Ipecac Recordings

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Making People Sick Since 1999

Fünf Jahre sind es nun schon, dass uns Mike Patton und Greg Werckman mit ihrem Label Ipecac Recordings beglücken. Im Jahre 1999 fand die Initialzündung statt, als FANTÔMAS, das damals neueste Projekt von Mike Patton, anscheinend keinen vernünftigen Plattendeal bekamen, kein Label wollte die knallharten Noise-Attacken veröffentlichen. Mike telefonierte in der Zeit mit sehr vielen Freunden und Bekannten, und die meisten waren eher unzufrieden als glücklich mit ihren momentanen Deals. Keiner fühlte sich wirklich verstanden und wohl bei den Labels, warum also bei einem Major oder unfähigen Independent-Label unterschreiben? Greg und Mike hatten schon seit Jahren über die Idee, ein eigenes Label zu gründen, philosophiert und nun war anscheinend der richtige Zeitpunkt gekommen, um das Monster namens Ipecac auf die Menschheit loszulassen.
Die Grundidee war, zum einen eine Basis für Mike Pattons Projekte bzw. Bands zu schaffen, und zum anderen befreundeten Bands einen Plattendeal anbieten zu können, mit dem sie sich wohl und verstanden fühlen. Dass es nicht nur dabei geblieben ist, sehen wir heute nach über fünfzig Veröffentlichungen. Bei den relativ wenigen Releases in fünf Jahren ist trotzdem eine sehr große Bandbreite an musikalischer Vielfalt entstanden. Und das ist auch Hauptanliegen der beiden Labelpartner: Eigenständigkeit und Kompromisslosigkeit. Bei jeder Veröffentlichung hat man den Eindruck, etwas Besonderes in den Händen zu halten, und das wird von der qualitativ hochwertigen Covergestaltung noch abgerundet. Da findet man Prägedrucke, Pappschuber mit Stanzen, lackierte Booklets, 5- oder auch 6-Farbdrucke mit Gold oder Sonderfarben, edle Papiere und viele andere Besonderheiten. Es werden also weder Kosten noch Mühen gescheut, um den Wünschen der Bands gerecht zu werden, und dem Käufer ein schönes Stück Musik anbieten zu können. Hervorzuheben sind an dieser Stelle zum einen solche Projekte wie die Single-Serie der MELVINS, bei der mal eben sieben Singles hintereinander veröffentlicht wurden. Und um hier dem Sammler etwas Besonderes zu bieten, wurde bei den Singles lediglich die Farbgebung bei der Covergestaltung variiert. Oder zum anderen die in diesem Jahr erschienene Buch/CD-Veröffentlichung namens „Neither Here Nor There“ der MELVINS, die ein 228-Seiten-Buch inklusive einer CD umfasst und zum 20-jährigen Bestehen der Band veröffentlicht wurde. Man kann also sehen, dass die Veröffentlichungspolitik bei Ipecac Recordings sehr offen ist, und immer wieder andere Wege einschlägt. Und das in der heutigen Zeit, in der jedes zweite Label, ganz egal ob groß oder klein, in der finanziellen Krise steckt. Wieso überhaupt Ipecac, weshalb ein weiteres kleines Label und warum gerade so idealistisch, wie nur möglich, das verraten uns nun Mike und Greg im folgenden Gespräch.
Fünf Jahre sind vergangen, seit ihr Ipecac Recordings ins Leben gerufen habt. Wenn ihr nun zurückblickt, wie waren eure Erwartungen damals und wie würdet ihr die Entwicklung des Labels beschreiben?
Greg:
„Um ehrlich zu sein, ich habe nicht sehr viel erwartet. Ich wusste, dass Mike eine sehr loyale Fangemeinde hatte, genauso wie die MELVINS, aber ich hatte nie erwartet, dass es sich zu einem Label mit einem so breiten Band-Katalog entwickeln würde, und sich gleichzeitig so schnell einen Namen in der Musikindustrie machen könnte. Von Anfang an hoffte ich, dass es da draußen Fans von einzigartiger und interessanter Musik geben würde, wie wir welche sind.“
In meinen Augen gibt es bei euch auch gewisse Parallelen zu Tzadik Records, dem Label von John Zorn. Besonders im Hinblick auf die Bandbreite der Künstler und auch bezüglich der Covergestaltung. Wie seht ihr das?
