POISON THE WELL

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A different version of Hardcore

Vor vier Jahren waren sie für viele noch der Inbegriff von brachialem bis chaotischen Hardcore. Für ein paar sind Jeffrey Moreira (Gesang), Ryan Primack (Gitarre) und Chris Hornbrook (Schlagzeug) die Wegbereiter von Metalcore. Die Band aus Fort Lauderdale, Florida hatte das, was vielen Bands einfach fehlt: einen Wiedererkennungsfaktor. Nicht nur die brachiale und druckvolle Stimme von Sänger Jeffrey, sondern auch die exzellente Gitarrenarbeit halfen POISON THE WELL dabei, sich weit von der Masse abzusetzen. 2007 veröffentlicht die Band nun mit "Versions" ihr bislang bestes Album und schafft es erneut zu überzeugen. Sie haben sich weder wiederholt, noch eine Chance ausgelassen, sich selbst zu verwirklichen. Und das, obwohl man mittlerweile nur noch zu dritt ist. Mit Chris sprach ich am Telefon über Erwartungen und die Entwicklung seiner Band ...





Würdest du mir zustimmen, wenn ich sage, dass "Versions" da anfängt, wo ihr mit "You Come Before You" aufgehört habt?


Bis zu einem bestimmten Grad stimmt das auch. Man könnte beide nacheinander hören und wahrscheinlich eine gewisse Tendenz erkennen. Dennoch kann man musikalisch klar hören, wo "You Come Before You" aufhört und wo "Versions" anfängt. Auf beiden Alben kann man verschiedene Elemente und verschiedene Arten von Musik erkennen, was sich auch auf die Instrumente bezieht. Für mich ist es aber schwierig einzuschätzen, schließlich habe ich bei beiden Alben mitgeschrieben und bin kein Außenstehender, der die ganze Sache vollkommen unbefangen sieht. Aber ich habe diese Vermutung schon häufiger von anderen gehört: Wahrscheinlich stimmt es also.



Der Sound auf dem neuen Album klingt stellenweise sehr experimentell. Besonders für Hardcore ist es ungewöhnlich, wenn auf einmal ein Banjo oder eine Mandoline zu hören ist. Außerdem sind die Songs nicht so brachial wie auf euren alten Alben, manche sogar nebulös. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Diese Entwicklung passierte nicht bewusst. Wir haben schon immer ganz verschiedene Musik gehört - sowohl schnellen Punkrock als auch Jazz. Weil wir Musiker sind und Musik lieben, haben wir unsere Ohren überall. Die nebulösen und verstärkt atmosphärischen Songs entstanden, als Ryan mit einer Vielzahl von Riffs ankam und wir dazu einfach herumprobiert haben. Wir haben uns ganz gut ergänzt, was das angeht. Es war eine ganz natürliche Entwicklung, denn Ryan hätte sich, glaube ich, nie zu etwas zwingen lassen, nur um einen bestimmten Klang oder Song zu erzeugen.



War es euch wichtig, dass sich "Versions" nicht wirklich mit dem vergleichen lässt, was ihr davor geschrieben habt? Habt ihr es bewusst vermieden, euch zu wiederholen und ein weiteres "Opposite of December" oder "Tear from the red" zu schreiben?

Eigentlich war es nicht schwierig, denn alle Alben, die wir geschrieben haben, reflektieren oder reflektierten unsere damaligen Gedanken und Ideen als Musiker und Songwriter. Deshalb denke ich, dass wir zu diesem Zeitpunkt gar kein zweites "Tear from the red" oder "Opposite of December" hätten schreiben können. Ich glaube sogar, dass das unmöglich wäre. Wir haben uns einfach entwickelt und ich denke nicht, dass wir das, was uns damals beeinflusst hat, noch mal so rüberbringen könnten.



Warum habt ihr "Versions" als Albumtitel gewählt?

In den letzten dreieinhalb Jahren haben Ryan, Jeff und ich verschiedene Versionen der Band erlebt, und wie man sich als Band auffassen kann. Das hängt auch mit unserem alten Gitarristen Derek zusammen ... Ich kann dir auch nur erzählen, was ich damit verbinde - meine Interpretation halt. Es gab ein POISON THE WELL mit Derek Miller oder auch eine Band auf einem Majorlabel. Wenn ich überlege, gab es so unglaublich viele Versionen meiner Band, die immer unterschiedlich waren. Wir drei jedoch haben immer den Kern gebildet und wir hatten die Möglichkeit, das alles zu beobachten und zu reflektieren. Deshalb schien "Versions" zu passen.



Du sprichst gerade den Kern an. War es schwierig, das Album ohne zweiten Gitarristen und Bassisten zu schreiben?

Die Sache ist die: Unser alter Gitarrist Jason Boyl hat bei fünf Songs am Anfang noch mitgeschrieben, und ist dann erst kurz vor den Aufnahmen ausgestiegen. Beim eigentlichen Schreiben der Songs waren wir also nicht nur zu dritt.



Kannst du mir erzählen, wie es dazu kam?

Es gab unterschiedliche Gründe dafür: Jason ist immer noch ein guter Freund von uns, und er ist ausgestiegen, weil er geheiratet hat und sich eine Familie gewünscht hat. Da er mit uns fast das ganze Jahr unterwegs wäre, hätte das also nicht funktioniert. Er hat sich dann gesagt, dass es Zeit für ihn sei, erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Wir haben das verstanden. Bei den anderen Leuten, die bei uns mitgemacht haben, war das etwas anderes. Es gab da zwei Arten von Typen: Entweder die, die musikalisch total gut zu uns gepasst haben, aber menschlich einfach nicht - oder anders herum. Daher kamen wahrscheinlich die vielen Line-up-Wechsel.



