FEHLFARBEN

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Peter Hein, das Gitarrenrock-Arschloch

Mit einem Album zum 30. Bandgeburtstag hat es nur halb geklappt: Zwar war der neue Longplayer „Glücksmaschinen“ schon im Sommer 2009 mit Moses Schneider eingespielt worden, doch die 1979 in Düsseldorf gegründeten FEHLFARBEN entschieden sich dann doch für eine Veröffentlichung im Frühjahr 2010, was auch jubiläumstauglich ist, feiert man doch dieses Jahr den 30. Jahrestag der Veröffentlichung von „Monarchie und Alltag“, einem der wichtigsten deutschen Post-Punk-Alben überhaupt, das heute noch so frisch klingt wie „London Calling“ von THE CLASH.

Nach deren Song „Janie J Jones“ nannte sich seinerzeit Peter „Janie“ Hein, der als einer der Ersten in Düsseldorf Punk entdeckt hatte und mit CHARLEY’S GIRLS und MITTAGSPAUSE auch selbst solche Musik machte. Mit FEHLFARBEN und FAMILY*5 ging es jenseits von Punk weiter, wobei das erste Kapitel der FEHLFARBEN für Hein schon 1982 erledigt war. Erst 20 Jahre später kam es wieder zu einer richtigen Reunion, und seit „Knietief im Dispo“ (2002) sind FEHLFARBEN wieder im Rennen, veröffentlichten neben dem ebenfalls verspäteten Jubiläumsalbum „26 1/2“ (2006) dann 2007 ein zweites Post-Reunion-Album. Über den neuen Longplayer sprach ich mit Hein am Telefon, denn Düsseldorf hat der schon vor längerer Zeit den Rücken gekehrt und wohnt jetzt in Wien.

Ihr habt schon wieder ein neues Album, das heißt, es fühlt sich an wie „schon wieder“, aber „Handbuch für die Welt“ kam schon im April 2007.

Stimmt, bei alten Säcken geht das schnell mit dem gefühlten „schon wieder“. Jungspund-Bands wie FRANZ FERDINAND dürfen jedes Jahr ein Album machen, da beschwert sich keiner, wobei auch bei diesen Bands die Alben gar nicht so schnell aufeinander folgen, das fühlt sich nur so an. Und für mich ist das neue FEHLFARBEN-Album aber eher „erst jetzt“ erschienen.

Es gibt also eine Diskrepanz zwischen realem und gefühltem Albenabstand.

Ja, das ist wie das Warten auf Weihnachten oder der Rückweg von einer Party zu Fuß.

Apropos „zu Fuß“. Über deine Spaziergänge durch irgendwelche auf Tour mit FEHLFARBEN und FAMILY*5 besuchten Städte hast du 2007 das Buch „Geht so“ geschrieben. Gehst du denn nur bei gutem Wetter los oder auch bei Regen oder Schneematsch?

Also München fand im Schnee statt, in Hamburg war Schneematsch, und Kackwetter war auch in Bad Salzungen. Bei rheinischem Novemberwetter bleib ich lieber da, wo ich bin.

Schreibst du denn Reiseerinnerungen wie in diesem Buch weiterhin auf?

Nee, und das Buch habe ich auch erst geschrieben, als ich es schreiben musste. Ich habe da nicht vorher irgendwelche Notizen gesammelt und tue das auch seitdem nicht. Das waren teilweise 20 Jahre alte Begebenheiten, die so auch gar nicht stimmen müssen – aber sie stimmen natürlich, haha. Was der Künstler sagt, stimmt doch immer.

Hast du mit diesem Ausflug in die literarische Welt Blut geleckt, wird es Nachschub geben? Immer mit dem gleichen Buch auf Lesereise zu gehen, wird doch langweilig.

Vor allem ist das anstrengend, und das Buch zerfleddert. Ich schreibe also neue Sachen, aber ich kann da noch keine genauere Auskunft geben, ich bin noch nicht fertig: „work in progress“ sagt man dazu. Über die Form bin ich mir noch nicht sicher, etwas zusammenhängender als die einzelnen Geschichten von „Geht so“ will ich das schon gestalten, doch dass mir der große Nachkriegsroman gelingen wird, das wage ich zu bezweifeln. Und andererseits gebe ich mich mit dem kleinen, billigen Punkrock-Roman auch nicht zufrieden.

Wie ist das denn so, wenn man nach Jahren mit einer Band im Rücken plötzlich alleine auf der Bühne steht?

