LIFE IS PUNK: ANDREAS MICHALKE

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Ox-Schreiber im Porträt – Teil 6: Andreas Michalke

Warum immer nur fremde Leute interviewen, wenn man auch selbst genug interessante Typen im Kreise der Schreiber hat? Also stellen wir regelmäßig altgediente Mitarbeiter vor, und diesmal ist Andreas Michalke dran, Zeichner und Hausmann aus Berlin, der das Ox seit geraumer Zeit mit wundervollen Comic-Kommentaren zu unserer Szene schmückt.

Bitte stell dich vor.

Geboren wurde ich 1966 in Köln, bis 13 aufgewachsen in Hamburg-Rotherbaum, habe dann die sehr prägende Teenagerzeit, 1979 bis 1985, in der norddeutschen Provinz verbracht, bin dann mit 18 schnell zurück nach Hamburg und mit 31 nach Berlin. Seitdem lebe ich mit meiner Freundin zusammen in Kreuzberg.

Wie bist du einst zu Punk/Hardcore gekommen?

Ich war nie Punk. Als Kind, Ende der Siebziger Jahre, war ich Elvis-Fan, weil Georgius, ein Freund in meiner Klasse, den gut fand. Ich mochte Oldies, eine Star-Club-Compilation lief bei uns zu Hause immer auf dem Kindergeburtstag beim Topfschlagen. Nach der Schule habe ich immer Musik für junge Leute auf NDR 2 gehört und mit meinem Kassettenrecorder aufgenommen. Vor allem die Sendung „Rock’n’Roll-Museum“ mit Werner Voss. Der war Schallplattensammler und hat viel obskures Rock’n’Roll- und Rockabilly-Zeug gespielt. Das hat meinen Musikgeschmack eigentlich am nachhaltigsten geprägt. Als ich 1977/78 zum ersten Mal LaVern Bakers „Voodoo voodoo“ und Billy Lee Rileys „Red hot“ gehört habe, also wirklich aggressiven und wilden Rock’n’Roll, hat mich das umgehauen. Das war mein Punk! Von da bis zum Teddyboy war’s nicht weit und immerhin hatten Matchbox mit „Rockabilly rebel“ 1979 auch in Deutschland einen Top-Ten-Hit. Erst Später kamen Gruppen wie die Blue Cats, die Stray Cats und die Polecats. Ich war also nicht allein mit meiner Begeisterung. Als Rockabilly 1981 in der niedersächsischen Provinz war es aber doch nicht ganz leicht, Gleichgesinnte zu finden. Zum Glück gab es an meinem Buxtehuder Gymnasium einen Mod , einen Punk, zwei New Wave-Mädchen und einige andere Freaks, die sich immer in der Raucherecke trafen. Die Raucherecke war subkultursozialisierungsmäßig also die zweite wichtige Prägung. Und ich habe als Teenager noch nicht mal geraucht ...

Aber wie kommt man von Rockabilly zu Punk?

In den frühen Achtzigern waren das zwei völlig verfeindete Lager. Zum einen durch die Raucherecke und dann wieder durch das Radio. Da war’s irgendwie vorbei mit dem konservativen Rockabilly. Die „Yankees raus“-LP von Slime haben wir damals rauf und runter gehört. „Deutschland muss sterben“ zu grölen, machte in der norddeutschen Provinz genau so viel Sinn wie heute wahrscheinlich noch immer. 1982 fuhren wir nach Hamburg zum Depeche Mode-Konzert. Die fand ich super! Wenn du Anfang der Achtziger die neue britische Pop-Musik nicht mitgekriegt hast, war dir sowieso nicht zu helfen. Black Flags „Six pack“ hab ich 1981 im Radio gehört und zum Glück aufgenommen. Das hat mich wieder total umgehauen. Das war anderer Punk! Die „Damaged“-LP war zwar starker Tobak, aber das war wirklich neuer, wirklich wütender Punk. Die Punks und die Punk-Szene fand ich aber nicht so schnell. Mit 16 lud ich meine neuen Freunde zu mir nach Hause zu einer Party ein, meine Eltern waren verreist. Am Schluss zerschlugen die Punks mir meine ganzen sorgsam zusammen gesammelten Nierentische und Spiegel und warfen Bierflaschen an die Wand. Der Geruch blieb noch jahrelang im Raum hängen. Auf einem Razzia-Konzert 1983 in Buchholz klauten mir Punks meine schöne Fünfziger-Jahre-Baseballjacke und ich konnte ohne nach Hause gehen. Das war nicht meine Szene ...

