ANGELIKA EXPRESS

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Kreise schließen sich

Mein erstes Tape mit Punkrock, mit den SEX PISTOLS auf der A-Seite und DEAD KENNEDYS auf der B-Seite, hatte mir Anfang der 80er Jahre ein Klassenkamerad namens Robert Drakogiannakis aufgenommen. Während sich durch dieses musikalische Infizieren bei mir Punkrock auf intensives Hören beschränkte, nicht zuletzt aufgrund von zwei linken Händen was Instrumente angeht, gründete Robert damals eine der ersten Old-School-Hardcore-Punk-Bands in Bergisch Gladbach. In guter Hollywood-Film-Manier blende ich an dieser Stelle einen Schriftbalken ein, mit den Worten: „20 Jahre später. Wuppertal. Reunion Konzert von FAMILY 5“. Auf der Bühne steht eine mir unbekannte Vorband, die mir aber aus zwei Gründen auf Anhieb sympathisch sind. Erstens, sie tragen Anzüge, und zweitens, sie geben alles! Nach einer Weile kommt mir der Sänger der Band, der gleichzeitig die Gitarre bearbeitet, als hätte er noch drei Stück als Ersatz, irgendwie bekannt vor. ANGELIKA EXPRESS, nie gehört die Band, doch nicht zuletzt, weil sie mich an dem Abend tatsächlich zu begeistern wissen, suche ich am Tag darauf die Homepage der Band auf, um festzustellen, dass ich mich tatsächlich nicht getäuscht hatte. Jener Robert, der auf alle Fälle große Mitverantwortung an meinem musikalischen Geschmack der letzten 21 Jahre trägt, macht immer noch Musik und hat eine verdammt geile Band an den Start gebracht. Einige Monate später schließlich spielen die FEHLFARBEN in Köln und wieder stehen ANGELIKA EXPRESS als Vorband auf der Bühne. Grund genug, alte Bekanntschaft aufzuwärmen und sich für ein Interview zu treffen. Da Schlagzeuger Alex an jenem Abend etwas später hinzu stößt, kommt er auch kaum zu Wort, was aber von Jens und Robert vollkommen kompensiert wurde. Der Abend beginnt, indem mir Jens das gerade abgedrehte Video zu „Geh doch nach Berlin“ vorspielt.


Obwohl ich bei weitem kein Musikclip-Freund bin und Viva und MTV bei mir nur als Werbeblockfüller angezappt werden, hat mir das Video doch große Freude bereitet.

Jens:
Die Überlegung, die dahinter steckt war, dass ‚Berlin’ nicht gerade unser mainstreamigster Song ist. Genau das war der Grund, weswegen wir uns entschieden haben, eben diesen auszukoppeln und als Video zu veröffentlichen. Nummern wie ‚Eigentlich Eigentlich’ oder ‚Teenage Fanclub Girl’ sind doch von den Harmonien wesentlich versöhnlicher und daher besser geeignet, als Video veröffentlicht zu werden. ‚Berlin’ hat ja am Ende diese Krachorgie, die gegen solche Kompatibilität verstößt. So sollte auch das Video werden – es sollte nerven. Dazu gehörte von vornherein die Überlegung, nicht für die großen Sender zu produzieren. Wir wollten uns nicht mit einer bestimmten Art von Video anbiedern.

Ohne euch was unterstellen zu wollen, sind das natürlich die Sprüche, die man von allen Bands hört. Ihr habt zwar nicht in Richtung der großen Sender produziert, aber ihr schickt es doch trotzdem an Viva oder MTV.

Jens:
Ja sicher. Wenn man vollkommen konsequent wäre, hätten wir das natürlich nicht machen dürfen. Der Punkt ist aber auch der, dass wir bisher nur Geld in die Band und alles, was dazu gehört, gesteckt haben. Ein Video fördert natürlich den Bekanntheitsgrad und man bleibt keine Nischenband, wenn es gut läuft. Dabei reden wir jetzt hier nicht von 10.000 verkauften Platten oder riesigen Hallen, die bespielt werden wollen. Ein angestrebtes Ziel sind so zwei- bis dreitausend Platten und Clubs mit 300 oder 400 Leuten. Ich kann mich noch erinnern, wie das war, als das Medium Video aufkam. Da haben ganz viele gesagt, also auch wirklich große Stars, so was würden sie nicht machen. Man hätte das nicht nötig und die Musik spräche für sich selbst. Nach und nach liefen natürlich auch von denen Videoclips. Man kann sich dem einfach nicht entziehen, was eigentlich auch schade ist. Aber davon ab, hat es natürlich auch verdammt viel Spaß gemacht, ein eigenes Video zu drehen.