Ach, das ist letztlich nicht anders, als wenn mal wieder ein Schlagzeugfell ausgetauscht werden muss oder eine Saite reißt und ich was erzählen muss.

Was du als Sänger von FEHLFARBEN und FAMILY*5 vorträgst, konnte man 2009 im Buch „Die Songtexte 1979-2009“ lesen. Musste man dich dazu zwingen oder war dir das ein Bedürfnis?

Das war das Buch, das ich immer im Hinterkopf hatte für den Fall, dass mich mal jemand fragt, ob ich nicht ein Buch machen will. Eine erste solche Anfrage gab es dann 2002 zur FEHLFARBEN-Reunion, aber letztlich wurde nichts daraus. Die Idee, so was zu machen, trug ich also eine ganze Weile mit mir herum, und auch die Form stand fest, nämlich nicht als FEHLFARBEN-Buch, sondern auch mit FAMILY*5-Texten. Dass das Buch 2009 erschien, ist letztlich der Hartnäckigkeit meines Verlages geschuldet, der einen Nachfolger zum ersten Buch wollte, sowie meiner Schreibblockade, denn ich kam mit dem nächsten „richtigen“ Buch einfach nicht in die Gänge.

Welche Fassung deiner Texte findet man in diesem Buch? Bei Liedern, die man seit 30 Jahren singt, ändert sich ja vielleicht auch mal der Text.

Im Buch ist das entweder der Text, wie er mal geschrieben wurde – oder wie ich ihn hätte schreiben wollen. Bei so einem Text gibt es also auch mal historisch gewachsene Differenzen. Es kommt also auch vor, dass im Buch ein Text zu finden ist, der so zwar geschrieben wurde, wo man aber auf Platte was anderes hört, denn bei der Aufnahme passte da was nicht. Oder es wurde zwar mal in der einen Form geschrieben und aufgenommen, aber im Laufe der Jahre live verändert, so dass diese Form von mir für das Buch niedergeschrieben wurde. Denn ich habe die meisten Texte, so die gängigen von FEHLFARBEN und FAMILY*5, nicht irgendwo rausgesucht, sondern aus dem Gedächtnis „abgeschrieben“, sofern der Text nicht sowieso seinerzeit schon direkt vom Schmierzettel in den Computer getippt wurde, was ich eigentlich so ab Mitte der Achtziger gemacht habe.

Dann warten wir nach Songbooks von DIE ÄRZTE und DIE TOTEN HOSEN jetzt nur noch auf das FEHLFARBEN-Songbook.

Mit dem ich nichts zu tun haben würde, denn was hab ich mit Noten und Griffen am Hut? Deshalb bin ich auch froh, dass ich das Textbuch unter meinem Namen gemacht habe.

Unter dem Namen FEHLFARBEN ist seit Mitte 2009 ein neues Album im Kasten, das allerdings erst im Frühjahr 2010 erscheint.

Also hätten wir locker ins Weihnachtsgeschäft einsteigen können, aber das merkten wir erst, als das Album fertig war. Während der Aufnahmen waren wir uns nämlich über gar nichts sicher, wussten nicht mal, was wir eigentlich machen wollen. Wir waren bis Juni mit Moses Schneider im Studio, danach haben Frank und Kurt noch ein bisschen was dazugebastelt, und im Frühherbst entstand der finale Mix. Wir waren allerdings auch schon mit Moses Schneider beim Aufnehmen, als wir nicht den Hauch einer Ahnung hatten, welches Label die Platte rausbringen würde. Erst im Herbst ergab es sich dann, dass Tapete das Album machen. Die Scheibe dann noch schnell rauszubringen, darauf wollte sich allerdings keiner von uns einlassen.

Moses Schneider produziert in letzter Zeit viele interessante Bands, vor allem auch sehr verschiedene. BEATSTEAKS, KREATOR und FEHLFARBEN, das ist schon ein gewisser Gegensatz – wie kamt ihr zusammen?

Das sind immer so Sachen, von denen ich nichts weiß. Die Idee stammt, glaube ich, von Kurt, denn Moses hatte bei der vorletzten Platte irgendwas gemischt oder gemastert. Im Vorfeld des neuen Albums haben wir uns dann mal getroffen und Moses sagte, er würde gerne mit uns arbeiten. Ich sagte dann was in der Art wie: „Ich hab’ kein Geld, denn die Zeiten, in den ich das Studio bezahlen konnte, sind vorbei, aber schaut doch mal, was da geht.“ Und wie immer, wenn sechs, sieben Leute an einer Entscheidung beteiligt sind, wurde viel diskutiert und hinterfragt, es wurde überlegt, doch im eigenen Keller aufzunehmen, doch zum Glück ergab die Abstimmung dann, dass zumindest ein Teil der Band mal andere Studiowände sehen wollte.

