Penelope Houston

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Tender Moments Of A Chameleonic Career

Über die US-Punk Band THE AVENGERS bin ich Anfang der 80er Jahre gestolpert, als John Peel sie in seinem Programm spielte. „We are the one“, ihren Klassiker: „We are the leaders of tomorrow, we are the one to have the fun, we want control we want the power, not gonna stop until it comes, we are not Jesus Christ, we are not fascist pigs, we are not capitalist industrialists, we are not communists, we are the one ...“
Penelope Houston, die Sängerin der AVENGERS (1977-79), war eine der ersten Frauen in der amerikanischen Punkszene. Sie stellte sicher, dass auch zukünftig weibliche Künstler ihren Platz in dieser Musik haben. Penelope Houston behielt bis heute ihre Kraft und ihre messerscharfen Texte. Mitte der 80er Jahre wechselte sie nur ihre musikalische Ausdrucksform: Folkrock. Dabei sind Folk und Punk gar nicht so weit voneinander entfernt.


Geboren wurde Penelope Houston am 17. Dezember 1957 in Los Angeles, wuchs aber in Seattle auf. Als 19-jährige kehrte sie an die Westküste zurück, nach San Francisco. Sie mochte die Musik von Lou Reed und Patti Smith, und studierte am San Francisco Art Institute, wo sie Danny Furious traf. Zusammen mit einem alten Freund von Danny, Greg Ingraham, gründeten sie Anfang 1977 die AVENGERS. Im Juni folgte dann der erste Auftritt im Vorprogramm der NUNS. Die AVENGERS wurden schnell eine der besten Punkbands in San Francisco, und absolvierten in den zwei Jahren bis zu ihrer Auflösung im Juni 1979 über 100 Auftritte. Penelope Houston hat über diese Auftritte genau Buch geführt. Sämtliche Gigs, incl. Hauptact bzw. Vorprogramm, sind auf dem Inlay der AVENGERS LP „Died For Your Sins“ aufgeführt. Die AVENGERS spielten u.a. zusammen mit den TALKING HEADS, GO-GO‘s, D.O.A., DEAD KENNEDYS, X, DILS und vielen anderen. Und sie spielten am 14. Januar 1978 im Vorprogramm beim letzten Auftritt der SEX PISTOLS im Winterland in San Francisco.

Leider gibt es bis auf einige Singles so gut wie keine Veröffentlichungen der Band. Abgesehen von einem obskuren Album aus dem Jahr 1983, auf dem verschiedene (Studio-)Aufnahmen (und die Liveaufnahme „Fuck you“) aus den Jahren 1977-79 von Danny Furious, dem ehemaligen Schlagzeuger der Band, zusammengestellt wurden. Veröffentlicht wurde das Ganze auf CD Presents Ltd., einem kurzlebigen Indie-Label. Dieses Album wurde aber nur in einer kleinen Stückzahl gepresst und ist längst ein gesuchtes Sammlerobjekt.
Neben diversen Bootlegs wurde erst 1999 ein offizielles Album der AVENGERS unter dem Titel „Died For Your Sins“ auf Lookout Records veröffentlicht. Neben Live- und Demoaufnahmen gibt es hier drei „neue“ AVENGERS-Songs: „I want in“, „Crazy homicide“ und „The end of the world“ wurden unter dem Namen scAVENGERS neu eingespielt. Aber bei dieser Veröffentlichung ist es nicht geblieben. Zurzeit geben die scAVENGERS in den USA sogar einige Konzerte. Neben Penelope Houston als Sängerin ist auch der ehemalige Gitarrist Greg Ingraham mit von der Partie, der inzwischen verheiratet ist, zwei Kinder hat und für die Stadtverwaltung arbeitet. Die anderen beiden Bandmitglieder James Wisley (Bass) und Danny Furious (Schlagzeug) haben keine Zeit, bzw. sind nicht erreichbar. James wohnt in Los Angeles und spielt in einer Instrumental-Country-Surf-Band namens MISTERYS. Danny lebt in Schweden und leitet ein Restaurant. Ihren Part haben Joel Reader (Bass) und Luis Illades (Schlagzeug) von den PLUS ONES bzw. von PANSY DIVISION übernommen.

Penelope Houston, Sängerin und Songschreiberin der Band, galt bereits damals als Archetyp der unbeugsamen Rock‘n‘Roll-Frau. Ihre Kraft und ihre Aggressivität machen aus den kraftvollen Punkstücken persönliche Statements. In ihren düsteren Texten geht es um die psychologischen Momente der gesellschaftlichen Entfremdung. Es geht darum, was passiert, wenn eine Person kein Kind mehr ist und in die Welt hinaus geht – in die Welt der Erwachsenen. Das ist oft schockierend. Penelope Houston kam aus ihrem kindlichen Schneckenhaus heraus und sah plötzlich, was alles in der Welt vor sich ging, und dachte nur, dass das alles scheiße ist. In dem Song „The American in me“ macht sich Penelope Houston Gedanken über einen alten Werbeslogan der US-Army: „Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern, was du für dein Land tun kannst.“ Der Text von „The American in me“ ist auch nach 26 Jahren noch immer bedrückend aktuell. Ein Auszug: „It‘s the American in me that makes me watch the blood running out of the bullethole in his head. It‘s the American in me that makes me watch TV see on the news, listen what the man said. He said: ‚Ask not what you can do for your country, what‘s your country been doing to you. Ask not what you can do for your country, what‘s your country been doing to your mind?‘“

