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STEVEN WILSON

The Future Bites

Ich schätze den Progrock-Erneuerer Steven Wilson schon seit seiner Zeit als PORCUPINE TREE-Frontmann als Musiker mit klarer künstlerischer Vision und bodenständigen Perfektionisten, was er auch auf seinen Soloplatten und Kollaborationen wie BLACKFIELD und NO-MAN unter Beweis stellte, seine diffusen Elektronikexperimente unter dem Namen BASS COMMUNION überzeugten hingegen weniger. Aber auch ein Progrock-Erneuerer wie Wilson hatte offensichtlich mal die Nase voll von diesem speziellen Genre. Das Ergebnis davon war 2017 „To The Bone“, ein unfokussiertes, banales Pop-Album, dessen Songs selbst live nicht funktionierten, und das bei jemanden, dessen Konzerte immer ein ganz besonderer Genuss waren. Während einem Peter Gabriel diese Transformation mit „So“ 1986 bravourös gelang, ging dieses Unterfangen bei Wilson ziemlich in die Hose. Viele langjährige Fans hatten wohl deshalb gehofft, Wilson würde sich mit dem nächsten Album wieder auf alte Tugenden besinnen, aber tatsächlich stellt „The Future Bites“ mit seiner etwas plakativen Konsumkritik eine noch viel stärkere, wenn auch deutlich gelungenere Zäsur dar. Zwar ist Wilsons progrockiges Songwriting hier deutlich zu spüren, aber stilistisch hat er sich noch weiter von Rock abgewandt. Am ehesten repräsentiert noch „12 things I forgot“ mit seinen Peter Frampton-Anklängen den alten Wilson, sicherlich einer der schönsten Songs seiner bisherigen Karriere. Wohin Wilson aber eigentlich will, zeigt am besten die großartige „Giorgio Moroder meets THE HUMAN LEAGUE“-Nummer „Personal shopper“ (vor allem im 19-minütigen Extended Remix) mit ihren analogen Synthie-Teppichen und KRAFTWERK-Referenzen. Wilson hat auf „The Future Bites“ mal kurz das Jahrzehnt gewechselt, von den Siebzigern in die Achtziger, wo man vielen alten Bekannten wie TALK TALK, SHRIEKBACK, TEARS FOR FEARS oder auch den späten PINK FLOYD begegnet, was bei ihm zu einer gelungenen Prog-Pop-Fusion verschmilzt, die gleichermaßen modern wie retro klingt.