Ihr habt das alles in Eigenproduktion gemacht. Woher die Möglichkeiten?

Robert:
Dazu muss ich ein klein wenig ausholen. Ich habe ja immer schon Musik gemacht, aber Mitte der 90er die Gitarre erst mal an den Nagel gehängt. In der Zeit habe ich mich im Bereich Grafik und Videotechnik selbstständig gemacht. Das kommt uns natürlich jetzt zugute.

Was war der Grund dafür, dass du mit der Musik aufgehört hattest?

Robert:
Ich hatte damals eine Band, die schon irgendwie professionalisiert werden sollte. Wir haben damals mit Majors verhandelt und uns richtig bemüht, aber das ist alles komplett in die Hose gegangen. Das hatte nämlich dazu geführt, dass wir innerhalb der Musik total viele Kompromisse gemacht hatten, nur um irgendwie zu einem Deal zu kommen. Ich habe da gemerkt, dass mich das immer mehr genervt hat und ich eigentlich absolut keine Lust darauf hatte. Das war für mich eigentlich der Hauptgrund, danach überhaupt keine Musik mehr zu machen.

Kann euch so was ähnliches jetzt nicht wieder passieren? Böse Zungen sind ja schnell mit dem Wort „Hype“ dabei.

Robert:
Also ich habe jetzt mit ANGELIKA EXPRESS das Gefühl, dass wir genau das alles richtig machen, was ich damals mit der Band falsch gemacht habe. Wir machen eben keine Kompromisse. Wir halten alles sehr stark in den eigenen Händen, was natürlich auch viel Arbeit bedeutet. Aber dadurch kann sich unser Gestaltungstrieb auf alles ausdehnen, was mit unserer Musik zu tun hat. Wir prägen alle Bereiche selber, sei es Produktion, die Covergestaltung, das Video oder was auch immer. Von daher ist das im Augenblick eine super befriedigende und positive Angelegenheit. Im Moment dreht sich das ganze Leben um die Band.
Jens: Auch wenn sich das nach großen Worten anhört, könnte man schon fast von Obsession sprechen.

Bei Robert weiß ich ja, aus welchem Bereich er kommt, was ist mit dir und Alex?

Jens:
Sowohl Alex als auch ich haben irgendwann aus einem Nichtwissen heraus, was wir werden oder machen sollen, angefangen Musik zu studieren. Dazu muss man aber sagen, dass wir uns damals noch gar nicht kannten. Trotzdem war unser Werdegang ähnlich. Durch das Studium sind wir quasi erst mal versaut worden. Wir hatten beide eine Punkrock-Vergangenheit, die dadurch zunächst in Vergessenheit geriet. Als Musikstudent spielst du überall mal mit und meistens ziemlich langweilige Sachen. Dadurch drängte sich dann unsere Vergangenheit wieder in den Vordergrund, einfach in einer Band spielen zu wollen. Scheiß auf akademische Ausbildung und Regeln. Robert wollte zu der Zeit auch wieder Musik machen und durch einen gemeinsamen Freund kam der Kontakt zustande. Danach wurde schnell klar, dass es sich hier nicht nur um ein Projekt handelte, sondern dass wir plötzlich in einer Band waren, auf die alle ganz heiß waren. Brüder im Geiste sozusagen. Wir können zusammen hart arbeiten, als auch kräftig feiern. Diese Dreierband ist unser gemeinsames Ding und wir kämpfen mit allem was wir haben, um das nach vorne zu bringen. Das heißt nicht, dass wir auf Megaerfolg abzielen, sondern auf die Honorierung unserer Leistung. Coole Gigs spielen und möglichst davon leben können.
Robert: Trotzdem ist das kein Funding. Wir haben schon ein Sendungsbewusstsein. Das spezielle Ding, ein Lebensgefühl, quasi schon Hedonismus. Dadurch ist, wie sich das in unseren Texten auch widerspiegelt, natürlich auch viel Spaß vorprogrammiert, besonders was das Nachtleben angeht.

Kommen wir mal auf eure Platte zu sprechen. Was mir als erstes aufgefallen ist, war die Art des Gesangs. Um ehrlich zu sein, wusste ich beim ersten Hören noch nicht, wie ich das jetzt finden sollte. Ich fühlte mich an Rio Reiser erinnert, aber mit einem Touch Deutschrock in der Stimme, was ja eigentlich eher untypisch ist. Da ist so eine gewisse Schnodderigkeit. Steckte da Absicht dahinter?

