Freecore Records

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Rise From The Ground

Langsam, aber sicher gewinnt sie an Fahrt, die Geschichte des Göttinger Labels Freecore Records. Stießen Perlen wie die ersten beiden KATZENSTREIK-Alben noch – unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit – vor allen Dingen lokal auf Interesse, konnte man mit CROWFISH und EL MARIACHI ein breiteres Publikum erreichen. 2004 soll nun das große Jahr für Freecore werden. Sascha und Nils haben sich einiges vorgenommen und dementsprechend viel zu erzählen.
Sascha, bitte gib doch erst mal einen kleinen „geschichtlichen Abriss“. Wie ging es damals mit Freecore Records los, und wer sind die Personen hinter den Kulissen?

„Los ging es 1999. Nils und ich hatten damals die Idee, das Label zu gründen. Wir waren jung, hatten viel Energie und glaubten an die Liebe zur Musik, schön, was? Wir veröffentlichten zwei oder drei gute Platten, und steckten insgesamt ‘ne Menge Kohle in das ganze Projekt. Da wir aber auch nur ein kleiner Stern am Musikhimmel sind, wird Mensch ziemlich schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Wir arbeiteten beide Vollzeit, und so mussten andere Mittel und Wege gefunden werden, um das Label weiterzuentwickeln. Ich denke, dass wir beide in dieser Zeit auch erst richtig angefangen haben, darüber nachzudenken, was wir eigentlich mit der Sache erreichen wollen, und was das Label für uns bedeutet. Neue Worte wie Booking und Promotion hielten Einzug in unsere Köpfe, und so langsam fing an sich zu formen, was sich heute Freecore Records nennt. Funktionieren kann Freecore Records allerdings nur durch die Mithilfe anderer wichtiger Menschen. Erwähnt sei nur ganz kurz Christian, der sich ums Layout kümmert, Torsten, unser Webmaster, natürlich die vielen netten Menschen in den Bands und all die anderen Leute um uns herum, mit denen wir zusammen leben, lachen, kämpfen, und die uns immer wieder neue Ideen und Kraft geben.“
Gibt es eine Art „Labelphilosophie“?
„Ich denke, das hat sich im Laufe der Zeit erst entwickelt. Wir machen das, worauf wir Lust haben, versuchen Neues zu entwickeln, aber klauen oder übernehmen auch bei den alten Strukturen. Wir sind ziemlich ruhige Typen und reflektieren immer wieder die Dinge, die wir tun. Schließlich geht es nicht darum, sich mit dem Label zu profilieren oder Unmengen an Geld zu verdienen. Auch für uns ist es verdammt schwierig, jeden Monat die Kohle zusammen zu bekommen. Aber wir arbeiten für etwas, was uns Spaß bereitet. Außerdem arbeiten wir mit vielen netten Menschen zusammen, zu denen wir einen engen und persönlichen Kontakt haben.“
Freecore hat, zumindest nach außen hin, einen engen Bezug zur Heimatstadt Göttingen. Mit KATZENSTREIK oder EL MARIACHI kommt ein großer Teil eurer Bands daher. Spielt dieses Kriterium eine Rolle oder ist das eher Zufall? Fühlt ihr euch als Teil einer Göttinger Szene?
„In der Tat besteht ein enger Bezug zur politischen Musikszene Göttingens. Am Anfang war uns das gar nicht so bewusst. Wir haben früher in kleinen Dörfern, rund 20 Kilometer außerhalb von Göttingen gewohnt, haben eine kleine politische Gruppe gehabt und regelmäßig Punkkonzerte im Juzi Göttingen veranstaltet, um Geld für die politische Arbeit zu haben. Irgendwann bin ich dann nach Göttingen gezogen, und habe hier dann immer mehr Menschen kennen gelernt, die etwas mit der politischen Musikszene zu tun hatten. Zu dieser Zeit entstanden dann auch die ersten Kontakte zu EL MARIACHI, KATZENSTREIK, MAD MINORITY etc. Wir verstehen uns menschlich super, haben gleiche Interessen und verbringen viele schöne Abende miteinander. Gleichzeitig haben wir das Label weiterentwickelt, und so kamen diese zwei Faktoren zusammen. Inzwischen sind wir ein Teil dieser lebendigen und politischen Musikszene Göttingens. Was aber die Bedeutung der anderen Bands, die nicht von hier kommen, nicht mindern soll. Eine enge Zusammenarbeit mit allen Bands ist uns beiden sehr wichtig. Ich denke, in Zukunft wird das Thema Göttingen schon einen Schwerpunkt bei Freecore einnehmen, aber wir schauen auch immer über den Tellerrand nach neuen, unglaublichen Bands.“
Welche Rolle spielt Politik im Labelkontext?
