PEDRO THE LION

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Moralist auf vier Pfoten

ein Singer/Songwriter, in diesem Fall David Bazan, der wohl eher unter dem Namen PEDRO THE LION ein Begriff sein dürfte, über dreißig verschiedene Musiker in seiner Gruppe hatte, dann stellt sich unausweichlich die Frage, wie umgänglich dieser Mensch ist. Hat man es nun mit einem Egomanen zu tun, oder überfordert er seine Mitmusiker durch sein Engagement? Glücklicherweise ist bei dem bärtigen und etwas korpulenten Multitalent aus Seattle, der seine Alben inzwischen via Jade Tree veröffentlicht, letzteres der Fall. In seinen Songs thematisiert Bazan zwischenmenschliches wie Tragödien, Höhenflüge und Tiefschläge so lebensnah und unverfälscht, dass man gar nicht umhin kommt, ihm Gehör zu schenken und sich mit seinen Charakteren zu identifizieren. David Bazans Musik ist einzigartig, denn durch sie artikuliert sich seine Seele und diese will uns zum Guten bekehren, indem sie uns ihre Abgründe aufzeigt oder sind es unsere eigenen?

Kannst du mir erklären, wie es dazu kam, dass PTL immer zwischen Band und Soloprojekt pendelte?


Also, es hat 1995 als ein Vierspurprojekt begonnen. Ich hatte lange Zeit Lieder geschrieben und bekam dann ein Vierspur-Aufnahmegerät und begann aufzunehmen. Ich mochte den Namen, also habe ich den auf eine Kassette mit Songs geschrieben und habe sie verteilt. Dann habe ich meine Bekannten gefragt, ob sie in der Band spielen wollten. Wir spielten etwa anderthalb Jahre zusammen und 1997 war dann das Ende und die Gruppe wurde zum Trio. Seit diesem Zeitpunkt haben etwa 30 verschiedene Leute mitgespielt. Bei ‚Winners Never Quit‘ hatte ich Leute, die mit mir live spielten, aber sie waren keine Bandmitglieder.

Die dann auch schon mal „hired guns“ genannt hast ...

Das stimmt, ich habe das dann auch etwas häufiger so gemacht. Ich hatte eigentlich im Sinn, eine normale Band zu machen, mit zwei anderen Mitgliedern, aber das hat nicht so recht geklappt, was wohl hauptsächlich meine Schuld war, weil ich ziemlich naiv war und in bestimmten Dingen auch schlechte Entscheidungen gefällt habe. Mit ‚Control‘ war es wieder ähnlich. Jetzt sieht es aber wieder so aus, dass feste Musiker mitspielen, aber man wird sehen ...

Wo du gerade „Control“ ansprichst, ein Song, der mich darauf sehr beeindruckt hat, ist „Indian Summer“. Welche Idee steckt dahinter?

In Seattle, wo ich lebe, regnet es ziemlich viel, zumindest sagen das die Leute. Es stimmt teilweise, aber es ist nicht so schlimm, weil der Regen auch der Grund dafür ist, dass es dort so grün und schön ist. Viele Leute beklagen sich halt darüber, sogar wenn es nach zwei Monaten Sonnenschein auch nur einen Regentag gibt. Es ist einfach dumm und hat mich geärgert. Denn wenn die Leute das hätten, was sie wirklich wollen, also wenn es die ganze Zeit sonnig wäre, wie wäre es denn dann? Na ja, mir wurde klar, dass sie das bald haben können, wenn man die allgemeine Erwärmung der Erde beobachtet. Ich dachte, wenn die globale Erwärmung zunimmt, dann muss ich einen Slogan finden, eine Publicity-Kampagne, damit die Leute das total toll finden, und es als eine gute Sache empfinden, immer noch glücklich sind und weiterhin einkaufen – was ja auch das Ziel der Regierung der Vereinigten Staaten ist. So kam ich dann auf den Slogan ‚God Bless The Indian Summer‘.

Würdest du sagen, dass „Control“ noch provokanter ist als deine bisherigen Alben?