Robert:
Auf jeden Fall. Als die Songs das erste Mal da waren, hatte ich noch alleine daran gesessen. Alles noch ohne Band, sehr poppig, sehr clean, vielleicht ein bisschen in Richtung BLUMFELD. Der Gesang war aber zu klar und sauber, zu melodisch. Es war weniger auf Ausdruck gesungen, sondern auf Ton, mit mehrstimmigem Gesang, und eigentlich war das alles sehr leblos. Das ist daher eine Entwicklung gewesen. Wie kann ich die Texte und deren Inhalt so direkt wie möglich rüberbringen? Wie kann ich für den Gesang einen Ausdruck finden, damit der Weg vom Ohr zum Hirn so kurz wie möglich wird? Eigentlich bin ich nachher zu der einfachsten Lösung gekommen, nämlich so zu singen, wie ich es sprechen würde. Wenn du jetzt sagst, es hat eine gewisse Parallele zu Deutschrock, kann man nachvollziehen. Aber warum soll man sich die Sachen nicht wieder zurückholen, von denen, die damit so zu sagen Schindluder getrieben haben. Mit Rio Reiser kann ich mich natürlich identifizieren, aber in Deutschrock sehe ich eher die degenerative Abnutzung deutscher Sangeskunst. Davon will ich mich natürlich distanzieren. Der Ansatz ist, aus deutscher Sprache möglichst viel rauszuholen. Diese Schnodderigkeit, das Straßen-mässige, scheint mir da ein sehr wichtiges Mittel zu sein.

Also war es auch eine klare Vorgabe, auf alle Fälle eine deutsch singende Band zu haben?

Robert:
Unbedingt.
Jens: Ich merke beispielsweise, wenn ich deutschen Gesang im Radio höre, auch wenn der Song total schlecht ist, dass ich viel mehr hinhöre. Der Entertainment-Charakter ist da viel höher. Wenn englische Sachen laufen, höre ich ganz anders hin, achte so gut wie gar nicht auf den Text.
Robert: Das macht man eigentlich nur, wenn richtige Schlagwörter kommen.
Alex: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich deutsche Bands, die Englisch singen, irgendwie verstecken, sowohl emotional, als auch individuell. Wenn du auf Deutsch singst, bist du viel reduzierter auf deine eigene Sprache. Dadurch wirkst du unmittelbarer.
Jens: „Musikalisch haben wir uns da viel weniger Gedanken gemacht.
Robert: Richtig. Das war am Anfang auch sehr clean und poppig und innerhalb einer einzigen Probe, war plötzlich dieser verdammte ANGELIKA EXPRESS-Sound da. Jens drehte am Verstärker rum und ich dachte: ‚Scheiße, das mach ich jetzt auch.’ Alex stieg direkt mit dem Schlagzeug viel schneller ein und auf einmal hatten wir Punkrock.
Jens: Das war wie ein Sog.

Also war der Sound so, wie er sich jetzt anhört, eigentlich gar nicht geplant?

Jens:
Als ich die Songs vorher von Robert gehört hatte, fand ich sie zunächst charmant, deswegen wollte ich da mitmachen. In den bösen Momenten war das aber auch schon fast Schlager. Da musste was anderes drunter, es brauchte eine Kehrseite. Erst danach hatten wir alle so ein Aha-Erlebnis. Wir haben bei der Aufnahmesession ohne Overdubs und ähnlichem neun Songs eingespielt. Entweder war es gut, oder nicht. Wenn was nicht okay war, haben wir alles wieder gelöscht. Fehler waren scheißegal, Hauptsache die Energie stimmte. Live versuchen wir das dann noch zu toppen.

Dem muss ich zustimmen. Auf der Bühne seid ihr das Erfrischendste, was ich seit langem gesehen habe. Die Chemie scheint vollkommen zu stimmen, trotzdem wirkt euer Elan nicht aufgesetzt oder abgesprochen.

Jens:
Wir wollen auf der Bühne Spaß haben. Dabei eine unglaubliche Energie zwischen uns aufbauen und diese nach Möglichkeit aufs Publikum übertragen. Von daher muss sich so was auch körperlich äußern.
Robert: Wenn man natürlich eine längere Tour macht, kann man nicht jeden Abend auf der Bühne Vollgas geben. Von daher versuchen wir jetzt schon, mit unseren Energien zu haushalten und sie an den richtigen Stellen einzusetzen.

Ich habe mich trotzdem gewundert, wie man so eine Energie aufrecht erhalten kann. Ist das alles körpereigen, oder auch zugeführt?

