ZEBRACORE

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Hannes Siaminos und die Duisburger Fabrik

Mitte der Neunziger Jahre gründete sich in Duisburg eine Punk-Konzertgruppe mit dem Namen Zebracore, die vorrangig Bands aus der DIY-Hardcore/Crust-Punk-Szene veranstaltete und sich linken Idealen verbunden fühlte. Ort der Veranstaltungen war die Fabrik in Duisburger-Neudorf nahe dem Hauptbahnhof, wo bis 2003 eine Vielzahl an großartigen Bands spielten. Es entwickelte sich mit der Zeit ein gut funktionierendes DIY-Punk-Netzwerk zusammen mit Konzertgruppen aus anderen NRW-Städten. Der Name Zebracore ist immer noch untrennbar verbunden mit Hannes Siaminos, der die treibende Kraft hinter vielen Aktivitäten war. Seit ein paar Monaten habe ich wieder Kontakt mit Hannes, und es war mir ein Bedürfnis, mit ihm über seine eigene Geschichte als auch über die damalige Szene rund um die Fabrik und Zebracore zu sprechen.

Wann ist der Punkrock in dein Leben gekommen? Wie hat sich das auf dich ausgewirkt, bis du angefangen hast, Konzerte zu veranstalten?

Also ganz ursprünglich war ich mal ein Metalhead, ein echter Ruhrpott-Thrasher. So richtig klassisch sozialisiert durch KISS und AC/DC. Dann kam in der Schule ein Kumpel mit „No Sleep ’Til Hammersmith“ von MOTÖRHEAD um die Ecke und von da an wollte ich nur noch schnelle „In ya face“-Mucke hören. Etwa zur selben Zeit kam ein Typ aus dem Nachbarhaus auf mich zu und hat mich auf EXPLOITED aufmerksam gemacht. Der war ein paar Jahre älter als ich und eher punkig/wavig unterwegs. Aber das war tatsächlich mein erster Kontakt mit Punk überhaupt. Das war so circa 1982/83, als gerade die EXPLOITED-Live-LP raus war. Bis dann Mitte der Achtziger plötzlich wegen dieser „Crossover“-Platte von D.R.I. viele von meinen Kumpels mit Hardcore-Scheiben ankamen. Ehemalige Kuttenträger rannten plötzlich mit NEGAZIONE-Shirt und Bandana herum. Ich habe das damals nicht verstanden, weil ich es nicht kannte. Ein Kollege hat mir dann die Split-LP von HERESY und CONCRETE SOX geliehen. HERESY fand ich auch geil wegen des Speeds, das war schon imposant. Aber ich war noch zu Metal-verseucht und noch nicht bereit für die Veränderung. Dann war ich zum ersten Mal im Duisburger Eschhaus bei NEGAZIONE und WINTERSWIJX CHAOS FRONT und habe viele Bekannte aus der Metal-Szene wiedergetroffen, und das war dann schon prägender.

Wie kam es dann zu deinem Kontakt mit der Fabrik?
Ich wohnte damals zwei Minuten Fußweg vom Laden entfernt. Als 14-Jähriger war ich mal da gewesen, kam aber nur bis in den Vorraum, wo mich ein paar Leute freundlich, aber bestimmt abwimmelten. Das war so 1982. Ich fand das doof und hatte den Laden schon fast vergessen. Aber so ab 1987 gab es in Duisburg und Umgebung nix mehr, wo man als Metalhead hingehen konnte. Also bin ich „back to the roots“. Ich kannte mittlerweile ein paar Leute, die sich da rumtrieben – von der Schule. Die haben mich dann eingeladen. Ich muss dazu sagen, dass die Fabrik damals mit Punk nix am Hut hatte. Dafür gab es ja zu dem Zeitpunkt noch das Eschhaus. Ich habe mich also in der Fabrik eingebracht, Thekendienste geschoben, was damals auch immer frei saufen hieß, und mich immer mehr von diesem Metalding entfernt. Ich hörte die Mucke zwar noch, auch in Ermangelung anderer Infos, aber ich habe nicht mehr eingesehen, diese Horrorpreise für Konzerte dieser vollgekoksten Rockstars zu bezahlen oder für deren CDs. Die waren damals noch recht neu und zum Teil Importware, fast unerschwinglich. Na ja, kein Bock mehr drauf und von da an auf der Suche nach was Neuem. Und dann kam 1989/90 die Entscheidung. Die Fabrik war eigentlich ein alter Kommunistenladen, schwer links, Ostermarsch- und Uni-Umfeld, angehende Lehrer, arbeitsfaule Studenten ... Also eigentlich erst mal sympathisch. Aber es stand ein Generationenwechsel an. Die Fabrik war 1978 von angehenden Lehrern aus dem DKP-Umfeld als e.V. gegründet worden. Die hatten auch schon einige Generationenwechsel durchgemacht, aber jetzt gab es keinen Nachwuchs mehr. Also zogen sich immer mehr von den Alten zurück und überließen uns Jüngeren das Feld. Das war so ab 1988 und ging immer fixer. Ab 1989 ging es richtig los. Das Eschhaus hatte längst die Pforten geschlossen und die Duisburger Szene hing ziemlich in der Luft. Für Punks gab es eigentlich nur noch den besetzten Neumühler Bahnhof, wo heute eine Firma für Veranstaltungstechnik drin ist.

