibung und die Beschneidung der Rechte von LGBTQI+-Menschen und Wokeness. Sie schaffen all diese künstlichen Probleme. Der Durchschnittsamerikaner ist fast schon ein Sozialdemokrat. Ich bin mir sicher, dass auch die vielen Wähler der Republikaner nicht wollen, dass Amerika ein Land der Aristokraten ist. Sie sind eher für die Meritokratie, dass man also etwas wird auf Basis seiner Leistung. Wenn du in Amerika viel Geld verdienst, dann heißt es: Ja, weißt du, Jeff war mit mir auf der Highschool, jetzt ist er Multimillionär. Schön für ihn. Er hat immer hart gearbeitet, blah, blah, blah. Aber wenn Jeff anfängt, Gesetze nach seinem Geschmack zu machen, weil er ein Oligarch ist, hassen die Leute das. Deshalb geht es bei diesem ganzen Kulturkampf darum, die Menschen vergessen zu machen, dass man die Reichen wieder mehr besteuern sollte. Eisenhower war ein republikanischer Präsident. Er hat reiche Leute mit 90% besteuert. So haben sie 1969 Menschen auf den verdammten Mond gebracht. So haben sie den Marshall-Plan bezahlt. So haben sie den Zweiten Weltkrieg finanziert. Roosevelt hat den Reichen klargemacht, dass sie ihre verdammten Steuern zahlen müssen. Und mit Reagan und Clinton verschwand das aus der Politik.

Du bist nun also der amerikanische Einwanderer, der den Norwegern Amerika erklärt. Wie hat die norwegische Öffentlichkeit auf deine Doku-Serie reagiert?
Wahnsinnig gut. Es ist die meist gesehene Doku-Serie in der norwegischen Fernsehgeschichte. Es gibt etwa 4,9 Millionen Menschen in Norwegen. Jede unserer Episoden hatte mehr als 1 Million Zuschauer. Also haben etwa 20% der gesamten norwegischen Bevölkerung die Serie gesehen. Eben weil fast jeder dort Familie hat, weil es viele Norweger mit doppelter Staatsbürgerschaft gibt. Wenn ich in den Supermarkt gehe hier in Trondheim, sprechen mich die Leute darauf an. Dieser alte Typ, der wie ein typischer Norweger aussieht, spricht mich auf Englisch mit texanischem Akzent an. Der Typ kommt aus Texas, er lebt seit vierzig Jahren hier und hat im Ölbusiness gearbeitet. Er sagte in Bezug auf meine Doku: „Endlich haben die Leute bei mir auf der Arbeit begriffen, wie Amerika ist.“ Es ist nicht wie in „Denver-Clan“ oder „Dallas“. Die normalen Menschen in Amerika sind keine Millionäre, sie haben einen Zwölf-Stunden-Tag und können sich keinen Zahnarztbesuch leisten.

Hast du eigentlich eine Ausbildung als Journalist oder wie bist du ins Mediengeschäft gerutscht?
Nein, eigentlich habe ich nur Comedy gemacht. Als ich zwanzig war und wir gerade mit TURBONEGRO angefangen hatten, machte ich all diese Scheißjobs. Ich habe Telefonumfragen gemacht, wir haben Leute angerufen und sie gefragt, ob sie dieses oder jenes Klopapier benutzen, welche Partei sie wählen würden und so weiter. Mit einer Frau in meinem Alter, mit der ich immer beim Rauchen zusammenstand, hatte ich ich viel Spaß, wir machten ständig blöde Witze. Dann bekam sie einen Job als Beleuchterin bei einer Gameshow beim Fernsehen. Aber sie war so witzig, dass die Leute meinten, sie sollte vor der Kamera stehen. Wir waren gute Freunde und sie sagte: Okay, aber ich will mein eigenes Team zusammenstellen. Und dann rief sie an und sagte: „Hey, Seltzer, ich habe gerade einen richtig guten Job bei NRK bekommen. Ich mache eine Fernsehsendung. Ich möchte, dass du im Team bist, weil wir uns immer so viel lustigen Scheiß ausgedacht haben.“ So kam das. Normalerweise sagte man über NRK damals, dass man einen Verwandten da haben muss, um dort einen Job zu bekommen, das war wie in der DDR. Ich habe das System einfach durchbrochen und da an so Comedy-Sachen gearbeitet.

