HarDCore

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Die Idee einer linken Gegenkultur?

Bernhard Steinbrecher hat sich im Rahmen seiner Diplomarbeit mit den Wurzeln des Hardcores auseinandergesetzt und dabei besonders die Szene der US-Bundeshauptstadt Washington DC betrachtet. Seine Arbeit, die wir hier in verkürzter Form dokumentieren, geht über den von manchem als verklärt empfundenen Ansatz der "American Hardcore"-Doku hinaus, räumt mit ein paar liebgewonnenen Klischees auf und trägt damit zur Klärung der Frage bei, was Hardcore war, ist, sein wollte und sollte.

In der Auseinandersetzung mit Hardcore passiert es häufig, dass der Begriff synonym mit einer Art ideologischem Überbau, betreffend politischer und gesellschaftlicher Aspekte, verwendet wird. Die Tatsache, dass Hardcore Anfang/Mitte der 80er Jahre längst keine homogene Entität darstellte, sollte der interessierten Leserschaft nicht unbekannt sein. Doch wie sieht es mit Hardcore als "linke", also eine die egalitäre Gesellschaftsform fordernde und auch selbst nach diesen Maximen lebende Bewegung aus? Und in welchem Verhältnis steht das heutige, medial und wissenschaftlich vermittelte Bild zu den tatsächlichen Begebenheiten Anfang der 80er Jahre? Zeit, diesen Fragen im Rahmen einer Diplomarbeit genauer auf den Grund zu gehen und anhand des Beispiels Washington DC (HarDCore) näher zu beleuchten.

Hardcore erscheint häufig nicht entkoppelbar von grundsätzlich links-politischer Gesinnung, gepaart mit Schlagworten wie "Straight Edge" oder "D.I.Y.". Martin Büsser beschreibt in seiner Definition von Hardcore, als Abgrenzung zu Punk, die Ausarbeitung und Formulierung eines über die Musik/Band hinausgehenden Polit-Konzepts sowie die Einbindung der anarchischen Emotion von Punk in komplexe Gesellschaftsstrukturen als elementaren Bestandteil. Daraus ergeben sich, laut Büsser, gewisse, oft im Diskurs unausgesprochen mitschwingende, Selbstverständlichkeiten: "Gegen Sexismus, Rassismus und Kapitalismus wird zu einem Dreigespann, auf dem Hardcore aufbaut, ganz gleich wie stark nun mit der autonomen Linken verwoben." Dass diese Verallgemeinerung in gleichem Maße falsch ist wie die Annahme, dass Hardcore ein gänzlich unpolitischer Aggressionsausdruck weißer Mittelstandskinder war, soll in weiterer Folge näher untersucht werden.

Salad Days

Die erste Auffälligkeit in der oftmals stereotypisierenden Kategorisierung von HarDCore als höchst (links-)politisch ist an einem, des Öfteren vernachlässigten, aber durchaus elementaren Faktor, nämlich dem Alter der Protagonisten zu finden. Dieses lag bei einem Großteil der Georgetown-Punks zu Beginn der 80er Jahre zwischen 15 und 18 Jahren. Obgleich auch in diesem jugendlichen Alter eine, über den eigenen Aktionsradius hinausreichende Gesellschaftsbetrachtung zugestanden werden muss, so lag der Fokus definitiv auf einer in der Musik kanalisierten Aggressionsäußerung, die in erster Linie die Frustration über die Langeweile und Ziellosigkeit eines weißen Mittelstandskindes, im Regierungssitz Washington DC, ausdrücken sollte. "Early DC punk was not political. It comes from what I'm into: soul. Guitars with politics bore me. I relate to music on the level of sex and death - sweat, blood, cum, sleepless nights, insecurity." Gleichzeitig führt Henry Rollins die Verneinung als Grundlage von SOA an und verweist auf Slogans wie "Kill The World", die von realpolitischen Inhalten noch weit entfernt waren. "‚No‘ was the band's operative word. SOA songs were anti-everything I didn't like. I hated my job, hated cops, hated girls ... It was all about no fun, fear, oppression. My message was ‚Kill The World‘."

