Prekäre Superhelden

Foto

Wenn Armut Breitensport wird

Wofür treten die Superhelden mit ihren Aktionen ein und wann und warum seid ihr das erste Mal in Erscheinung getreten?

Spidermum:
Die Idee der Superhelden ist im Zusammenhang mit dem Euromayday in Mailand entstanden. Dort wurden unterschiedliche Superhelden mit unterschiedlichen Charakteren entwickelt, die alle eins gemeinsam haben: Sie wehren sich gegen die Prekarisierung ihrer eigenen Arbeits- und Lebensverhältnisse. Aus den Figuren ist dort ein Sammelalbum entstanden und am 1. Mai konnten alle auf unterschiedlichen Paradewagen die Bilder bekommen. Außerdem gab es auch ein Videoprojekt, in dem Leute auf der Straße interviewt wurden. Die Eingangsfrage lautete: "Bist du ein Superheld?"

Superflex: Die Idee war, dass eigentlich jeder von uns im Alltag ein Superheld ist und jede Menge Heldenkräfte entwickelt, um sich durchzuschlagen, indem er zum Beispiel auf der Arbeit Büromaterial, Müllbeutel und Klopapier mitnimmt, um den miesen Lohn aufzustocken, oder im Hallenbad über die Absperrung springt, weil die Ticketpreise ständig steigen - das hat uns fasziniert.

SM: Für den diesjährigen Aufruf zur Euromayday-Parade in Hamburg sind diese Figuren in einer Art Psychotest aufgegriffen worden, in dem man herausfinden konnte, welcher Superhelden-Typ man selbst ist. Uns hat das noch nicht so ganz gereicht: wir wollten die Superhelden SantaGuevara, Operaistorix, Superflex und Spidermum ins wirkliche Leben holen.

SF: Die Superhelden gibt es also schon länger, aber in Hamburg sind sie dieses Jahr kurz vor dem 1. Mai zum ersten Mal in Erscheinung getreten. Letztes Jahr, genau am 1. Mai, gab es eine ähnliche Aktion in Hamburg-Blankenese auf dem Süllberg, dort hatten bunt gekleidete Aktivisten mit dem Slogan "Die fetten Jahre sind vorbei" das Büffet eines Nobelrestaurants geplündert.

Was war zuerst da, der Film oder ihr? Hat euch der Film inspiriert?

SF:
Der Film hat uns auf jeden Fall inspiriert und uns in unserer Meinung bestärkt, dass es mehr an Rebellion braucht, um den Alltag zu ändern. Meine Lieblingsszene im Film ist die, in der die Frau, nachdem sie von ihrem Chef entlassen worden ist, in der Tiefgarage den Schlüssel zückt und mit Genugtuung an der Seite der Nobelkarosse entlang schrammt. Wir haben uns sehr gefreut, dass sich der Regisseur Hans Weingartner begeistert zu unserer Aktion geäußert hat: Er freue sich, dass die Figuren seines Filmes in die Realität schlüpfen, so oder so ähnlich ...

Seid ihr selber von Prekarisierung betroffen?

SM:
Es gibt kaum jemand der es nicht ist ... Viele von uns schlagen sich mit Mini-Jobs durch. Das mag mal ein toller Job sein, mal ein weniger toller Job. Das Problem ist die Ungewissheit darüber, ob am Monatsende das Geld für die nächste Miete reicht. Oder was ist, wenn man krank wird oder die Zähne plötzlich neu müssen? Ich selber habe eine Zeit lang im Einzelhandel gearbeitet, Klamotten verkauft. Das war mir auf lange Sicht zu krass - von morgens bis abends und fast jeden Samstag im Laden stehen; über die Hälfte meines damaligen Lohns ist für die Miete in einer sehr kleinen abgeranzten Wohnung drauf gegangen. Jetzt jobbe ich einfach mal hier mal da, es gibt sowieso überall nur befristete Verträge.

SF: Einige von uns stehen kurz vor dem Studienabschluss, was anschließend kommt, ist total unklar, die Karriere als Dauerpraktikant ist wohl kaum die Lösung ... In einer Boomtown wie Hamburg begegnet einen auf der einen Seite Reichtum ohne Ende: 12.000 Vermögens- und über 1.000 Einkommensmillionäre, neun Milliardäre ... und auf der anderen Seite sind die meisten von Prekarisierung betroffen. Hamburg heißt für mich, für uns, heißt für Zigtausende: schlechte Arbeitsbedingungen. Was boomt, ist die Armut. Die Unsicherheit. 200.000 Menschen leben hier in Armut, 100.000 Menschen ohne Papiere, 100.000 Menschen ohne Krankenversicherung, 50.000 Kinder wachsen in Armut auf.

Habt ihr auch eigene Lösungsvorschläge?

SF:
Wir haben keine Patentrezepte keine perfekten Lösungen, die wir uns locker aus dem Ärmel schütteln, wir möchten einfach durch unsere Aktionen mit anderen ins Gespräch kommen. Wir denken, dass sich Möglichkeiten aus den Kämpfen heraus entwickeln.