Mike:
„Nun, wir versuchen unser Bestes beim Artwork. Aber an Tzadik kommen wir da noch nicht ran. Wir sind cool, aber sie sind besser. John Zorn ist schon seit langem ein guter Freund von mir. Sein Label hat einen gesicherten Platz außerhalb der normalen Musikindustrie, und er fährt damit sehr gut. Ich beneide ihn dafür.“
Greg: „Ich sehe schon einige Ähnlichkeiten zu Tzadik, aber nicht sehr viele. Beide sind musikalisch breit gefächert und haben ein gutes Verhältnis zu ihren Künstlern, aber wir decken eine breitere Palette von Musikgenres ab, und im Bezug auf das Geschäftliche läuft es bei uns auch etwas anders ab. Für mich sind sie also nicht so etwas wie ein Vorbild, denn ich kannte mich mit Tzadik auch lange Zeit nicht sonderlich gut aus. Meine Ideen bezog ich vielmehr aus meiner Zeit bei Alternative Tentacles und kombinierte diese mit meinen Erfahrungen und Eindrücken, die ich von anderen Leuten bei größeren Labels bekam. Um ehrlich zu sein, schauen wir nicht so genau hin, was andere Leute machen, sondern folgen eher unseren Instinkten.“
Wie viele Leute leben von Ipecac Recordings?
Greg:
„Ich bin mir nicht sicher, wie viele Leute außerhalb von Ipecac davon leben können. Wir arbeiten mit vielen Leuten auf der Welt zusammen. Doch es gibt halt uns drei, also Mike, Rai in New York und mich. Aber wir bekommen auch sehr viel Unterstützung und Hilfe, und es gibt immer die Versuchung, größer zu werden, doch wir wollen kein Geld ausgeben, was wir nicht besser den Bands geben könnten.“
Mike: „Es ist mittlerweile so, dass uns immer wieder Leute, mit denen wir zusammen arbeiten, vorschlagen, dass wir viel mehr raus bringen sollten und viel mehr machen könnten, doch wir machen es nicht. Sie wollen alle nur mit daran verdienen. So läuft doch das verdammte Geschäft. Es ist eine Kette, an der sich jeder festhält. Aber wir sind nicht so. Wir haben keine Firmenwagen oder so etwas. Je mehr man hat, desto mehr muss man es am Laufen halten, und darauf haben wir keinen Bock. Wir legen viel mehr Wert darauf, den Bands mehr bieten zu können und die Verträge künstlergerecht zu machen. Wir haben damals mit so vielen Leuten und Freunden gesprochen und haben Bands gefragt. Wir schilderten zum Beispiel den MELVINS unsere Vorstellungen von Ipecac, und sie waren von der Idee und der Label-Politik begeistert. Diese Gespräche und das Feedback waren im Endeffekt genügend überzeugende Gründe, warum das Ganze ins Rollen kam und heute immer noch funktioniert. Die Leute sind erstaunt zu hören, dass wir kein Büro haben, keine Zentrale oder so etwas. Fuck you! Wir arbeiten von zu Hause. Wozu ein Büro, wozu extra Miete zahlen?“
Wenn du sagt, dass es kein offizielles Ipecac-Büro gibt, wie sieht dann ein Tag bei Ipecac für euch aus?
Mike:
„Greg arbeitet Vollzeit und ich bin immer unterwegs. Er ist derjenige, der sich mit all dem bürokratischen Kram auskennt und rumschlagen muss. Er telefoniert viel und sitzt am Computer. Mein Tag sieht da ganz anders aus. Wenn ich unterwegs auf Tour bin, dann dreht sich mein Tag trotzdem von morgens bis abends um Ipecac. Ich telefoniere und kommuniziere viel. Es geht um die eine oder andere Band, um auftretende Probleme bei Presswerken, Druckereien oder ähnlichem. Mein Job ist also ganz klar der leichtere, der mehr Spaß macht. Und auch der etwas kreativere.“
Greg: „Ich habe alle alltäglichen Operationen des Labels weltweit unter Kontrolle: Ich kümmere mich darum, dass die Rechnungen bezahlt werden, dass die Bands ihre Royalties bekommen, ich rede mit Anwälten, Bands, Managern und Vertrieben. Das ist jetzt nicht besonders angenehm, aber es gehört dazu. Es ist viel langweiliger Papierkram, viel Zeit vorm Computer und am Telefon. Also nichts Spannendes.“
Kommen wir nun zu den Auflagen eurer Veröffentlichungen. Wie hoch sind sie und wer sind bei euch die Top-Seller?