Ich glaube, ich habe mich einfach daran gewöhnt, so zu schreiben, wie ich bin. Ich hatte früher immer Angst bestimmte Dinge zu sagen, nun bin ich an diesem Punkt, wo ich einfach schreiben möchte und mir die Freiheit zugestehe, bestimmte Sachen zu sagen. Ich war auch ziemlich isoliert von der Kultur meiner Vergangenheit, die auf diese Dinge herabgeblickt hätte. Ich habe mich nicht mehr mit derartigen Menschen umgeben, und letzten Endes ist dies das Resultat. Mancher hat sich sehr negativ deswegen geäußert, aber andere Menschen, die ich schätze, mochten es, und das waren jetzt nicht nur Trinkbrüder.

Gleichzeitig kritisierst du auch viele Leute. Würdest du dich einen Moralisten nennen?

Vielleicht bin ich einfach nur arrogant. Zu einem gewissen Grad ist es schon eine sehr predigerhafte Platte. Begonnen hat es jedenfalls als politisches Album, mit einer linken Perspektive. Obwohl meine persönliche Einstellung relativ links ist, gibt es immer noch fundamentale Ansätze, mit denen ich nicht übereinstimme. Man denkt in den Staaten, dass der Mensch innerlich gut ist, und ich denke nicht so ...

Du bist in deinen Texten ja sehr ehrlich. Hat dich deine Frau denn schon mal ermahnt, dabei etwas mehr Privatsphäre zu wahren?

Ja, schon. Alle Texte sind fiktional, obwohl die Charaktere darin sehr aufrichtig über ihre Probleme sprechen. Manchmal klingt ein Lied sehr persönlich, obwohl es das nicht ist wie z.B. ‚Rapture‘ auf ‚Control‘, und meine Frau mochte das nicht. Es hat sie sehr gestört, denn es ist ein Lied über zwei Menschen, die Sex haben, also dachte sie, es sei nur natürlich, dass unsere Bekannten sich dabei vorstellen, wie wir zusammen intim sind. Deshalb hat sie sich extrem unwohl gefühlt. Wir haben darüber mit Freunden gesprochen und sie meinten, dass das schon passiert sei, als sie den Text zum ersten Mal gehört haben. Sie ist dann wirklich ausgeflippt und ich habe diesen Song auf ihre Bitte hin anderthalb Jahre lang nicht mehr live gespielt. Der Satz, der sie emotional am härtesten trifft, kommt nach der zweiten Strophe: ‚This feels so good ...‘. Sie meinte, wenn ich das nicht sagen würde, dann hätte sie kein Problem damit, wenn wir es spielen würden. Was ich zwar gut finde, mich aber auch sehr verwundert hat, denn ich dachte, dass einige Zeilen in der ersten Strophe schwieriger für sie sein würden.

„Control“ ist ein sehr tanzbares Album geworden, großartige Drumbeats. Habt ihr versucht, es auf den Beats und dem Synthie aufzubauen?

Ich mag Schlagzeug sehr, ich habe es auch mehr als jedes andere Instrument gespielt, und mir wurde klar, dass ich auf den vorherigen Platten mit manchen Dingen zu nachlässig umgegangen bin, und das Schlagzeug gehörte dazu. Ich habe auch schon Schlagzeug in anderen Bands gespielt, die Sachen gemacht haben, die ich für sehr interessant halte, deshalb wollte ich auch, dass dies zum Teil meiner Band wird. Ich denke, dass ein tanzbarer Drumbeat viel von einem Song trägt. Wenn man einen guten Beat hat und einen schönen Melodiebogen, dann kann die Gitarre um so freier sein. Dafür sind MODEST MOUSE ein gutes Beispiel. Auf dem nächsten Album wird es ähnlich sein. Alle Lieder sind bereits geschrieben, aber nur für die Gitarre. Im Oktober gehen wir dann ins Studio und werden alles zusammenfügen. Ich denke, es wird weniger Synthie-Sounds geben, nur Gitarre und Schlagzeug als Basis. Den Synthie möchte ich bei anderen Projekten verstärkt integrieren.

Kannst du mir schon etwas über diese neuen Projekte erzählen, die du planst?

Ich möchte schon seit langem eine Band gründen, die nur mit einem Synthesizer und Schlagzeug arbeitet. Es wird auch Elemente von elektronischer Musik geben. Es wird wohl sehr durch KRAFTWERK beeinflusst sein, aber noch mehr nach CAN klingen. Ich habe verschiedene Namen im Kopf, weiß aber noch nicht, welche ich verwenden werde. Man wird sehen ...

Thomas Eberhardt