Wann hast du angefangen, selber Konzerte zu veranstalten?
Los ging es damit ab 1989. Der Typ, der das damals in der Fabrik in seinen Händen hatte, beschloss eines Tages, sich zurückzuziehen. Da sich niemand der Neuen dafür anbot und ich zumindest neugierig war, habe ich mich gemeldet. Wat ’ne Kacke hatte ich da geerbt? Peter, mein Vorgänger, hatte noch drei Monate Programm gebucht, um Zeit für den Übergang zu schaffen. Dann hat er mir drei Kartons mit Demotapes hingestellt und gesagt: „Hör mal an und such was aus.“ Himmel hilf, drei Kisten Müll und ich soll Programm buchen? Eine Bluesband nach der anderen oder noch schlimmere Verbrechen. Und so habe ich anfangs tatsächlich Blues-Konzerte organisiert mangels anderer Kontakte. Peter hat mir ein wenig beratend zur Seite gestanden, weil er die Bands ja kannte. Und dann kam der erste Punk-Kontakt. Peter war inzwischen längst raus. Die Impact-Brüder Hardy und Andy kamen damals vorbei und fragten, ob sie ein Konzert bei uns veranstalten könnten. Das sollte im Rahmen der Chaostage ’89 in Duisburg stattfinden, mit DÖDELHAIE und anderen. Sie würden sich um alles kümmern und wir sollten nur die Theke besetzen. Wir sind uns einig geworden und so stand dem ersten erfolgreichen Punk-Konzert in der Geschichte der Fabrik nichts mehr im Weg. Außer den Cops. Die haben wohl tagsüber so viele Leute weggeheftet, dass sie damit die Halle der Reiterstaffel in der Polizeikaserne komplett gefüllt haben. In Zahlen kann ich es nicht sagen, es müssen aber mindestens 200 Leute gewesen sein, eher mehr. Die haben ganz schön Radau gemacht in der Halle, ich war draußen vor der Halle und hab’s gehört. Sehr imposant. Ich war an dem Tag Taxifahren, plötzlich werde ich in die Zentrale gerufen. Dringender Rückruf aus der Fabrik erbeten. Damals gab es ja noch keine Handys. Also da angerufen, da war so ein Peacenik namens Lothar dran, der erzählte ganz aufgelöst, dass die Polizei da gewesen war, um uns vor den marodierenden Punkerhorden zu warnen. Als ich sagte, dass ich für den Abend das dazu passende Konzert organisiert habe und Bescheid weiß, hat der sich erst mal die Buxe vollgeköttelt. Wie ich das machen könnte ohne Rücksprache mit dem Plenum?! Habe ich mich beömmelt.