„Ich denke, Politik spielt eine große, aber nicht alles bestimmende Rolle. Mit dem Label bewegen wir uns in der politischen Musikszene. Wir versuchen sie durch Solikonzerte usw. zu unterstützen, und ich denke, dass man durch das Medium Musik viele Leute auf Probleme hinweisen kann, mit denen sie sich sonst vielleicht nicht auseinander gesetzt hätten. Sei es durch die Texte der einzelnen Bands, Hinweise in Booklets oder Ansagen auf Konzerten. Wir wollen Menschen keine politische Meinung aufzwängen, denken aber auch, dass es einen Weg gibt, dass Menschen, die vielleicht die Musik von CROWFISH gut finden, sich auch mal eine Platte von EL MARIACHI anhören. Von Punk über Ska bis Pop findest du bei Freecore Bands, die in erster Linie Lust haben, Musik zu machen, und die alle auf unterschiedliche Weise etwas mit Politik zu tun haben. Und ich denke, genau das ist es, was Freecore ausmacht. Freecore ist in diesem Sinne kein Label für eine bestimmte Musikrichtung, eher ein unabhängiges Künstlerkollektiv.“
Welche Kriterien spielen bei der Bandauswahl eine Rolle?
„Erst mal muss uns beiden die Musik der Band gefallen. Ein weiterer wichtiger Punkt, wenn nicht sogar der wichtigste, ist das menschliche Verhältnis. Wir haben keinen Bock auf irgendwelche Rockstars oder auf Bands, die vielleicht gute Musik machen, aber wo hinter der Fassade menschliche Arschlöcher stecken. Gleichzeitig ist es auch immer wichtig, wenn eine Band viel Eigeninitiative zeigt, und man merkt, dass dort auch ein paar Leute sind, die richtig Lust auf das haben, was sie da machen. Dann macht das Arbeiten miteinander viel mehr Spaß, weil es dann beiden Seiten viel bedeutet und bringt. Und für Leute, die das bis jetzt immer noch nicht geschnallt haben: Faschisten, Rassisten und andere Arschlöcher haben hier – und auch nirgendwo anders – nichts verloren. Ansonsten freuen wir uns über jedes Demo, das wir bekommen. Und wir bemühen uns wirklich, jeder Band irgendwie zu helfen. Was nicht immer klappt, wobei aber an dieser Stelle gesagt sei, dass es jede Band selber in der Hand hat, ihre Musik bekannter zu machen.“
Seit diesem Jahr ist das Label euer Vollzeitjob. Eine ziemlich folgenschwere Entscheidung, bei der es bestimmt jede Menge Diskussionen gab.
„Soviel diskutiert haben wir gar nicht. Irgendwie war es für uns beide klar, dass wir, nachdem wir arbeitslos geworden sind, uns mit dem Label selbstständig machen. Jeder hatte schon viel für sich darüber nachgedacht und wollte eine Menge Ideen verwirklichen. Und wir beide waren der Meinung, dass es ein ziemlich günstiger Zeitpunkt sei, mit drei sehr guten neuen Veröffentlichungen den Start zu wagen. So haben wir unsere Turnschuhe fest zugeschnürt, alles in die Waagschale geworfen, haben gerechnet und kalkuliert und es gemacht. So einfach, wie das jetzt vielleicht klingt, ist es aber auch nicht. Denn neben der Planung kommen jeden Tag neue Herausforderungen, und viele Dinge passieren, die nicht einzuplanen waren. Und für zwei Leute ist das einfach ein ganz schöner Packen Arbeit. Aber ich denke, wir haben eine realistische Chance, und die werden wir natürlich versuchen zu nutzen. Falls die Leute, die dieses Interview lesen, Kritik oder neue Ideen haben, wäre es klasse, von euch zu hören.“
In welcher Größenordnung verkauft bzw. presst ihr eure Scheiben so? Was war die best- und schlechtverkaufteste Veröffentlichung?