Im Rahmen der Anti-Bush-Kampagne sang Penelope Huston diesen Song auch live mit MISSION OF BURMA. „The American in me“ wurde im Mai 2004 auf einem neuen, gleichnamigen, AVENGERS-Album veröffentlicht. Neben acht Live-Songs vom drittletzten Konzert der Band (ein Nachmittagskonzert vom 13. Juni 1979) gibt es vier bisher unveröffentlichte Studioversionen aus einer Aufnahmesession vom 28. Juni 1978. Am Regler saß Steve Jones. Der Kontakt zu dem ehemaligen Gitarristen der SEX PISTOLS entstand nach dem gemeinsamen Konzert 1978. Vermutlich ist Steve Jones bei einigen Stücken nicht nur als Produzent, sondern auch als Gitarrist in Erscheinung getreten. Jedenfalls wurden die von Steve Jones produzierten Songs 1979 ursprünglich auf einer EP veröffentlicht. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten sich die AVENGERS bereits aufgelöst. Nach immer größer werdenden Spannungen zwischen Penelope und Greg Ingraham, dem Gitarristen, verließ Greg Ende 1978 die Band. Seinen Platz übernahm Brad Kent (ex-D.O.A.), der bei den neu veröffentlichten Live-Aufnahmen zu hören ist. Fast parallel zum AVENGERS-Album wurde im Juni 2004, nach sechs Jahren Pause, auch mit „The Pale Green Girl“ ein neues Soloalbum von Penelope Houston von DBK Works veröffentlicht.

Nachdem sich die AVENGERS 1979 aufgelöst hatten, zog es Penelope erst einmal für Filmprojekte nach Los Angeles und später nach London. Hier arbeitete sie u.a. mit Howard Devoto zusammen (ex-BUZZCOCKS und MAGAZINE). Mitte der 80er Jahre kehrte sie nach San Francisco zurück. In der Zwischenzeit hatte sich ihr Musikgeschmack geändert. Während aus Punk Hardcore wurde, interessierte sich Penelope eher für ruhigere Klänge. Beeinflusst von Tom Waits‘ Album „Swordfishtrombones“ und den VIOLENT FEMMES entdeckte sie Akkordeon, Harfe, Kontrabass und akustische Gitarren. Zusammen mit Phil Lithmann aka Snakefinger arbeitete sie an einem Folk-orientierten Album. Fünf Songs waren bereits eingespielt, als Snakefinger 1988 während einer Tour in Linz an Herzversagen verstarb. Penelope Houston nahm mit den restlichen Bandmitgliedern noch einige Demos auf, danach zerbrach die Band dann. Dennoch entschloss sie sich, die vorhandenen Aufnahmen 1988 als „Birdhouse“-LP auf Subterrenean zu veröffentlichen.
Nach diesem Album zog sich Penelope Houston erstmal aus dem Musikgeschäft zurück. Sie hatte genug von Musikern und davon, sich in einer Band mit verschiedenen Persönlichkeiten auseinander zusetzen. Auch der mangelnde Erfolg des Albums war für sie enttäuschend: Schließlich waren andere Singer- und Songwriter-Kolleginnen wie Michelle Shocked oder Suzanne Vega zur selben Zeit mit ihren akustischen und Folk-orientierten Alben weitaus erfolgreicher. Penelope Houston arbeitete erstmal als Bibliotheks-assistentin, was sie übrigens immer noch tut. 1993 hatte sie, nach längerer Suche, eine neue Plattenfirma und auch neue Begleitmusiker gefunden, die ihre Vorstellungen adäquat umsetzten. Viele alte Fans waren von dieser Musik überrascht, und Houston war mit ihrer Folkmusik in den Vereinigten Staaten auch nicht besonders erfolgreich.
Die Folkszene nahm die Musik der ehemaligen Frontfrau einer Punkband nicht ernst, und aus der Punkszene kam der Vorwurf des Ausverkaufs. Sie saß zwischen den Stühlen. In einem Interview mit dem amerikanischen Fanzine Maximum Rock‘n‘Roll stellte Penelope Houston damals klar, dass es für sie viel einfacher wäre, schnelles Geld zu machen, wenn sie die AVENGERS reformieren und wieder auf Tour gehen würde: „Dann hätte ich Geld, und könnte mir ein eigenes Haus kaufen. Heute, viele Jahre später, gehe ich mit den scAVENGERS auf Tour und lebe zusammen mit meinem Mann in einem gekauften Haus. Sogar mit einem Garten, in dem morgens die Vögel singen.“ Viele alte AVENGERS-Fans mochten auch ihre neuen Sachen und verstanden ihren musikalischen Wandel. Im Grunde blieb Penelope Houston ja auch sich selbst treu. Denn bereits die Musik der AVENGERS verstand sie als Folkmusik: „Folkmusik in dem Sinne, dass es ausschließlich Musik ist, die für Freunde gespielt wird. Ursprünglich ist Folkmusik Musik von einfachen Leuten, für einfache Leute. Und keine Musik von Hofmusikern, die nur für die Könige spielten. Als die AVENGERS begannen, spielten wir für Freunde und Nachbarn, und brachten so die Musik aus den großen Rockarenen wieder in die Garage zurück.“