Und, kamen die Punks?
Na ja, zum Konzert haben es vielleicht zwanzig Leute geschafft, die Luft war raus. Aber der erste Kontakt zur hiesigen Szene war da, die ersten Punks kannten die Fabrik. 1990 war ich dann zum ersten und einzigen Mal im besetzten Neumühler Bahnhof. Das waren ebenfalls recht sympathische Zeitgenossen, zumindest was die Musikfraktion anging. Aber leider war der Bahnhof damals schon akut von der Räumung bedroht, was dann auch im April 1990 geschah. Die Leute waren von heute auf morgen obdachlos, wohnten mit 15 Leuten bei einem Pfarrer in Röttgersbach in Norden von Duisburg im Keller. Absolut unwürdig, im Schlafsack auf Matratzen pennen, weil bei der Räumung restlos alles Eigentum vernichtet wurde. Wir von der Fabrik haben uns dann sofort solidarisiert und angeboten, dass Plenen und geplante Veranstaltungen bei uns stattfinden können. Und eines Tages haben die tatsächlich noch mal zwei Häuser in der Flurstraße in Neudorf besetzt. Das Ganze dauerte nur vier bis fünf Tage. Ich habe zwar nicht mit besetzt, aber sie intensiv unterstützt. Nach ein paar Tagen war es vorbei und damit auch die Squatter-Szene in Duisburg. Fortan fand das Leben der Ex-Besetzer in der Fabrik statt. Ich koalierte mit der Konzertgruppe des Neumühler Bahnhofs und es entstand die erste Konzertgruppe der Fabrik, die sich scherzhaft MEKI – „Mit Einsatz klappt’s immer“ – nannte. Wir waren in der Konstellation bis Mitte 1992 aktiv.

Was für Bands spielten bei euch?
Neben vielen Soli-Konzerten mit vorrangig lokalen Bands wie ANASTASIS und SPARKIN PLUGS hatten wir schon damals echt coole Bands am Start, zum Beispiel ARCHBISHOP KEBAB, TROTTEL, BLATANT YOBS, INSIDE OUT aus Detroit, BLAGGERS und natürlich die legendären LIFE ... BUT HOW TO LIVE IT? zusammen mit ISRAELVIS. Das bleibt das Konzert meines Lebens. Und natürlich ein ganzer Strauß deutscher Punk- und sonst was Bands, darunter SHARON TATE’S CHILDREN, BECK SESSION GROUP, GRAUE ZELLEN, OPERATION MINDFUCK, INHUMAN CONDITIONS ... Mitte 1992 war dann die Luft raus, die Interessen einiger Leute änderten sich, die Szene aus dem Neumühler Bahnhof hatte sich verflüchtigt. In Oberhausen wurde 1991 ein Haus auf der Bebelstraße besetzt, was natürlich die uneingeschränkte Zuwendung der Duisburger Hausbesetzer erfuhr. Da sich diese Szene damals im Druckluft in Oberhausen aufhielt, verlor die Fabrik einen nicht geringen Teil ihres gerade erst erworbenen Stammpublikums nach Oberhausen. Auch ich habe damals immer mehr Zeit dort verbracht. Ich veranstaltete weiterhin die Konzerte in der Fabrik, allerdings im Großen und Ganzen alleine. Im Grunde war es so, dass tagsüber mit den Hippies vom Bauwagenplatz am Autobahnkreuz Kaiserberg gekifft und gekickert wurde und dann ging es auf Veranstaltungen ins Drucki. Die Konzertgruppe im Druckluft hatte damals gute Connections und gute Bands, ... BUT ALIVE, YUPPICIDE, FALSE PROPHETS, EA80, um nur einige zu nennen. Das erste von mir im Druckluft organisierte Konzert war mit SO MUCH HATE, ANGST und ANASTASIS im November ’92, das leider eher mäßig besucht war. Ich habe da ansonsten immer wieder mitgeholfen. 1993/94 habe ich in der Fabrik nix gemacht, erst wieder Ende ’94. Da hat sich dann der Kern der neuen Konzertgruppe Zebracore zusammengefunden. Von der alten Gruppe war nur ich übrig geblieben und im weiteren Umfeld Gina. Damals habe ich wieder das Booking übernommen. In kurzen Abständen stießen Dirk, Jockel, Holgi und Kleini dazu. Ganz intensiv mitgeholfen an der Kasse und beim Kochen haben noch Margit, Silke, Petra und viele andere. Später stießen noch der rote Dirk aus D’dorf und Trööt, die auch mal im Eschhaus aktiv war, dazu. Aber im Kern waren es immer sechs bis sieben Leute. In dieser Konstellation war Zebracore bis 2002 aktiv. Ich bin Anfang 2002 ausgestiegen. 2003 hat die Fabrik dann für immer geschlossen. Amen.

