ZEAL & ARDOR

Foto© by Georg Gatsas

Metal-Fusionküche

Manuel Gagneux ist im Gespräch das Gegenteil des Klischees vom grimmigen Black Metal-Shouter, nämlich ein bestens gelaunter, ständig lachender Interviewpartner. Der in Basel lebende Schweizer mit US-amerikanischer Mutter machte erstmals 2014 mit einem Demo auf sich aufmerksam, 2016 folgte das Debüt-Album „Devil Is Fine“ und 2018 „Stranger Fruit“, mit dem die Wahrnehmung der ungewöhnlichen Band massiv wuchs: keine andere Formation kombiniert so smooth gesangliche Soul-Momente mit der Raserei des Black Metal. Das titellose dritte Album ist der Anlass für dieses Interview.

In den Neunzigern gab es diese von mir als furchtbar empfundene Crossover-Welle, wo versucht wurde, zwei Genres zu kombinieren. In wenigen Fällen kam Spannendes dabei heraus, in vielen Fällen war es einfach Schrott. Welche gegensätzlichen Geschmäcker toben in dir?

Ich mag einfach Musik und ich sehe das nicht von Genres definiert. Wenn ich nun Metal mag und einige Soul-Sachen, dann sehe ich keinen Grund, das nicht zu verwenden – außer es hört sich scheiße an. Davor muss man sich einfach hüten, haha.

Was hat dich dazu gebracht, an diese Kombination von Metal und Soul, die bis dahin so nicht existierte, zu glauben?
Ich denke, es war einfach Sturheit, ich wollte, dass es funktioniert. Und es ist immer noch ein Prozess. Ich habe die finale Formel immer noch nicht raus. Vielleicht wollte ich einfach partout, dass es irgendwie klappt. Es ist nicht jedermanns Sache, aber ich habe enorme Freude daran, Neues auszuprobieren, und ich glaube, das ist für mich Grund genug, das zu probieren. Diese „Fusionsküche“ ist eben nicht für jeden.

Mit dem Debütalbum und dem zweiten Longplayer hast du eine Menge positives Feedback bekommen, gerade auch von außerhalb der Metal-Szene. Aber wie war die Rezeption in der Szene? Wie lief es auf Tour?
Das Tolle ist, dass die meisten meinen, dass wir live besser klingen als auf Platte. Und ich glaube, das ist unsere Wunderwaffe. Wir waren mit dem Album schon so was wie „the flavour of the week“, es war eine coole Story – aber danach gilt es sich zu beweisen. Und ich glaube, das ist uns ein Stück weit gelungen, etwa insofern, dass uns nun auch größere Bands mit auf Tour nehmen. Aber wir genießen immer noch diesen Luxus von „Ach, das ist doch die Band mit der coolen Story“. Aber das wird verfliegen, dessen bin ich mir bewusst.

Nach dem vielbeachteten zweiten Album „Stranger Fruit“ von 2018 konntet ihr 2019 etwas touren, und dann kam ja schon der ganze Scheiß. Wie hat sich das auf dieses Album ausgewirkt?
Wir hatten in der Hinsicht ziemlich Glück, weil wir für 2020 sowieso geplant hatten, zu schreiben und aufzunehmen. Klar, es sind zwei Touren ins Wasser gefallen, aber es war nicht so schlimm und wir konnten das relativ elegant überstehen. Im Moment bin ich auch wirklich nur Musiker. Ich bin mir bewusst, dass das wahrscheinlich nicht ewig gehen wird, aber so lange es geht, sehe ich keinen Grund, was anderes zu machen. Ich habe schon andere Jobs gehabt, aber es war schon immer mein Plan, vor allem Musik zu machen und mir damit zumindest einen Teil meines Lebensunterhaltes zu verdienen. Ich glaube, das ist das Amerikanisch-Naive in mir, das es mir erlaubt, auch einfach mal loszulegen, selbst wenn es töricht und dumm ist. Aber ich bin da relativ kompromisslos.

Und was macht den schweizerischen Anteil aus?
Vielleicht meine Pünktlichkeit. Ich nehme das immer persönlich, wenn Leute verspätet kommen. Wenn mich jemand warten lässt, damit komme ich schwer klar.