Wollt ihr denn jetzt zu dritt weiter machen oder wollt ihr die Band wieder "auffüllen"?

Mal sehen. Zur Zeit, also wenn wir auf Tour sind, spielen gute Freunde von uns Gitarre und Bass. Sie sind aber nicht Teil der Band, sondern Tourmusiker. Wir werden sehen, wie sich die Dinge nach der Tour entwickeln werden. Zu dritt funktionieren wir momentan sehr gut miteinander. Wir sind seit acht Jahren in dieser Band und kennen uns in- und auswendig. Es ist schwierig, eine neue Person in den Kreis einzuführen, die die Dinge dann nicht verkomplizieren würde.



Wie groß ist der Einfluss, den eure Produzenten Pelle Henricsson und Eskil Lovstro, die ja schon bei "You Come Before You" dabei waren, auf euren Sound haben? Denkt ihr auf einer Ebene?

Mit den beiden zu arbeiten, macht unheimlich viel Spaß. Wir haben eine sehr gute "Working Relationship" zu ihnen und natürlich haben sie auch ihren Einfluss auf unsere Musik. Man kann das so sagen: Wir hatten eine Ansammlung von Ideen und sie halfen uns die interessanten Sachen weiterzuverfolgen und die überflüssigen wegzulegen.



Wenn man sich so umhört und fragt, welche Songs von euch am beliebtesten sind, fällt oft der Name "Nerdy". Meiner Meinung nach ist der Song vom Sound her ziemlich heftig und eher für den Moshpit gemacht als die Songs auf "Versions".

Da stimme ich dir voll und ganz zu, aber dennoch sind die Songs immer noch heavy - nur auf eine andere Art. Es ist vielleicht keine heftige Tanz-Mosh-Musik mehr, sondern eher heftig auf eine Art, dass du da stehst und die Songs in dir aufnimmst und die Show dadurch anders erlebst, als wenn du tanzen würdest.



Was gefällt dir denn besser, ein Moshpit oder faszinierte Konzertbesucher?

Das ist nicht so einfach zu sagen. Ich meine, wenn die Kids tanzen wollen, sollen sie das machen. Ich respektiere das und freue mich auch darüber, aber auf die gleiche Weise finde ich es auch nicht so gut, wenn da jemand ist, der nur zum Tanzen aufs Konzert gekommen ist, ohne sich wirklich für die Musik zu interessieren. Mich würde es freuen, wenn die Leute sich unsere Songs anhören und die dann absorbieren, anstatt zu versuchen, irgendjemanden zu boxen ...



"Versions" wird wieder auf einem Indielabel veröffentlicht, nachdem "You Come Before You" ja auf Atlantic Records erschienen ist. Wie kam es dazu?

Wir waren mit dem Songwriting von "Versions" schon fast fertig und haben ein paar Demos an Atlantic Records geschickt. Die haben uns dann gesagt, dass die Sachen cool wären, sie aber noch mehr Material bräuchten. Zusätzlich sagten sie, dass ihnen dynamisch etwas fehlen würde und wir doch bitte etwas anderes schreiben sollten, da sie keine Single hören konnten. Und da sagten wir: "Nein, das werden wir ganz bestimmt nicht tun. Wir sind mit dem Schreiben fertig und das, was ihr da vor euch habt, ist das, was wir aufnehmen werden. Entweder unterstützt ihr uns, oder ihr lasst es." Die meinten dann: "Okay, wenn wir sie nicht dazu zwingen können, noch mehr zu schreiben, lassen wir sie halt gehen." Es waren wohl kreative Differenzen, sie wollten etwas von uns, hinter dem wir vielleicht nicht zu hundert Prozent stehen würden - sei es beim Aufnehmen oder Live-Spielen. Uns geht es auch nicht darum, Singles zu veröffentlichen, sondern natürliche Songs zu schreiben, die uns mehr reflektieren können als irgendeine erzwungene Single. Mit den Leuten von Ferret sind wir schon lange befreundet und wir fühlen uns in dem Umfeld sehr wohl. Es ging also nicht unbedingt darum, von einem Major wegzukommen, sondern einfach etwas Neues und Sympathisches zu finden.



Über die Jahre habt ihr einen bestimmten Status erreicht. Ihr gehört zu den Vorreitern einer ganzen Szene. Was denkst du, sollten die Ansprüche einem selbst gegenüber größer sein, als die Erwartungen des Publikums?

Die einzigen Erwartungen, mit denen wir umgehen, sind die Erwartungen uns selbst gegenüber. Wenn wir etwas machen, interessiert es uns weniger, wie unser Publikum damit umgeht. Wir könnten uns die ganze Sache bestimmt einfach machen und jedes Mal das gleiche Album veröffentlichen, aber das würde uns selbst einfach unglücklich machen, da wir immer sehr hohe Erwartungen an uns selbst haben.



Habt ihr denn noch andere Jobs neben der Band? Entsteht dadurch nicht ein riesiger Druck, wenn man sich auf diese Art sein Geld verdient?

Wir haben keine anderen Jobs neben dem Aufnehmen von Alben und auf Tour gehen. Ich würde aber nicht sagen, dass der Druck so unheimlich hoch ist, da wir wissen, was wir können und was wir erreichen wollen. "You Come Before You" hätte von unserer Seite nicht besser sein können, genauso wie "Versions" unser momentanes Können widerspiegelt. Wir wollten ein abwechslungsreiches Album aufnehmen und ich denke, dass haben wir geschafft. Ich bin froh darüber, dass ich keinen "Nine to five"-Job haben muss, bei dem man es sich nicht erlauben kann, Fehler zu machen. Es fühlt sich besser an, etwas zu machen, was man liebt, und wo man wirklich leidenschaftlich versucht, sein Ziel zu erreichen.