Dennoch darf die politische Wirkung dieser jungen Szene nicht unterschätzt werden, auch wenn diese nicht in dezidiert artikulierter Gesellschaftskritik oder anhand ideologischer Grundsätze festzumachen war. Das ursprünglich "Politische" lag viel mehr in der Tatsache dass es, wie Guy Picciotto es ausdrückt, automatisch eine politische Aussagekraft hat, wenn eine Gruppe von Teenagern sich außerhalb der elterlichen Autorität bewegt. Des Weiteren bedeutete der Vorgang, Punk zu werden, einen Bruch mit dem bisherigen sozialen Umfeld und die willkürliche Bildung eines Feindbildes. Dieses war zunächst auf das unmittelbare soziale Umfeld beschränkt - in Washington DC war dieser, lokal eingeschränkte, Aktionsradius auch später prägend: "We don't say ‚fuck the world‘, we say ‚fuck the people around us‘ - you know, the people who put us down for the way we act, for the way we dress" (MacKaye).

HarDCore als Subkultur

In den Jahren 1979-80 formierte sich in Washington DC folglich eine Gruppe Jugendlicher, die durchaus bereits mit den Attributen einer Subkultur beschrieben werden kann - "Zusammenschlüsse junger Leute, die sich durch die Entwicklung neuer Lebensformen, Ideologien und Verhaltensmuster gegenseitig im Kampf um die ihnen ‚verwehrten Rechte‘ und gegen die als unangemessen empfundenen Pflichten unterstützen, aber auch einen Kampf gegen gesellschaftliche Missstände führen."

Auf HarDCore bezogen beschreibt dies sehr anschaulich die zwei unterschiedlichen, aufeinander aufbauenden Entwicklungsstränge in der Szene. Zunächst erfolgte der Schritt des Zusammenschlusses, mit dem Ziel der Bildung einer homogenen Gruppe. Das verbindende Element war der Hass auf die Beliebigkeit und Ziellosigkeit der "normalen", die Gruppe direkt umgebenden Gesellschaftsstruktur, die Abgrenzung zu den älteren Punks sowie die Chance, eigene Ideen und Ziele - Schlagwort: "Do It Yourself" - realisieren zu können. Die Möglichkeit, neben der Destruktivität des reinen Protests auch produktiv, im Sinne der Bildung einer eigenen Kultur zu wirken, stellt die eigentliche Grundlage für die Entstehung einer derart weitreichenden Bewegung wie jene in Washington DC dar und ist auch Fundament für die Herausbildung von aktivistischen Gruppen wie Positive Force. Festzuhalten bleibt, dass die HarDCore-Szene, um das Jahr 1981, zwar verstärkt Interesse an politischen Vorgängen gewann, pauschale Slogans jedoch weiterhin an die Stelle reflektierter Kritik traten.

