YOU GUITARPRAYER

Foto© by Soheyl Nassary

Das geilste Hobby der Welt!

Aus der Asche des renommierten deutschen bluNoise-Labels stammt das Kölner Trio YOU GUITARPRAYER. Mit dem herausragenden Debüt „Art Won’t Tear Us Apart Again“ auf Krachladen Records haben sie eine Duftmarke in die Noiserock-Landschaft gesetzt. Dabei sind hier keine Anfänger am Werk: Drummer Spiro spielte bereits in den Neunzigern bei FREE YOURSELF, später bei GENEPOOL und ist aktuell noch bei TOXOPLASMA. Sänger und Gitarrist Soheyl war vor vielen Jahren Gründungsmitglied von NICOFFEINE. Der äußerst sympathische gebürtige Iraner klärt mich per Zoom-Meeting über die Hintergründe der gelungenen Produktion und den ungewöhnlichen Bandnamen auf.

Soheyl, zum Start würde ich gerne Ox-Chef Joachim Hiller zitieren, der in seiner Kritik zu „Art Won’t Tear Us Apart Again“ in Ox #147 zunächst nur aufgrund des Bandnamens eine „talentfreie Provinzrockband“ erwartet hatte. Wie sehr schmerzt das?

Gar nicht! Hinter jedem Bandnamen steckt ja eine Story und falls du sie hören willst, kann ich sie ja erzählen.

Gerne!
Ich habe ja zwanzig Jahre bei NICOFFEINE gespielt und 2013/14 waren wir mit der japanisch-deutschen Kombination MELT-BANANA auf Tour. Deren Mitglieder haben uns tagelang sehr auf Abstand gehalten, es gab quasi kaum Kontakt oder Kommunikation zwischen uns. Beim letzten gemeinsamen Gig im Gebäude 9 in Köln stand deren japanischer Gitarrist dann überraschenderweise während unseres gesamten Auftritts seitlich an der Bühne und verfolgte die Show sehr aufmerksam. Als ich dann von der Bühne ging, stand er vor mir, rief „Ha! You! Guitarprayer!“ und verneigte sich höflich vor mir. Das hatte viel von klassischer Situationskomik! Ich habe dann auch einfach nur lachen müssen und gesagt: „Yes, I’m the Guitarprayer.“ Damit war dieser Ausdruck geboren und mir war klar, sollte ich jemals eine neue Band gründen, wird sie auf jeden Fall YOU GUITARPRAYER heißen. Die Interpretation, dass unsere Musik auch so etwas wie eine Gitarrenpredigt sein kann, spielt da natürlich auch mit herein!

Müsste es nicht eigentlich genau anders herum sein? Japaner sprechen doch normalerweise ein „L“ anstatt des „R“ ...
Nein, das ist gar nicht so! Das ist unser deutsches Verständnis dieser Besonderheit und stammt vermutlich aus der Synchronisation von Hollywoodfilmen, wie etwa „Flühlingslolle“. Es ist aber umgekehrt so, dass Japaner im Englischen Schwierigkeiten haben das „L“ auszusprechen und es entsteht ein phonetischer Laut, der eben zum Beispiel aus „Player“ so etwas wie „Prayer“ macht.

Um die Sache mit Joachims Review abzurunden: Wie die meisten, die sie hören, fand er eure Platte ja sehr gut: „Eine Perle von Release, wenn man in den Neunzigern auf Touch And Go und Amphetamine Reptile vertraute.“ Nun habt ihr alle einen Bezug zu bluNoise, das ja als das deutsche Pendant zu TNG und AmRep gilt. Siehst du das auch so?
Auf jeden Fall! bluNoise war in den Neunzigern das einzige deutsche Label, das sich mit Noiserock beschäftigt hat und auch, glaube ich, fast nur heimische Bands gesignt hat. Wir sind mit NICOFFEINE im Jahr 2000 dazu gestoßen und ab 2010 hat Guido Lucas, der verstorbene Labelbetreiber, selbst Bass bei uns gespielt. Wir drei von YOU GUITARPRAYER kennen uns seit vielen Jahren aus dem bluNoise-Umfeld und es ist kein Zufall, dass Scharco, Spiro und ich jetzt zusammenspielen. Wir haben einen ähnlichen musikalischen Background und jeweils viel Erfahrung aus anderen Bands. Es ist uns wichtig, dass wir als Freunde miteinander etwas gemeinsam erschaffen, ohne diese ganzen Ego-Spiele, die eine größere Rolle spielen, wenn man noch jung ist. Wir haben 2016 mit gemeinsamen Proben angefangen und gleich gespürt, dass da eine gewisse Magie vorhanden ist.