Was sind deine früheren, was deine heutigen „Szene“-Aktivitäten?

Mein Vater ist 20 Jahre zur See gefahren und hatte irgendwann keine Lust mehr auf das Leben auf dem schwimmenden Gefängnis. 1979 hat er dann seine eigene Firma in Miami gegründet. So sind mein Bruder, meine Mutter und ich in den Ferien immer nach Florida geflogen. Leider war es als Teenager in den endlosen Vororten von Miami genau so langweilig, wie im Niemandsland zwischen Buxtehude und Stade. Im Sommer 1983 habe ich in einem kleinen Indie-Plattenladen in Miami das Suburban Relapse-Fanzine aus Miami gekauft und verzweifelt den Macher Barry Soltz angeschrieben. So habe ich im Sommer 1984 in Miami Black Flag, Agent Orange, Battalion Of Saints und einen Haufen lokaler Bands gesehen. Florida hatte damals eine ziemlich gute Hardcore-Szene. Von diesem Sommer 1984 handelt mein erster Comic-Band „Smalltown Boy“, erschienen 1999 bei Reprodukt. Ein bisschen wie Schamonis „Dorfpunks“ als Comic, nur viel, viel peinlicher.

Und was machst du heute, um deinen Lebensunterhalt zu verdienen, wie war der Weg dorthin?

Ich bin Hausmann. Meine Freundin ist Lehrerin an einer Brennpunktschule im Berliner Wedding und ich koche, wasche, putze und lege die Wäsche zusammen. Ein bisschen was verdiene ich auch mit der Zeichnerei, aber das ist zu vernachlässigen. Es ist also kein Beruf, aber es ist das, was mir am meisten Spaß macht, neben dem Wäschezusammenlegen. Ich zeichne immer noch jeden Tag, wie vor 20 Jahren. Wenn ich was anderes gewollt hätte, hätte ich einen vernünftigen Beruf gelernt.

„Eine andere Welt ist möglich“ sagt attac. Was sagst du, was tust du dafür?

Nichts. Ich bin nicht politisch engagiert und private oder kulturelle Gewohnheiten betrachte ich nicht als politisches Engagement. Auch wenn das schmeichelhaft wäre ...

Wie reagiert dein Umfeld auf deine Punkrock-Vorliebe? Verständnis, Erstaunen, Unkenntnis?

Meine Freunde: „Hörst du immer noch diese Scheißmusik?“ Meine Freundin: „Du läufst rum wie ein Penner! Kannst du dir nicht mal was Neues zum Anziehen kaufen?“ Aber das hat ehrlicherweise nichts mit Punk zu tun, ich bin einfach zu faul, Klamotten zu kaufen.

Punk war mal eine Jugendbewegung. Wie lässt sich das mit deinem Alter vereinbaren? Für immer jung, für immer Punk? Oder manchmal doch das schleichende Gefühl, für irgendwas zu alt zu sein?

Solange noch junge Leute, die meine Kinder sein könnten, mit Begeisterung diese alte Musik machen, höre ich mir ihre Musik gerne an und kaufe deren Platten. Ich höre mir überhaupt nur Punk an, der von jungen Leuten gemacht wird. Sonst würde ich das nicht mehr hören. Allerdings muss ich mir regelmäßig selbst über den Mund fahren, um nicht von alten Zeiten zu schwafeln. Obwohl die jungen Hardcore-Kids heute geradezu besessen sind von dem Early 80s Shit ...

Bei welcher Gelegenheit hast du angefangen, über Musik zu, naja, „schreiben“?