Und wie kam es dann zu „UXA“?
Ich bin zu meinem Chef gegangen und sagte: „In der amerikanischen Politik passiert gerade etwas Interessantes, mit Bernie Sanders, mit Donald Trump und dieser lausigen Zentristin Hillary Clinton, die eigentlich eine konservative, wirtschaftsfreundliche, kriegsbegeisterte Rechte ist.“ Ich sagte, ich habe Cousins und Cousinen in den USA, zwei von ihnen sind Zwillinge, ein Mädchen und ein Junge – klar, die sind längst erwachsen. Von Kim wusste ich, dass sie Trump wählen würde. Und Kelly, der ein alter Fallschirmjäger-Veteran ist, würde Hillary wählen, weil er eher links eingestellt ist. Ich sagte, ich wolle einen Dokumentarfilm über die beiden machen und darüber, warum sie für den jeweiligen Kandidaten stimmen werden. Die beim NRK fanden die Idee gut, wir machten den Film und er wurde ein großer Erfolg. Dann fingen wir an, an „UXA“ zu arbeiten, wo es um den amerikanischen Traum geht. Und nein, ich habe keine formale Ausbildung als Journalist, aber wie du schon sagtest, man trifft sehr viele Leute, wenn man mit einer Band unterwegs ist, und man lernt, mit den Leuten zu sprechen. Ich war also in der Schule des Lebens.

Für ein paar Jahre warst du professioneller Rockmusiker, heute ist die Band eher ein Hobby. Vermisst du etwas, weil dein Leben in der Hinsicht weniger glamourös ist?
Nein. Es war ein paar Jahre meine Hauptbeschäftigung. Das lag daran, dass wir nichts anderes nebenher machen konnten, und das war okay. Wir waren nie Rock-Millionäre, und wir waren auch schon recht alt, als die Band den Durchbruch schaffte. Bei KVELERTAK ist das anders, sie sind eine meiner absoluten Lieblingsbands. Als sie 2020 „Splid“ veröffentlichten, das erste Album mit Ivar als Sänger, wollten sie damit auf eine anderthalbjährige Tour gehen. Und drei Wochen nach Beginn der Tour kam Corona und ich dachte mir: Scheiße, Mann! Es tat mir so leid für sie, aber ich dachte auch, ich bin froh, dass wir keine Tourband mehr sind, mit der man sechs, sieben Monate im Jahr unterwegs sein muss, um seine Familie zu ernähren.

Was machen denn die anderen von TURBONEGRO heute?
Euroboy ist Stadtplaner. Er plant tatsächlich Städte, das ist ziemlich Rock’n’Roll, finde ich: „One man, one vision.“ Haha. Rune war schon immer der Musikindustrie-Typ, das ist sein Job. Tony hat diese Mode- und Klamottengeschichte laufen. Hank hat damals, als er in der Band was, auch immer noch andere Sachen gemacht. Unser Schlagzeuger Tommy und unser Keyboarder HM sind Profimusiker. Wir spielen ja immer noch Konzerte, ich sage das also nicht zurückblickend, aber ich denke, dass es eine gute Sache ist, dass wir nicht von der Band leben müssen. Es ist nicht mehr so, dass wir noch eine Platte machen müssen, damit wir T-Shirts verkaufen können, damit wir Geld für unsere Kinder haben. Ich kann gut ohne diesen Druck leben.