Greg:
„Es tut mir leid, aber wir spielen nicht dieses Industrie-Zahlenspiel. Jedes Mal, wenn dir jemand erzählt, wie viele Platten sie verkauft haben, lügen sie, um noch wichtiger zu erscheinen. Die Verkaufszahlen sind bei uns nicht ganz so wichtig. Es ist eher die Musik. Wir sprechen mit so vielen Bands, und sie wollen alle nur darüber reden, wie viele Platten sie denn am besten verkaufen sollten. Ehrlich gesagt, wollen wir mit solchen Typen gar nicht zusammenarbeiten. Die Kunst kommt vor dem Kommerz. Unsere Theorie ist, dass die Chancen, Erfolg zu haben, besser stehen, wenn du dich auf qualitativ gute Musik konzentrierst. Einige der Veröffentlichungen, die sich nicht so gut verkauft haben, sind unsere Favoriten. Von daher sage ich dir folgendes: Jede Veröffentlichung hat sich bisher zwei Millionen mal verkauft. Es läuft also alles bestens.“
Wie trefft ihr eine Übereinkunft, wenn es darum geht, eine Band zu signen oder eine Platte rauszubringen? Gibt es da ein paar wichtige Kriterien, wonach ihr aussucht?
Mike:
„Unglücklicherweise nicht. Wir entscheiden da immer recht individuell. Es kommt ja auch oft vor, dass gewisse Veröffentlichungen kaum einen Sinn ergeben. Wir machen Country-Shit, Techno, Telefonanrufe, Comedy-Platten, also alles querbeet. Generell gesehen, haben wir natürlich schon so ein paar grobe Regeln, wonach wir suchen. Erstens muss uns die Musik gefallen und eigenständig sein, so dass sie nirgendwo anders reinpassen würde. Es ist eine Art Bastard-Mentalität.“
Greg: „Wir ringen um jede Band, aber eigentlich versuchen wir, bei jeder Veröffentlichung übereinzustimmen. Doch manchmal bringen wir auch Sachen raus, die ich nicht besonders finde, oder wir machen Platten, die Mike nicht gerade ‚anspringen‘. Wir suchen nach Bands, die einzigartig sind. Wir wollen keine Band, die so klingt, wie eine andere Band von uns. Und weil wir ein kleines Label sind, suchen wir auch Bands, mit denen wir gut zusammenarbeiten können, die unsere Ideale mit uns teilen und realistisch denken. Wenn man mit Bands zusammenarbeiten muss, die Arschlöcher sind, oder wenn ein Manager ein Arschloch ist, ist es einfach nur zeitraubend und ineffektiv.“
Wie sieht es denn mit Zukunftsmusik aus? Was stehen in nächster Zeit für Projekte und Platten an?
Mike:
„Trevor Dunn von FANTÔMAS und MR. BUNGLE wird eine CD von seinem Trio rausbringen. Und ich werde noch ein Projekt mit THE X-ECUTIONERS machen. Das wird ein ‚Wettstreit‘ zwischen mir und der besten DJ-Crew der Welt sein. Dann werden wir vielleicht eine ISIS-CD mit diversen Remixen rausbringen, doch das ist noch nicht so sicher.“
Greg: „Was aber sicher ist, ist die neue reguläre ISIS Platte. Die wird im Herbst kommen, und darauf bin ich schon richtig gespannt.“
Wie sieht es denn eigentlich mit dem schon lange angekündigten PEEPING TOM-Projekt aus? Gibt es da mal langsam Licht im dunklen Tunnel?
Mike:
„Ja, es wird großartig. Sicher, ich arbeite schon seit geraumer Zeit an der Sache, doch es ist nicht immer alles so einfach, wenn man mit diversen Produzenten auf einen Nenner kommen will. Ich habe Tapes fertig gestellt und ihnen zukommen lassen, doch wenn dann nach Monaten immer noch kein Feedback kommt, werde ich ungeduldig und frage mich dann, was das soll und ob es überhaupt ernst genommen wird. Bisher sind aber einige coole Typen dabei, mit denen ich wirklich gut zusammenarbeiten kann: Dale Crover, Dan The Automator, Björk, MASSIVE ATTACK, DJ Muggs, Amon Tobin, Kid 606, DÄLEK, THE AVALANCHES, ANTICON oder auch Kid Koala. ich kann natürlich nicht sagen, wer es nun alles auf die erste Platte bringen wird, doch es ist sehr viel versprechend. Es klingt alles sehr modern und ist viel zugänglicher ausgefallen, als die Sachen, die man sonst von mir kennt.“
Greg, du machst seit kurzer Zeit noch das Label AntAcidAudio Records. Wie kam es dazu?