„Ziemlich gemeine Frage, auf die wir nicht direkt antworten werden. Das wäre nicht fair den Bands gegenüber. Denn sicherlich läuft das eine oder andere Album mal besser, mal schlechter. Oder wir haben von einer Veröffentlichung am Anfang sehr wenig verkauft und irgendwann waren dann plötzlich alle weg, oder umgekehrt. Generell kann man sagen, dass wir zurzeit in 1000er Auflagen pressen. Und das Geld, das alle Platten zusammen im Verkauf einspielen, wird dann dazu genutzt, eine neue Platte zu veröffentlichen. Grob kann man sagen, dass die Bands sich durch den Verkauf der Platten gegenseitig unterstützen. Und wie gut sich eine Platte verkauft, hängt von so vielen Faktoren ab. Einer der wichtigsten Faktoren ist sicherlich, wie oft eine Band live spielen kann.“
Außer der Labelarbeit bucht ihr auch Konzerte, oder?
„Das stimmt. Neben Freecore Records gibt es noch Elses Booking. Hier stellen wir einen Teil der Freecore-Bands nochmals ausführlicher für Konzertveranstalter vor. Dies bedeutet zwar einen großen Mehraufwand für uns, aber wir bieten so den Bands eine weitere Möglichkeit, dass Konzertveranstalter auf die Bands aufmerksam werden. Und klar verkauft man bei Konzerten auch ein paar mehr Platten und wir bauen uns ein zweites Standbein damit auf. Viele kleinere Bands haben auch einfach nicht so sehr die Kontakte zu Veranstaltern, somit ist es selbstverständlich, dass wir ihnen auch dabei helfen.“
[b]Was sind bzw. waren die letzen Veröffentlichungen? [b]
„Zum einen das neue KATZENSTREIK-Album. Nachdem wir die beiden ersten Alben veröffentlicht haben, erschien das neue in Kooperation mit verschiedenen anderen Labels. Das ist eine super Sache, da einfach fünf verschiedene Labels an der Werbung und Verbreitung des Albums beteiligt sind. Und ehrlich gesagt, ist es wirklich das Beste und Druckvollste, was KATZENSTREIK bis jetzt gemacht haben. Es ist Wahnsinn, wie viel Energie und Kraft in dieser Band steckt. Auf den letzten Konzerten haben so viele Leute getanzt, und man merkt richtig, wie KATZENSTREIK die Energie und Kraft in die Herzen der Zuhörer spielt. Geht auf die Konzerte und schaut euch diese Band an. Erwarten könnte man wirklich viel. KATZENSTREIK haben einfach sehr gute persönliche und politische Texte und rocken. In erster Linie hoffe ich, dass sie eine größere Zuhörerschaft bekommen, und vielleicht werden dadurch wieder ein paar mehr Leute auf Freecore aufmerksam. Zum anderen die neue LP von EL MARIACHI, die in Zusammenarbeit mit Alerta Antifascista und Sabotage erschien. Geplant ist auch, einen neuen Sampler zu veröffentlichen, der sich thematisch mit den alternativen Medien beschäftigen wird. Gegen Ende des Jahres soll es dann eine Festivaltour mit EL MARIACHI, KATZENSTREIK und einer weiteren Band geben. Dazu kann man sich aber auch auf unserer Homepage erkundigen. Ach, und dann gibt es noch tausend weitere Ideen ...“