1985 bin ich zurück nach Hamburg gezogen und dort sofort auf die Suche nach der Hardcore-Szene gegangen. Aber eigentlich war da nicht viel. Im Front, einer Schwulen-Disko, ging viel mehr ab, und die Garage-Punk- und Psychobilly-Szene waren auch frischer als die deutsche Punk-Szene. Irgendwann 1985/86 habe ich dann doch entdeckt, dass im Störtebeker in der Hafenstraße immer Punk-Konzerte liefen und sich die Szene im Krawall in der Buttstraße traf. In sehr kurzer Zeit lernte ich dann sehr viele Leute kennen. Als 1986 das Trust zum ersten Mal rauskam, war ich begeistert. Ein regelmäßig erscheinendes, „professionell“ gemachtes Hardcore-Fanzine hatte es in Deutschland noch nicht gegeben. Sofort schickte ich ein paar Illustrationen an Moses, der damals das Heft fast im Alleingang zusammenstellte. Von da an brachte das Trust in jeder Ausgabe Zeichnungen und Comics von mir. Bis Moses 1988 das Zap startete und ich dort weitermachte. Ende der Achtziger war der primitive Charme der Anfangstage dahin. Hardcore wurde immer musikalischer, professioneller und politisch rigider. Die frühen Neunziger gehören dann auch zu den Punk-Dürreperioden. Zum Glück kam Mitte der Neunziger das Revival der Retro-Szenen.

Wie und wo hast du das Ox erstmals wahrgenommen?

Leider fiel das Erscheinen des ersten Ox in die Zeit, als ich mich bereits aus der Punk-Szene entfernte. Ich hab das Ox wahrgenommen, aber mich mehr für politischen HipHop, Tanzen gehen und Kunst interessiert. Diesen typischen Hamburger Bohème-Scheiß eben, auf dem die Zitronen hängen geblieben sind. Zumindest habe ich so 1990 endlich mein erstes Comic-Heft „Artige Zeiten“ veröffentlicht, in dem ich diese Zeit dokumentierte.

Und was hat dich dann bewegt, beim Ox mitzumachen?

Das Ox ist heute das Zentralorgan der deutschen Punk-Hardcore-Rock’n’Roll-Szene. Vielen Grundsätzen der Bewegung immer noch verschrieben und trotzdem aktuell in der Ausrichtung. Im Ox zu erscheinen, bedeutet für mich, dass meine Leute meine Comics lesen. Das ist mir sehr wichtig!

Was macht für dich heute den Reiz aus, für das Ox zu schreiben?

Weil die Ox-Leser Gleichgesinnte sind: Musik-Fans. Ich bin auch zuerst Musik-Fanatiker und dann Comic-Fanatiker. Wäre besser, wenn’s umgekehrt wäre, aber dann wäre ich im Ox wahrscheinlich auch nicht mehr so gut aufgehoben.

Wie schätzt du die Entwicklung des Heftes ein, wie sollte es weitergehen?

Das Heft kann immer nur so gut sein, wie die Szene selbst. Wenn die konservativer und kommerzieller wird, wird das Ox das abbilden Und wenn der Rock’n’Roll doch noch mal progressiver, verspielter und politischer wird, dann wird dem Ox das sicher nicht entgehen. Ich bin allerdings sehr optimistisch, was das angeht. Sobald es irgendwo zu eng wird, wird es Leute geben, die sich auf die Suche nach Freiheit machen. Rock’n’Roll kennt keine Grenzen.

Gibt es ein Interview, einen Artikel, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Die Interviews mit Moses und Karl Nagel in den letzten Ausgaben fand ich sehr inspirierend.

Welche Bands/Platten und Genres haben dich früher beeindruckt und beeinflusst, welche sind es heute?

Wenn es um Rock’n’Roll geht, denke ich immer zuerst an einen großen, geschminkten, schwulen, schwarzen Mann der schreit: „A wop bop a loo bop a lop bam boom!“ Und das ist eigentlich die Messlatte geblieben für alles, was ich heute gut finde. Wenn es diese Energie und Aggressivität nicht hat, taugt es nichts.

Was hat sich deiner Meinung nach in der Szene in der Zeit, die du dabei bist, am maßgeblichsten verändert?

Seit 1981 ist eigentlich alles geiler geworden. Die Bands sind ja heutzutage viel besser und die Leute bleiben auch länger in der Szene als früher. Auf das romantisierte Chaos von früher kann ich verzichten. Wer das sucht, kann ja mal nach Teheran gehen. Und wenn es mir musikalisch irgendwo zu perfekt wird, suche ich mir eben was Primitiveres. Zum Glück gibt es auch immer noch Singles! Das beste Format für Rock’n’Roll.

Was ist heute das größte Ärgernis in Zusammenhang mit Musik?