Greg:
„Ich habe das Label hauptsächlich ins Leben gerufen, weil ich dazu tendiere, Mainstream-Musik eher zu mögen, als Mike es tut. Ich glaube auch, dass einige Dinge auf Ipecac keinen Sinn machen würden. Außerdem haben wir bei Ipecac schon genügend anstehende Releases auf der Liste. Mike war von den EAGLES OF DEATH METAL nicht so begeistert und somit entschied ich, sie auf AntAcidAudio zu veröffentlichen. Dann habe ich noch eine NOMEANSNO-Compilation rausgebracht, allerdings nur in den USA. Ich werde noch eine SCREAMING TREES-Platte machen, die bisher noch nicht veröffentlicht wurde. Ich habe natürlich noch so einige Pläne, aber mir fehlt es an Zeit, um dafür vernünftig arbeiten zu können. Ipecac ist ein Vollzeit-Job. Ich werde mit AAA nur drei bis vier Veröffentlichungen pro Jahr machen.“
Greg, du hattest in der Vergangenheit doch auch für Alternative Tentacles gearbeitet. Wie sind deine Erinnerungen an die Zeit bei AT?
Greg:
„Es war großartig. Ich hab da fast alles gelernt, was ich heute wissen muss, um Ipecac zu leiten. Ich lernte zum Bespiel, wie man mit einem sehr kleinen Budget einiges umsetzen kann. Ich hatte eine großartige Zeit dort.“
Und warum hast du dort aufgehört?
Greg:
„Ich habe dort eine ganze Weile gearbeitet. Ich wollte auch mal mit anderen Künstlern zusammenarbeiten. Ich bekam von einem Major-Label einen großen Batzen Geld angeboten, und versuchte es, aber es machte mich nicht glücklich, und so gründete ich mit meinem Freund Mike unser eigenes Baby: Ipecac Recordings.“
Wie ist denn deine Beziehung zu Jello Biafra heute?
Greg:
„Jello ist ein guter Freund. Wenn er nicht gewesen wäre, würde es Ipecac heute vielleicht nicht geben. Man mag viele Sachen über Jello hören, ich aber sage dir, niemand liebt Musik mehr, und niemand ist ehrlicher als Jello. Er ist eine sehr wichtige Person in unserer musikalischen und auch politischen Vergangenheit. Die Welt wird heute keine neuen Jellos mehr hervorbringen.“
Und was hältst du persönlich von dem Streit zwischen den anderen DEAD KENNEDYS-Mitgliedern und Jello Biafra?
Greg:
„Meiner Meinung nach ist das alles ein Haufen Scheiße. Es geht nur ums Ego. Diese anderen drei Typen sind Wichser. Sie haben soviel Geld bei Anwälten verschwendet und haben nichts vorzuweisen. Warum sind sie nicht so kreativ und gründen eine neue Band?! Und warum nicht eine neue Platte aufnehmen, anstatt die Vergangenheit zu melken?! Das zeigt doch ganz klar, wer das eigentliche Talent bei DEAD KENNEDYS war. Sie hatten das Glück, ein Gericht und einen Richter davon überzeugen zu können, dass sie von Jello Biafra falsch behandelt wurden, aber glaube mir, sie wissen selber ganz genau, dass es nie so war. Die Zeit wird alles aufdecken! Man achte doch nur darauf, was die drei nach der letzten DK-Platte gemacht haben, und was Jello Biafra in der Zeit alles auf die Beine gestellt hat. Wenn sie schlau wären, würden sie realisieren, dass ihre Zusammenarbeit mit Jello Biafra sie zu denen gemacht hat, wer sie sind. Aber so wie es aussieht, haben sie durch den ganzen Gerichtsstreit, den sie initiiert haben, nicht nur den Bandnamen ruiniert, sondern auch erreicht, dass sich die Leute nicht mehr für DEAD KENNEDYS interessieren. Herzlichen Glückwunsch!“