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DRACULA

Bram Stoker, Georges Bess

1914 lässt Bram Stokers Witwe Florence Balcombe posthum eine Sammlung von Kurzgeschichten mit dem Titel „Dracula’s Guest and Other Weird Stories“ veröffentlichen. Die Eröffnungsgeschichte dieser Sammlung, „Draculas Gast“, bildet den Abschluss und die zentrale Erweiterung dieser Neuauflage des ursprünglich 2020 auf Splitter erschienen opulenten Bandes. Noch immer ist umstritten, ob „Draculas Gast“ tatsächlich das erste Kapitel des Erfolgsromans war, das Stoker später aus nicht weiter bekannten Gründen strich. Die in der Nähe von München spielende Geschichte greift jedenfalls zahlreiche Dracula-Motive auf: Abergläubische Einheimische, ein schauerliches lokales Fest (Walpurgisnacht), ein Schneesturm, zielloses Umherirren des Protagonisten, Friedhof und Gruft, das Grab einer Selbstmörderin, wolfsähnliche Gestalten. Freunde des Gothic-Horrors kommen also auch hier voll auf ihre Kosten. Außerdem nur in dieser Ausgabe vorhanden: Diverses Studien- und Skizzenmaterial und ein blutrotes Cover (die erste Auflage war golden foliert). Sonst bietet sich die bereits bekannte von Magnetic Press in Auftrag gegebene Version, die inhaltlich recht nah an Stokers Original bleibt. Dass das hier dargestellte Gesellschaftsbild des 19. Jahrhunderts heutzutage so manche Augenbraue hochschnellen lässt, sollte auch ohne Disclaimer schon vor der Lektüre klar sein. Trotzdem gelingt es Bess, in seinen detailreichen schwarzweißen Tuschzeichnungen diverse versteckte Gimmicks wie den in Dr. John Sewards Psychiatrie untergebrachte Dracula-hörigen R.M. Renfield in Gestalt von Keith Richards (die Entwürfe im Anhang zeigen: auch Mick Jagger hatte Bess ausprobiert) einzubauen. Fein anzuschauen.