Erst im Jahr 1983, kurz vor dem Erscheinen von MINOR THREATs Album "Out Of Step", wurden allzu globale und undefinierte Slogans durch verstärkte und punktuelle Kritik an sozialen Zuständen des Alltags wie Klassenunterdrückung, rassistischen Ungerechtigkeiten oder Sexismus ersetzt. Die zunehmende Herausbildung von kollektivem politischen Bewusstsein in der Szene und der Schritt in die reale Welt des Aktivismus sollte für viele Punks auch ein entscheidender Faktor für das Verbleiben in der Gruppe sein. In einer Phase der Desillusioniertheit, nach dem Eingestehen des Scheiterns der Idee HarDCore, sollten für viele der ehemaligen Georgetown-Punks zunehmend existentielle Fragen in den Vordergrund rücken. Es schien, als würde das kurze juvenile Aufbegehren einem, für weiße Mittelstandskinder passenderen, geregeltem bürgerlichem Leben weichen. Der "Revolution Summer" 1986 erweckte die Szene diesbezüglich zu neuem Leben und die Involvierung in politischen Protest und Aktivismus - Bewusstmachung von Menschen- und Tierrechten, Ablehnung restriktiver und diskriminierender Gesetze, Unterstützung lokaler Jugendgruppen - erhöhte darüber hinaus die Anzahl an Auftrittsmöglichkeiten: "Damn right it's punk! Because it's creative outrage and not just a bunch of people hanging out in Georgetown, begging for fucking change" (Picciotto). Der Einfluss von HarDCore begann zu dieser Zeit auch landesweit zu steigen. Kent McClard, Herausgeber des von den DC-Punks stark beeinflussten Fanzines "No Answers", drückte im Jahr 1989 seine anhaltende Bewunderung für die Szene aus: "What makes DC unique is that many of the early scenesters are still kicking, still struggling against the ‚maturity‘ of the mainstream. Friendship, histories, ideals, and commitments that began in the early '80s have grown stronger and more focused. Their words of protest are backed with strong political actions. Punk rock has not been sold to society. In DC, it exists in spite of and as an alternative to mainstream society. HarDCore lives on. Let it be an example and an inspiration." Derartige Ehrerbietungen sind allerdings, vor allem von Magazinen wie "No Answers", kritisch zu beurteilen und dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die positive Energie des Sommers 1986 alsbald verschwunden war und in eine ähnliche Frustration wie drei Jahre zuvor umgekehrt wurde. Erst die Riot Grrrls sorgten im Jahr 1991 für ein letztes, reales Aufbegehren einer ursprünglichen Idee.

Personal Politics

Ein wichtiger, wenn nicht der zentrale Begriff in der Auseinandersetzung mit HarDCore ist das Schlagwort "Personal Politics", anhand dessen die Missverständnisse und Vereinnahmungen, die der ursprünglichen Ideologie von HarDCore zuteil wurden, aufgezeigt werden können. In diesem Wortpaar spiegelt sich die originäre Idee der Georgetown-Punks wider, nämlich der Versuch, größtmögliche Selbstbestimmung über sein Tun zu haben, sich über dieses im vollsten Bewusstsein zu sein und auch bei anderen ein Bewusstsein zu schaffen, ohne jedoch irgendjemanden etwas aufzuoktruyieren. Und an dieser Stelle wird es, in mehrerlei Hinsicht, problematisch. Bereits 1981 hatte die Szene den Ruf einer Elitegruppe, einer "Privatparty", bei der all jene, die nicht die Wilson High School oder die Georgetown Day School besuchten, nicht eingeladen wären. Darüber hinaus wandte sich der, ursprünglich vor allem als Selbstschutz entstandene Zusammenhalt innerhalb der Gruppe zunehmend auch offensiv-provokativ gegen Nicht-Zugehörige. In diesem Punkt bewahrheitete sich, wie auch Büsser beschreibt, Foucaults These einer "Mikrophysik der Macht". Es entstand ein Subsystem, das Machtverhältnisse entwickelt hatte, die auf den Einzelnen stärker spürbar waren als jene der offiziellen Staatsmacht und diese auch besser verwalten und kontrollieren konnte.

"Like any new society, it started off idealistic" (Henry Rollins). "[...] Besides their energy and songs, it was all the DC nationalism, all the ‚make [DC] a youth Mecca‘ type thing" (Molly Neumann). Ebenso die, eigentlich zwangsweise, Herausbildung von Führungspersönlichkeiten bzw. Rolemodels weist den Versuch eine Gegenkultur aufzubauen als gescheitert aus. Obgleich sich betreffende "HarDCore-Sprachrohre" wie Ian MacKaye, Henry Rollins oder HR (zu Beginn) nicht als solche verstanden und in keinster Weise als Prediger jedwelcher Botschaft angesehen werden wollten, wurden sie zunehmend in eben jene Rolle gedrängt, die im krassen Gegensatz zu erwähnten Personal Politics stand: "It's survival of the fittest and it's gonna be the straight-edge vegan who comes out on top" (VEGAN REICH). Ein Hauptgrund für diese Entfremdung ist sicherlich im Wachstum der Szene bzw. in der zunehmend steigenden Popularität zu finden. Als Folge dessen wurde die Kommunikation unpersönlicher, die Cliquenbildung verstärkte sich und Bekanntschaften waren nicht mehr ausschließlich auf persönlicher Ebene. Als einzig verbindendes Element waren dementsprechend die Bands übrig geblieben, die nun als hauptsächliche Projektionsfläche für die Idee HarDCore, vor allem aber als deren Repräsentationsobjekte dienen mussten.