SM: Wir glauben daran, dass es einfach mehr Rebellion braucht, um Dinge zu verändern. Damit meinen wir nicht nur solche Aktionen wie die, die wir gemacht haben, sondern kollektive Verweigerungen. Wir brauchen Massenstreiks, wie zum Beispiel die Streiks in Frankreich gegen das CPE, wir brauchen Straßenblockaden, Demonstrationen, Besetzungen; vor allem brauchen wir Regelverletzungen! Es gibt einige realpolitische Forderungen, und darauf spielst du sicherlich eigentlich an, die wir unterstützen: wie zum Beispiel die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen oder das Recht auf Legalisierung und "freedom of movement": Jeder sollte da leben können, wo er möchte. Wir fordern globale soziale Rechte!

Wie wirkt sich die Medienpräsenz auf eure Aktionen aus?

SM:
Na ja, keine Ahnung, wie soll man das messen? Auf alle Fälle waren wir über die große Resonanz in den Medien und auch in sämtlichen Internetforen sehr überrascht. Gerade im Internet wurde heiß diskutiert. Erst vor wenigen Wochen gab es noch mal einen längeren Artikel in der "Zeit" über Armut in Hamburg und da gab es eine erneute Bezugnahme auf die Aktion. Das freut uns natürlich, das Thema stirbt nicht aus, solange es Prekarisierung gibt.

Wie wird eure Aktion von der linken Szene beziehungsweise den Betroffenen aufgenommen?

SF:
Die Unterscheidung in Linke und Betroffene funktioniert nicht: wir sind alle betroffen! Wir machen keine Stellvertreter-Politik für andere, sondern wir machen gemeinsam Sachen. Es geht hier weniger um Ideologie als mehr um Alltagspraxis. Wir nehmen die Grenzen gar nicht so wahr, viele erkennen sich in den Superhelden wieder, es gibt eine unsichtbare Alltagspraxis, sich gegen Prekarisierung zur Wehr zu setzen. Allein in Hamburg gab es letztes Jahr 200.000 Schwarzfahrer, die man ertappt hat. Man kann sich also vorstellen, wie viele Leute sich wirklich das Recht nehmen, einfach umsonst mit der Bahn zu fahren, weil die Tickets viel zu teuer sind. Andere nutzen ihre Reisegepäckversicherung zur Refinanzierung ihres Urlaubs ...

SM: Jede Menge Menschen ohne Papiere nehmen sich täglich einfach das Recht hier auf einen Aufenthalt, das ist noch mal ein ganz anderes Kaliber. Das sind alles unsichtbare Superheldenkräfte und es wäre wichtig, diese zu kollektivieren und sichtbar zu machen!

Wie wirkt sich die Verfolgung durch den Staat auf euer Leben aus? Die treiben ja teilweise einen enormen Aufwand, um euch dingfest zu machen.

SM:
Die Verfolgung ist genauso aufwendig wie erfolglos. Schlaflose Nächte bereiten uns andere Sorgen, zum Beispiel um die unsichere Zukunft.

SF: Die Aktion war ein kollektives, sehr schönes Erlebnis und alle möglichen Folgen werden kollektiv getragen. Wenn ich alleine in der U-Bahn schwarzfahre, habe ich häufig sehr viel mehr Schiss!

Werden weitere Aktionen folgen?

SM:
Natürlich haben wir noch jede Menge Ideen für neue Aktionen, aber es geht uns nicht darum, immer mehr oder immer radikalere Aktionen zu planen, sondern wir hoffen, dass unsere Aktionsformen und Inhalte von anderen aufgegriffen werden und letztlich so etwas wie eine Bewegung der Prekären entsteht - das ist unsere Perspektive.

Ihr habt die Band SUPERPUNK mit "Wir haben keinen Hass auf die Reichen, wir wollen ihnen nur ein bisschen gleichen" zitiert. Was hören Superhelden denn sonst noch so?

SM:
Gitte Haenning: "Ich will alles, ich will alles / Und zwar sofort / Eh der letzte Traum in mir zu Staub verdorrt / Ich will leben / Will mich geben / So wie ich bin / Und was mich kaputt macht / Nehm ich nicht mehr hin. / Jetzt leb ich jeden Tag aus / Jetzt trink ich jedes Glas leer ..." tralala. Und David Bowie: "Heroes".

SF: Dann auf alle Fälle: THE SMITHS: "Oh, shoplifters of the world unite and take over". Und auch der neue Song "Wer wird Millionär" über Prekarisierung von Britta: "Wer lebt prima und wer eher prekär? Wer geht putzen und wer wird Millionär?", wird da gefragt, ein schönes Leben mit "Champagner, Tanz und Kokain" gefordert, um wenig später aber die bange Frage zu stellen: "Ist das noch Bohème oder schon die Unterschicht?"