Robert: [/b] Nee, wir sind nicht die besonderen Drogentypen. Eigentlich nur Alkohol und den meist erst danach.
Jens: Du fragst dich auf der Bühne gar nicht, ob und wie das geht. Nach einer besonders heftigen Show in Groningen sind Alex und ich beispielsweise hinter der Bühne zusammengeklappt. Das war vorher so geil, dass wir gar nicht gemerkt haben, wie wir uns verausgaben. Es passiert auch schon mal, dass wir uns auf der Bühne mit den Kabeln verfangen, oder zusammenklatschen. Auf Drogen würde das eventuell nicht so glimpflich ausgehen.
Robert: Wenn du sowieso ein großes Energielevel hast und versuchst, das zusätzlich mit Drogen zu steigern, kann das übel nach hinten losgehen. Da machst du dich zum Arsch auf der Bühne.

Auf eurer Platte finden sich einige Zitate. Ganz klar natürlich FEHLFARBEN in dem Song „Paul muss sterben“, aber eben auch SLIME. Was ich lustig finde, weil du mir damals die erste SLIME-LP mit den Worten verkauft hast, das wäre totaler Dreck, haha.

Robert:
Wirklich? Ja, aber SLIME eben durch den Filter von FEHLFARBEN. Ich mach mich ein bisschen darüber lustig. Die Parolen von SLIME haben ja eine gewisse Plattheit. Diese Reminiszenz habe ich eben daher verwurstet, weil da dieses Heckenpenner-mässige im Punk drinsteckt und in ‚Paul’ wird ja so was Verlierer-mässiges dargestellt.
Jens: Zu ‚Paul muss sterben’ gibt es eine schöne Anekdote. Auf dem FEHLFARBEN-Konzert in Darmstadt hat Peter Hein bei ‚Paul ist tot’ gesungen: ‚Ist ja klar, damit wir leben können.’ Das war natürlich für uns ein Riesenkompliment.
Robert: Ich fand’s geil, dass er unseren Song in seinen einbaut, obwohl sich unserer auf seinen bezieht. Das war schön mitzuerleben, wie sich da der Kreis schließt.

Peter Hein singt ja auch ein Stück auf euer Platte. Wie kam es dazu?

Robert:
Durch das Label. Wir sind ja auf dem gleichen Label wie FEHLFARBEN. Wir hatten vorher schon einen Auftritt zusammen im Okie Dokie, mit der BAND ZUM BUCH. Das war unser erster Auftritt übrigens. Da kam Peter danach zu uns und meinte: ‚Jungs, ich hab zwar euren Auftritt nicht gesehen, aber ihr habt Anzüge an, ihr könnt keine Arschlöcher sein’.
Jens: Danach hatten wir unseren zweiten Gig in Wuppertal im Vorprogramm von FAMILY 5, das war richtig lustig. Als wir später im Studio waren, hatten wir die Idee, dass es hervorragend passen würde, wenn Peter bei uns einen Song singt. Wir haben ihn dann vom Studio aus bei Xerox angerufen und gefragt, ob er da Bock drauf hat. Abends um 19:00 kam er dann ins Studio, haha.

Also würdet ihr FEHLFARBEN auch schon als so etwas wie euren Background bezeichnen?

Jens:
Unbedingt, aber nicht ausschließlich. Auf alle Fälle auch Bands wie GANG OF FOUR. Wenn aber jemand sagt, wir würden wie eine deutsche Band klingen, ist das ja klar. So Sachen wie S.Y.P.H., MIPAU, FEHLFARBEN oder auch TRIO sind halt unsere Jugend und daher ist deren Musik in unseren Köpfen präsent.

Wobei im Jahr 2003 wohl eher Parallelen zu Bands wie BLUMFELD oder TOCOTRONIC gezogen werden.

Jens:
Ja, aber das nur, weil die den gleichen Background haben. Ich würde uns aber nicht mit TOCOTRONIC vergleichen, weil es da um gelebte Langeweile geht.
Robert: Um so ein Slackertum. Bei uns geht es eher um die Kultivierung des urbanen Enthusiasmus’. Es ist nicht unser Ding, cool auf der Bühne zu stehen. Böse formuliert könnte man sagen, das hat etwas zu Elitäres.
Jens: Die Leute suchen halt immer nach Vergleichen. Es steht nie was für sich alleine. Wir haben da aber auch nichts gegen, auch wenn wir nicht so sind oder so klingen.
Alex: Ich würde es so auf den Punkt bringen, dass wir eher bei Schmidt und nicht bei Schmidtchen klauen. Wir finden eher BEATLES oder GANG OF FOUR geil, als deren Epigonen. Das ist bestimmt nicht revolutionär, aber den Anspruch haben wir auch nicht.