Als Schweizer kann man das gut sagen – es ist das Land, in dem alle Züge immer pünktlich kommen.
Aber das Ding ist, dass die meisten Schweizer zu spät kommen. Und ich habe mich da falsch assimiliert, hahaha,

In eurer Heimatstadt Basel habt ihr vor einer Weile einen Musikpreis bekommen, werdet also durchaus anerkannt. Beat-Man von den MONSTERS hat im Ox-Interview so etwas mit seinen Landsleuten gehadert, sieht sich als Outcast. Wie akzeptiert ist das, was du tust? Die Schweiz ist ja ein recht konservatives und christliches Land. Wie passt das zusammen mit deinem, ich nenne es mal so, Kokettieren mit Satanismus?
Ich weiß, was du meinst, und bei uns ist es ähnlich wie bei Beat-Man. Die Schweiz ist nicht besonders mutig, was Popkultur angeht. Die will es immer extern bestätigt haben. Es gibt einzelne Acts, die in der Schweiz beliebt sind, weil sie „traditionsgerecht“ agieren und die von ihnen erwartete Musik machen. Bei uns ist es so, dass wir erst im Ausland Erfolg hatten – und dann „durften“ wir auch hier. Mit unseren „säkularen Gedanken“ haben wir noch nicht wirklich auf Kritik stoßen können im eigenen Lande. Das ist ja eigentlich eine alte Geschichte. Um mit satanistischer Musik Anstoß zu erregen, hätte ich fünfzig Jahre früher unterwegs sein müssen.

Wenn du sagst, dass Satanismus eigentlich keinen mehr kümmert, warum ist es dann doch ein Topic, mit dem du, mit dem ihr rausgeht?
Ich mache es ja nicht, um damit anzuecken. Wir haben ja Sklavenmusik in unserem Programm. Der Gedanke war: Wie wäre es gewesen, wenn schwarze Sklaven einst nicht die Religion ihrer Unterdrücker akzeptiert hätten, sondern sich als kleine Rebellion Satan angeeignet hätten? Ich erwarte nicht, irgendwelche Kontroversen damit auszulösen. Das wäre ja ein bisschen ulkig. Und vor allem ist es ja Metal und damit knapp vor dem Irrsinn.

„Satan is real“ sangen auch KREATOR auf ihrem letzten Album. Man teasert, man triggert schon mit diesem Thema. Matt Skiba von ALKALINE TRIO tat das einst auch. Was ist die Message, die darin steckt?
Im modernen Satanismus geht es ja nicht um das Spirituelle. Man schlachtet keine Ziegen und will auch nicht in Schwefelrauch den Gehörnten sehen. Sondern es geht darum, und das ist schon fast nietzscheesk, dass man das Ego als solches akzeptiert. Und Satan ist in diesem Fall das Ego. Dass man das verfolgen darf und sollte bis zu dem Punkt, dass man andere Leute daran hindert, dasselbe zu tun. Das mit der Selbstverwirklichung und der Sklaverei und dem Ausbrechen, das ist das Homogene bei uns. Und es ist ein bisschen cool, ich gebe es zu. Da kommt der Schulknabe in mir durch.

In Presseinfos taucht bei euch auch mal das N-Wort auf, ausgeschrieben. Das ist heutzutage vielerorts verpönt. Mit Satan kann man also nicht mehr provozieren, mit dem N-Wort schon? Ist das eine Debatte, mit der du ... spielst?
Der große Unterschied ist, dass das eine fiktiv ist und das andere ist echt. Meine Interpretation von Satan ist etwas Persönliches für mich. Aber das N-Wort, das betrifft viele andere. Und wenn ich damit spiele, dann spiele ich eigentlich auch mit der Erwartung, der Haltung anderer.

Empfindest du die Schweiz als rassistisch oder als ein sehr tolerantes Land?
Ich bin hier großgeworden. Ich spreche ohne irgendeinen Akzent, aber auch Schweizerdeutsch. Vor ein paar Monaten ist hier ein Schwarzer von der Polizei erschossen worden, an einem Bahnhof. Ich behaupte, das war ein rassistischer Akt. Laut Umfrage meint über die Hälfte der Schweizer, dass wir ein Rassismusproblem hätten. Das ist nicht wegzudenken. Es sind immer diese halb säkulären reicheren Länder, die enorm rassistisch sind. Finnland zum Beispiel hat ein enorm großes nationalistisches Gedankengut und damit ein Riesenproblem. Die Schweiz ist in einer ähnlichen Situation.

Musikalisch tauchen in eurem Kontext die Begriffe Soul, Spiritual und Gospel auf. Welchen dieser drei Begriffe bevorzugst du? Der Aufhänger dafür ist der Teil deines Gesangs, der nicht metallisch ist.
Alle drei Begriffe passen, aber ich glaube, Soul trifft es am besten. Soul kommt ja daher, dass die Leute der Kirche die Musik „geklaut“ haben. Damals war Gospel heilig, und es galt als Sakrileg, dass man diese kirchliche Musik in einen anderen Kontext setzte, als Love- oder Partysong. Das war ein Riesenskandal, und ich glaube, ich mache etwas Ähnliches, in dem ich das Sakrileg begehe, diese Kirchenmusik in meinen Kontext zu bringen, oder auch nur den Soul. Das ist immer noch ein Affront, wenn man es so sehen will. Mein persönlicher Bezug dazu ist, dass meine Mutter diese Musik gemacht hat, sie ist Jazz-und Soul-Sängerin. Es ist Musik, die mir am Herzen liegt, und ich habe enorme Freude daran, sie meinem Publikum präsentieren zu können.