Die Verneinung, eine Vorbildrolle einzunehmen, führte zu der Problematik, dass die verstärkte Gewalttätigkeit bei Konzerten nach 1983 - die in den Anfangstagen vorherrschende ironische Distanz war nun beinahe völlig verloren gegangen - von den Bands nicht ausdrücklich abgelehnt wurde. Henry Rollins oder John Stabb vermieden es bewusst, dem Publikum Vorschriften zu machen, obgleich auch sie mit der Entwicklung von HarDCore nicht einverstanden waren. Dass sich manch ältere Punks durchaus ihrer "Schuld" bewusst waren äußert sich zum Beispiel im Song "Repulsion" von MADHOUSE: "We hate ourselves for making you." Durchaus streitbar ist nun die Frage, inwieweit es bereits zu einem früheren Zeitpunkt derartiger Statements von erwähnten Führungspersönlichkeiten bedurfte und ob das Verharren auf ein rein persönliches Verantwortungsbewusstsein nicht auch polemisch als "aus der Verantwortung stehlen" kritisiert werden kann. Vordergründig wird dieser Aspekt vor allem im Verhältnis der Szene zu Rechtsextremismus und Homosexualität als auch zur Rolle der Frau.

"You do not beat up people for being gay! You do not beat up people for being black! You do not beat up people for being women!"

Ian MacKaye beschwört im Rahmen eines FUGAZI-Konzerts 1989 jene Grundsätze, die gemäß der allgemein anerkannten Sichtweise von Hardcore als selbstverständlich wahrgenommen werden. Doch inwieweit entspricht dieses, von medialer und teilweise auch wissenschaftlicher Seite, vermittelte Bild tatsächlich auch den internen Gepflogenheiten?

Beginnend beim Umgang mit Rechtsextremismus zeigt sich, dass sich Hardcore nicht zu hundert Prozent von der rechtsradikalen Skinhead-Szene abgrenzen konnte. Der offensichtlichste Auslöser hierfür ist zweifelsfrei im Erscheinungsbild der Punks zu finden, das eine leichte Assoziation zu rechten "Nazi-Skins" bzw. "Boneheads" zuließ. Das "männlich-weiße Ambiente" von Hardcore-Konzerten bot diesen Gruppierungen zusätzlich eine geeignete Plattform und die Veranstaltungen sollten gerne frequentierte Orte für rechtsradikale Skinheads werden. Vor allem in San Francisco stellten rechtsextreme Gruppierung innerhalb der Hardcore-Szene ihre Gesinnung mittels Hakenkreuz- und "Niggers Beware"-Aufdrucken auf T-Shirts offen zur Schau. Washington DC blieb diesbezüglich bis 1984 unbescholten, bis sich, kurioserweise unter der Führung einer dunkelhäutigen Punkerin (unter dem Pseudonym "Lefty"), eine erste rechtsorientierte Skinhead-Gruppierung bildete. Doch nicht nur das Publikum, sondern auch die Bands selbst positionierten sich zunehmend am rechten Rand. Bereits Ende des Jahres 1981 bildeten sich amerikaweit offen rassistische und gewalttätige, der Skinhead-Szene englischen Vorbilds entstammende Bands - Beispiel IRON CROSS. Sab Grey rückte sich selbst durch seine Zuneigung für Mitglieder der britischen "National Front" - "Sure they are Nazis to a certain extent. I'm a Nazi, everyone is" - oder durch Aussagen wie "Blacks are the biggest racists" verstärkt ins rechte Lager. Auch Paul Dordal von MURPHY'S LAW stand offen zu seiner republikanischen Gesinnung: "What's wrong being Republican?"