Kommerziell erfolgreich war Penelope Houston dafür in Deutschland. Hier wurde sie in der Presse Anfang der 90er sogar als „ungekrönte Königin“ der Folkmusik bezeichnet. Zwischen 1993 und 1996 veröffentlichte Penelope Houston exklusiv zwei weitere Alben auf dem deutschen Label Normal in der „Return to sender“-Reihe. Die beiden Mini-CDs „Silk Purse“ aus dem Jahr 1993 und „Crazy Baby“ von 1994 sind mittlerweile vergriffen und wurden im Jahr 2000 von Normal Records unter dem Titel „Once In A Blue Moon“ wiederveröffentlicht. Auf „Crazy Baby“ überrascht neben den ruhigen Folksongs der Song „Loners of America“, der bedeutend rockiger rüberkommt. Der zweistimmige Gesang und die Musik erinnert stark an die spätere Phase der US-Punkband X aus Los Angeles.
Zwischen 1991 und 1993 gab es aber eine längere Pause – Penelope suchte nach passenden neuen Begleitmusikern. 1993 und 1994 kamen mit „The Whole World“ und „Karmal Apple“ zwei weitere Folk-geprägte Alben heraus. Ihren endgültigen Durchbruch schaffte Penelope Houston 1996 mit dem Song „Glad I‘m a girl“ von dem Album „Cut You“. Einige Songs von „Cut You“, wie auch „Glad I‘m a girl“, wurden bereits zuvor auf dem 1993 veröffentlichten Album „The whole world“ veröffentlicht. Auf „Cut You“ klingt „Glad I‘m a girl“ allerdings bedeutend rockiger und wurde auch zu einer Art Glaubensbekenntnis: „If‘ it‘s a man‘s world – than I‘m glad I‘m a girl“.
Auf dem nächsten, 1998 veröffentlichten Album „Tongue“ bleibt die E-Gitarre weiterhin eingestöpselt. Neben einer Punkversion von „New day“ mit Billy Joe Armstrong von GREEN DAY und einigen Ausflügen in poppige Gefilde („Subway“ oder das CHUMBAWAMBA-mäßige „Scum“) geht es hier aber nicht nur musikalisch („Worm“) bedeutend härter zur Sache. Auch textlich gibt es keine Tabus, ob weibliche Selbstbefriedigung, sexuelle Obsessionen, die Abrechnung mit einem Menschen aus der Musikindustrie oder ein (fiktiver) Song über das Innenleben einer Frau mit dem Namen Happy Friday, die nach einem Schlaganfall gelähmt in einer Klink liegt. Es gibt sie noch, die zynischen und oft bitteren Betrachtungen der Geschlechterverhältnisse, des weiblichen Rollenverständnisses und der Beziehungen zwischen Männern und Frauen. Penelope Houstons Einstellung zum Leben ist gewiss zynisch, aber dennoch stets hoffungsvoll. Mit „My angel lost her wings“ verarbeitet sich auch die Trennung von Pat Johnson, ihrem langjährigen Gitarristen und Partner – nicht nur beim Songschreiben.
In den folgenden sechs Jahren findet Penelope eine neue Liebe, engagiert sich politisch (gegen den zweiten Irakkrieg) und findet immer mehr zurück zu ihren Wurzeln. Sie durchforstet ihren Dachboden nach alten AVENGERS-Aufnahmen, nimmt alte AVENGERS-Songs neu auf – „Corpus christi“, wiederum mit Billy Joe Armstrong – und schreibt neue Songs. Einige Stücke wurden 2003 auf einer Compilation namens „Eighteen Stories Down“ veröffentlicht. Unter dem Titel „Snap Shot“ wird im selben Jahr eine EP mit fünf Coverversionen veröffentlicht – in Deutschland ist die exklusiv über Glitterhouse erhältlich. Zusammen mit Pat Johnson veröffentlicht Penelope Houston dann 2004 mit „The Pale Green Girl“ wieder ein neues Album mit eher ruhigen Folksongs mit Sixties-Einflüssen, darunter „Buffalo ballet“, eine wunderschöne Coverversion eines John Cale-Songs – und weiterhin gibt es diese bitteren und zynischen Texte wie bei dem Song „Soul redeemer“: „He was a bigger man, dressed in blue, pushed me into the back. His hands were hurting, grabbing, choking. I felt his body go slack. (Bang Bang.) Soul Redeemer, Soul Redeemer. Why did you take me, strip me, rape me and why am I the one who’s punished here?“ Im Herbst stellt Penelope Houston ihr neues Album auch in Deutschland live vor, wo sie auch AVENGERS-Songs spielen wird.