Wie bist du an das Konzerte-Veranstalten herangegangen?
Mir ist die ganze Kommerzkacke ja schon in der Metal-Schiene auf den Sack gegangen. Ich habe damals mein erstes Konzert ever in der Duisburger Mercatorhalle erlebt. Gespielt haben die TEENS, das war damals so ’ne schwer angesagte deutsche Bravo-gepushte Teenie-Boygroup, vielleicht die TOKIO HOTEL der Endsiebziger. Dahin haben meine Eltern damals meine ganzen Geburtstagsgäste zum Konzert eingeladen. Neun Kiddies im Alter von zehn Jahren und eine Aufsichtsperson waren wir und der ganze Spaß hat gerade mal einen Hunni gekostet, also ’nen Zehner pro Nase. Heute unfassbar, aber so war das 1978 eben. AC/DC habe ich zum ersten Mal gesehen 1980 auf der „Back In Black“-Tour in der Grugahalle für schlappe 28 DM, zum letzten Mal 2001 in Oberhausen für nur noch 95 DM. Kleiner Unterschied, oder? Aber bis Mitte der Achtziger war’s erträglich. Absolutes Highlight waren SLAYER im Zentrum Altenberg für 12 DM. Das Konzert sollte eigentlich im Alten Wartesaal im Duisburger Hauptbahnhof stattfinden. Der Vorverkauf lief Wochen vorher, wir hatten alle schon Tickets und bis zum Tag des Konzerts sah man dort nur ’nen großen Schutthaufen. Der lokale Veranstalter hatte sich mit der Vorverkaufskohle verpisst und die Amis waren beleidigt. Dann hat Altenberg in Oberhausen das Konzert übernommen und sogar noch ’nen Busshuttle organisiert. Hin und zurück! Ohne Aufpreis. SLAYER, DESTRUCTION und ’ne Duisburger Kombo vor hundert Leuten, das war der Hammer. Später ging es dann preislich bergauf. 1987 waren die dann auch in der Gruga für circa 40 DM. Ich habe mir dann geschworen, für Konzerte nie wieder mehr als 15 DM zu zahlen.

Also war das Booking für dich immer ein Hobby?
Als ich in der Fabrik selber mit Veranstalten anfing, war das nur ein Hobby. Damals hatte ich keine Ahnung, dass ich das mal 13 Jahre in ganz anderen Zusammenhängen betreiben würde. Ich dachte damals, ich mache das nur Übergangsweise. Daraus sind letztlich irgendwas zwischen 350 und 500 Konzerte geworden, eher Richtung 500. Manche Veranstaltungen waren tatsächlich auf Gewinn ausgelegt, aber dann in der Regel für Soli-Zwecke. Persönlich bereichert habe ich mich nie. Und habe das auch nicht bei anderen Konzertgruppen, die ich kannte, erlebt. Nun, bei den Konzerten, die wir veranstaltet haben, haben wir selten draufgelegt. Wenn mal was übrig blieb, wurde versucht, was für ’ne eigene PA auf die Seite zu legen. Aber in der Regel hatten wir unsere Kosten, die in der Regel bei 200 bis 300 DM lagen, gedeckt und auch für die Bands war fast immer mehr als nur Spritkohle drin. Aber eben kein Reichtum. Oder aber du hast solche Seuchenvögel wie RADIOPUHELIMET und CMX aus Finnland. Die waren Anfang ’92 bei uns. Sonntagskonzert, ganze zwei zahlende Gäste und dann brennen beide Gitarren-Amps durch. Da machste nix mehr. Na ja, durch die ganzen Kontakte, die dabei geknüpft wurden, kam man viel rum. Du bist bei ’ner Band ein paar Tage mitgefahren und lernst in drei, vier Tagen zehnmal so viele Leute kennen, als wenn du mit dem Arsch zu Hause bleibst, und das war cool. Mit der Zeit entwickelst du Präferenzen, wo es am nettesten war, und fährst da dann wieder hin. In meinem Fall war das die Steffi in Karlsruhe, die ich mir als bevorzugtes Reiseziel ausgewählt hatte. Das Störte in Hamburg und die Friesenstraße in Bremen waren auch immer nett. Dadurch lernte ich die Nord-Süd-Achse OSLO-HH-HB-KA gut kennen und wir in DU lagen verkehrsgünstig auf dieser Route und wurden entsprechend gut mit Bands aus diesem Umfeld versorgt. Überhaupt muss ich sagen, dass ich am Anfang dank mangelnder Kontakte sehr oft über Tapes oder zugeschickte Platten Bands ausgesucht habe, auch mit der ersten Konzertgruppe. Auch im Druckluft haben solche Sachen noch eine Bedeutung gehabt. Bei Zebracore waren wir dann bereits so gut vernetzt, dass Tonträger bei der Auswahl eine kleinere Rolle gespielt haben. Viele internationale Bands hatten wir durch unsere regen Aktivitäten bereits woanders gesehen und dadurch direkte Kontakte, andere wurden durch uns bekannte Booker wie zum Beispiel Herne, R.I.P., aus der Köpi in Berlin vermittelt, wobei wir in diesem DIY-Umfeld immer die Non-Profit-Schiene gefahren sind. Und dazu eben auch mit politischem Anspruch.