Demgegenüber stand ein Großteil der HarDCore-Bands, die sich zunächst unpolitisch, dann zum größten Teil linkspolitisch positionierten. Die Problematik hierbei liegt erneut in der verfälschten Wahrnehmung und akkulturativen Vereinnahmung. Bands wie GOVERNMENT ISSUE, die definitiv links orientiert waren, sahen sich des Öfteren mit einem aus Naziskins zusammengesetzten Publikum konfrontiert. Diese waren allerdings der Meinung, dass die Band selbst ähnliche Standpunkte vertrete: "I hated every minute of our set. wanted to kill [the Nazis] and leave their bones rotting in the dust." Das prominenteste Beispiel für derartige Missverständlichkeiten ist natürlich bei MINOR THREATs Song "Guilty of being white" zu finden, der für rechtskonservative Autoren wie Robert Jones als Beleg für MacKayes offenkundigen Rassismus gilt. Diedrich Diederichsen sieht die Anfälligkeit für Rechtsextremismus sowie das mangelnde Interesse seitens der afro-amerikanischen Community ästhetisch vor allem in der Musik, im Verzicht auf afro-amerikanische Elemente begründet. Diese Aussage muss als zu verallgemeinernd kritisiert werden, da sie Bands wie MINUTEMEN, NOMEANSNO oder FIDELITY JONES außer Acht lässt. Gerade letztgenannte Band zeugt beispielhaft dafür, dass auch die Hinzunahme von Funk- oder HipHop-Elementen keinen Einfluss auf die Zusammensetzung des Publikums hatte.

Wie bereits angedeutet, setzte sich das Publikum zum erheblichen Teil aus weißen Männern zusammen. Dieses Charakteristikum wirft automatisch die Fragen auf, welche Rolle Frauen in der Szene einnahmen und inwieweit in einer dermaßen männlich dominierten Szene, in der Faktoren wie physischer Kontakt, Nacktheit und auch die Ästhetik eines durchtrainierten Körpers einen hohen Stellenwert hatten, Homosexualität thematisiert wurde. "It was a real guy thing; I think it was a real gay thing. [...] There was that whole male bonding/sweating/being-naked/doing-that-dancing going on" (Holly Ramos).

Als hervorstechendstes Negativbeispiel für eine diesbezügliche Auseinandersetzung mit Homosexualität sind in DC die BAD BRAINS durch ihre offen zur Schau getragene Homophobie hervorzuheben: "Most of them [faggots] act so crazy even out in public, it disturbs me, makes me want to go and shoot one of them" (HR). Ansonsten wurde mit Ausnahme der NUCLEAR CRAYONS, die 1983 am "Gay Pride Day" spielten, oder BROKEN SIREN (1986) dieser Thematik in Washington DC größtenteils ausgewichen. Hierbei sei angemerkt, dass BROKEN SIREN komplett weiblich besetzt war, ein entsprechend bekennend homosexuelles männliches Pendant ist in der HarDCore-Szene nicht zu finden (ironischerweise wurde erfolgreichen Bands wie MINOR THREAT Homosexualität bzw. ein gestörtes Verhältnis zu Frauen nachgesagt, begründet durch deren Verzicht auf Sex mit "Groupies").