Warum „zum Glück“?

Weil für mich beim letzten Album offenkundig geworden war, dass bei Kurt so eine gewisse Betriebsblindheit eingesetzt hat, was er allerdings auch selbst erkannt hat. Er war nicht wirklich zufrieden, wusste aber auch nicht, was er sonst hätte machen sollen. Und so war er von der Idee mit Moses angetan, konnte er so doch einfach nur spielen und musste nicht die Doppelrolle des Produzenten spielen. Und für uns war es so ein „Zurück in die Steinzeit“, wieder die klassische Studioarbeit und nicht das Arbeiten am Computer, das ich bei „Knietief im Dispo“ noch als interessant und entspannend empfunden hatte.

Was nun die musikalische Seite des neuen Albums angeht, so empfinde ich es als eine sehr zeitgemäße Platte einer 30 Jahre alten Band – und als recht elektronisch.

Ehrlich gesagt, ist es ganz unelektronisch gemacht. Kurt spielt manchmal so was wie eine Orgel. Es laufen Sequenzen und Rhythmen, ja, aber das ist nicht Elektronik, und Saskia spielt dazu wie ein Tier. Vielleicht hängt dein Eindruck damit zusammen, dass nur vereinzelt mal jemand mit einer zweiten Gitarre zu hören ist, dass am Album kaum Overdubs dran sind. Es ist also kein Gitarrenrock-Album, das stimmt wohl, und das ist wohl auch der Grund, weshalb ich zeit meines Lebens nicht vollinhaltlich hinter der Sache stehen werde. Ich bin eben ein Gitarrenrock-Arschloch.

Die Zeiten, da man als Sänger, als Musiker von den Zahlungen des Labels seinen Unterhalt bestreiten konnte, sind lange vorbei, beinahe so lange wie die, als du bei Xerox gearbeitet hast. Wie kommst du über die Runden?

Das Geld vom Label reicht eigentlich nur für einen kleinen Vorschuss für die Band und das Studio und die Technik. Geld kommt also nur durch GEMA und Konzerte sowie in meinem Fall durchs Vorlesen rein. Und ich helfe Freunden bei der Buchhaltung und so was. Ich führe ein subprekäres Leben.

Was mich zu Texten des neuen Albums führt, „Ausgeraubt“ etwa. Ein Text von dir?

Eigentlich sind alle Texte von mir, sie basieren nur teilweise auf Vorlagen etwa von Frank. „Ausgeraubt“ beschäftigt sich mit der Beobachtung anderer Menschen in der derzeitigen Wirtschaftslage und hat auch gewisse autobiografische Elemente. Die Finanzkrise trifft eigentlich nur die, die was haben. Alle anderen werden sowieso arbeitslos, das hat ja damit nichts zu tun. Es gibt nicht mehr Firmenpleiten als vorher, das ist doch nur eine vorgeschobene Behauptung. Es hat schon seit acht, zehn, 15 Jahren keiner mehr irgendwas zu tun, und was man sowieso entlassen wollte, wird dann eben auf die „Krise“ geschoben. Ich habe kein Geld, da wurde durch die Bankenkrise nichts vernichtet, mit wem soll ich also Mitleid haben, worüber soll ich weinen?

Dann ist da noch „Wir warten (Ihr habt die Uhr, wir die Zeit)“, und ich behaupte mal, dieser Satz „Ihr habt die Uhr, wir die Zeit“ ist nicht von euch.

Da stimmt, ich kannte das auch schon, bevor mir Frank den Zettel mit dem Textentwurf in die Hand gedrückt hat. Ich sage, das gab es schon vor langem zu Punkrock-Zeiten, er behauptet, das habe irgendwas mit den Taliban zu tun. Selbst wenn, die haben das eben auch irgendwo geklaut. Vielleicht ist es auch von dem Indianer, der gesagt hat, man könne Geld nicht essen – ach, was weiß ich.

„Respekt“ haben wir auch noch – ist das der wütende alte Mann, der über die verkommene Jugend schimpft?