Habt ihr mit anderen Konzertgruppen aus der Region zusammengearbeitet?
Oh ja, wir haben ab 1995/96 angefangen, uns mit anderen Konzertgruppen aus der Region zu treffen und zu vernetzen. Das waren viele Verbündete aus einem Umkreis bis zu 80 Kilometern. Beteiligt waren wir, KG Virus aus Oberhausen, Münnekpunx inner Kaue aus Gelsenkirchen, der Harte Chor, später Radio BonteKoe vom Zwischenfall und Wageni in Bochum, KG Schwerte vom Rattenloch, die Kollegen aus Herten, Düsseldorf, Hilden, Neuss, Köln, Wermelskirchen, die waren nicht alle gleichzeitig, aber im Laufe der Zeit mal involviert. Sorry, wenn ich jemand vergessen habe. Getroffen wurde sich alle drei Monate reihum in den Läden. Jeder war mal Gastgeber. Ziel war es, gegenseitig Infos und Poster auszutauschen. Aber auch Terminüberschneidungen konnten so das eine oder andere Mal vermieden werden. Ende 1996 entstand dann auch die Idee, ein unkommerzielles Open-Air-Festival zu veranstalten. In Kooperation der Konzertgruppen wurde es ein halbes Jahr vorbereitet, bevor im Juni 1997 das Independence Day Festival auf dem Gelände des Druckluft in Oberhausen stattfand. Es spielten DE KIFT aus den Niederlanden, GUTS PIE EARSHOT, TEMPO ZERO aus Italien, UNHINGED aus Belgien und GRIMSROTTEN. Es kamen sicher 400 bis 500 Leute. Ein Jahr später wurde das Ganze in Vollalarm-Festival umbenannt. Dort spielten dann ESK, SCALE SHEER SURFACE aus Belgien, FLEAS & LICE aus den Niederlanden, EX-CATHEDRA aus Schottland und HEAL! aus den USA, die Nachfolgeband der legendären FALSE PROPHETS. Die Erlöse der Festivals kamen immer politischen Zwecken zugute. Wir wollten zwar schon unseren Spaß, aber nicht hohl und ohne Inhalt. Das Unkommerzielle stand immer im Vordergrund. Wir hatten gedeckelte Eintritts- und Getränkepreise, lecker veganes Catering – hallo an „Kommando Rote Rübe“! – und immer eine Tombola. In der Folgezeit gab es das Festival weiterhin jährlich, mein letztes als Aktiver war 1998.