Wann haben TURBONEGRO das letzte Mal eine Show gespielt?
Wir haben letzten Sommer auf einigen großen und kleineren Festivals gespielt und dann haben wir gesagt: Okay, wir haben keine Platte raus. Und wir wollen in den Sommerurlaub fahren, weil wir alle Frauen und Kinder haben, die nur im Juli frei haben. Also haben wir uns gesagt, wir machen für die nächste Festivalsaison, also dieses Jahr, einfach eine Pause. Immerhin hatten wir es tatsächlich geschafft, kurz vor Corona zum ersten Mal nach Südamerika zu fliegen für ein paar Shows, und das war echt verrückt und cool. Werden wir nächsten Sommer Konzerte spielen? Wir wissen es noch nicht. Wir müssen ja nicht spielen, aber es macht ja doch Spaß, zu spielen. Aber es macht auch Spaß, mit seinen Kindern was zu machen.

Du hast Kinder?
Ja, ich bin Stiefvater für meine Stieftochter Amalia, seit sie sechs Jahre alt ist, und jetzt ist sie 21. Sie hat die Musikschule besucht und spielt einen komplizierten, grungigen Bass. Sie kann Noten lesen und ist eine wirklich gute Bassistin. Und dann habe ich noch eine fünfjährige Tochter namens Eleanor und eine einjährige Tochter namens Alma. Ich bin der älteste Vater im Kindergarten. Ich bin so etwas wie der Opa, haha. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal Kinder haben würde, aber jetzt bin ich glücklich darüber. Rune hat zwei Kinder, die sind um die zwanzig. Und dann haben sie vor drei, vier Jahren noch ein Kind bekommen. Knut hat zwei Kinder, die jetzt auch schon im höheren Teenageralter sind. So ist das Leben.

Das klingt nach ganz anderen Menschen als die, die ich Ende der Neunziger bei so vielen Gelegenheiten erlebt habe, etwa als ich euch bei den Aufnahmen zu „Apocalypse Dudes“ in Oslo im Studio besuchte.
Zum Glück macht Kokain nicht unfruchtbar. Wir sind der lebende Beweis. Ich habe das Zeug aber schon seit Jahrzehnten nicht mehr angerührt. Die Hippies sagen, wenn du dich an die Sechziger Jahre erinnerst, warst du nicht dabei. Ich sage, wenn du dich an die Neunziger erinnerst, warst du nicht dabei. Aber es ist gut zu sehen, dass der typische Skandi-Rock immer noch da ist. Es war nicht nur eine Modeerscheinung. Die neue HIVES-Platte ist der absolute Wahnsinn. KVELERTAK sind am Start, und die HELLACOPTERS und die BACKYARD BABIES auch immer noch – gestern ist Dregen fünfzig geworden. Am gleichen Tag wie Tony Sylvester. Und Ebbot Lindberg ist ebenfalls noch aktiv. Viele der skandinavischen Bands von damals haben einfach immer weitergemacht. Auch GLUECIFER sind wirklich immer noch gut. Wir waren auf Poons Hochzeit letzten Sommer. Niemand wird jünger, aber die Bands sind immer noch verdammt gut.

Vor TURBONEGRO kannte man an norwegischen Bands beispielsweise KAFKA PROSESS, SO MUCH HATE, LIFE ... BUT HOW TO LIVE IT? oder MOTORPSYCHO. Diese Bands waren und sind aber mehr oder weniger „Fanbands“, Musikfans weltweit kennen sie. Und dann kamen TURBONEGRO. Am Anfang wart ihr auch eine dieser Fanbands, und dann wurdet ihr plötzlich riesig, und ich denke, es waren TURBONEGRO, die Norwegen überhaupt erst einen Platz auf der Weltkarte der Rockmusik verschafften, wenn man Black Metal mal außer acht lässt. Wie siehst du eure Rolle rückblickend?
Wir waren einfach Musiknerds, die Punkrock spielen wollten. Und wir wollten gut produzierte Musik spielen wollten, nicht nur so LoFi-Zeug. Wir waren immer konträr. Ich fand es immer wichtig, musikalische Qualitäten in den Punk zu bringen. Und genau das sehe ich auch bei KVELERTAK oder FUCKED UP, wobei letztere viele ähnliche Referenzen haben wie wir, etwa die Idee einer Rock-Oper.