Wie habt ihr als Eigenproduktion diesen tollen druckvollen und gleichzeitig transparenten Sound auf die Platte hinbekommen? Das Mastering passierte ja in der Schweiz, aber sonst liest es sich so, als wenn ihr alles selber gemacht hättet.
Ja, das stimmt. Aktuell teilen wir uns in Köln den Proberaum mit ILLEGALE FARBEN, die da auch ein Studio haben. Spiro hat zum Beispiel auch mal bei denen gespielt, genau wie bei GENEPOOL, wir sind also alle miteinander befreundet. Unser Bassist Scharco hat uns dort dann aufgenommen, er hat Erfahrungen als Produzent und Studiobetreiber. Wir wollten eigentlich jemand Außenstehenden, der einen objektiveren Blick auf uns hat, aber ich bin froh, dass Scharco das gemacht hat. Er hat es einfach drauf!

Du bist der Sänger und Gitarrist der Band, gestaltest eure Homepage, hast das Artwork entworfen und hältst den Kontakt nach außen ... Das wirkt, als wärst du eine Art Bandleader.
Das wirkt vielleicht so, aber wir sind definitiv ein Team! Wir haben jeder über zwanzig Jahre Banderfahrungen auf dem Buckel und wissen, was wir können und wollen. Jeder hat seine Aufgaben innerhalb der Band, aber entscheidend ist, dass wir Freunde und eine Art „Bandfamilie“ sind. Erst daraus resultieren kreative Momente und Ideen, nicht umgekehrt. Wir arbeiten auf einem recht professionellen Level, müssen und wollen aber auch nicht von der Musik leben.

Das geilste Hobby der Welt, sozusagen?
Ja, auf jeden Fall, haha! Aus unseren Berufen ergibt sich aber auch, dass ich der Ansprechpartner in der Band bin. Scharco und Spiro haben beide feste Jobs und Familie, ich bin Freiberufler und damit viel flexibler als die beiden.

Du bist gelernter Grafikdesigner und hast, wie erwähnt, auch das Coverartwork und eure Homepage gestaltet. Haben sich Hauptberuf und Band immer schon so bei dir verknüpft?
Ja, das fing bereits an, als ich für NICOFFEINE unser erstes Cover entworfen habe. Das hat Guido Lucas damals so gut gefallen, dass ich für verschiedene bluNoise-Bands etwas designt habe. Davon haben wir dann unsere Studiozeit abbezahlen können. Für mich definitiv eine Win-win-Situation!

Abgesehen davon, dass euer Albumtitel „Art Won’t Tear Us Apart Again“ natürlich eine Anspielung auf JOY DIVISION ist – bezieht ihr euch damit auf die gerade erwähnten Freiheiten der Selbstgestaltung/DIY oder allgemein auf das Thema „Kunst“?
Der Verweis auf JOY DIVISION ist mit einem Augenzwinkern gemeint. Eigentlich geht es aber um die Aussage, dass es nach vielen Jahren der musikalischen Zusammenarbeit für uns keinen Aspekt in der Kunst mehr gibt, der uns als Band trennen wird. Auch die Underground-Szene unterliegt einem gewissen Duktus oder einer Erwartungshaltung. Wir nehmen uns die Freiheit, dem nicht entsprechen zu wollen, sondern nur unserem Herzen zu folgen. Wenn man Kunst ernsthaft betreibt, muss es einem erst mal völlig egal sein, was die Außenwelt davon hält. Das geht über Freiheit als solche sogar noch hinaus. Aber letztlich ist der Titel einfach auch ein schönes Wortspiel.

Soheyl, sollen wir zum Abschluss über Corona und die Pandemie sprechen?
Ja, klar, es beeinflusst uns ja zur Zeit alle. Für uns als Band kam die Pandemie ganz kurz nach dem Release des Albums. Geplante Festivalauftritte, Gigs, alles stagniert seitdem. Mittlerweile haben wir seit vier oder fünf Monaten keine Probe oder persönlichen Kontakt mehr miteinander gehabt. Wir könnten uns Files hin- und herschicken, aber das ist nicht unser Ding und wäre nur die absolute Notlösung. Wir sind eine organische Band, es funktioniert nur persönlich miteinander. Unabhängig davon, was die Politik für Vorgaben macht, ist es ja auch die Verantwortung jedes Einzelnen, mit der Situation umzugehen. Wer will schon für den Tod seines Vaters verantwortlich sein? Aber niemand weiß zur Zeit wirklich, was das Richtige ist. Es ist eine neue Situation, bei der wir mit alten Lösungen nicht unbedingt weiterkommen. Wir müssen alle im Moment Geduld haben. Abgesehen davon: Ich bin gebürtiger Iraner und seit meinem zwölften Lebensjahr in Deutschland. Das Thema „Grundrechte“ hat dort eine ganz andere Dimension. Wer sich bei der Pflicht zum Tragen einer Maske über Grundrechte echauffiert, sollte dem Iran mal einem Besuch abstatten.