Was hat es eigentlich mit dem Namen Zebracore auf sich?
Wir waren alle aktive MSV-Fans, auch genannt „die Zebras“. Das Wort Zebracore taucht erstmalig im Jahre 1992 auf. Auf wessen Mist das gewachsen ist, kann ich heute nicht mehr sagen. Da ist vieles im Alkheimer- und THC-Nebel versackt. Ich kenne auch niemanden, der das für sich proklamiert. Wir waren ein loser Zusammenschluss von fünfzig bis siebzig Leuten aus einem breiten linken Spektrum aus Duisburg und Oberhausen. Das Punk-Zebra vom Zebracore-Logo ist so um 1993/94 entstanden. Unser Treffpunkt war ein Kiosk, das MSV-Büdchen, auf dem Weg von Hochfeld zum Stadion. Von dort ging es in die Nordgerade, Fluchttor 13. Das war unser Stammplatz. Zebracore war in unserem Zusammenhang eben erst mal eine nette Wortspielerei und verband meinen Lieblingsverein und meine Lieblingsmusik Hardcore sowie im weiteren Sinne unsere Gesänge beim Fußball ideal. Besser hätte ich meine Vorlieben nicht benennen können. Als wir dann 1994 die zweite Konzertgruppe starteten, haben wir den Namen kurzerhand übernommen. Seit 1998 gehe ich nicht mehr zum Fußball, doch im Herzen bleibe ich immer nur MSV-Fan. Aber wie beim Metal geht mir auch im Fußball die Kommerzialisierung auf den Sack. Warum sollte ich diese verwöhnten Millionarios finanzieren? Ich verdiene nur noch durch Fußball, wenn ich da arbeite.

Noch mal zurück zur Fabrik in Duisburg. Was war das für eine Hütte – wie muss man sich die Räumlichkeiten vorstellen?
Wie bereits oben erwähnt, wurde die Fabrik, offizieller Name Kulturzentrum Fabrik e.V., 1978 aus der linkspolitischen Studentenszene gegründet. Das Gebäude lag in einem Hinterhof an der Grabenstraße in Neudorf. Rundherum nur Wohnhäuser. Die hatten aber alle keine grünen Gärten hinter dem Haus, sondern nur kleine Höfe, weil Neudorf tatsächlich eine industriell geprägte Hinterhofbebauung hat. Im 19. Jahrhundert gab es in Neudorf viele kleine Fabriken in den Höfen und in so einem Bau waren wir drin. Eigentlich bestand die ehemalige Fabrik aus zwei Gebäuden. Ein Teil war an eine Kampfsportschule vermietet, der andere an uns. Der Komplex gehörte einem alten Mann, der viele Immobilien im Umfeld besaß. Der Fabrikkomplex war sein Herzstück, weil seine erste eigene Immobilie. Da er „die jungen Leute gut leiden“ konnte, hat er uns immer in Ruhe gelassen, auch wenn doch mal eine Beschwerde reinkam. Wir konnten auch in schlechten Zeiten mal zwei Mieten im Rückstand sein, der hat immer abgewunken und gesagt, wir sollen halt kommen, wenn wir’s haben. Lustigerweise hat auch noch meine Tante bei ihm die Buchhaltung gemacht. Das war so entspannt. Als er Ende der Neunziger verstarb, erbte der Schwiegersohn den Komplex. Und vorbei war es mit der Ruhe. Die Miete wurde immer höher, wir mussten immer wieder mit neuen Schikanen kämpfen, die Nachbarschaft fing auch an, Terror zu machen. Anfang der Nuller Jahre wurde es immer schlimmer, vor allem finanziell. Das schlägt aufs Gemüt und so wurde es auch hausintern immer frostiger. So was ist dann der Anfang vom Ende. Ich zog mich 2001 zurück, hatte ab da andere Prioritäten. Das Gebäude war dreigeschossig, ebenerdig war ein Autoschrauber beheimatet.

Wer jemals da war, erinnert sich noch an die steile Rampe hoch zum Eingang.
Ja, unsere Räume waren die oberen Etagen. Der Veranstaltungsraum war in der ersten Etage und zum Eingang führte eine Rampe, über die auch Autos in eine weitere benachbarte Werkstatt fuhren. Die Rampe war das eigentliche Herzstück des Ladens. Im Sommer lud sie zum Rumgammeln ein, im Winter war sie bei Eis und Schnee eine stetige Herausforderung und die Bands haben meist gekotzt. Nicht jede Handbremse hat es geschafft, den Van samt Equipment zu halten, und so mussten einige ihr ganzes Zeug die Rampe rauf schleppen und rollen. Der Konzertraum war ein sehr langer Raum mit Holzboden – und Holzdecke, was für eine brauchbare Akustik sorgte. Allerdings hatte der Raum so gut wie keine Schallisolierung nach außen, sondern doppelt verglaste Plastikfenster, in meinen Anfängen sogar noch die originale Einfachverglasung. Dass da die Nachbarn nicht sofort auf die Barrikaden gegangen sind, wundert mich bis heute. Sowieso, dass der Laden unter den Umständen 25 Jahre überlebt hat, grenzt für mich heute an ein Wunder. Wenn man reinkam, war gleich am Anfang ein kleiner Vorraum, dahinter die Kneipe mit Bühne am Ende und Theke am Anfang. Insgesamt so 25 bis 30 Meter lang und 5 Meter breit. Über eine Treppe erreichte man das zweite Obergeschoss mit dem Männerklo. Das Frauenklo war unter der Treppe. In der oberen Etage waren einige Büros und am Ende, quasi über der Bühne, der Bandraum.

