SILVER

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Pray For Rock‘n‘Roll

Hamburg, am 4. März: Wie immer ist es schweinekalt, und ich erreiche gerade noch vor dem Tod durch Erfrieren das Molotow, um mir SILVER aus Norwegen anzuschauen, aus Oslo, um genau zu sein. In der Stadt an der Elbe waren die Skandinavier in den letzten Jahren schon öfter, u.a. auch in der Großen Freiheit 36 als Support von TURBONEGRO. Bereits ganze sieben Jahre sind die fünf in nur gering veränderter Besetzung unterwegs, um die Rock‘n‘Roll-Meute mit Arschtritt-Sounds zu versorgen. Dabei bekamen sie im Lauf der Jahre prominente Hilfe. So produzierte Euroboy die „Riot 1-2-3“ EP, und mit EUROBOYS-Drummer Anders Möller nahm man in den Crystal Canyon Studios das neue Album „White Diary“ auf, das Anfang März auf Bad Afro Records erschienen ist. Leider ist das Teil zum Zeitpunkt des Gigs noch nicht in den Läden, dafür läuft das Video zur Single „Intimate Cussing“ immerhin auf diversen Sendern. Die Show heute Abend ist jedenfalls fett, trotz der höchstens 50 Gäste, die das Songmaterial wenig bis gar nicht kennen. Im Anschluss schnappe ich mir sofort Sänger Blanco Summer und quetsche ihn ein bisschen aus.

Euer Drummer Katz hat heute nicht Schlagzeug gespielt. Hat er die Band verlassen oder was ist passiert?


„Er hat noch eine andere Band namens SERENA MANEESH, und das ist
seine Hauptband. Also tourt er nicht mit uns, aber er ist immer noch in der Band. Aber wir haben noch einen anderen Schlagzeuger und der ist wirklich gut, also macht das nichts. Natürlich vermissen wir ihn, aber dieser Typ hier passt perfekt zu uns. Er ist übrigens der kleine Bruder von
unserem Gitarristen Amy Jubb.“

Okay, erzähl mal, wie kam‘s überhaupt zu dem Deal mit Bad Afro?

„Zuallererst haben wir, glaube ich, Lars von Bad Afro eine Platte geschickt. Dann hat es eine Weile gedauert. Nach einiger Zeit hat er uns wieder kontaktiert, er kam dann nach Norwegen, nur um sich eine Show anzuschauen. Und ihm gefiel, was er sah. Dann haben wir einen Deal ausgearbeitet. Wir hatten Kontakte zu vielen Labels, einige Major-Labels in Norwegen und auch andere Indie-Labels, aber die waren nichts für uns. Die redeten immer nur, aber es kam nichts dabei heraus. Letztendlich sprachen wir mit Lars. Der war wirklich interessiert, und wir konnten bei der Aufnahme alles so machen, wie wir es wollten. So haben wir nach ‘ner Weile bei ihm unterschrieben.“

Was würdest du sagen, welche Bands haben das Album musikalisch beeinflusst? Was hört ihr so?

„Wir stehen auf viele Sachen. Ich denke, alles von den SEX PISTOLS bis zu Hank Williams. Ich bin auch ein großer Johnny Cash-Fan. Ich denke aber nicht, dass man das auf der Platte hört. Einige Bands mag natürlich jeder in der Punkszene, Bands wie THE STOOGES und RAMONES. Wir mögen auch Bands wie SOCIAL DISTORTION, THE JACOBITES, DOGS D‘AMOUR, ROYAL TRUX oder VELVET UNDERGROUND.“

Du hast ja schon Hank Williams und Johnny Cash erwähnt. Mich erinnern die Texte von der Atmosphäre auch ein bisschen an die beiden. Einige Lyrics wirken ziemlich frustriert und bitter.

„Die Lyrics sind auch ziemlich düster. Vielleicht denken dadurch einige Leute, dass das alles sehr depressiv ist, aber für uns ist es nicht so. Du musst einfach alles rauslassen, die Frustration, alles was du fühlst, wenn du wütend oder traurig bist. Ich würde nicht depressive Texte schreiben, nur um die Welt zu einem noch dunkleren Ort zu machen, als sie es sowieso schon ist. Wenn du zwischen den Zeilen liest, wirst du viel Hoffnung finden und eine Art positiven Spirit, das ist wichtig für SILVER.“

Leute, die euch länger kennen, wissen, dass ihr einen christlichen Background habt. Welche Rolle spielt der Glaube bei SILVER?

„Für uns ist er sehr wichtig. Wenn du aufwächst, triffst du auf viele unterschiedliche Welten und dir begegnen viele verschiedene Dinge. Manchmal ist das Leben einfach nur abgefuckt, alles ist total durcheinander. Für mich ist es sehr wichtig, an etwas zu glauben, das über dir steht. Denn ich kann dieses Leben nicht alleine packen, ich weiß, dass ich so oft versagt habe. Und darüber sind auch die Texte.“

Und das „White Diary“, was verbirgt sich dahinter?