Natürlich geht das auch an die, die es angeht. Es geht aber auch um die „Ehre“, ein Thema, das mich in seiner Hirnlosigkeit schon als jungen Menschen beschäftigt hat. Dieser ganze Scheiß mit Ehre, der letztlich zu Weltkriegen geführt hat, war schon in der Steinzeit Scheiße: „Du willst Ehre? Kannst meine gerne haben, geb mir ’nen Zehner dafür.“

Mit so einem Thema ist man aber auch schnell nahe dran an einer FAZ-Kolumne.

Ja, aber so was passiert mir ja immer schon. Egal, was ich sage oder sagen will, es kommt sowieso immer jemand, der es falsch verstehen oder für sich selbst reklamieren will. Da kannst du eh nichts machen, oder du musst es machen wie die GOLDENEN ZITRONEN, aber es ist doch auch nicht lustig, zu jedem Lied fünf eng beschriebene Blätter vorzulesen, weil man sich den Text sonst nicht merken kann. Das ist auch nicht sexy. Die Zitronen, die sind ja alle nett und inhaltlich ist da nichts zu beanstanden, aber ich brauche nicht so viele Worte, um das Gleiche zu sagen.

 


30 Jahre „Monarchie und Alltag“

An den eigenen Kindern merkt man, dass man älter wird. Älter, nicht alt, es gibt da feine Unterschiede, die jeder kennt, der mal mit Menschen zusammengearbeitet hat, die viel jünger waren, als man selbst, jedoch stets von dem Gefühl beschlichen wurde, man werde nie so alt, wie diese schon sind. Die eigenen Schallplatten sind ja auch so was wie Kinder. Man achtet peinlich genau auf deren Zustand, hegt und pflegt sie, sie sind laut, mittlerweile auch teuer, manchmal nervt ihr Geplärre, aber trotzdem hat man sie immer geliebt und wird das so beibehalten. Somit merkt man auch an den eigenen Schallplatten, dass man älter wird. 30 Jahre älter.

Zu den FEHLFARBEN kam ich wie die Jungfrau zum Kind, allerdings erst ein Jahr später. Auf einem Mixtape, welches mir von einem Freund aufgenommen wurde, waren zwei ihrer Stücke, „Gottseidank nicht in England“ und „Militürk“. Besonders ersteres hatte es mir angetan. Schnell, laut und ein Text, der damals wie ein Mantra aufgenommen wurde. „Schneid dir die Haare, bevor du verpennst, wechsle die Freunde, wie andere das Hemd.“ Auf einmal wurde sich nicht mehr dagegen gesträubt, dass die Eltern die eigenen Haare zu lang fanden, auf einmal gingen alle (meint: alle mit gutem Musikgeschmack) zum Frisör. Auf einmal fanden die Eltern die Haare plötzlich zu kurz.

Ein weiteres Jahr später kam ich auch in den Besitz der Platte. Ein anderer Freund von mir, der sich heute noch ärgert, tauschte sie gegen das „Punk’s not dead“ Album von THE EXPLOITED. Die Texte, der Gesang, der auch heute noch spezielle Gitarrensound der Platte machte sie wohl nicht nur für mich zur besten Platte, die eine deutsche Band je aufgenommen hat.

Viele Jahre stand an meiner Jugendzimmerwand mit Edding geschrieben, „Was ich haben will, dass krieg’ ich nicht und was ich kriegen kann, dass gefällt mir nicht.“ In meiner von Liebeskummer geprägten damaligen Welt hatte der Satz für mich mehr als nur eine Bedeutung. Eventuell kam der Liebeskummer auch daher, dass ich so ziemlich jedem Mädchen, dass ich kennengelernt habe „All that heaven allows“ auf ein Mixtape gepackt habe. Natürlich nicht als ersten Song, das wäre ja zu auffällig gewesen, sondern wohl bedacht, zwischen anderen weniger verfänglichen Stücken eingebettet.

Für die Band selbst wurde „Monarchie und Alltag“ Fluch und Segen zugleich. Ein Megahit, der heute noch Geld einspielt, der Bruch zwischen Sänger und Band, die Auflösung, die Auferstehung, die viel zu späte Ehrung mit einer Goldenen Schallplatte. Der Ausstieg von Thomas Schwebel, der die Band über die gesamte Durststrecke hinweg weitergeführt hatte, bleibt bislang ein Rätsel.

Und so liebt man seine Kinder, vor allem dann, wenn sie sich so prächtig entwickelt haben, obwohl man erst dachte, sie blieben ewige Außenseiter. Herzlichen Glückwunsch zum 30.

Claus Wittwer