Dass politisch engagierte Gruppen wie FUGAZI, BEEFEATER oder SCREAM sich natürlich auch gegen jegliche Diskriminierung Homosexueller aussprachen, sei unwidersprochen, dezidiert anti-homophobe Statements, wie bei FUGAZIs Song "23 beats off" (1991), der von der Verbannung schwuler Soldaten aus dem Militär handelt, sind allerdings nur vereinzelt zu finden. Bezüglich der Frage nach dem Stellenwert von Frauen in der Szene ist auffällig, dass 1979-80 der Anteil an Frauen und Männern im DC-Publikum nahezu gleich war. Die steigende Feindseligkeit gegenüber Frauen, bzw. die Herausbildung eines verstärkten "Macho-Gehabes" innerhalb der Szene führte jedoch dazu, dass Frauen sich zunehmend abzuwenden begannen. Begründet lag dies hauptsächlich in der steigenden Brutalität im Slamdancing und Stagediving bei Konzerten, und gegen Ende des Jahres 1981 waren die Frauen beinahe vollkommen von der Tanzfläche verschwunden. Ausnahmen wie Amy Pickering, Janelle Simmons oder Sharon Cheslow beschreiben die damalige Situation folgendermaßen: "At the time I was blind to it, but looking back now, women didn't really have a place" (Simmons). "Am I really with a group of friends?" (Cheslow). "We were trying to be boys" (Pickering).

Letztere Aussage von Amy Pickering bringt das grundlegende Dilemma von Frauen in HarDCore auf den Punkt, nämlich die szeneimmanente Problematik, dass Frauen in die Rolle der passiven Beobachterin gedrängt wurden und sich gewissermaßen im Kampf gegen ihre eigene Weiblichkeit befanden. In dem Vorhaben, gegen traditionelle gesellschaftliche Strukturen zu rebellieren, fanden sich Frauen in der HarDCore-Szene erst recht mit althergebrachter männlicher Unterdrückung konfrontiert. Erst nach und nach sollten sich die Frauen aus der Umklammerung der, sich eigentlich anti-sexistisch, anti-patriarchalischen gebärdenden, Männer lösen. Allerdings wurden reine Frauenbands wie CHALK CIRCLE (1981) größtenteils belächelt und erst mit FIRE PARTY - später PIN-UPS, NIKE CHIX (a.k.a. SYBIL), THE FURIES etc. -, im Zuge des "Revolution Summer", sowie aufgrund der Tatsache, dass Frauen zunehmend auch organisatorische Führungsrollen einnahmen (9:30-Club, dcSpace), war ein tatsächlicher Paradigmenwechsel erkennbar.

Wie weit die Szene zu diesem Zeitpunkt trotzdem von einer geschlechtlichen Gleichstellung entfernt war, zeigt ein Zitat Amy Pickerings, in dem sie auf die Frage, warum FIRE PARTY keine spezifisch feministischen Statements in ihren Texten hätten, anführt, dass die Tatsache, eine reine Frauenband zu sein, ein Statement wäre, das für sich sprach: "It's not that we don't want to make a statement. Just the fact that we do it is a statement on its own."

Zusammengefasst ...

Schlussendlich bleibt festzuhalten, dass das Attribut "linksradikal", auch als Beschreibung einer die egalitäre Gesellschaft fordernden Gruppierung, im Zusammenhang mit HarDCore als überaus diskussionswürdig zu bezeichnen ist. Weder war die Szene, zu Beginn, durch eine besonders reflektierte Gesellschaftskritik oder politischen Aktivismus gekennzeichnet, noch wurden intern konsequent die Forderungen des Egalitarismus, nach der Gleichheit der Chancen für jedes Individuum der Gesellschaft, durchgesetzt. HarDCore, zunächst eine kleine Gruppe von Teenagern in Georgetown, hatte sich innerhalb von drei Jahren zu einer autarken Subkultur entwickelt, deren kennzeichnende Merkmale in einem mehr oder weniger eigendynamischen Prozess alsbald als Regelwerk einer im medialen Fokus stehenden jugendkulturellen Strömung vereinnahmt wurden. Die "Salad Days", also die eigentliche, unbedarfte HarDCore-Phase, war zu diesem Zeitpunkt bereits zu Ende und die Idee einer Gegenkultur nach wenigen Jahren desillusioniert.

Bernhard Steinbrecher