„Das Album wurde in einer dunklen Phase unseres Lebens geschrieben. Alle waren nur nach dem Motto drauf: ‚Ohhh, dieses Leben nervt‘. ‚White Diary‘ ist deshalb wie eine Prophezeiung: Gib niemals auf, komm schon! Du musst durch dieses Leben durchkommen, und es wird eine bessere Zukunft geben.“

Ihr habt ja in der Vergangenheit viel mit TURBONEGRO bzw. Leuten aus diesem Umfeld zu tun gehabt. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

„Happy Tom hat uns mal live gesehen, das ist nun fast vier Jahre her. Ich habe ihn dann bei einer anderen Show getroffen, ich glaube bei den BACKYARD BABIES. Er sagte ‚Hi, du bist der Typ von SILVER, oder? War ‘ne coole Show, die ihr da gespielt habt.‘ Er redete über die Location, wo wir gespielt haben und dann fragte er, ob wir bei einer TURBONEGRO-Tribute-Show spielen wollen. Das war, bevor ‚Alpha-Motherfuckers‘ veröffentlicht wurde. Es war also so eine Art Releaseparty für die Scheibe in Norwegen. Die ganzen Jungs von TURBONEGRO waren dort, und alle waren von der Show begeistert. Nur wenige Wochen später haben wir Euroboy gefragt, ob er die EP produzieren möchte. Er ist ein Genie, wenn es um Musik geht, nicht nur Punkrock, sondern alles. Er hat es zu der Zeit fast umsonst gemacht. Wir haben ihm zwar was gezahlt, aber es war nicht viel. Er lehnt fast alle Anfragen ab, aber wenn es etwas ist, das er mag, macht er es. TURBONEGRO haben uns wirklich viel geholfen, viel, zumindest was Skandinavien betrifft.“

Wie ist das Verhältnis zu Bands wie TURBONEGRO oder GLUECIFER ganz allgemein? Gibt es so was wie eine Szene in Norwegen, oder hängt jeder für sich rum?

„Beides. Wir haben diverse Bars, wo verschiedene Bands abhängen. Es gibt eine Art Szene, aber Oslo ist auch eine wirklich üble Stadt, Leute erzählen viel Mist übereinander. Aber einige Bands sind wirklich gut darin, anderen Bands zu helfen. TURBONEGRO z.B. helfen vielen Bands. Sie haben auch AMULET und anderen Bands wie uns geholfen, oder einer norwegischen Band namens SURFER ROSA.“

Ihr habt vor kurzem in eurem Heimatland beim „Alarmprisen“, was der Grammy Norwegens ist, den Hauptpreis abgeräumt. Außerdem konnte ich auf eurer Homepage sehen, dass ihr schon einige ausverkaufte Gigs da oben hattet. Habt ihr damit irgendwie gerechnet?

„Den Preis haben wir überhaupt nicht erwartet. Wir haben viel Geld gewonnen. Die Leute denken wohl jetzt, dass wir reich sind, aber wir haben von dem Geld ein neues Auto gekauft. Es lief wirklich gut die letzten drei Monate in Norwegen. Natürlich mögen uns einige Leute nicht, aber die meisten können uns gut leiden. Wenn du größer wirst, hast du auch eben immer mehr Feinde.“

Was ist deine Meinung zu dem ganzen „The“-Bands-Hype?

„Einige dieser Bands waren schon vor dem ‚The‘-Hype da, also kannst du niemandem die Schuld geben. Aber es kommt auch ‘ne Menge Mist aus diesem Bereich. Es ist nicht mehr interessant, wenn du von einer weiteren ‚The‘-Band hörst, denn das hast schon viele Male zuvor gehört. SILVER haben lange vor dem Rock‘n‘Roll-Hype gespielt und wir werden auch spielen, wenn er wieder vorbei ist. Also kümmere ich mich nicht um Leute, die sagen: ‚Ach, ihr seid ja nur eine weitere trendige Rock‘n‘Roll-Band.‘“

Wie geht‘s weiter mit SILVER?

„Wir haben für zwei Alben unterschrieben, also werden wir das nächste Album wohl wieder bei Bad Afro veröffentlichen. Aber ich erwarte nicht zuviel von der Zukunft, denn ich wurde so viele Male enttäuscht. Und ich habe gelernt, mit Situationen besser umzugehen als früher. Ich glaube nicht, dass wir die größte Band der Welt werden. Aber wir sind nun seit sieben Jahren in dieser Band, also denke ich nicht, dass wir einfach damit aufhören – wir haben nichts anderes zu tun. Wir haben keine Ausbildung, wir sind wegen dieser Band von der Schule abgegangen. Solange es uns gefällt, werden wir mit der Band weitermachen – selbst dann, wenn wir es manchmal nicht leiden können.“

Anmerkung:
Unser ablehnende Einstellung zu Bands mit christlichem Background ist bekannt, SILVER ein Grenzfall. Gerade auch wegen des folgenden Statements von Bad Afro-Boss Lars entschlossen wir uns, das Interview mit ein klein wenig Bauchweh doch abzudrucken - möge sich jeder seine eigenen Gedanken machen:
„I talked to them about this as I was also surprised when I heard it. But it‘s only a big deal in Norway which is a very religious country. I didn‘t even know it when I signed them and it is not something they bring up unless they are asked about it. What I am saying is that Silver is no bible waving band, they have personal beliefs which doesn‘t prevent them from living the usual rock‘n‘roll lifestyle which they certainly do (I was hanging out with them when they played SXSW in Texas). They are not preaching to anyone and the lyrics is no hail to any Gods. I am an atheist myself, by the way.“