Wie reagiert deine Mutter auf deine Musik?
Sie hat Freude daran, dass ich Erfolg habe. Sie sagt mir, dass sie die Musik mag, aber ich ich glaube, das sagt sie nur, weil sie mich mag, hahaha.

Du hast aber auch die Stimme, um so zu singen. Konntest du das schon immer, weil du deiner Mutter zugehört hast, wenn sie geprobt hat? Oder hast du dir diese Fähigkeit erst aneignen müssen?
Das habe ich mir zu 100% selbst angeeignet. Das war ein Lernprozess. Man hört, glaube ich, auch einen Unterschied zwischen den Platten, und dass ich da noch immer noch wachse. Ich hatte zuerst eine Black-Metal-Band, dann eine Grindcore-Band, und das war stimmlich schon was anderes als das, was ich heute mache.

Hast du Unterricht gehabt? Hat deine Mutter dir Sachen gezeigt?
Ich habe es einfach versucht. Ich habe mich so lange aufgenommen und wiedergegeben, bis es mir nicht mehr auf den Keks gegangen ist. Das war so ein undankbarer Prozess, dass ich da schnell vorangekommen bin.

War für dich von Anfang an klar, dass Englisch vor allem die Sprache ist, in der du singen wirst? Du hättest das ja auch wie THE MONSTERS auf Schwyzerdütsch machen können.
English hat schon einen gewissen Verfremdungseffekt. Man ist mutiger, gewisse Worte zu sagen, wenn es nicht in der eigenen Sprache ist. Aber Englisch ist auch meine Muttersprache – diesmal haben wir aber ein paar deutsche Fragmente drin. Aber ich glaube, Schweizerdeutsch, das würde ich nicht wagen, weil das hat so eine Schutzschild-Funktion. Weil es eine Abstraktion ist von dem, wie ich normalerweise spreche. Reverend Beat-Man ist da enorm mutig und cool, ich traue mich das noch nicht.

Ihr seid ja nun zu sechst in der Band, aber du stehst meist im Vordergrund.
Die Band ist die netteste Truppe, die du je treffen wirst. Es ist schwer zu beschreiben. Das sind fünf Freunde, mit denen ich zweimal um die Erde gereist bin. Klar, ich schreibe die Musik und mache die Platten, aber alles andere sind Konsensentscheidungen. Live sind wir eine Gang. Aber ich bin ehrlich genug zu sagen, dass ich ein bisschen ein Kontrollfreak bin und das Kreative unter meinen schmutzigen Krallen haben will. Es gibt zwei Szenarien, wenn ich sie mehr mitmachen lassen würde: Entweder es klingt scheiße und ich krieg dann noch einen größeren Kopf. Oder aber es klingt super, und dann hasse ich mich noch mehr. Ich kann also nur verlieren, haha.

Liegt der gesamte Background der Band im Metal, oder habt ihr auch ganz andere Hintergründe?
Keineswegs. Der eine ist im Stoner-Rock zu Hause, der andere macht eigentlich Theater und eher Jazz-Sachen. Der Gitarrist ist im Djent zu Hause, der Bassist im Psychedelic. Niemand außer mir hat den Black-Metal-Fokus und ich glaube, das macht die Würze aus.

Die Black-Metal-Szene ist sehr darauf bedacht, dass etwas „real“ ist. Wie seid ihr da aufgenommen worden?
Es war eine halbe Woche, wo wir als „real“ galten. Wenn man auch nur den kleinsten Funken Erfolg hat in diesen Kreisen, gilt man schon als Judas. Das andere ist unsere musikalische Bandbreite. Black Metal war ja und ist eine extreme Untergrundbewegung, anti alles, aber es gibt ein super dickes „Regelbuch“, wie man sich zu benehmen hat. Und das ist für mich ein Widerspruch. WOLVES IN THE THRONE ROOM oder LITURGY sind für mich mehr Black Metal als die meisten traditionellen Black-Metal-Bands. Aber ich bin ja auch nicht „real“, hahaha.

Mit „Church burns“ hast du aber zumindest vom Titel her einen Track dabei, der „real“ wirkt. Wer verbrennt hier was und warum?
Es geht darum, dass nichts heilig ist und dass man eigentlich alles machen darf. Man darf mit allen reden und über alles reden, und soll diese „heiligen Schranken“ niederbrennen. Und klar, es klingt ein bisschen cool, wenn man die Kirche niederbrennt. Ich gebe zu, dass diese Ästhetik mir Spaß macht, aber es hat auch einen philosophischen Hintergrund.

Wie habt ihr das Album in Corona-Zeiten fertig bekommen?
Wir haben Geld vom Label bekommen, um in einem super tollen Studio aufzunehmen –. aber wir haben es in unser eigenes Studio investiert. So haben wir alle Zeit der Welt gehabt und können jetzt auch noch unsere Freunde aufnehmen. Das Studio heißt Hutch – weil es in einem ehemaligen Kaninchenstall ist, am Rande von Basel.