Und FUCKED UP-Sänger Damian Abraham ist auch im TV-Bereich tätig, wie du.
Ja, stimmt! Wir sind wirklich stolz darauf, dass wir versucht haben, über den Tellerrand zu schauen und allen zu zeigen, dass Punk nicht nur „One-two-three“ sein muss, sondern dass das auch funktioniert mit Einflüssen von wirklich gutem Classic Rock wie von ALICE COOPER, THE WHO oder ROLLING STONES. Ich wollte schon immer solche Sachen einbauen, sogar die PINK FLOYD von „The Wall“ oder Don Henley. Für mich war Randy Newman immer der wichtigste Einfluss, was die Texte betrifft, wusstest du das? Und ich bin auch sehr stolz auf die Turbojugend, dass wir so etwas wie eine Bruderschaft geschaffen haben. Das entwickelte eine Eigendynamik. Leider kann ich dieses Jahr nicht nach Hamburg fahren zu den den Weltturbojugendtagen, aber es macht mir immer Spaß, wenn ich es schaffe. Das ist eine anarchistische, weltweite Bewegung, und ich denke, es ist cool, wenn so was im Underground-Rock existiert.

Keine andere Band aus Norwegen hatte das bis dato erreicht.
Vergiss bitte GLUECIFER nicht. Und weil du vorhin LIFE ... BUT HOW TO LIVE IT? erwähntest: Mit Katja habe ich unlängst noch Kontakt gehabt, sie hat mein kleines Sommerhaus am Oslofjord gemietet mit ihrer Mutter und ihrer Tochter. Und Jo Raknes, den Bassisten von STENGTE DØRER, habe ich neulich erst getroffen, der arbeitet auch bei NRK. Bent von MOTORPSYCHO sehe ich auch recht oft, weil ich ja jetzt in Trondheim lebe. Meine Frau ist von hier. Ich komme damit klar. Ich habe ewig in Oslo gewohnt und da doch nicht mehr von der Stadt gesehen als das Last Train. Ich hätte auch in einem kleinen Dorf leben können, es war egal, ich traf immer dieselben Leute in derselben Kneipe. Und Trondheim ist eine wirklich coole Stadt mit einer großen Rock’n’Roll-Szene, nur leider ist das Wetter hier beschissen, aber was soll ich mich beklagen?

Wann bist du das erste Mal auf KVELERTAK gestoßen? Und was war dein Eindruck?
Es gab da so einen Wettbewerb von NRK Radio, um unbekannte Bands zu fördern. Sie baten mich, als Jurymitglied mitzuwirken, zusammen mit ein paar anderen Leuten, und das war hier in Trondheim, die Bands spielten live, und ich musste mir einen Haufen R&B-Sachen anhören, Folk-Pop und Indiepop und so. Und dann kamen KVELERTAK und ich dachte mir, holy shit, was ist das denn? Es war so geil. Seitdem bin ich ein großer Fan. Bjarte, ihr Gitarrist, erinnert mich immer wieder an Knut. Er mag Classic Rock und das hört man. Und dann ist da natürlich Ivar, der einst zusammen mit unserem Drummer Tommy bei SILVER war. Ich bin einfach sehr beeindruckt von ihnen, sie sind wirklich erfrischend.