Du hast die Zebracore-Konzerte ja nicht alle alleine über die Bühne gebracht, sondern einige Leute dabeigehabt.
So was kannste ja gar nicht alleine machen. Das ist immer Teamwork, anders geht es nicht. Das ist ja nicht so, dass du ’ne Band anrufst, die kommen, spielen, halten die Hand auf und sind weg. Das Veranstalten ergibt eine sehr umfangreiche To-Do-Liste. Da ist die Vorarbeit, Termine rechtzeitig an die Presse übermitteln, nicht Fanzines, sondern Stadtmagazine wie Coolibri und so. Rumfahren und Poster hängen. Dann Anlage leihen und aufbauen und im Idealfall auch bedienen können, Bandessen kochen, Bölkstoff besorgen, dann Kassen- und Thekenschichten organisieren, mit den Bands im Haus bleiben und ihnen am nächsten Tag Frühstück machen, aufräumen, Anlage abbauen und dann zwei Tage pennen, weil man das alles selten nüchtern überstanden hat. Da braucht es viele Leute.

Irgendwann hast du aber aufgehört, Konzerte zu veranstalten. Was hat dazu geführt?
Da war zum einen der Fakt, dass ich mich nach über zwanzig Jahren Rock und Punk ganz schön ausgebrannt gefühlt habe. Die vielen Konzerte und Partys mit den ganzen Exzessen zehren irgendwann doch an einem. Ich hatte damals meine heutige Frau Pina kennen gelernt, wir wurden 2001 schwanger und heirateten noch im selben Jahr. 2002 kam die erste Tochter, 2004 die zweite. Außerdem hatte ich 2000 die einmalige und letzte Chance, eine Ausbildung zu machen. Damals wurde der Beruf des Veranstaltungstechnikers erschaffen und in Duisburg kam tatsächlich eine Umschulung zustande, die auch für Studienabbrecher angeboten wurde. Also auf den Zug aufgesprungen und im Sommer 2002, also damals schon mit Familie, den Gesellenbrief erhalten. Es war damals schon klar, dass der Weg in die Selbstständigkeit folgen musste, so ist der Markt damals gewesen. Fazit: Junge Familie und Freelancer, schwierig genug. Als dritter Faktor kam erschwerend hinzu, dass meine Eltern beide schon damals schwer von Krankheit gezeichnet waren. Deren Geschichte könnte auch Bücher füllen. Jedenfalls beide pflegebedürftig, meine Mutter starb schon 2002, mein Vater hat es danach nicht aus dem Haus geschafft, sich mit MS, Bechterew und Parkinson alles reingezogen, was das Leben schwermacht. Sieben Jahre habe ich ihn neben der Familie und dem Freelancertum noch mit versorgt, bis er es 2009 auch hinter sich gebracht hatte.