Keine Ahnung. Ich find’s immer da total geil, da wo ich gerade bin. Sonst wäre ich ja nicht da. Ich gehe nur noch zu Mini-Konzerten. Andererseits stehen wir dann mit 50 schlecht angezogenen jungen Männern in einem feuchten Keller, führen unsere idiotischen, rituellen Tänze auf und ich habe das alles irgendwo schon mal gehört. Aber dann ist da diese wahnsinnige, mitreißende Energie und es ist alles noch genau so geil wie früher, nein, noch geiler, und ich höre sofort auf nachzudenken ...

Wie wichtig waren dir früher Äußerlichkeiten, wie sieht das heute aus?

Der Look war mir immer wichtig. Das gehört irgendwie zum Rock’n’Roll dazu und ich finde es gut, wenn gerade Männer in Style-Fragen ein bisschen auf sich achten. Das tut schließlich jede einzelne Frau auch. Allerdings beschränkt sich das bei mir leider zur Zeit auf den Erwerb von Band-T-Shirts. Ich habe einen Berg von Band-T-Shirts aus den Achtzigern und Neunzigern, die so ausgeblichen und verwaschen sind, dass ich die nicht mehr anziehen kann. Wegwerfen oder verkaufen kann ich die auch nicht. Ich überlege mir, aus denen mal einen großen Quilt zu nähen, so als Tagesdecke fürs Bett vielleicht. Mal sehen, wann ich das zwischen Putzen und Wäschezusammenlegen noch einbaue ...

Wie groß/klein ist deine Plattensammlung, wie wichtig ist sie dir, welche Formate bevorzugst du?

Ich habe zwischen 5.000 bis 6.000 Singles und ein paar hundert LPs aus allen Perioden der Rock- und Pop-Musik von den Fünfzigern bis heute. Ich kaufe nur Singles: alte auf Flohmärkten und in Trödelläden und neue, hauptsächlich aus dem D.I.Y.-Hardcore-Punk Bereich, von den Distros auf Konzerten. Und ich höre mir jeden Tag auch nur diese Singles auf meinem Plattenspieler an. Meine neuen Lieblingslieder manchmal hundertmal hintereinander ...

Wie steht es um dein Konsumverhalten? Wie viel Geld hast du früher für Platten ausgegeben, wie viel heute?

Auf dem Flohmarkt kostet eine Single zwischen 50 Cents und einem Euro und die D.I.Y.-Single im Schnitt vier Euro. Das kann sich eigentlich jeder leisten, da gelegentlich welche zu erwerben. Überhaupt frage ich mich, wieso irgendwer noch CDs kauft. Die verlieren sofort nach dem Erwerb ihren Wert. Wer nur mp3s sammelt, ist sowieso kein Fan. Traurig, wenn die einzigen Gegenstände, die die Leidenschaft befeuern, T-Shirts und andere Accessoires sind. Bleibt nur Vinyl. Ich sammele Singles, weil da immer die Hits drauf sind. Kein Platz für Füllmaterial. Ich wundere mich immer, wenn in den Distro-Kisten immer noch die absoluten Killer-Scheiben stecken, weil scheinbar immer weniger Leute Singles kaufen. Bei Singles steigt der Wert, wegen der relativ geringen Stückzahl, direkt nach dem Erwerb. Und steigt und steigt und steigt wie eine kleine Aktie oder Kunst. Und abspielen kann ich die auch noch. Bis ich hundert bin.

Gibt es heute Wichtigeres in deinem Leben als Punkrock?

Ich bin ja jetzt über meine Freundin hauptsächlich in der Lehrer-Szene unterwegs. Wenn du richtige Action suchst, dann geht’s da wirklich ab. Glaubst du nicht? Glaubst du, das stinkende Punkerleben ist aufregender? Was willst du, Opfer? Ich ficke dein Leben! Vielleicht versuche ich’s ja später auch noch mal als Hilfslehrer. Aber vielleicht ist das auch mehr Punkrock, als ich vertrage ...

Sonst noch was?

Vielleicht noch einen Verweis auf meine Blogs: „Berlin Beatet Bestes“, da kann man sich meine Plattensammlung angucken und sogar downloaden. Und „Berlin DIY Hardcore Punk“, da findet man meine Fotos, Berichte und Infos aus der aktuellen Berliner D.I.Y.-Hardcore-Punk-Szene. Up the Punx!