Wie weit reichen die Parallelen, die Ähnlichkeiten zwischen TURBONEGRO und KVELERTAK? Siehst du welche oder ist das ein bisschen weit hergeholt?
Nein, ich sehe die auch. Wie wir mögen sie eher klassischen Hardrock, klassischen Metal und sogar etwas Softrock. Als wir 2003 unsere große Comeback-Tour gemacht haben, haben wir in Sporthallen gespielt, mitten in der norwegischen Provinz, wir spielten überall für Kids, die waren damals 15, 16 Jahre alt, das war die Generation von KVELERTAK. Ich sage nicht, dass TURBONEGRO die erste Band waren, die sie gesehen haben, aber ich glaube, diese Tour war für viele der Auslöser. Hier in Trondheim gibt es eine Menge Hardcore- und Punkbands, die aus dieser Generation stammen. Ich höre immer wieder, dass viele von denen uns damals in der Handball-Arena gesehen haben und dann hat sich das Virus verbreitet. 2003 gab es nicht viel Mainstream-Rock, die Kids spielten „Guitar Hero“, das Videospiel. Bei vielen von ihnen, glaube ich, hinterließ es einen starken Eindruck, so eine große Rockshow zu sehen – von einer Gruppe, die im Grunde immer noch eine Punkrock-Band war. Das hat viele der Kids wirklich inspiriert. Nimm zum Beispiel PURIFIED IN BLOOD aus Stavanger, die sich damals gründeten. Deren Gitarrist Tommy Svela ist seit vielen Jahren unser Tourmanager. Sie sind eine Straight-Edge-Band aus der gleichen Gegend wie KVELERTAK.

Anders als ihr haben KVELERTAK norwegische Texte. War das jemals ein Thema für euch?
Die Sprache, in der eine Band singt, war ein großes Thema in Norwegen in den Siebziger und Achtziger Jahren, das war eine politische Sache. Wenn du in einer norwegischen Band warst und auf Englisch gesungen hast, hieß es „You’re a whore. Du willst ja nur auf der ganzen Welt berühmt werden.“ Für mich ist Englisch die Sprache der Musik, mit der ich aufgewachsen bin. Ich spreche auch erst seit meinem siebten Lebensjahr Norwegisch, also war die Entscheidung ganz klar. Später kamen die Black-Metal-Bands, die mit dieser nordischen Mystik spielten, und KVELERTAK sind offensichtlich sehr von der norwegischen Black-Metal-Szene inspiriert, also denke ich, dass das für sie eine ganz selbstverständliche Sache war. Mit TURBONEGRO haben wir zwar ein, zwei Songs auf Norwegisch aufgenommen, aber das war eher ein Gimmick. Ich habe KVELERTAK jahrelang gepiesackt, dass sie mal einen Song auf Englisch machen müssen, und dann haben sie einen mit Troy Sanders von MASTODON auf „Splid“ veröffentlicht. Ich glaube, das war ein großes Ding für KVELERTAK, die haben meinen Vorschlag immer abgetan. Schau dir RAMMSTEIN an, wie groß die in Amerika sind. Die verdammten Yankees verstehen einen Scheiß von den Texten, aber die deutschen Texte sind Teil des Sounds und des Gefühls, und ich glaube, das ist bei KVELERTAK auch so.

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UXA – Thomas Seltzer’s America
In der NRK-Fernsehdokumentation „UXA – Thomas Seltzer’s America“ spürt der TURBONEGRO-Bassist seinen Wurzeln im so genannten Rust Belt der USA nach und begibt sich auf der Suche nach dem amerikanischen Traum. Jede Folge von „UXA“ hatte in Norwegen mehr als 1 Million Zuschauer und ist damit die meist gesehene Dokumentarserie in der norwegischen Fernsehgeschichte. „UXA“ ist in gewisser Weise eine Fortsetzung seiner Dokumentation „I Hillary og Donalds bakgård“ (Im Hinterhof von Hillary und Donald), die am Abend vor der US-Wahl 2016 auf NRK ausgestrahlt wurde:
tv.nrk.no/se?v=MUHH19000016
Zu sehen sind die beiden Staffeln der „UXA“-Serie hier (auf CC klicken für englische Untertitel):
s01.bornintheuxa.com
s02.bornintheuxa.com