Du hast in den vergangenen Monaten eine Menge Live-Mitschnitte der von dir veranstalteten Konzerten digitalisiert und auf YouTube eingestellt, Suchbegriff „Zebracore Fabrik“. Hast du damals alles vorsätzlich aufnehmen lassen oder wie sind die zustande gekommen?
Ja, nachdem ich mit den paar Videos fertig war, bin ich an meine Live-Tape-Sammlung geraten. Da hatte ich die Idee, die Sachen auch zu digitalisieren, bevor die Kassetten schlappmachen. Das war im Lockdown-Winter 2020/21. Ich glaube, der Zeitpunkt hätte perfekter nicht sein können, denn das ist sehr zeitaufwändig. Eines der Tapes ist auch direkt nach der Digitalisierung gerissen. Super Timing also. Letztendlich existieren von der Fabrik über fünfzig Aufnahmen, zwanzig Aufnahmen aus dem Druckluft und der Rest ist im Laufe der Zeit hier und da entstanden. Insgesamt sind es über hundert. Eine gute Freundin von mir hatte Anfang der Neunziger kurzzeitig Interessen im Bereich Filmemachen und wollte sich dort auf Ton spezialisieren. Dafür hatte sie sich einen hochwertigen Aufnahmerecorder zugelegt. Nachdem ihr Interesse am Film abflaute, konnte ich mir den öfter mal ausleihen. Das war so ein tragbarer Sony-Recorder mit separaten Mikroeingängen. Dazu zwei SM58-Mikros, und die hatte ich dann über der Theke, später über der Bühne vor der Anlage hängen. Da wurde gar nix gemischt, alle Fabrik-Konzerte sind reine Raumaufnahmen. Da kommt auch nix vom Pult, wir hatten nur eine Gesangsanlage. Da sieht es bei den Druckluft-Aufnahmen anders aus. Da sind die meisten Pultmixe. Ich habe früh mit dem Aufnehmen angefangen. Ich wollte das immer als Erinnerungsstücke bunkern, ohne weitere Hintergedanken. Es konnte ja damals keiner ahnen, was heute möglich ist mit Internet und so. In der Regel habe ich es nicht mal geschafft, den Bands eine Kopie zu schicken. Die Tapes sind nach dem Konzert einmal angehört worden und dann in die Truhe gewandert. Ich habe die nie wieder gehört bis auf zwei, drei Ausnahmen. Jetzt, da die ganzen Tapes gerettet, also digitalisiert sind, versuche ich, die klanglich noch besser hinzukriegen. Das klappt auch ganz gut mit Hilfe von Audacity, das ist ’ne freie Software, mit der man schon einiges machen kann. Aber im Grunde ist hier die Originalaufnahme entscheidend. Ohne gute Basis geht nichts. Aus Scheiße kannste kein Gold machen. Wir hatten in der Fabrik meistens einen brauchbaren Sound, sonst wären ja auch die Aufnahmen schlecht. Ich finde, die Sachen sind einfach zu schade, um inner Kiste zu verstauben und vergessen zu werden. Dann lieber für alle für immer im www. Und der Kanal wird auch nicht monetarisiert, also vermarktet. Weiterhin im Sinne des DIY-Gedankens. Außerdem versuche ich, alle Bands irgendwie zu kontaktieren und dank Drecks-Facebook klappt das auch nach bis zu dreißig Jahren erstaunlich gut.

Was hast du noch in Planung?
Keine Ahnung. Die hundert Aufnahmen wollen ja auch erst mal verarbeitet werden. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen, doch irgendwann ist alles drin im Netz. Aber es gibt ja noch andere Sachen neben dem Fabrik-Kosmos. Woanders haben ja auch Leute Konzerte aufgenommen. Ich habe mir vorgenommen, mich weiter auf das Verbessern von Tonaufnahmen zu spezialisieren. Ich würde auch fremde Aufnahmen veröffentlichen, wenn mir das gefällt. Das ist die Prämisse. Denn ich bin mir sicher, dass da noch viel Material im Verborgenen schlummert. Im Speziellen bin ich mir sicher, dass es aus der Fabrik auch noch Videos geben muss. Audios wohl weniger, die habe ich ja selber gemacht. Aber ich würde mich sehr über weitere Aufnahmen aus den Achtzigern, egal ob Audio oder Video, freuen, insbesondere auch vom Eschhaus. Das war zwar nicht mein Laden, ist aber ein Meilenstein in der Duisburger Hardcore-Geschichte und gehört damit indirekt auch zu meiner Historie. Mit dem Karrieremachen wird es wohl nix mehr, also mische ich weiter Audios zu Hause und verstricke mich wieder mit Leuten weltweit. Im Grunde suche ich eigentlich alles, was die alten Tage dokumentiert, also Veranstaltungsposter, Fotos, Flyer, Zeitungsschnipsel, alles eben. Wer also Material anbieten kann, darf mich gerne kontaktieren via ZEBRACOREfabrik@web.de. Ich lasse mich mal überraschen, ob da was passiert.